Verkehrsrecht

Abschleppkosten bei mobilen Halteverboten

Aktenzeichen  M 7 K 16.3701

Datum:
19.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPAG BayPAG Art. 4, Art. 5, Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 25 Nr. 1, Art. 28 Abs. 3 S. 1, Art. 76
BayKG BayKG Art. 1 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 Nr. 5
BayPolKV BayPolKV § 1
StVO StVO § 41 Abs. 1, § 49 Abs. 3 Nr. 4
StVG StVG § 24

 

Leitsatz

1 Nach der Einrichtung eines mobilen Halteverbots dürfen Kosten für eine Abschleppmaßnahme erst dann verlangt werden, wenn dem verantwortlichen Verkehrsteilnehmer vor dem angeordneten Verbot eine angemessene Frist zur Reaktion eingeräumt worden ist. Als angemessene Vorlaufzeit sind grundsätzlich drei volle Tage vor der Aufstellung des Halteverbotsschilds anzusehen (ebenso BayVGH BeckRS 2008, 36157). (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind auch bei Abschleppmaßnahmen nach der Errichtung mobiler Halteverbotsschilder keine hohen Anforderungen an die Nachforschungspflicht zur Ermittlung des verantwortlichen Verkehrsteilnehmers zu stellen. Insbesondere ist die Polizei wegen der ungewissen Erfolgsaussichten und der abzusehenden Verzögerungen nicht gehalten, eine auf das Fahrzeug aufgedruckte Hotline oder Homepage zu kontaktieren. Dies gilt vor allem außerhalb der üblichen Betriebszeiten.   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Leistungsbescheid des Polizeipräsidiums München vom 15. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat zu Recht von der Klägerin die Kosten für die veranlasste Abschleppmaßnahme erhoben.
Rechtsgrundlage für die Erhebung der Kosten der Abschleppmaßnahme sind Art. 9 Abs. 2 Satz 1, Art. 28 Abs. 3 Satz 1, Art. 76 Polizeiaufgabengesetz (PAG) i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 Kostengesetz (KG), § 1 Polizeikostenverordnung (PolKV). Danach setzt die Kostenerhebung voraus, dass die Polizei anstelle des Verantwortlichen eine Maßnahme selbst oder durch einen Beauftragten unmittelbar ausgeführt hat und die abgerechneten Kosten dafür angefallen sind. Weiter besteht Einigkeit darüber, dass die Kostenerhebung auch davon abhängt, dass die Polizeimaßnahme rechtmäßig gewesen ist (vgl. BayVGH, U. v. 17.4.2008 – 10 B 08.449 – juris Rn. 12).
Die Voraussetzungen der unmittelbaren Ausführung einer Sicherstellung des Kraftfahrzeuges (Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 25 Nr. 1 PAG) lagen vor. Das Fahrzeug der Klägerin stand am *. Juli 2016 ab 20.00 Uhr unter Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einer Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 49 Abs. 3 Nr. 4, § 41 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 62 Zeichen 283 zur StVO im absoluten Haltverbot und behinderte die Durchführung eines Schwertransports. Die temporäre absolute Halteverbotszone war eingerichtet worden, um für den privaten Schwertransporter, der in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 2016 die Siemensallee passieren sollte, eine Anfahrtszone zu schaffen.
Die Kostenerhebung ist vorliegend auch nicht unbillig (Art. 76 Satz 4 PAG). Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist die Kostenerhebung insbesondere in den Fällen unbillig, in denen ein Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug ordnungsgemäß zum Parken abgestellt hat und nach Errichtung eines mobilen Halteverbots abgeschleppt wird, ohne dass ihm vorher eine angemessene Frist zur Reaktion (sog. Vorlaufzeit) eingeräumt worden ist (vgl. BayVGH, U. v. 17.4.2008 – 10 B 08.449 – juris Rn. 14). Nach der Rechtsprechung können im Regelfall die Kosten für das Abschleppen eines Fahrzeugs nur bei Einräumung einer Mindestvorlauffrist von drei vollen Tagen verlangt werden (vgl. BayVGH, a. a. O. – juris Rn. 18; VGH BW, U. v. 13.2.2007 – 1 S 822/05 – juris Rn. 22 f.; Hamburg. OVG, U. v. 7.10.2008 – 3 Bf 116/08 – juris Rn. 51).
Die mobilen Halteverbotsschilder sind hier rechtzeitig vor dem Beginn des Geltungszeitraums am 6. Juli 2016 – sogar mehr als drei volle Tage vor dem angeordneten Verbot – aufgestellt worden. Aus der Vornotierungsliste ergibt sich, dass die Schilder bereits am 30. Juni 2016 gegen 14.00 Uhr aufgestellt wurden. Zu diesem Zeitpunkt stand der Lkw der Klägerin unstreitig schon in der Siemensallee und wurde bis zum Abschleppzeitpunkt auch nicht mehr bewegt.
Das Abschleppen des klägerischen Fahrzeugs war ermessensfehlerfrei (Art. 5 PAG) und verhältnismäßig (Art. 4 PAG). Durch den abgestellten Lkw der Klägerin ergab sich in der Siemensallee eine Engstelle, die der Schwertransporter nicht hätte passieren können. Die Polizei war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gehalten, vor der Anordnung der Abschleppmaßnahme über die auf dem Fahrzeug aufgedruckte Homepage eine Telefonnummer zu ermitteln, um den Versuch zu unternehmen, eine Kontaktaufnahme mit einem Fahrzeugverantwortlichen zu erreichen und ihm die Möglichkeit einzuräumen, den Lkw selbst zu entfernen.
Nach der Rechtsprechung sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung keine hohen Anforderungen an die Ermittlung des Betroffenen zu stellen (BayVGH, U. v. 22.2.2001 – 24 B 99.3318 – juris Rn. 39). Die Polizei ist grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Einleitung des Abschleppvorgangs zu versuchen, den Halter zu ermitteln und informieren, da derartigen Bemühungen regelmäßig ungewisse Erfolgsaussichten und nicht abzusehende weitere Verzögerungen entgegenstehen (BayVGH, a. a. O.). Die Rechtsprechung hat weiter entschieden, dass die Polizei auch im Fall einer im Fahrzeug sichtbar hinterlegten Telefonnummer grundsätzlich nicht gehalten ist, Nachforschungen über den Verbleib des Fahrers bzw. Halters zu unternehmen (vgl. BayVGH, B. v. 1.12.2009 – 10 ZB 09.2367 – juris Rn. 2; BVerwG, B. v. 18.2.2002 – 3 B 149/01 – juris Rn. 6 f.; BVerwG, B. v. 6.7.1983 – 7 B 182/82 – juris Rn. 6). Wer sich nicht in unmittelbarer Nähe, etwa in Ruf- oder Sichtweite zu seinem Fahrzeug befindet, kann von der Polizei keine personal- und zeitaufwändigen Ermittlungen erwarten (BayVGH, U. v. 22.2.2001 – 24 B 99.3318 – juris Rn. 39; Hamburg. OVG, U. v. 22.2.2005 – 3 Bf 25/02 – juris Rn. 36).
Nach diesen Grundsätzen mussten die Polizeibeamten vorliegend nicht über die auf dem Fahrzeug erkennbare Webseite der Autovermietungsfirma die Nummer einer 24-Stunden Pannenhotline ermitteln und diese kontaktieren, um der Klägerin die Möglichkeit einer Entfernung des Fahrzeugs einzuräumen. Einem solchen Vorgehen standen ungewisse Erfolgsaussichten und nicht abzusehende weitere Verzögerungen entgegen. So ist bei einer deutschlandweit gültigen Pannen-Hotline schon regelmäßig mit einer gewissen Zeitspanne zu rechnen, bis man zu einer zuständigen Stelle durchdringt und bis ein Mitarbeiter vor Ort erreicht werden kann. Ungewiss ist, ob überhaupt ein Mitarbeiter hätte kontaktiert werden können, der in der Lage gewesen wäre, den Lkw unverzüglich und vor dem Eintreffen des Schwertransporters zu entfernen. Dies umso mehr, als es sich hier um Zeiten nach 20.00 Uhr und damit um solche außerhalb üblicher Betriebszeiten handelte. Die Polizei war nach den für sie erkennbaren Umständen der betreffenden Situation nicht gehalten, Nachforschungen anzustellen, da bei dem nachts an einer Örtlichkeit ohne Wohnbebauung abgestellten Lkw nichts auf eine unverzügliche Erreichbarkeit eines Fahrzeugverantwortlichen und eine umgehende Beseitigung des verbotswidrig abgestellten Lkws hindeutete (vgl. zu solchen Fallkonstellationen Hamburg. OVG, U. v. 22.2.2005 – 3 Bf 25/02 – juris Rn. 36).
Auch der Einwand, dass der Lkw bei den durchgeführten Schilderkontrollen stets unverändert geparkt habe und damit im Vorfeld zwingend eine Benachrichtigung des Halters hätte erfolgen müssen, trägt nicht. Zum einen war die Polizei bis zum Zeitpunkt ihres Einschreitens am … Juli 2016 nicht mit der Sache befasst, da das Aufstellen und Überprüfen der Schilder von einem privaten Schilderdienst durchgeführt wurde. Zum anderen stand der Lkw bei den Kontrollen vor dem Geltungsbeginn des Halteverbotsschildes noch rechtmäßig, so dass kein Anlass zum Handeln bestand.
Der Umstand, dass es sich hier um eine mobile Haltverbotszone handelt, führt entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter der Klägerin geäußerten Auffassung nicht zu anderen Maßstäben bei der Halterermittlung. Vielmehr gelten auch bei mobilen Halteverbotsschildern die oben dargelegten Anforderungen an die Nachforschungsobliegenheit der Polizei (vgl. BayVGH, B. v. 13.8.2003 – 24 ZB 03.1149 – juris Rn. 6). Durch die von der Rechtsprechung bei mobilen Halteverbotsschildern entwickelte Vorlauffrist, deren Nichteinhaltung zur Unbilligkeit der Kostenerhebung führt, wird den Interessen eines Fahrzeugverantwortlichen ausreichend Rechnung getragen.
Die Klägerin war als Halterin richtige Adressatin des Kostenbescheids. Einwendungen gegen die Kostenhöhe wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 1.030,15 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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