Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Fahrradfahrt unter Alkoholeinfluss

Aktenzeichen  11 CS 18.203

Datum:
24.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26919
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1 S. 2
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1. § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV setzt nach dem Wortlaut nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss voraus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine von der Fahrerlaubnisbehörde gestellte Frage nach körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können, kann dahingehend zu verstehen sein, dass sie nur der Abklärung des nach Nr. 8.1 und 8.2 Anlage 4 zur FeV erforderlichen Vermögens des Betroffenen dient, das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher zu trennen.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 17.1734 2017-12-21 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Dezember 2017 wird in Nr. 1 aufgehoben, soweit dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben wurde. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 1. September 2017 wird insgesamt abgelehnt.
II. Unter Abänderung der Nr. 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.
Nach einer Fahrradfahrt unter Alkoholeinfluss (Blutalkoholkonzentration von 2,59 ‰) forderte das Landratsamt Roth den Antragsteller mit Schreiben vom 9. Januar 2017 gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu den Fragen beizubringen, ob bei ihm körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorlägen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden könnten, ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen (z.B. Fahrrad) und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könnten, sowie ob auch nicht zu erwarten sei, dass das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen (z.B. Pkw) und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könnten. Nachdem der Antragsteller, der mit einer Begutachtung einverstanden war, in der Folge kein Gutachten vorlegte, entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 26. April 2017 unter Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis.
Der Antragsteller legte Widerspruch ein und beantragte bei Gericht, dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 3. August 2017, die den Widerspruch zurückwies, erhob der Antragsteller Klage (AN 10 K 17.01809), über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2017 gab das Verwaltungsgericht Ansbach dem Eilantrag unter Zurückweisung im Übrigen statt, soweit er sich gegen die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins richtete, weil die Frage nach alkoholbedingten Beeinträchtigungen nicht anlassbezogen und damit die Gutachtensaufforderung insgesamt rechtswidrig sei.
Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt, beruft sich der Antragsgegner auf die Rechtsprechung des Senats zur Auslegung der vom Landratsamt gewählten Fragestellung. Diese sei dahin zu verstehen, dass sie nur der Abklärung des nach Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur FeV erforderlichen Trennungsvermögens diene, und werde in diesem Zusammenhang ohnehin aufgeworfen. Außerdem hätte eine Folgenabschätzung bei Annahme offener Erfolgsaussichten im Hinblick auf den Belang der Verkehrssicherheit geboten, den Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsache einstweilen nicht am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.
Aus den form- und fristgerecht vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht dem Antragsteller zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat. Der angegriffene Entziehungsbescheid ist nach der gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtmäßig.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl. I S. 399), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Diese Regelung setzt nach ihrem klaren Wortlaut nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss voraus (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 = juris Rn. 7; U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – BVerwGE 131, 163/164 = juris Rn. 10). Eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr deutet auf chronischen Alkoholkonsum und damit auf ein Alkoholproblem hin, das die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in sich birgt (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 11 CS 14.1713 – juris Rn. 10 m.w.N.), bzw. begründet den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 a.a.O.). Diesen Eignungszweifeln musste das Landratsamt, nachdem der Antragsteller am 5. Mai 2016 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,59 ‰ mit dem Fahrrad auf öffentlichen Straßen aufgefallen war, durch die Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, nachgehen.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er – wie hier der Antragsteller – der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, sofern die Untersuchungsanordnung rechtmäßig und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (stRspr BVerwG, B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – juris Rn. 7; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – BVerwGE 137, 10/13 = juris Rn. 14 m.w.N.).
Dies ist hier der Fall. Der Senat hält daran fest, dass die von der Fahrerlaubnisbehörde gestellte Frage nach körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können, aufgrund der durch die Worte „insbesondere“ sowie „und auch“ hergestellten Verknüpfung mit den nachfolgenden Fragen dahingehend zu verstehen ist, dass sie nur der Abklärung des nach Nr. 8.1 und 8.2 Anlage 4 zur FeV erforderlichen Vermögens des Betroffenen dient, das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher zu trennen (vgl. BayVGH, B.v. 30.5.2017 – 11 CS 17.274 – NJW 2017, 2695 = juris Rn. 29; B.v. 8.4.2016 – 11 C 16.319 u.a. – juris Rn. 17; B.v. 10.3.2015 – 11 CS 15290 – juris Rn. 13, B.v. 28.10.2014 – 11 CS 14.1713 – juris Rn. 12 f.). Für das Trennungsvermögen sind auch Befunde des medizinischen Teils der Untersuchung relevant und daher anlassbezogen zu erheben. So können beispielsweise erhöhte Leberlaborwerte oder sonstige alkoholbedingte Körperschäden für einen Alkoholmissbrauch über einen längeren Zeitraum sprechen. Die so zu verstehende Fragestellung ist daher im Rahmen der Abklärung des Trennungsvermögens ohnehin aufgeworfen und damit zwar möglicherweise verzichtbar, aber zur Klarstellung für den Betroffenen und den zu beauftragenden Gutachter hilfreich und damit unschädlich. Die Frage nach körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen deckt daher den medizinischen Teil der bei einem Verdacht auf Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn anzuordnenden medizinisch-psychologischen Untersuchung ab (vgl. BayVGH, B.v. 30.5.2017 a.a.O.).
Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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