Strafrecht

Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO

Aktenzeichen  Vf. 102-VI-19

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33919
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 24 Abs. 2, § 30, § 172 Abs. 1, Abs. 2
VfGHG Art. 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Art. 9, Art. 51 Abs. 2 S. 1
StGB § 258a, § 339,

 

Leitsatz

Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Entscheidung, mit der ein Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 172 StPO als unzulässig verworfen wurde. (Rn. 17)

Tenor

1. Die Selbstanzeige des Mitglieds des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Wächtler wird für begründet erklärt.
2. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
3. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.

Gründe

I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. November 2019 Az. 4 Ws 186/19 KL, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft München I zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Küspert wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt als unzulässig verworfen wurde.
1. Am 7. Oktober 2019 erstattete der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen den Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Küspert „wegen Unterlassen einer Entscheidung im Verfahren“ Vf. 56-VI-18, „strafbar als Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt (§§ 339, 258 a StGB)“. In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren Vf. 56-VI-18 hatte sich der Beschwerdeführer gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Juli 2018 Az. 2 Ws 306/18 KL gewandt, mit dem sein Antrag auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft München I zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine vormalige Staatsanwältin wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt als unzulässig verworfen worden war. Diese Verfassungsbeschwerde ist mit Entscheidung vom 28. Januar 2020 abgewiesen worden. Mit seiner Strafanzeige trug der Beschwerdeführer vor, er habe im Verfahren Vf. 56-VI-18 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Durch das Unterlassen der Entscheidung sei am 17. September 2019 Verjährung eingetreten und damit eine Strafverfolgung der vormaligen Staatsanwältin endgültig verhindert worden. Am 8. Oktober 2019 forderte der Beschwerdeführer die Staatsanwaltschaft auf, ihm „unverzüglich die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens“ zu bestätigen.
Die Staatsanwaltschaft München I gab der Anzeige keine Folge, weil Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten nicht ersichtlich seien (Bescheid vom 18. Oktober 2019 aufgrund Verfügung vom 11. Oktober 2019 Az. 120 Js 197086/19).
2. Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer an das Oberlandesgericht München mit dem „Antrag im Verfahren gem. §§ 172 ff StPO auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft München I zur förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens“.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. November 2019 Az. 4 Ws 186/19 KL verwarf das Oberlandesgericht München diesen Antrag als unzulässig. Soweit der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO verfolge, erweise sich dieser als offensichtlich unzulässig. Erstens fehle dem Vorbringen eine Vorschaltbeschwerde. Zweitens habe der Beschwerdeführer keinen Bescheid des Generalstaatsanwalts herbeigeführt. Zuletzt könne dem Antrag eine vollständige, aus sich heraus verständliche und prüfbare Sachverhaltsdarstellung sämtlicher in den als verletzt behaupteten Strafvorschriften vorausgesetzter Tatbestandsmerkmale nicht entnommen werden. Der Sachantrag, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, das Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs förmlich einzuleiten, sei im Gesetz nicht vorgesehen und deswegen nicht statthaft.
3. Die vom Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge verwarf das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 4. Dezember 2019 als unzulässig.
4. Mit Schreiben vom 9. September 2019 teilte der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Wächtler anlässlich eines anderen Verfahrens mit, der Beschwerdeführer sei ein früherer Mandant von ihm. Er habe ihn in einem umfangreichen Verfahren über mehrere Instanzen vertreten. Dabei sei ein „professionelles Vertrauensverhältnis“ entstanden. In der „aktuellen Sache hat er mich gebeten, ihn anwaltlich vor dem VerfGH zu vertreten, was ich unter Hinweis auf meine richterliche Tätigkeit abgelehnt habe“. Ergänzend teilte der Richter am 16. September 2019 mit, dass es sich bei dem von ihm genannten „umfangreichen Verfahren“ um das Verfahren handelt, welches in den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31. Mai 2017 (Az. 5 OLG 13 Ss 81/17 – juris, „Freisler-Vergleich“) mündete.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer „Grundrechts verletzungen in folgenden Punkten geltend:
1) Verstöße gegen Grundrechte und ihre Kausalität für den rechtskräftigen Beschluss des OLG München vom 25.11.2019 mit dem Az. 4 Ws 186/19 KL
2) Fehlende Mündliche Verhandlung (Art. 6 I 1 EMRK, § 101 VwGO)
3) Fehlende richterliche Hinweise (§ 86 III VwGO)
4) Fehlende Beiziehung der Akten des BayVerfGH
5) Fehlende Beiladung des Beschuldigten P1. K. (§ 65 VwGO)
6) Anspruch auf Strafverfolgung Dritter“.
Das Rechtsschutzziel bestehe „nach wie vor in folgendem: Die Staatsanwaltschaft München I wird verpflichtet, das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten P1. K. förmlich einzuleiten.“
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
3. Mit Beschluss vom 5. März 2020 hat der Verfassungsgerichtshof dem Beschwerdeführer aufgegeben, zur Durchführung seiner Verfassungsbeschwerde einen Kostenvorschuss von 1.500 € zu entrichten und in dieser Entscheidung u. a. ausgeführt, dass und warum der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Küspert von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.
III.
Die Entscheidung über die Selbstanzeige des Richters des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Wächtler ist vom Verfassungsgerichtshof in der Besetzung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VfGHG zu treffen. An die Stelle des Richters des Verfassungsgerichtshofs Wächtler tritt als weitere Vertreterin (wegen Verhinderung der an erster Stelle zur Vertretung berufenen Prof. Dr. S.) die Richterin des Verfassungsgerichtshofs Riethmüller. Der vom Richter des Verfassungsgerichtshofs Wächtler in seiner Erklärung vom 9. September 2019 mitgeteilte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit gemäß Art. 9 VfGHG i. V. m. §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.
Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs vom 7. November 2019 Vf. 31-VI-19 (juris Rn. 4 ff.) und Vf. 47-VI-18 (juris Rn. 10 ff.) sowie vom 8. November 2019 Vf. 50-VI-18 (juris Rn. 9 ff.). Dort ist jeweils ausgeführt, dass und warum die Prozessvertretung des Beschwerdeführers durch den Richter des Verfassungsgerichtshofs Wächtler in dem früheren Verfahren, welches in den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31. Mai 2017 Az. 5 OLG 13 Ss 81/17 mündete, zur Besorgnis der Befangenheit führt. Diese Gründe gelten hier entsprechend. Auch im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren erwähnt der Beschwerdeführer die einschlägige Äußerung über Roland Freisler (S. 97 des Schreibens vom 14. Mai 2020) und stellt damit selbst einen Zusammenhang her zwischen dem Verfahren beim Landgericht München I bzw. dem Oberlandesgericht München, in welchem er vom heutigen Richter des Verfassungsgerichtshofs Wächtler vertreten wurde, und dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren. Seine damalige Äußerung über Roland Freisler diente offenbar dem Ziel, seine Auffassungen in Bezug auf das Klageerzwingungsverfahren in die Öffentlichkeit zu bringen (VerfGH vom 7.11.2019 – Vf. 31-VI-19 – juris Rn. 16; vom 7.11.2019 – Vf. 31-VI-19 – juris Rn. 16; vom 8.11.2019 – Vf. 50-VI-18 – juris Rn. 19). Auch die vorliegende Verfassungsbeschwerde stützt der Beschwerdeführer u. a. auf seine allgemeinen Auffassungen zum Klageerzwingungsverfahren (z. B. dass eine „Anwendung der Vorschriften der VwGO“ geboten sei und daher „die Vorschaltbeschwerde und der Bescheid der GenStA entbehrlich sind“, vgl. Schriftsatz vom 14. Mai 2020). Angesichts eines derartigen Zusammenhangs zwischen dem früheren Verfahren, in dem der Beschwerdeführer durch den heutigen Richter des Verfassungsgerichtshofs Wächtler vertreten wurde, und dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren, besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters des Verfassungsgerichtshofs Wächtler im konkreten Verfassungsbeschwerdeverfahren zu zweifeln. Ob er tatsächlich befangen ist, ist dagegen nicht entscheidend.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Sie stellt sich insgesamt als rechtsmissbräuchlich dar. Ebenso verfolgt der Beschwerdeführer mit seiner Strafanzeige vom 7. Oktober 2019 offensichtlich missbräuchliche Zwecke. Zur Begründung wird Bezug genommen auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 5. März 2020 im hiesigen Verfahren.
2. Zudem wird die Verfassungsbeschwerde dem Grundsatz der Subsidiarität nach Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG nicht gerecht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs setzt eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO grundsätzlich – und auch im vorliegenden Fall – voraus, dass zuvor auf Beschwerde des Antragstellers ein ablehnender Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft ergangen ist (vgl. VerfGH vom 17.11.2015 – Vf. 32-VI-15 – juris Rn. 12; vom 22.10.2018 BayVBl 2019, 465 Rn. 20; vom 7.11.2019 – Vf. 46-VI-18 – juris Rn. 23; vom 8.11.2019 – Vf. 48-VI-18 – juris Rn. 25; vom 8.11.2019 – Vf. 51-VI-18 – juris Rn. 25; vom 8.11.2019 – Vf. 77-VI-18 – juris Rn. 18; vom 10.12.2019 – Vf. 47-VI- 18 – juris Rn. 25; vom 10.12.2019 – Vf. 20-VI-19 – juris Rn. 10; vom 10.12.2019 – Vf. 31-VI-19 – juris Rn. 10; vom 28.1.2020 – Vf. 56-VI-18 – juris Rn. 17; vom 4.2.2020 – Vf. 51-VI-19 – juris Rn. 10).
Eine solche Vorschaltbeschwerde hat der Beschwerdeführer nicht erhoben. Die Auffassung des Beschwerdeführers, dass die Vorschaltbeschwerde entbehrlich gewesen sei, greift nicht durch (vgl. z. B. VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 21 ff.; vom 7.11.2019 – Vf. 46-VI-18 – juris Rn. 24 ff.; vom 8.11.2019 – Vf. 48-VI-18 – juris Rn. 26 ff.; vom 8.11.2019 – Vf. 77-VI-18 – juris Rn. 20 ff.; vom 10.12.2019 – Vf. 47-VI-18 – juris Rn. 28 ff.; vom 10.12.2019 – Vf. 20-VI-19 – juris Rn. 11 ff.; vom – Vf. 56-VI-18 – juris Rn. 19 ff.). V.
Selbst wenn die Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, wäre sie offensichtlich unbegründet. Die vom Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts angeführten Einwände begründen keinen Verstoß gegen seine verfassungsmäßigen Rechte (vgl. z. B. VerfGH vom 7.11.2019 – Vf. 46-VI-18 – juris Rn. 29 f.; vom 8.11.2019 – Vf. 48-VI-18 – juris Rn. 31 f.; vom 8.11.2019 – Vf. 77- VI-18 – juris Rn. 27 f.; vom 10.12.2019 – Vf. 47-VI-18 – juris Rn. 33 f.; vom 28.1.2020 – Vf. 56-VI-18 – juris Rn. 28 f.).
VI.
Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).


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