Strafrecht

Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ab Beginn der Strafhaft

Aktenzeichen  Ws 356/21

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13956
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 462a Abs. 1

 

Leitsatz

Die Befassung der allgemein für den Widerruf zuständigen Strafkammer eröffnet mit Beginn der Strafhaft die Zuständigkeit für die Strafvollstreckungskammer desselben Landgerichts (Anschluss an BGH, Beschluss vom 13.12.2017, 2 ARs 514/17). Diese Zuständigkeit bleibt bei späteren Verlegungen des Verurteilten in andere Haftanstalten auch dann erhalten, wenn die Akten der Strafvollstreckungskammer nicht vorgelegt wurden, sondern die Strafkammer die Widerrufsentscheidung getroffen hat. (Rn. 14 – 18)

Verfahrensgang

BwR 16 KLs 805 Js 10230/17 2021-02-22 Bes LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.02.2021 aufgehoben.
2. Die Aussetzung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil der 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12.02.2018, rechtskräftig seit 20.02.2018, zur Bewährung wird widerrufen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12.02.2018, rechtskräftig seit 20.02.2018, wegen Betrugs in drei Fällen, Diebstahls und vorsätzlicher falscher Versicherung an Eides Statt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Während des Laufs der dreijährigen Bewährungszeit wurde der Verurteilte erneut straffällig. So wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg am 19.10.2020, rechtskräftig seit 03.11.2020, wegen Betrugs in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Der Verurteilte befand sich im zuletzt genannten Verfahren bis 02.11.2020 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt N . Vom 03.11.2020 bis 12.11.2020 verbüßte er Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt N . Am 12.11.2020 wurde er in die Justizvollzugsanstalt B verlegt, am 26.03.2021 in die Justizvollzugsanstalt W
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth stellte bereits am 05.02.2020 wegen der in der Bewährungszeit begangenen Straftaten einen Widerrufsantrag beim Landgericht Nürnberg-Fürth.
Die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth teilte dem Verurteilten am 14.02.2020 mit, nach rechtskräftigem Abschluss des neuen Verfahrens über den Widerrufsantrag zu entscheiden.
Am 04.12.2020 hörte die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth den Verurteilten nochmals an im Blick auf die zwischenzeitlich rechtskräftige neue Verurteilung durch das Amtsgericht Nürnberg vom 19.10.2020.
Der Verurteilte hat am 18.01.2021 und am 09.02.2021 jeweils schriftlich zum Widerrufsantrag Stellung genommen.
Mit Beschluss vom 22.02.2021, zugestellt am 01.03.2021, hat die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Bewährungsaussetzung aus ihrem Urteil vom 12.02.2018 widerrufen.
Hiergegen wendete sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 01.03.2021, eingegangen beim Landgericht am 03.03.2021.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte am 06.04.2021 die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unbegründet.
Dem trat der Verurteilte mit seinem Schreiben vom 19.04.2021 entgegen. Die Haft habe bereits einen erheblichen Eindruck hinterlassen. Er erkenne seine Schuld an und werde keine Straftaten mehr begehen. Er bitte um Gnade und darum, vom Bewährungswiderruf abzusehen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar hat die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zu Unrecht ihre Zuständigkeit angenommen, so dass der Beschluss vom 22.02.2021 aufgehoben werden muss. Allerdings entscheidet der Senat als Beschwerdegericht selbst in der Sache. Hierbei ist die dem Verurteilten bewilligte Strafaussetzung aufgrund der neuen, während der Bewährungszeit begangenen Straftaten zu widerrufen.
1. Die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth konnte am 22.02.2021 die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr treffen, da sich der Verurteilt zu diesem Zeitpunkt in Strafhaft befand und somit nach § 462a Abs. 1 StPO die zuständige Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung berufen gewesen wäre.
2. Örtlich zuständig für die Widerrufsentscheidung wäre die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth gewesen. Dies ergibt sich daraus, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth am 03.11.2020, dem Zeitpunkt des Übergangs der Untersuchungshaft zur Strafhaft, mit der Sache befasst war i.S.v. § 462a Abs. 1 StPO.
a) Beim Übergang von Untersuchungshaft in Strafhaft ist der Tag der Rechtskraft des Urteils maßgebend, auch wenn die Verlegung des Verurteilten zu erwarten war (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 462a Rn. 6). Abzustellen ist somit darauf, dass sich der Verurteilte von 03.11.2020 bis zum 12.11.2020 in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg befand.
b) Dies begründet die Zuständigkeit der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, obwohl sich die Akte zu keiner Zeit bei dieser, sondern bei der (für den Widerruf nicht mehr zuständigen 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth) befand.
So bewirkt die Befassung eines Gerichts, das allgemein für die Entscheidung zuständig sein kann, die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt (BGH, Beschluss vom 13.12.2017, 2 ARs 541/17, Rn. 15, m.w.N.). Die für den Bewährungswiderruf (vor Beginn der Strafhaft) ursprünglich zuständige 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth eröffnet somit die Zuständigkeit für die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, wobei vorliegend sogar die Besonderheit besteht, dass die Zuständigkeit nicht zwischen einem zunächst befassten Amtsgericht und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts auseinanderfällt, sondern nur zwischen unterschiedlichen Kammern innerhalb eines Landgerichts. Insoweit stützt auch bereits der Wortlaut von § 462a Abs. 1 S. 1 StPO die Zuständigkeit der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, da dieser bei der Frage des Befasstseins auf das Gericht, in dessen Bezirk die Haftanstalt liegt, und nicht auf einzelne Strafkammern dieses Gerichts abstellt.
Mit dem Tag des Übergangs zur Strafhaft, dem 03.11.2020, wurde daher die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth für die Widerrufsentscheidung zuständig, auch wenn dieser die Akten nicht vorgelegt wurden.
3. Das Oberlandesgericht Nürnberg trifft vorliegend eine Sachentscheidung, da es sowohl für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zuständig ist, als auch Beschwerdegericht für eine Entscheidung der tatsächlich zuständigen Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 309 Rn. 6).
4. Der Verurteilte hatte rechtliches Gehör.
Nachdem der Widerruf der Strafaussetzung auf § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB basiert, war keine mündliche Anhörung des Beschwerdeführers erforderlich. Das erforderliche rechtliche Gehör wurde dem Verurteilten durch das Landgericht Nürnberg-Fürth vor dessen Beschlusserlass gewährt sowie durch den Senat im Beschwerdeverfahren. Unschädlich ist hierbei, dass die 16. Strafkammer anstelle der zuständigen Kleinen Strafvollstreckungskammer den Verurteilten anhörte. Der Verurteilte hat in seinen Schreiben vom 18.01.2021, 09.02.2021 und vom 19.04.2021 auch alle wesentlichen Aspekte aufgegriffen.
5. In der Sache ist die Bewährungsaussetzung des Verurteilten zu widerrufen, da dieser während des Laufs der Bewährungszeit 36 neue Vorsatztaten begangen hat und er hierdurch die günstige Aussetzungsprognose nachdrücklich widerlegt hat. Die Erwartung, dass der Verurteilte allein aufgrund der Strafaussetzung keine Straftaten mehr begehen werde, wurde enttäuscht, nachdem er bereits eine Woche nach Beginn der Bewährung rückfällig wurde und er sodann im Zeitraum bis 27.06.2020 laufend Betrugstaten beging. Mildere Maßnahmen nach § 56f Abs. 2 StGB sind angesichts dieses schnellen, 36-fachen Rückfalls nicht ausreichend, selbst wenn der Verurteilte seine Taten bedauert und weitere Rückfälle vermeiden möchte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO, nachdem der Beschwerdeführer im Ergebnis keinen Erfolg erzielen konnte.


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