Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis gelegentlicher Cannabiskonsum, Verstöße gegen das Trennungsgebot, negatives Fahreignungsgutachten, Drogengefährdung (Hypothese D3 der Beurteilungskriterien), Verneinung der Fahreignung wegen fehlender Abstinenzbelege, Zeitablauf, gelegentlicher Cannabiskonsum

Aktenzeichen  11 CS 21.2403

Datum:
15.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36691
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 14 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 3, 46 Abs. 1, Abs. 3
Anlage 4 Nr. 9.2.1 und 9.2.2 der

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 7 S 21.1596 2021-08-18 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Das Landratsamt Augsburg erteilte dem am … … 1996 geborenen Antragsteller im Januar 2014 die Fahrerlaubnis der Klassen A und A1 (jeweils mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), AM, B und L. Wegen einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis (9,6 ng/ml THC, 2,8 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 51,1 ng/ml THC-Carbonsäure im Blut laut rechtsmedizinischem Gutachten) am 19. Mai 2015 erließ das Bayerische Polizeiverwaltungsamt gegen ihn einen Bußgeldbescheid vom 27. Juli 2015 (rechtskräftig seit 6.11.2015). Nach Aufforderung des Landratsamts legte der Antragsteller ein ärztliches Gutachten der pima-mpu GmbH vom 2. Dezember 2015 (Versandtag) vor, demzufolge sein Cannabiskonsum als mindestens gelegentlich zu bewerten sei. Außerdem sei bei einem Drogenscreening in einer Urinprobe Morphin deutlich oberhalb des Cut-off-Werts festgestellt worden. Der Antragsteller habe seine Konsumangaben bagatellisiert und eine Haaranalyse abgelehnt.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2016 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Augsburg (Az. Au 7 K 16.162) schlossen die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 11. April 2016 einen Vergleich, in dem sich der Antragsteller zu einer Haaranalyse und der Antragsgegner zur Aufhebung des Fahrerlaubnisentziehungsbescheids verpflichtete, falls die Haaranalyse negativ ausfalle. Nach Vorlage eines Zertifikats über die Durchführung einer Haaranalyse mit negativem Ergebnis (Versandtag 7.6.2016) hob das Landratsamt den Entziehungsbescheid auf (Bescheid vom 8.7.2016).
Am 27. Oktober 2016 Uhr stellte die Polizei im Rahmen einer Verkehrskontrolle beim Antragsteller als Fahrzeugführer drogentypische Auffälligkeiten fest. Außerdem führte er in seiner Hosentasche ein leeres Druckverschlusstütchen mit sich. Die Analyse des entnommenen Bluts ergab laut Gutachten vom 11. November 2016 eine Konzentration von 1,56 ng/ml THC, 0,56 ng/ml 11-Hydroxy-THC sowie 17,7 ng/ml THC-Carbonsäure. Gegen den Antragsteller erging ein Bußgeldbescheid vom 24. Januar 2017 (rechtskräftig seit 12.4.2017).
Mit Bescheid vom 25. Januar 2017 entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins. Er sei aufgrund der beiden Fahrten unter der Wirkung von Cannabis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten sei nicht einzuholen.
Hiergegen ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen. Mit Beschluss vom 31. Mai 2017 (Az. 11 CS 17.803) stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren unter teilweiser Aufhebung der erstinstanzlichen Antragsablehnung (Beschluss vom 17.3.2017, Az. Au 7 S 17.274) die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Trotz gelegentlichen Cannabiskonsums und zweimaligen Verstoßes gegen das Trennungsverbot könne ohne medizinisch-psychologische Untersuchung nicht von der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden. Im Hinblick auf die seinerzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Revisionsverfahren in ähnlich gelagerten Fällen ordnete das Verwaltungsgericht daraufhin mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Klageverfahrens an.
Mit Bescheid vom 18. September 2019 hob das Landratsamt den Bescheid vom 25. Januar 2017 auf. Im Fall des hier vorliegenden zweimaligen Verstoßes sei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV i.V.m. § 24a StVG die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Das Verwaltungsgericht stellte daraufhin das unter dem Aktenzeichen Au 7 K 19.1662 fortgeführte Klageverfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten mit Beschluss vom 15. November 2019 ein.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2019, geändert durch Schreiben vom 16. Oktober 2019, forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis zum 16. Dezember 2019 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Da er mehrmals unter der Wirkung von Betäubungsmitteln ein Kraftfahrzeug geführt habe, bestünden Zweifel an seiner Fahreignung. Die Anordnung schließe die Forderung ein, an der Klärung der Fahreignung soweit möglich und notwendig mitzuwirken, sich erforderlichen Untersuchungen zu unterziehen und sonstige für die Fragestellung aussagekräftige Unterlagen beizubringen. Es werde empfohlen, sich zu dieser Frage beraten zu lassen, zum Beispiel bei einer Beratungsstelle oder einem Verkehrspsychologen. Diese könnten ihn zum Beispiel auch beraten, ob er einen Abstinenznachweis brauche.
Der Antragsteller ließ gegen die mit der Beibringungsanordnung verbundene Kostenentscheidung Klage erheben, die das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 22. Juni 2020 (Az. Au 7 K 19.1964) abgewiesen hat. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 (Az. 11 ZB 20.2025) abgelehnt. Das Landratsamt, das die Beibringungsfrist für das Gutachten auf Ersuchen des Bevollmächtigten des Antragstellers zunächst ausgesetzt hatte, forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 und vom 26. Februar 2021 auf, das Gutachten bis spätestens 30. April 2021 vorzulegen. Mit weiteren Schreiben verlängerte es die Vorlagefrist nochmals bis zuletzt 31. Mai 2021.
Am 31. Mai 2021 legte der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten der TÜV Süd Life Service GmbH (Versanddatum 20.5.2021) vor, das zu dem Ergebnis kommt, es sei zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis führen werde. Nach seinen Angaben habe er Cannabis erstmals mit 16 Jahren konsumiert. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr habe er zunächst einmal monatlich, dann wöchentlich und zuletzt vier bis fünfmal die Woche einen Joint geraucht. Am Wochenende seien es auch mal drei, vielleicht auch vier Joints gewesen. Während eines Auslandsaufenthalts Ende 2015 habe er einige Monate nicht geraucht, dann aber wieder damit angefangen und fast täglich konsumiert. Andere Drogen habe er nicht genommen. Seit Oktober 2016 lebe er nach seinen Angaben abstinent. Dem Gutachten zufolge hat die Analyse einer Urinprobe am Untersuchungstag keinen Nachweis auf Betäubungsmittelkonsum ergeben. Sonstige Abstinenzbelege habe der Antragsteller jedoch nicht anfertigen lassen. Der Cannabiskonsum sei gewohnheitsmäßig und fest in der allgemeinen Lebensführung verwurzelt gewesen. Der Antragsteller habe Entzugserscheinungen beim Absetzen geschildert. Der Ausprägungsgrad der Problematik lasse sich als Drogengefährdung beschreiben (D3 gemäß den Beurteilungskriterien). Eine derartige Problematik erfordere den Verzicht auf einen weiteren Konsum, eine kritische Auseinandersetzung mit den ursächlichen Bedingungen des früheren Konsums und eine hinreichende Motivation zur dauerhaften Beibehaltung des Verzichts. Erforderlich sei der Nachweis der Drogenabstinenz für in der Regel die Dauer eines Jahres. Bei Unterschätzung der Rückfallgefahr könne es auch nach mehrjähriger Abstinenz zu einem Wiederaufleben des Drogenkonsums kommen. Der Antragsteller habe zwar von positiven Veränderungen berichtet, die ihn zur Fortsetzung der Abstinenz motivierten. Allerdings habe er die Abstinenz nicht ausreichend belegen können. Auf den lückenlosen Nachweis einer Drogenabstinenz von zwölf Monaten könne angesichts des Schweregrads der Drogenproblematik nicht verzichtet werden. Somit ließen sich bereits von medizinischer Seite die Eignungszweifel nicht ausräumen.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 22. Juni 2021 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Abgabe des Führerscheins. Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten habe er die Zweifel an seiner Fahreignung nicht ausräumen können. Seine Angabe bei der Untersuchung, seit Oktober 2016 keine Drogen mehr zu konsumieren, reiche als Nachweis der Abstinenz oder Verhaltensänderung nicht aus. Auch der Zeitablauf führe nicht zur Wiedererlangung der Fahreignung. Persönliche Härten könnten selbst bei gravierenden beruflichen oder privaten Folgen nicht berücksichtigt werden.
Der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins kam der Antragsteller am 12. Juli 2021 nach.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 26. Juli 2021 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage gegen den Bescheid erheben, über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden hat, und zugleich beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid wiederherzustellen.
Mit Beschluss vom 18. August 2021 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Das Landratsamt habe aus dem vorgelegten Gutachten, das schlüssig und nachvollziehbar von einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik im Sinne der Hypothese D3 der Beurteilungskriterien ausgegangen sei, zu Recht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen. Der Antragsteller habe durch das Drogenscreening am Untersuchungstag lediglich einen aktuellen Konsum ausschließen können, jedoch keinen Nachweis für eine lückenlose Drogenabstinenz von zwölf Monaten erbracht. Hierfür würden der bloße Vortrag, seit dem 27. Oktober 2016 kein Cannabis mehr konsumiert zu haben, und der Verweis auf das Gutachten über eine negative Haarprobe für den Zeitraum von etwa sechs Monaten vor dem 11. April 2017 nicht ausreichen.
Zur Begründung seiner gegen den Beschluss erhobenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, das Verwaltungsgericht habe die von ihm mit Schreiben vom 24. August 2021 und vom 8. September 2021 vorgelegten Abstinenznachweise (Analysebericht BLS vom 20./26.7.2021, Labor Staber vom 2.8.2021, MVZ Labor Krone vom 5.8.2021) nicht berücksichtigt, da sich ihre Versendung mit der Entscheidung überschnitten habe. Die Beibringung von Abstinenznachweisen sei zuvor nicht angeordnet worden. Der Antragsteller habe daher nicht gewusst, dass diese von ihm verlangt würden. Das von ihm vorgelegte Gutachten treffe keine Feststellungen zur Abstinenz im Zeitpunkt der Begutachtung. Der Gutachter hätte ihm Gelegenheit geben müssen, entsprechende Nachweise beizubringen. Außerdem hätte der Gutachter berücksichtigen müssen, dass die Drogenfahrt fünf Jahre zurückliege und der Antragsteller seine Abstinenz seither zweimal nachgewiesen habe. Die Forderung des Nachweises einer Abstinenz von zwölf Monaten sei fehlerhaft. Ausreichend sei ein Nachweis für mindestens sechs Monate. Das Landratsamt, das vom Antragsteller keinen Abstinenznachweis verlangt habe, müsse auch die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Er habe nach der Drogenfahrt fünf Jahre lang ungehindert und ohne Auffälligkeiten am Straßenverkehr teilgenommen und seine Drogenproblematik längst überwunden. Das Landratsamt habe nach der Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung im Jahr 2019 auf deren Vollziehung und die unverzügliche Entziehung der Fahrerlaubnis ausdrücklich verzichtet. Dem abgeschwächten Vollzugsinteresse stehe daher ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers entgegen, der ohne seinen Führerschein die Universität und seine Arbeitsstätte zur Finanzierung des Studiums nicht erreichen könne. Auch die Interessenabwägung sei daher fehlerhaft.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen einer summarischen Prüfung als rechtswidrig und verletzt er den Betroffenen in seinen Rechten, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts regelmäßig zu verneinen. Bestehen umgekehrt keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und liegen ausreichende Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs vor, ist der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel abzulehnen. Bei offenen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind die Vollzugsinteressen gegen die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen abzuwägen.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung am 22. Juni 2021 (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11; U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – NJW 2021, 1970 Rn. 12 m.w.N.) zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 2020 (BGBl I S. 2667) mit Wirkung zum 10. Dezember 2020, und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. November 2020 (BGBl I S. 2704) mit Wirkung zum 1. April 2021, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer gelegentlich Cannabis konsumiert und entweder den Konsum und das Fahren nicht trennt oder zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert oder wenn eine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Liegt gelegentlicher Cannabiskonsum vor und begründen weitere Tatsachen, insbesondere ein Verstoß gegen das Trennungsgebot, Zweifel an der Eignung (sog. Zusatztatsachen), kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Regelmäßiger, d.h. täglicher oder fast täglicher Cannabiskonsum (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 3 C 1.08 – BVerwGE 133, 186 Rn. 14 ff.) führt ebenso wie Abhängigkeit von Betäubungsmitteln jeder Art ohne Hinzutreten weiterer Umstände, also insbesondere auch ohne Auffälligkeit im Straßenverkehr, zum Verlust der Fahreignung (Nr. 9.2.1 und 9.3 der Anlage 4 zur FeV). Steht regelmäßiger Cannabiskonsum hinreichend fest, setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis die vorherige Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht voraus (§ 11 Abs. 7 FeV).
2. Hiervon ausgehend sind die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins durch das Landratsamt Augsburg mit Bescheid vom 22. Juni 2021 und die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu beanstanden. Insbesondere stehen dem weder die zuletzt vom Antragsteller vorgelegten Ergebnisse der Haaranalysen noch der Zeitablauf seit dem letzten Verstoß gegen das Trennungsgebot entgegen.
a) Da – wie bereits ausgeführt – die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung anhand der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Ausgangs- oder Widerspruchsentscheidung der Behörde zu beurteilen ist, können nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen weder im noch anhängigen Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere auch für die dem Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 24. August 2021 und vom 8. September 2021 vorgelegten Ergebnisse der Haaranalysen. Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, diese im Rahmen eines Verfahrens zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorzulegen, in dem die Fahrerlaubnisbehörde von ihm die Beibringung eines (weiteren) medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen wird (§ 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 und 3 FeV). In diesem Zusammenhang sei allerdings darauf hingewiesen, dass die bisher vorgelegten Nachweise zum einen nicht den erforderlichen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten (dazu sogleich) abdecken und dass zum anderen allein die nachgewiesene Drogenabstinenz zwar notwendige, aber noch nicht ausreichende Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahreignung ist.
b) Die Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich auch nicht wegen des Zeitablaufs seit dem letzten Verstoß des Antragstellers gegen das Trennungsgebot als rechtswidrig.
Das vom Antragsteller vorgelegte negative Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH stellt für die Beurteilung seiner Fahreignung eine neue Tatsache mit selbstständiger Bedeutung dar, auf die das Landratsamt die Entziehung der Fahrerlaubnis stützen durfte (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – NJW 2021, 1970 Rn. 30 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.8.2021 – 11 CS 21.1837 – juris Rn. 16; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 11 FeV Rn. 26 m.w.N.). Dieses Gutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, insbesondere den Anforderungen der Anlage 4a zur FeV entsprechend zu dem Ergebnis gekommen, dass schon wegen der fehlenden Abstinenznachweise weitere Fahrten des Antragstellers unter Verstoß gegen das Trennungsgebot zu erwarten sind.
Der Antragsteller hat seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bereits deshalb verloren, weil er – wovon das Landratsamt erst durch das vorgelegte Gutachten Kenntnis erlangt hat – zumindest vor dem 27. Oktober 2016 nach eigenem Bekunden regelmäßig Cannabis konsumiert hat. Gegenüber dem Gutachter hat er angegeben, mit dem Konsum mit 16 Jahren begonnen zu haben und diesen dann im Laufe der Jahre von zuerst einmal monatlich auf wöchentlich und zuletzt auf vier bis fünfmal die Woche gesteigert zu haben. Am Wochenende seien es auch mal drei oder vier Joints gewesen. Nach einer Unterbrechung während eines Auslandsaufenthalts habe er wieder damit angefangen und fast täglich konsumiert. Dieses Konsummuster erfüllt die Anforderungen der Rechtsprechung an einen täglichen oder fast täglichen und damit regelmäßigen Cannabiskonsum im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV. Bereits deshalb ist der Antragsteller als fahrungeeignet anzusehen.
Im Falle eines die Fahreignung ausschließenden Cannabiskonsums im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sind entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig eine Abstinenz von einem Jahr und ein stabiler, motivational gefestigter Einstellungswandel nachzuweisen, um annehmen zu können, dass der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung wiedererlangt hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2021 – 11 CS 21.701 – juris Rn. 22 m.w.N.; vgl. auch Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [VBl S. 110] in der Fassung vom 28.10.2019 [VBl S. 775]). Auch nach den Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27.1.2014 [VBl S. 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt) setzt eine angemessene Problembewältigung bei einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik (Hypothese D 3) unter anderem einen ausreichend langen und nachvollziehbar dokumentierten drogenfreien Zeitraum voraus (Kriterium D 3.4 N). Bei Drogenkonsum über einen langen Zeitraum, z.B. über Jahre regelmäßiger Cannabiskonsum, ist nach Nr. 2 des Kriteriums D 3.4 N erst durch einen längeren Abstinenzzeitraum (mehr als sechs Monate) eine günstige Voraussetzung für die Stabilität der Verhaltensänderung gegeben. Der Drogenverzicht muss durch die Ergebnisse geeigneter polytoxikologischer Urin- oder Haaranalysen, die den Kriterien der Hypothese CTU entsprechen, nachvollziehbar dokumentiert und bestätigt sein (Nr. 3 des Kriteriums D 3.4 N).
Solche Nachweise über einen ausreichend langen Zeitraum hat der Antragsteller bis zum Bescheiderlass nicht erbracht. Er kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass ihn das Landratsamt hierzu nicht aufgefordert oder dass es ihm die Frist zur Einholung entsprechender Nachweise hätte verlängern müssen. Abgesehen davon, dass § 14 FeV als Rechtsgrundlage zur Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel lediglich die Anordnung der Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens vorsieht, nicht aber unmittelbar die Anordnung von Urin- oder Haaranalysen, hatte das Landratsamt vor Erhalt des Gutachtens keine Kenntnis über Dauer und Häufigkeit des Cannabiskonsums des Antragstellers. Außerdem hat es ihm in der Beibringungsanordnung ausdrücklich empfohlen, sich bei einer Beratungsstelle oder einem Verkehrspsychologen zu erkundigen, welche Untersuchungen durchzuführen und welche für die Fragestellung aussagekräftigen Unterlagen beizubringen sind und ob er einen Abstinenznachweis brauche. Wenn der Antragsteller diese Möglichkeit nicht wahrgenommen hat oder wenn er – etwa aufgrund nicht hinreichender Offenheit über seinen Konsum in der Vergangenheit – nicht entsprechend beraten wurde, ist dies nicht dem Landratsamt anzulasten. Im Übrigen hätte er aufgrund des Verfahrens im Zusammenhang mit dem ersten Entziehungsbescheid vom 26. Januar 2016 damit rechnen müssen, dass von ihm die Vorlage von Abstinenznachweisen verlangt wird.
Nachdem die Ungeeignetheit des Antragstellers bereits aufgrund seines regelmäßigen Cannabiskonsums und der fehlender Abstinenznachweise für einen ausreichend langen Zeitraum feststand, war das Landratsamt auch nicht gehalten, ihm vor Erlass des Bescheids noch die Gelegenheit einzuräumen, solche Nachweise zu erbringen. Steht die Ungeeignetheit des Inhabers einer Fahrerlaubnis fest, duldet deren Entziehung zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer keinen Aufschub. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der Antragsteller nach dem letzten Verstoß gegen das Trennungsgebot noch mehrere Jahre am Straßenverkehr teilgenommen hat, ohne erneut aufzufallen. Das Landratsamt hat zunächst die höchstrichterliche Klärung der Frage abgewartet, ob bei einem Verstoß gegen das Trennungsgebot die Fahrerlaubnis unmittelbar entzogen werden kann oder ob es hierzu der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedarf. Bis zur Klärung dieser Frage hat es im Interesse des Antragstellers von einem Vollzug seines Bescheids abgesehen. Anschließend hat das Landratsamt die Beibringungsfrist für das Gutachten auf Ersuchen des Bevollmächtigten des Antragstellers für die Dauer des Klageverfahrens gegen die mit der Beibringungsanordnung verbundene Kostenentscheidung ausgesetzt. Dies kann der Antragsteller dem Landratsamt nicht entgegenhalten, nachdem seine Ungeeignetheit nunmehr feststeht. Im Übrigen besagt der Umstand, dass keine weiteren Auffälligkeiten des Antragstellers im Straßenverkehr bekannt geworden sind, nichts über seine Fahreignung. Es ist nicht auszuschließen, dass er die nochmalige Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung von Cannabis vor allem im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene fahrerlaubnisrechtliche Verfahrens unterlassen hat.
c) Die Klage des Antragstellers hat daher nach bisheriger Erkenntnislage keine Aussicht auf Erfolg. Daher können auch die von ihm geschilderten Belange im Zusammenhang mit der Erreichbarkeit seines Studienorts und seiner Tätigkeit zur Finanzierung des Studiums nicht dazu führen, dass seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Wege einer Interessenabwägung stattgegeben wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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