Strafrecht

Verfrühte Revisionsverwerfung in offener Revisionsbegründungsfrist

Aktenzeichen  2 OLG 120 Ss 29/18

Datum:
4.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11529
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 345 Abs. 1, § 346 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Verwerfung der Revision nach § 346 I kommt erst nach Ablauf der Frist zur Anbringung der Revisionsanträge und der Revisionsbegründung in Betracht, weil erst dann fest steht, welche auf die Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse zu überprüfende Rechtsmittelerklärungen des zur Fristausschöpfung berechtigten Beschwerdeführers abgegeben worden sind. Wird die Revision gleichwohl verfrüht verworfen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Angeklagter seine Revision trotzdem in noch offener Frist begründet, wodurch seine Rechte unzulässig verkürzt werden (u.a. Anschluss an OLG Jena, Beschl. v. 01.10.2008 – 1 Ss 196/08 = VRS 115 [2008], 427 und OLG Hamm, Beschl. v. 06.04.1995 – 4 Ss OWi 341/95 = VRS 89 [1995], 377). (Rn. 3 und 8)
2. Ist die „verfrühte“ Verwerfung nach § 346 Abs. 1 StPO dem Revisionsführer noch während des Laufs der Frist des § 345 I 1 StPO bekannt gemacht worden, ist sie – obwohl wirksam – auf seinen Antrag nach § 346 II StPO hin aufzuheben und die Sache vom Revisionsgericht mangels Entscheidungsreife an den Tatrichter zurückzugeben. Der Mangel der Verwerfungsentscheidung führt in diesem Falle dazu, dass die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Zustellung des Aufhebungsbeschlusses des Revisionsgerichts an den Angeklagten in Lauf gesetzt wird (u.a. Anschluss an BayObLGSt 1993, 204; 2000, 117; OLG Naumburg Beschl. v. 21.05.2007 – 1 Ss [Bz] 91/07 [bei juris]; OLG Jena, Beschl. v. 01.10.2008 – 1 Ss 196/08 = VRS 115 [2008], 427; OLG Oldenburg, Beschl. 01.12.2014 – 2 Ss OWi 310/14 = VRS 127 [2014], 239; OLG Hamm, Beschl. v. 06.04.1995 – 4 Ss OWi 341/95 = VRS 89 [1995], 377). (Rn. 8)

Gründe

I.
Das Vorbringen des Angekl. in seinen am 10.03.2018 bzw. 12.03.2018 eingegangenen Schreiben stellt sich […] als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 II 1 StPO dar. Der zulässige und insbesondere auch fristgerecht eingelegte Antrag hat in der Sache auch Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des LG vom 08.03.2018.
1. Das LG hat die Revision des Angekl. gegen das Urteil vom 05.02.2018 zu Unrecht als unzulässig verworfen, denn die auf § 346 I StPO gestützte Verwerfungsentscheidung, die dem Angekl. am 10.03.2018 zugestellt wurde, ist verfrüht ergangen. Eine Entscheidung nach § 346 I StPO darf erst getroffen werden, wenn die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist. Erst dann steht nämlich fest, welche Erklärungen abgegeben wurden und folglich auf Einhaltung der Form und Frist zu prüfen sind, zumal jeder Beschwerdeführer die Frist zur Begründung seines Rechtsmittels bis zuletzt ausschöpfen oder auch innerhalb der Frist mehrere Erklärungen abgeben darf (OLG Jena, Beschluss vom 01.10.2008 – 1 Ss 196/08 = VRS 115 [2008], 427).
a) Vorliegend war die maßgebliche Revisionsbegründungsfrist nach § 345 I 2 StPO noch nicht abgelaufen, als das LG die angefochtene Verwerfungsentscheidung vom 08.03.2018 getroffen hat. Das in Abwesenheit des Angekl. ergangene Urteil des LG vom 05.02.2018 wurde dem Angekl. am 07.02.2018 zugestellt. Damit begann die Frist zur Anbringung der Beschwerdeanträge und ihrer Begründung erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision am 15.02.2018 und endete mit Ablauf des 15.03.2018 (§ 345 I 1 StPO).
b) Das LG hat die Revision damit deutlich vor Ablauf der Begründungsfrist des Rechtsmittels verworfen. In einem solchen Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Angekl. trotz der gerichtlichen Entscheidung seine Revision noch begründet. Weil es ihm grundsätzlich gestattet ist, Fristen vollumfänglich auszuschöpfen, können seine Rechte hierdurch unzulässig verkürzt werden. Für die Nichteinhaltung der Revisionsbegründungsfrist trägt in einer solchen Fallkonstellation das Tatgericht die Verantwortung, welches bei der Berechnung der Revisionsbegründungsfrist ersichtlich einem Irrtum erlegen ist (OLG Jena a.a.O. und schon OLG Hamm, Beschluss vom 06.04.1995 – 4 Ss OWi 341/95 = VRS 89 [1995], 377).
2. Der festgestellte Mangel zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 08.03.2018.
a) Eine verfrühte Entscheidung wäre nur dann unschädlich, wenn sie im Ergebnis zu Recht ergangen und nicht zu besorgen ist, dass der Revisionsführer durch sie von einer möglichen Heilung des Formfehlers oder einer rechtzeitigen Nachholung der Revisionseinlegung oder Revisionsbegründung abgehalten worden ist. Dies ist nur dann auszuschließen, wenn die Verwerfungsentscheidung dem Revisionsführer erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zugestellt worden ist (vgl. Graf/Wiedner StPO 3. Aufl. § 346 Rn. 15 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 24.03.2017 – 2 Ss OWi 329/17 [bei juris]; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.02.2003 – 3 Ss 386/02 = NStZ-RR 2003, 204; vgl. auch BGH NStZ 1995, 20; OLG Jena, Beschluss vom 11.12.2006 – 1 Ss 329/06 = VRS 115 [2008], 427 und OLG Koblenz, Beschluss vom 20.11.2007 – 1 Ss 311/07 [bei juris]).
b) Ist aber – wie hier – die Verwerfungsentscheidung dem Revisionsführer noch während laufender Begründungsfrist zugestellt worden […], so ist sie zwar nicht unwirksam, aber auf einen Antrag nach § 346 II StPO hin gleichwohl aufzuheben. Das Revisionsgericht hat die Sache bei einer solchen Verfahrenskonstellation mangels Entscheidungsreife an den Tatrichter zurückzugeben, da dem Revisionsführer hier wegen der Einhaltung des fairen Verfahrens noch die Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Revision zu begründen. Da dem Revisionsführer nicht zuzumuten ist, in Kenntnis der Verwerfungsentscheidung rein vorsorglich innerhalb der noch verbleibenden Frist seine Revision zu begründen, sondern dies erst dann von ihm verlangt werden kann, wenn das Revisionsgericht auf seinen Antrag hin die Verwerfungsentscheidung aufgehoben hat, führt der sachlich-rechtliche Mangel der Verwerfungsentscheidung bei einer solchen Verfahrenskonstellation nach einhelliger obergerichtlicher Rspr. dazu, dass die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Zustellung des Aufhebungsbeschlusses des Revisionsgerichtes an den Angekl. in Lauf gesetzt wird (BayObLGSt 1993, 204; 2000, 117; OLG Naumburg Beschluss vom 21.05.2007 – 1 Ss [Bz] 91/07 [bei juris]; OLG Jena, Beschluss vom 01.10.2008 – 1 Ss 196/08 = VRS 115 [2008], 427; OLG Oldenburg, Beschl. 01.12.2014 – 2 Ss OWi 310/14 = VRS 127 [2014], 239; OLG Hamm, Beschluss vom 06.04.1995 – 4 Ss OWi 341/95 = VRS 89 [1995], 377; vgl. auch SK/Frisch StPO 5. Aufl. § 346 Rn. 23).
c) Für das weitere Verfahren wird der Angekl. daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die Nachholung der versäumten Handlung, also die formgerechte Begründung seiner Revision, welche nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle gegenüber dem Rechtspfleger bei dem LG erfolgen kann, eine Frist von einem Monat ab Zustellung der vorliegenden Senatsentscheidung gilt.
3. Die weitere Behandlung der Sache obliegt nunmehr dem LG, das nach Ablauf der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist (§ 345 I StPO) gemäß § 347 StPO zu verfahren haben wird. Soweit eine den Anforderungen des § 345 I und II StPO entsprechende Begründung der Revision des Angekl. bis zum Ablauf der Frist nicht erfolgen sollte, kommt auch eine (erneute) Entscheidung durch das LG nach § 346 I StPO in Betracht. […]


Ähnliche Artikel


Nach oben