Verkehrsrecht

Anordnung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen

Aktenzeichen  M 26 S 19.5657

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14810
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 7.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1941 geborene Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis. Sie war seit dem Jahr 1961 Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3.
Ausweislich einer Mitteilung der Polizeiinspektion A … vom … Juni 2019 ging am … April 2019 gegen 7:45 Uhr bei der Polizeieinsatzzentrale eine Mitteilung über einen vermutlich betrunkenen Autofahrer ein, der von B … nach A … in Schlangenlinien fahre. Bei dem Fahrzeug handele es sich um einen Mercedes … … in a … mit dem amtl. Kennzeichen … Von den Polizeibeamten habe der Pkw am Parkplatz eines Edeka in A … angetroffen werden können, wobei Fahrerin die Klägerin gewesen sei. Die Klägerin sei nicht alkoholisiert gewesen. Der Pkw habe am linken Außenspiegel einen Schaden aufgewiesen (das Spiegelglas habe gefehlt und das Gehäuse sei beschädigt gewesen), wobei die Antragstellerin auf Frage nicht habe angeben können, woher der Schaden stamme. Nachdem der Antragstellerin die Weiterfahrt gestattet worden sei, sei sie beim Einparken auf einen freien Parkplatz über den Bordstein gefahren, obwohl sowohl der Parkplatz als auch die Fahrbahn komplett frei gewesen seien.
Ca. eine Stunde später habe sich ein Zeuge gemeldet, der gegen 7:45 Uhr auf der Strecke von C … nach D … hinter einem a … Mercedes … … Kennzeichen …, besetzt mit einer älteren Frau oder Mann mit längeren grauen Haaren, gefahren sei. Der Mercedes sei Schlangenlinien gefahren, habe mehrmals die Mittellinie überfahren und sei fast in den Graben gefahren. Dann sei es zu einem Unfall gekommen, dessen Hergang der Zeuge aber nicht genau habe beobachten können. Der a … Mercedes … sei weitergefahren, wobei er weiterhin Schlangenlinien gefahren sei. In einer langgezogenen Linkskurve habe der a … Mercedes einen Cityschulbus überholt, obwohl Gegenverkehr gekommen sei. Der Zeuge sei an einer Bushaltestelle stehengeblieben und habe sich das Kennzeichen des a … Mercedes notiert; dann sei er weitergefahren.
Auf Höhe E … sei derselbe Zeuge gegen 08:05 Uhr zu einem Unfall hinzugekommen, wobei sich der Unfallverursacher bereits unerlaubt vom Unfallort entfernt hätte. Dort habe ein Fahrzeug am Straßenrand gestanden, dessen linker Außenspiegel beschädigt gewesen sei. An der Unfallstelle habe die Geschädigte ein Spiegelglas gefunden, das mutmaßlich vom unfallverursachenden Pkw stamme und ausweislich der Nummer zu einem Mercedes … gehöre.
Das gegen die Antragstellerin eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom … Juni 2019 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt und zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit(en) an die Verwaltungsbehörde abgegeben. Mit Bußgeldbescheid vom … August 2019, rechtskräftig seit … August 2019, wurde gegen die Antragstellerin ein Bußgeld verhängt, weil sie am … April 2019 gegen 7:45 Uhr bei Gegenverkehr gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe, wobei es zum Unfall gekommen sei und es die Antragstellerin unterlassen habe, ihre Beteiligung am Unfall anzugeben. Die Antragstellerin habe mehrmals die Mittellinie überfahren, wobei ihr Fahrzeuge entgegen gekommen seien. Hierbei sei von einem Fahrzeug der Seitenspiegel abgetrennt worden. Anschließend sei die Antragstellerin weitergefahren und habe es als Beteiligte an einen Verkehrsunfall unterlassen, der Geschädigten ihre Beteiligung anzugeben.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2019, zugestellt am 25. Juli 2019, forderte das Landratsamt die Antragstellerin auf der Grundlage des § 46 Abs. 4 FeV i.V.m. § 2 Abs. 5 StVG auf, bis zum 30. September 2019 ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr vorzulegen, das klären sollte, ob die Antragstellerin (weiterhin) die notwendige Befähigung für das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Fahrerlaubnisklassen 1, 3 und 4 im Straßenverkehr besitze.
Das geforderte Gutachten legte die Antragstellerin nicht vor. Zur Vorlage kam jedoch das Zertifikat einer Fahrschule vom … Mai 2019, wonach die Antragstellerin am … Mai 2019 erfolgreich an einer Überprüfungsfahrt teilgenommen habe.
Nach vorheriger Anhörung entzog das Landratsamt der Antragstellerin mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 22. Oktober 2019 die Fahrerlaubnis und forderte sie unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, ihren Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung abzugeben.
Hiergegen ließ die Antragstellerin am 14. November 2019 Klage erheben. Zugleich begehrt sie die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes; sie beantragt,
die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 22. Oktober 2019 unter dem Az. …… auszusetzen, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen und den Führerschein der Antragstellerin unverzüglich wieder an diese zurückzugeben
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gutachtensanordnung sei schon deshalb rechtswidrig, weil sie die zu klärende Fragestellung nicht anführe. Auch bestünden keine Zweifel an der Befähigung der Klägerin. Die Beschädigung des linken Außenspiegels an ihrem Fahrzeug stamme nicht von einem Unfall. Das Überfahren des Bordsteins beim Einparken am … April 2019 sei auf die Nervosität der Klägerin wegen der Kontrolle durch den Polizeibeamten zurückzuführen gewesen. Dass die Antragstellerin auf den Polizeibeamten einen verwirrten und überforderten Eindruck gemacht habe, werde durch keinerlei Tatsachen begründet oder untermauert und stelle daher eine reine Meinungsäußerung des Polizeibeamten dar. Die Klägerin sei am … April 2019 auch nicht von F … nach A … zwischen C … und D … unterwegs gewesen. Sie habe auch keine langen, sondern kurze Haare. Insoweit stehe der von dem Autofahrer geschilderte Sachverhalt nicht im Zusammenhang mit der Antragstellerin, sondern es liege eine Verwechslung vor. Auch auf Höhe „E …“ sei die Antragstellerin am … April 2019 gegen 7:45 Uhr nicht unterwegs gewesen; vielmehr sei sie von ihrem Wohnort G … aus nach A … gefahren. Sämtliche Annahmen des Landratsamts basierten daher auf reinen Vermutungen. Gegen den Bußgeldbescheid sei die Antragstellerin nur deshalb nicht vorgegangen, weil der diesbezügliche Aufwand und die geringe Geldbuße von 130 € außer Verhältnis hierzu gestanden hätten.
Mit dem vorgelegten Zertifikat vom … Mai 2019 habe die Antragstellerin bei einer Überprüfungsfahrt ihre Fahreignung aktenkundig nachgewiesen. Sie habe ihr Fahrzeug bis zum Entzug der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 beinahe täglich genutzt, zumal sie auf dem Land wohne und Selbstversorgerin sei.
Das Landratsamt beantragte unter Vorlage der Behördenakten,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2020 übersandte das Landratsamt eine Mitteilung der Verkehrspolizeiinspektion H … vom … Januar 2020. Hieraus sowie aus der beigefügten Zeugenvernehmung geht hervor, dass die Antragstellerin am … Dezember 2019 angehalten worden sei, weil eine hinter dem Fahrzeug der Antragstellerin fahrende Zeugin zuvor mitgeteilt habe, dass die Antragstellerin mehrmals stark bis zum Stillstand abgebremst habe, wobei die Zeugin einen Zusammenstoß gerade noch habe vermeiden können. Des Weiteren habe die Antragstellerin mehrmals die Trennlinie zwischen den Fahrspuren überschritten; wenn Gegenverkehr gekommen sei, habe sie immer stark abgebremst. In der Auffahrt zur Autobahn sei die Antragstellerin zweimal stehen geblieben. Auf der Autobahn sei sie die meiste Zeit auf dem Standstreifen gefahren bzw. zwischen den beiden Fahrstreifen auf der Autobahn gependelt. Auf der F … Autobahnbrücke habe sie erneut bis zum Stillstand abgebremst. Als sie die Autobahn an der Ausfahrt I … verlassen habe, habe sie mit ihrem Auto sehr orientierungslos gewirkt.
Kurz darauf sei sie durch die Polizeistreife angehalten worden. Den polizeilichen Anweisungen habe sie folgen können und einen klaren geistigen Eindruck gemacht.
Durch Beschluss der Kammer wurde die Verwaltungsstreitsache zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagenauch im Verfahren M 26 K 19.5655 – und auf die beigezogenen Akten des Landratsamts Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Nach Auslegung des gestellten Antrags (§ § 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die in Nummer 1 des Bescheids vom 22. Oktober 2019 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die in Nummer 2 des Bescheids enthaltene Verpflichtung zur Ablieferung ihres Führerscheins sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung erstrebt. Darüber hinaus ist Gegenstand des Antrags die Beseitigung der Vollzugsfolgen (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO).
Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 22. Oktober 2019 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2018, § 80 Rn. 43).
Dem genügt die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dargelegt, warum sie konkret im Fall der Antragstellerin im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung anordnet. Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung – so auch hier – bereits aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsaktes maßgebend waren (BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453-; BayVGH, B.v. 10.8.2011 – 11 CS 11.1271 – juris).
2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei im Rahmen eines summarischen Verfahrens eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, a.a.O. Rn. 72 ff.).
Hier überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, da die gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis erhobene Klage der Antragstellerin nach dem derzeitigen Erkenntnisstand und der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der Bescheid vom 22. Oktober 2019 ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bzw. der Zustellung des angefochtenen Bescheids.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juli 2019 (BGBl I S. 1056), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis sich als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr anordnen. § 11 Abs. 6 bis 8 FeV ist entsprechend anzuwenden. Bringt der Fahrerlaubnisinhaber ein zu Recht angeordnetes Gutachten nicht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine fehlende Befähigung schließen und hat ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.
A. Die Befähigung setzt nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 bis 4 StVG theoretische Kenntnisse der Verkehrsvorschriften, die Fähigkeit, entsprechende Kenntnisse umzusetzen und praktische Fahrfertigkeiten voraus. Eine Fahrprobe stellt grundsätzlich ein geeignetes Mittel dar, im Verfahren über die Entziehung der Fahrerlaubnis über die praktischen Fahrfertigkeiten Aufschluss zu geben. Das gilt gerade auch in Bezug auf solche Kraftfahrer, deren Eignung durch altersbedingte Entwicklungen zweifelhaft geworden ist. Denn es ist allgemein anerkannt, dass ältere Fahrerlaubnisinhaber mit langer Fahrpraxis psychophysische Leistungsminderungen bis zu einem gewissen Grad durch Erfahrung und gewohnheitsmäßig geprägte Bedienungshandlungen ausgleichen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.1987 – 7 C 79/86 -, juris Rn. 12). Diese Fahrprobe ist – wie auch in § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV vorgesehen – durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abzunehmen, der aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung die spezielle Sachkunde besitzt, um das Fahrverhalten und die praktischen Fahrfertigkeiten verlässlich zu beurteilen und den Ablauf der Fahrprobe so zu gestalten, dass die Erfüllung der an den Kraftfahrer zu stellenden Anforderungen auch nachgewiesen werden kann (BVerwG, U.v. 17.9.1987 – 7 C 79/86 -, a.a.O.).
Nach Nr. 2.1.5 der Anlage 7 zur FeV (Prüfungsfahrt) muss der Bewerber um eine Fahrerlaubnis fähig sein, selbständig das Fahrzeug auch in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen. Seine Fahrweise soll defensiv, rücksichtsvoll, vorausschauend und dem jeweiligen Verkehrsfluss angepasst sein. Insbesondere ist nach Nr. 2.1.5 Buchst. g bis l der Anlage 7 zur FeV auf die richtigen Verhaltensweisen hinsichtlich der Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, der Fahrgeschwindigkeit, des Abstandhaltens vom vorausfahrenden Fahrzeug, des Überholens und Vorbeifahrens, des Verhaltens an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren und Bahnübergangen sowie des Abbiegens und des Fahrstreifenwechsels zu achten.
b) Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung hat die Antragstellerin am … April 2019 Verkehrsauffälligkeiten gezeigt, die tatsächliche Anhaltspunkte dafür begründen, dass sie womöglich nicht mehr hinreichend befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, B und C1E ist. Diese auf Tatsachen beruhenden Zweifel am Fortbestehen der Befähigung lassen sich der polizeilichen Mitteilung vom …06.2019 sowie den dem Gericht von der Polizei übersandten Zeugenvernehmungen der Frau A … … und insbesondere des Herrn B … … entnehmen. Nicht zu berücksichtigen sind hingegen die in der polizeilichen Mitteilung vom …01.2020 dokumentierten Auffälligkeiten, da für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensanordnung der Zeitpunkt deren Zustellung maßgeblich ist.
Aus der polizeilichen Mitteilung vom … Juni 2019 geht zunächst hervor, dass gegen 7:45 Uhr bei der Polizeieinsatzzentrale ein Notruf wegen eines vermutlich betrunkenen, weil in Schlangenlinien fahrenden, Autofahrers einging, der von B … nach A … fuhr. Dieses Auto konnte die Polizei später anhand des genannten Kennzeichens … auf einem Parkplatz in A … feststellen, wobei Fahrerin die Antragstellerin war. Eine bestehende Alkoholisierung der Antragstellerin als mögliche Ursache für das auffällige Fahrverhalten konnte die Polizei hingegen nicht feststellen. Eine Stunde später meldete sich der Zeuge B … bei der Polizei und teilte mit, dass der Mercedes mit dem genannten Kennzeichen … im selben Zeitraum vor ihm die Strecke C … in Richtung der Straße B … befahren hatte. Der Zeugenaussage zufolge überfuhr die Antragstellerin als Fahrerin des Fahrzeugs mit dem genannten Kennzeichen mehrmals die Mittellinie und fuhr fast in den Graben. Nach J … Richtung K … überholte die Antragstellerin dem Zeugen zufolge in einer langgezogenen Linkskurve einen Cityschulbus, obwohl Gegenverkehr kam. Ob die Antragstellerin zwischen C … und D … tatsächlich, wie der Zeuge vermutet, einem entgegenkommenden Fahrzeug einen Spiegel abgefahren hat, ist hingegen offen, für die Annahme von Zweifeln an der Befähigung aber zugleich nicht entscheidend.
Aufgrund des rechtskräftigen Bußgeldbescheids ist mit der für das vorliegende Eilverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden hohen Wahrscheinlichkeit des Weiteren davon auszugehen, dass die Antragstellerin auf Höhe E … in Richtung B … fahrend gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hat und es deswegen zum Unfall kam, bei dem der Spiegel des entgegenkommenden Fahrzeugs beschädigt wurde, ohne dass die Antragstellerin ihre Unfallbeteiligung gegenüber der Geschädigten angab. Zwar gibt es im Fahrerlaubnisrecht keine zu Ungunsten des Verurteilten bestehende Feststellungswirkung von Strafurteilen oder Bußgeldentscheidungen, doch bedarf es, damit der Fahrerlaubnisinhaber den festgestellten Sachverhalt nicht gegen sich gelten lassen muss, gewichtiger Anhaltspunkte für dessen Unrichtigkeit. Solche ergeben sich insbesondere, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliches Wiederaufnahmeverfahren zulässig machen oder sonst auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Würdigung schließen lassen (ausführlich dazu: OVG Lüneburg, B.v. 2.12.2016 – 12 ME 142/16 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). In jedem Fall muss das Vorbringen geeignet sein, die strafgerichtlichen Feststellungen substantiiert in Zweifel zu ziehen, und auch erläutert werden, warum es nicht bereits im Straf- oder Bußgeldverfahren erfolgt ist (OVG SH, B.v. 13.2.2019 – 4 O 46/18 – juris Rn. 11 f).
Das Vorbringen der Antragstellerin begründet nach diesen Maßstäben keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Bußgeldentscheidung. Insoweit trug die Antragstellerin lediglich vor, sie habe keine langen Haare und habe die in Rede stehende Strecke von F … nach A … am Morgen des … April 2019 nicht befahren. Der Umstand, dass die Antragstellerin derzeit keine langen Haare hat, vermag zunächst nichts darüber auszusagen, ob sie am …04.2019 noch langes Haar trug. Vor allem aber lässt sich der in der Gerichtsakte befindlichen Zeugenvernehmung des Herrn B … … entnehmen, dass dieser sich in K … an einer Bushaltestelle das Kennzeichen … des auf der Kreisstraße … … vor ihm fahrenden a … Mercedes notiert hat – als Fahrerin dieses Fahrzeugs wurde die Antragstellerin wenig später von den Polizeibeamten auf dem Parkplatz in A … angetroffen. Auch in dem Anruf, der bei der Polizeieinsatzzentrale einging und in dem von einem mutmaßlich betrunkenen Autofahrer berichtet wurde, der auf der Straße von B … nach A … fuhr, wurde offensichtlich dieses Kennzeichen angegeben, da die Antragstellerin in A … anhand dessen identifiziert wurde. Der Vortrag der Antragstellerin, sie sei am Morgen des … April 2019 ausschließlich von ihrem Wohnort G … nach A … gefahren, ist hiermit nicht zu vereinbaren. Auch die Einlassung, die Antragstellerin sei nur wegen der geringen Höhe der Geldbuße nicht gegen den Bußgeldbescheid vorgegangen, vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil ihr im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids am 14. August 2019 bereits die Gutachtensanordnung des Landratsamts vom 19. Juli 2019 vorlag, so dass ihr bekannt war, dass der Fortbestand der Bußgeldentscheidung neben der Geldbuße noch weitere Folgen zeitigen könnte.
C. Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen unter a) ist das auffällige Fahrverhalten der Antragstellerin, i.e. das mehrmalige überfahren der Mittellinie, das Fahren in Schlangenlinien, das überholen trotz Gegenverkehr und das Verlassen der Unfallstelle ohne Ermöglichung der Feststellung der Unfallbeteiligung, geeignet, Zweifel an der Befähigung zu wecken. Denn das gezeigte Verhalten begründet Zweifel, ob die Antragstellerin noch über die Fähigkeit verfügt, vorhandene theoretische Kenntnisse umzusetzen, und ob sie die erforderlichen praktischen Fahrfertigkeiten noch besitzt. Zu klären ist vor dem Hintergrund der gezeigten Auffälligkeiten insbesondere, ob die Antragstellerin noch in der Lage ist, das Fahrzeug selbständig auch in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen, und ob sie generell noch eine hinreichend defensive, rücksichtsvolle, vorausschauende und dem jeweiligen Verkehrsfluss angepasste Fahrweise an den Tag legt.
d) Das vom Landratsamt angeordnete Gutachten eines Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr stellte hierfür das geeignete Mittel dar, weil dieser aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung die spezielle Sachkunde besitzt, um das Fahrverhalten und die praktischen Fahrfertigkeiten verlässlich zu beurteilen und den Ablauf der Fahrprobe so zu gestalten, dass die Erfüllung der an den Kraftfahrer zu stellenden Anforderungen auch nachgewiesen werden kann (BVerwG, U.v. 17.9.1987 – 7 C 79/86 -, a.a.O.). Ablauf, Gestaltung und Ergebnis der Fahrprobe müssen aus dem Gutachten für die Behörde nachvollziehbar hervorgehen. Das vorgelegte Zertifikat einer Fahrschule vom … Mai 2019 erfüllt diese Anforderungen nicht, weil Strecke, Dauer und Ablauf der Überprüfungsfahrt sowie das dort gezeigte Verhalten der Antragstellerin hieraus nicht hinreichend ersichtlich sind. Einen Nachweis fortbestehender Befähigung vermag diese Bestätigung daher nicht zu begründen.
Ermessensfehler, insbesondere ein Ermessensfehlgebrauch, liegen im Ergebnis nicht vor. Insbesondere geht aus der Gutachtensanordnung noch mit hinreichender Klarheit hervor, dass der Antragstellerin einer der beiden Unfälle nicht nachgewiesen werden konnte. Jedenfalls ist aus der Gutachtensanordnung hinreichend ersichtlich, dass eine mögliche Verursachung gleich zweier Verkehrsunfälle für das Landratsamt nicht ermessensleitend und entscheidungserheblich waren, sondern das gezeigte auffällige Verhalten insgesamt maßgeblich für die Zweifel des Landratsamts an der Befähigung der Antragstellerin waren.
Gegen die Fragestellung der Gutachtensanordnung ist schließlich ebenfalls nichts zu erinnern; insbesondere ist diese hinreichend bestimmt.
e) Da die Antragstellerin das geforderte Gutachten nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht hat, war ihr gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 4 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen. Da sich demnach auch die Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) als rechtmäßig erweist, bleibt auch der Vollzugsfolgenbeseitigungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Verpflichtung der Behörde, den bereits abgegebenen Führerschein wieder herauszugeben, ohne Erfolg. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung sind vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht ersichtlich.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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