Strafrecht

Widerruf Waffenbesitzkarte, Widerlegung der Regelvermutung, sehr lange zurückliegende Straftat, Bindung an strafrichterliche Würdigung

Aktenzeichen  B 1 S 21.709

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30951
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG §§ 45 Abs. 2, 46 Abs. 1, Abs. 2
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 a)

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 3.625,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte und der dazu ergangenen Nebenentscheidungen.
Das Landratsamt … (im Folgenden Landratsamt) erteilte dem Antragsteller am 15. Dezember 2005 eine Waffenbesitzkarte (Nr. …*). Ein ihm (zu unbekanntem Zeitpunkt) erteilter Jagdschein lief am 1. April 2019 ohne Antrag auf Verlängerung ab.
Am 27. August 2016 wurde ein gegen den Antragsteller eingeleitetes Ermittlungsverfahren (Az. …*) wegen Nötigung von der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Dem Antragsteller lag zur Last, zwischen dem 4. Mai 2016 und 1. Juli 2016 einem Herrn N. und Frau C. (nach zumindest einmaliger vorheriger Ankündigung an Frau C.), mehrmals die Strom- und Wasserversorgung abgestellt (und den Strom einmal erst nach anwaltlicher Aufforderung wieder angestellt) sowie am 1. Juli 2016 ein Kabel aus dem Internet-Router gerissen und mitgenommen zu haben.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 30. März 2017 (Az. …, seit 8. Oktober 2018 rechtskräftig) wurde der Antragsteller wegen Beihilfe zur Untreue in zwei tatmehrheitlichen Fällen schuldig gesprochen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verhängt (gebildet aus 6 Monaten Freiheitsstrafe und 60 Tagessätzen Geldstrafe). Dem Kläger wurde zur Last gelegt, am 18. Januar 2010 und 4. Juli 2011 drei Teilzahlungen im Zusammenhang mit Leistungen der … gegenüber der …vereinigung … nicht gegenüber dieser, sondern die Rechnungen auf die … GmbH abgerechnet und das Geld entgegengenommen zu haben.
Am 3. Juli 2020 wurde der Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis angehört.
Mit Bescheid vom 3. Mai 2021, zugestellt am 10. Mai 2021, widerrief das Landratsamt die Waffenbesitzkarte Nr. … (Ziffer 1). Innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung des Bescheides sei sie abzugeben (Ziffer 2.1) und sämtliche erlaubnispflichtige Waffen und Munition einem Berechtigten zu überlassen, diese unbrauchbar machen zu lassen oder zur form-, frist- und entschädigungsloser Vernichtung beim Landratsamt abzugeben. Über die Veräußerung seien Nachweise vorzulegen (Ziffer 2.2). Unter Ziffer 3 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 2 angeordnet. Ziffer 4 enthält eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 250,00 EUR für den Fall des Verstoßes gegen Ziffer 2.1. Unter Ziffer 5 wird die Sicherstellung bei Verstoßes gegen Ziffer 2.2 angedroht. Im Fall der Sicherstellung habe der Antragsteller innerhalb eines Monats einen Berechtigten für die Übernahme der Waffen zu benennen, andernfalls würden sie der Vernichtung zugeführt (Ziffer 6). Ziffern 7 und 8 enthalten die Kostenentscheidung.
Der Antragsteller sei unzuverlässig nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG. Die Regelvermutung werde nicht durchbrochen. Hinsichtlich des Einwandes des Bevollmächtigten, der Zeitablauf seit den Taten sei geeignet, Zweifel an der Anwendbarkeit der Regelvermutung zu begründen, sei maßgeblich, wann Rechtskraft eingetreten sei. Vorliegend sei die 5-Jahres-Frist eingehalten.
Die Verurteilung wegen Beihilfe setze doppelten Gehilfenvorsatz voraus und habe Rechtskraft erlangt, sodass gegen den Antragsteller wegen einer vorsätzlichen Tat eine Strafe verhängt worden sei. Die Behörde könne von der Richtigkeit der rechtskräftigen Verurteilung ausgehen, unerheblich sei, ob es sich um ein Urteil oder einen Strafbefehl handele.
Dass sich der Antragsteller seither rechtskonform verhalten hätte, entkräfte die Vermutung nicht (BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5). Im Übrigen entspreche dies wegen des Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung, welches nach § 153 StPO, nicht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, nicht den Tatsachen.
Der Antragsteller sei nicht im Besitz einer gewerblichen Waffenbesitzkarte und es stelle sich die Frage ob seine Gewerbehandlung mit Waffenbezug so überhaupt zulässig wäre. Er habe die Waffenbesitzkarte damals aufgrund eines Jagdbedürfnisses beantragt und könne sich daher nicht darauf stützen, dass er unverhältnismäßig stark beeinträchtigt wäre, da er die Waffen nicht zur Jagd benutze. Es sei fraglich, wie er sein der Waffenbehörde bislang nicht bekanntes Gewerbe weiter betreiben wolle.
Die begleitenden Verfügungen wurden näher begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2.1 wurde mit dem zu beseitigenden Rechtsschein, hinsichtlich Ziffer 2.2 mit der Verhinderung von Verzögerungen durch einen Rechtsstreit bei unzuverlässigen Personen begründet.
Am 31. Mai 2021 ließ der Antragsteller Klage erheben und beantragt, den Bescheid des Landratsamts … vom 03.05.2021 aufzuheben. Mit am 15. Juni 2021 eingegangenem Schriftsatz beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage im Hinblick auf den angegriffenen Bescheid des Landratsamts … vom 03.05.2021, Az. … wiederherzustellen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Verurteilung Taten vom 18. Januar 2010 und 4. Juli 2011 betreffe, die zehn bzw. elf Jahre zurückliegen, worauf es für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ankomme. Der Antragsteller habe einen Teil einer Rechnung auf einen Empfänger ausgestellt, der nicht sein Auftraggeber gewesen sei. Er sei geschäftlich noch relativ unerfahren gewesen und habe die strafrechtliche Bedeutung nicht erkannt. Der Auftrag, den er für die …vereinigung … durchgeführt und gegenüber der … GmbH abgerechnet habe, sei seine erste Geschäftstätigkeit in seinem neuen Geschäftsfeld „…“ gewesen. Er habe sich nichts dabei gedacht, als er von Herrn T., dem Vertretungsberechtigten des Leistungsempfängers, der auch für die …GmbH vertretungsberechtigt (Geschäftsführer) gewesen sei, gebeten worden sei so vorzugehen, der dies damit erklärt habe, dass er – oder vielleicht die … GmbH ? – die Zahlung der Rechnung als Spende für die Jägervereinigung verbuchen werde. Er habe ihm vertraut und er wisse nicht, wieso Herr T. dies so verlangt habe. Es sei ihm gleichgültig gewesen, wer die Rechnung bezahle. Er habe nicht zu seinem eigenen Vorteil gehandelt. Der Strafbefehl äußere sich zum Vorsatz nur dahingehend, dass der …GmbH wie vom Antragsteller erkannt und gebilligt, ein Schaden entstanden sei. Er enthalte keine ausdrückliche Äußerung zum doppelten Gehilfenvorsatz. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, wie der Vorsatz festgestellt worden sei. Der Strafbefehl beinhalte nur eine rudimentäre Darstellung ohne auf den Sachverhalt und den Tatbeitrag einzugehen. Wegen der beschränkten Rechtskraft des Strafbefehls sei es daher zulässig, ausnahmsweise die Bindungswirkung einer strafrechtlichen Verurteilung außer Kraft zu setzen. Es gebe keinerlei Hinderungsgründe den Vorsatz auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu diskutieren. Allenfalls könne bedingter Vorsatz vorgelegen haben, weil der Antragsteller nur unter Anspannung aller seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Erkenntniskräfte in der Laiensphäre in der Lage gewesen wäre die strafrechtliche Konsequenz zu erkennen. Einen Schadensvorsatz gegenüber der … GmbH habe er nie gehabt.
„Sein Zeuge“, Herr T., sei ein halbes Jahr vor der Hauptverhandlung verstorben. Der Antragsteller habe deshalb in der Hauptverhandlung nicht versucht, von seiner Gutgläubigkeit zu überzeugen, weil er zu befürchten gehabt habe, dass gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB das „Erlangte“ (101.769,99 EUR) eingezogen werde, was für sein Geschäft die Insolvenzreife bewirkt hätte. Er habe daher den Einspruch zurückgenommen.
Von dem Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Nötigung habe der Antragsteller keine Kenntnis gehabt und keine Stellungnahme abgeben können, ihm sei auch keine Einstellungsverfügung zugegangen. Zu der Vorladung der Polizei habe er telefonisch reagiert und sich dahingehend geäußert, dass er nicht wisse, was der Anzeigeerstatter, den er für einen Hausbesetzer halte, wolle. Der Antragsteller sei nicht verpflichtet gewesen der Vorladung nachzukommen. Er habe das gewerbliche Anwesen kurz vorher erworben und seinerzeit renoviert, weswegen öfter die Wasser- und Stromversorgung abgestellt werden habe müssen, ohne dass eine zielgerichtete Handlungsweise gegen den Anzeigeerstatter verbunden gewesen wäre. Dieser habe Räume dort als Wohnung genutzt, ohne dass es einen Mietvertrag und Mietzahlungen gegeben hätte. Aus diesem Vorfall könne nichts im Hinblick auf die waffenrechtliche Zuverlässigkeit geschlossen werden. Belastbare Feststellungen würden fehlen.
Der Antragsteller sei auf die Waffenbesitzkarte aus beruflichen Gründen gesteigert angewiesen. Er besuche persönlich Jägervereinigungen und Schützenvereine, um sein Geschäftsfeld „…“ vorzustellen und nur aufgrund solcher persönlicher Ansprachen habe er zwischenzeitlich sieben Vereine mit Anlagen ausgestattet. Ohne Waffenbesitzkarte könne er nicht auf die Jagd gehen und Einladungen zu Jagdveranstaltungen nicht mehr nachkommen, sodass seine Marketing-Chancen gravierend eingeschränkt würden. Es sei eine gänzlich andere geschäftliche Plattform als die, einem Vorstand einen Flyer oder ein Angebot vorzulegen. Der Antragsteller habe bislang keinen Antrag auf Verlängerung seines Jagdscheins gestellt, weil ihm die Thematik der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit schon bekannt gewesen sei und er erwartet habe, dass diese aufkommen würde.
Die Regelvermutung werde durch die vorgetragenen Umstände, insbesondere den Zeitablauf widerlegt. Mit den für die Widerlegung dieser Vermutung vorgetragenen Sachverhalten setze sich der Antragsgegner nicht auseinander. Der Sofortvollzug sei unverhältnismäßig und schablonenhaft. Die Behörde sei trotz Kenntnis vom Verfahren jahrelang untätig geblieben und habe damit zum Ausdruck gebracht, dass die Zweifel an der Zuverlässigkeit nicht so gravierend seien, dass ein sofortiges Eingreifen notwendig gewesen wäre.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Ausführungen im Bescheid werden im Wesentlichen wiederholt. Das verhängte Strafmaß lasse erkennen, dass die Tat des Antragstellers kein unverschuldeter Bagatellverstoß gewesen sei. Aus welchen Gründen er den Strafbefehl akzeptiert habe, sei für die waffenrechtliche Beurteilung irrelevant. Das Landratsamt sei nicht jahrelang untätig geblieben, sondern habe im Rahmen der Regelüberprüfung am 19. Januar 2019 Kenntnis über die rechtskräftige Verurteilung erlangt und erst am 3. Juli 2020 sei der Strafbefehl übersandt worden.
Die Einlassung des Antragstellers zum Verfahren wegen Nötigung sei widersprüchlich und sein Hinweis, dass er vor der Polizei nicht zu erscheinen brauche, nicht entlastend. Trotz der Einstellung sei das Verfahren verwertbar, die Einstellung hindere nicht daran die festgestellten Tatsachen als gewichtig einzustufen. Es habe sich nicht um einen Freispruch gehandelt, sondern der Verstoß des Antragstellers sei – wenn auch in geringfügigem Maße – festgestellt worden.
Das Vorbringen zum gewerblichen Bedürfnis sei nicht schlüssig, da er seit über zwei Jahren keinen gültigen Jagdschein besitze. Sollte ein solcher (und die Waffenbesitzkarte) jedoch Voraussetzung für die Gewerbeausübung sein, stelle sich die Frage, ob der Antragsteller die letzten beiden Jahre ohne Erlaubnis gehandelt habe. Auch sei die Teilnahme an Jagdveranstaltungen nicht unmöglich, da der Zutritt nicht an eine Waffenbesitzkarte gebunden sei und auch die Erforderlichkeit für die Vorstellung der …-Produkte fraglich sei.
Die Widerlegung der Regelvermutung trete nicht automatisch qua Ablauf von zehn Jahren ein, sondern bedürfe vielmehr des Hinzukommens weiterer entlastender Umstände (BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 24 B 20.2220). Die Einstellung von 2016 bestätige noch die Regelvermutung, der Antragsteller habe sich etwas zuschulden kommen lassen. Außerdem habe die Anhörung vom 3. Juli 2020 (vor Ablauf der Zehnjahresfrist) vertrauensschutzdurchbrechende Funktion.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
1. Die Klage ist bei summarischer Prüfung unbegründet.
Der Widerruf einer Waffenbesitzkarte setzt nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG voraus, dass nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung der Waffenbesitzkarte hätten führen müssen. Eine Waffenbesitzkarte darf gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht erteilt werden, wenn der Antragsteller die nötige Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG nicht besitzt. Der Wegfall der nötigen Zuverlässigkeit führt also zwingend und ohne Ermessensspielraum der Behörde zum Widerruf der Waffenbesitzkarte. Die waffenrechtlich nötige Zuverlässigkeit besitzen in der Regel gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG u.a. Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder bei denen die Verhängung von Jugendstrafe ausgesetzt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Fünfjahresfrist ist der Erlass des Widerrufsbescheides, da ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wurde (BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – NVwZ-RR 1995, 525).
Dies ist beim Antragsteller der Fall; denn er ist 2 Jahre und 7 Monate vor der Widerrufsentscheidung wegen Beihilfe zur Untreue in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Die Verurteilung des Antragstellers begründet demnach den Mangel der erforderlichen Zuverlässigkeit, sofern nicht besondere Umstände diese Annahme ausnahmsweise entkräften. Ein Ausnahmefall kommt dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der für die waffenrechtliche Erlaubnis vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – NVwZ-RR 1995, 525).
Die Frage, ob eine Ausnahme vom Regeltatbestand vorliegt, ist gerichtlich voll zu überprüfen, eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides aufgrund einzelner vielleicht nicht ganz passender Ausführungen des Landratsamts kommt daher nicht in Betracht. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die Waffenrechtsbehörde zu Recht von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit ausgegangen ist oder ein Ausnahmefall vorliegt (VG Bayreuth, U.v. 12.6.2007 – B 1 K 06.602 – BeckRS 2015, 41712). Bei Anlegung der in der Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, dazu entwickelten Maßstäbe ist eine Ausnahme vom Regeltatbestand der Unzuverlässigkeit des Antragstellers in der vorliegenden Sache nicht gerechtfertigt.
a. Der Einwand der beschränkten Rechtskraft eines Strafbefehls und der unzureichenden Ausführungen zum vorsätzlichen Handeln des Antragstellers verhilft dem Antrag nicht zum Erfolg.
Die Annahme der Regelvermutung entfällt nicht deshalb, weil der Antragsteller nicht durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung, sondern durch Strafbefehl verurteilt worden ist. Der Strafbefehl steht einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 410 Abs. 3 StPO). Waffenrechtlich gelten insoweit keine Besonderheiten. Das Gesetz verlangt für die Regelvermutung keine bestimmte Art der Verurteilung (BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – NVwZ-RR 1995, 525).
Weil der Strafbefehl in einem summarischen Verfahren erlassen wird, wurde früher um die Reichweite seiner Rechtskraft gestritten. Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Rechtskraftregelung in § 410 Abs. 3 StPO entschieden: Der Strafbefehl erwächst ebenso wie ein Urteil in Rechtskraft. Zwar sieht das Gesetz neben den Wiederaufnahmegründen in §§ 359 bis 373 StPO in § 373a Abs. 1 StPO vor, dass die Rechtskraft des Strafbefehls im Wiederaufnahmeverfahren unter erleichterten Bedingungen durchbrochen werden kann (MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 410 Rn. 31), aber da dies eine Vorschrift zuungunsten des Verurteilten ist, kann dies der Antragsteller im verwaltungsrechtlichen Verfahren den Widerruf der Waffenbesitzkarte betreffend nicht als Argument dafür heranziehen, ausnahmsweise die Bindungswirkung einer strafrechtlichen Verurteilung außer Kraft zu setzen.
Das Gesetz stellt auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen bestimmter Straftaten ab. Die Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes erfordert daher keine Prüfung der Behörde, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Indem es eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, will das Gesetz sichern, dass die behördliche Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auf tragfähiger Grundlage erfolgt. Daraus folgt, dass sich die Behörde auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen darf. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Die Behörde ist nicht verpflichtet, das Strafverfahren gewissermaßen zu wiederholen, wenn der Betroffene geltend macht, zu Unrecht verurteilt worden zu sein (BVerwG, B.v. 22.4.1992 – 1 B 61.92 – BeckRS 1992, 31227444). § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG knüpft an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der rechtkräftig verhängten Sanktion. Für die Bewertung als Vorsatztat ist die strafrichterliche Würdigung im Strafbefehl maßgeblich (BayVGH, B.v. 28.6.2017 – 21 CS 17.196 – BeckRS 2017, 116472 Rn. 10). Dem Einwand, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, wie der Vorsatz festgestellt worden sei, muss entgegengehalten werden, dass ein (angesichts der Verfahrensdauer) längeres Ermittlungsverfahren stattgefunden zu haben scheint. Im Strafbefehl sind sieben Zeugen und zahlreiche Urkunden aufgelistet, sodass von fehlenden Anhaltspunkten nicht gesprochen werden kann.
Das Verwaltungsgericht hat keinen Anlass zu einer gegenteiligen Beurteilung und das gezeigte Verhalten kann keine Ausnahme vom Regelfall begründen. Der Antragsteller hat drei Teilrechnungen an eine Firma adressiert, von der er positiv wusste, dass sie die Leistungen weder in ihrem Namen in Auftrag gegeben noch empfangen hat. Er hat den Rechnungstext aktiv falsch formuliert mit den Worten „…“ bzw. „…, Aufstellen von Metallmasten und Montage der Cameras für die Außenabsicherung 1. Bauabschnitt 25 Stck pauschal“, obwohl er eine „Trap“ Schließanlage bzw. eine Wallabdeckung für eine …vereinigung erstellt hat.
Der Antragsteller trägt nicht einmal vor, dass die falsche Rechnungsstellung nicht bewusst, sondern nur versehentlich erfolgt sei. Er sagt selbst, dass es ihm gleichgültig gewesen sei, wer die Rechnung bezahlt. Dass er geschäftlich noch relativ unerfahren gewesen sei, erscheint angesichts des Alters (zum Zeitpunkt der Taten … bzw. … Jahre), der vorherigen Tätigkeiten (inklusive einer Selbstständigkeit) und der Beträge, mit denen der Antragsteller arbeitete, fernliegend. Soweit er angibt, er habe nicht zu seinem eigenen Vorteil gehandelt, ist dies in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Er mag zwar eine Gegenleistung für die Zahlung erbracht haben, die der Zahlung äquivalent war, nichtsdestotrotz hat er den Auftrag (in dieser Form) erhalten. Das ist schon ein Vorteil, den er bei anderem Vorgehen möglicherweise nicht gezogen hätte. Dass die …vereinigung zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung auch in der Lage gewesen wäre, die Rechnungen zu bezahlen, ist eine nicht substantiierte Annahme.
Die vorgetragene Leichtgläubigkeit des Antragstellers und seine Gleichgültigkeit im Hinblick darauf wer seine Rechnung bezahlt, spricht nicht für seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit und führt nicht dazu, dass von fehlendem Vorsatz auszugehen ist.
Auch der in Rede stehende Betrag von über 100.000 EUR lässt die Annahme eines Bagatelldelikts nicht zu. Die Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung spricht gegen eine Ausnahme vom Regeltatbestand, weil dem Antragsteller zwei Taten mit einem erheblichen Schadensumfang zur Last liegen.
b. Auch der Zeitablauf seit den Taten ist weder allein noch in Verbindung mit obigen Umständen geeignet, die Annahme der Unzuverlässigkeit zu entkräften. „Allerdings erscheint es rechtlich nicht von vornherein als ausgeschlossen, die gesetzliche Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit i. S. des § 5 Abs. 2 WaffG als widerlegt anzusehen, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Begehung der Straftat aber sehr lange zurückliegt und der Betroffene sich seither straffrei geführt hat. Hierfür lassen sich jedoch keine festen Zeiträume angeben. Es wird immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ankommen“ (BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – NVwZ-RR 1990, 604). „Die Frage, wie viele Jahre zwischen einer die Unzuverlässigkeit begründenden Straftat und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem der Bewerber als zuverlässig gelten kann, lässt sich daher nicht generell beantworten. (…) Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung, in die namentlich auch Art und Umstände der Straftat und die Entwicklung der Persönlichkeit des Erlaubnisbewerbers einzubeziehen sind“ (BVerwG, B.v. 16.6.1987 – 1 B 93/86 – BeckRS 1987, 06417 Rn. 15). „Immerhin könnte der vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG vorgegebene, auf den Zeitpunkt von fünf Jahren in der Weise von Bedeutung sein, dass seit Begehung der Tat nicht mehr als nochmals fünf Jahre verstrichen sein dürfen. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass sich die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG dann nicht ohne weiteres anwenden ließe, wenn die Tat im maßgeblichen Zeitpunkt bereits zehn oder mehr Jahre zurückliegt“ (BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – NVwZ-RR 1990, 604).
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes setzt dies einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren voraus, in dem der Betroffene sich nichts zuschulden kommen ließ (BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 24 B 20.2220 – BeckRS 2021, 9470 Rn. 18).
Bei Erlass des Widerrufsbescheids vom 3. Mai 2021 lag die Tat vom 18. Januar 2010 11 Jahre und 3 Monate und die Tat vom 4. Juli 2011 9 Jahre und 10 Monate zurück. Auch wenn die erste Tat damit mehr als zehn Jahre zurückliegt, hat die Tat vom 4. Juli 2011 diese Frist noch nicht überschritten. Die anderen Umstände (s.o.) führen ebenfalls nicht dazu, dass der Zeitraum zwischen der die Unzuverlässigkeit begründenden Straftat und dem Zeitpunkt, in dem der Erlaubnisinhaber als zuverlässig gelten kann, verkürzt werden könnte.
Auf das Ermittlungsverfahren (Az. …*) wegen Nötigung und welche Schlüsse daraus gezogen werden können (oder nicht) kommt es daher nicht mehr an.
2. Ziffer 2 ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Es wird auf die zutreffende Begründung im Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Die Begründung zur Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2 genügt § 80 Abs. 3 VwGO. Der Antragsteller beruft sich erfolglos darauf, dass das Landratsamt durch sein „zögerliches Verhalten“ die „Dringlichkeit“ der Maßnahmen selbst widerlegt habe.
Nach § 45 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 WaffG entfällt im öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug einer Widerrufsentscheidung bei waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage. Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht regelmäßig auch für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, wie das Unbrauchbarmachen der Waffen oder deren Überlassung an einen Berechtigten sowie die Rückgabe der Waffenbesitzkarten (§ 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WaffG). Diese Folgeentscheidungen dienen der Umsetzung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse und stellen die tatsächliche Umsetzung des Entzugs der formellen Erlaubnisberechtigung durch sofortige Abgabe von Waffen und Erlaubnisurkunden sicher (BayVGH, B.v. 28.6.2017 – 21 CS 17.196 – BeckRS 2017, 116472 Rn. 13-15). Eine Abweichung von diesem Regelfall ist nicht ersichtlich.
Jedenfalls ist das Vorgehen des Landratsamts nicht erkennbar verzögernd. Nach Aktenlage ging beim Landratsamt am 11. Januar 2019 die polizeiliche Auskunft die waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung betreffend ein, der ein Auszug aus dem BZR vom 7. Januar 2019 beigefügt war, in dem die mit Strafbefehl geahndete Tat genannt war. Mit Schreiben vom 28. Januar 2019 forderte das Landratsamt die Akte an, erhielt den Strafbefehl per Fax aber erst am 3. Juli 2020 und hörte den Antragsteller am selben Tag an. Die Akte zum Ermittlungsverfahren wegen Nötigung wurde mit Schreiben vom 21. Juli 2020 bzw. 1. September 2020 angefordert und am 14. Januar 2021 erfolgt hierzu eine erneute Anhörung. Nach Fristverlängerungen erging der Bescheid am 3. Mai 2021. Abgesehen davon widerspräche es sicherheitsrechtlichen Grundsätzen, die Beseitigung einer Gefahr deshalb nicht als besonders dringlich anzusehen, weil die Behörde durch zeitliche Komprimierung des Verwaltungsverfahrens möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt den Widerrufsbescheid einschließlich der Folgeentscheidungen hätte treffen können (BayVGH, B.v. 28.6.2017 – 21 CS 17.196 – BeckRS 2017, 116472 Rn. 13-15).
3. Ziffern 4 und 5 sind nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Es wird auf die zutreffende Begründung im Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
4. Die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene eigenständige Interessenabwägung des Gerichts kommt zu keinem anderen Ergebnis. Der Antragsteller hat nicht bestritten, dass er die Waffenbesitzkarte damals aufgrund eines Jagdbedürfnisses beantragt hat, gleichzeitig ließ er im Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Juli 2020 vortragen, dass er über die Waffen nicht aus privaten Ambitionen, wie z.B. Jäger verfüge, sondern sie im Zusammenhang mit seinem Geschäft „…“ benötige. Im gerichtlichen Verfahren nun heißt es, er könne ohne Waffenbesitzkarte unter anderem nicht auf die Jagd gehen. Trotz seiner eidesstattlichen Versicherung, wonach sich die Gesprächsgelegenheiten mit potenziellen Kunden praktisch ausschließlich anhand von Einladungsjagden und anschließenden Jagdessen ergeben würden, hat er nicht dargelegt, weshalb er persönlich für die Demonstration seiner Kugelfangeinrichtung eine Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen benötigt, denn nur dafür ist die Waffenbesitzkarte vorgesehen. Auf die Jagd kann er ohne gültigen Jagdschein ohnehin nicht gehen. Was gegen eine Einladung zu einer Jagdveranstaltung spricht, wenn man selbst keine Waffe besitzt (bzw. besitzen darf), erschließt sich nicht. Schwerwiegende Gründe beruflicher Art, die für eine Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage sprechen könnten, kann er damit für sich nicht in Anspruch nehmen.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 50.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57). Nach Auskunft des Landratsamtes sind vier Waffen (zwei Revolver, zwei Unterhebel-Repetierer) in die Waffenbesitzkarte eingetragen.


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