Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines neurologischen Gutachtens, Epilepsie ausreichende Hinweise auf einen epileptischen Anfall

Aktenzeichen  11 CS 21.1727

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24901
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, 46 Abs. 1 S. 1
FeV Nr. 6.6 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 1 S 21.539 2021-05-26 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragssteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner ihm erstmals am 29. September 2010 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04), AM, B und L.
Aus einem neurologisch-psychiatrischen Fahreignungsgutachten vom 11. Juli 2012 geht hervor, dass der Antragsteller an einer idiopathisch generalisierten Epilepsie mit Absencen leidet. Am 9. April 2012 habe er einen Grand Mal-Anfall erlitten. Für ein Jahr nach diesem Anfallsereignis sei er nicht in der Lage, ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Komme es bis dahin zu keinem weiteren Anfallsereignis und würden regelmäßige, mindestens vierteljährliche, ambulante neurologische Untersuchungen durchgeführt, sei der Antragsteller nach Ablauf des Jahres wieder in der Lage, ein Fahrzeug der Gruppe 1 zu führen, wenn dies vom behandelnden Nervenarzt attestiert werde. Er sollte dann noch für ein weiteres Jahr vierteljährlich nervenärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen. Nach einem fachärztlichen Attest vom 21. Dezember 2017 spricht aus neurologischer Sicht nichts dagegen, dass der Antragsteller wieder Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 führt.
Mit Schreiben vom 19. September 2020 teilte die Polizei dem Landratsamt Kulmbach (im Folgenden: “Landratsamt”) mit, dass der Antragsteller am 11. September 2020 gegen 8:15 Uhr mit seinem Pkw einen Verkehrsunfall erlitten habe. Er sei in einer leichten Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abgekommen, habe ca. 150 m weit ein Feld durchfahren und sei zuletzt mit einem Baum kollidiert. Durch den Aufprall habe sich das Fahrzeug überschlagen und sei auf dem Dach liegen geblieben. Der Antragsteller habe sich selbst aus dem Fahrzeug befreien können. Gegenüber dem Polizeibeamten habe er angegeben, einen Krampfanfall gehabt zu haben. Bei einer telefonischen Rücksprache der Polizei mit der Notaufnahme der Klinik sei mitgeteilt worden, es deute auf einen möglichen Anfall hin, dass sich der Antragsteller eingenässt habe. Dieser habe sich geweigert, das Attest der Klinik herauszugeben, da es falsche Angaben zu seinem Krankheitsverlauf und intime Details enthalte. Die hinter dem Antragsteller fahrende Zeugin S. habe angegeben, sie sei nicht schneller als 80 km/h gefahren. Plötzlich sei der Antragsteller mit seinem Fahrzeug langsam in Richtung Kurvenäußeres, schließlich in die Wiese und – ohne dass sie Bremslichter gesehen habe – bis zur Kollision mit einem Baum über die Wiese gefahren. Er habe ihr gegenüber keinerlei Angaben gemacht und gewirkt, als ob er einen Schock hätte. Nach der beigefügten polizeilichen Vernehmung vom 15. September 2020 sagte der Antragsteller aus, er habe kurz vor dem Unfall eine Zigarette geraucht und am Radio etwas eingestellt und sei dadurch unachtsam gewesen und nach links ins Bankett geraten. Er habe dann eine Art Schock gehabt und sei nicht mehr imstande gewesen, irgendetwas zu unternehmen. Er habe also auch nicht bremsen können und sei erst zum Stehen gekommen, als er mit einem Baum kollidiert sei.
In der Folge legte der Antragsteller ein Attest des ihn behandelnden Neurologen vom 16. November 2020 vor, wonach aus neurologischer Sicht nichts dagegen spreche, dass er weiterhin Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 führe.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller unter Bezugnahme auf die im Jahr 2012 bekannt gewordene Epilepsie, das fachärztliche Gutachten vom 11. Juli 2012, weitere ärztliche Atteste und Bescheinigungen, seinen Verzicht auf die Fahrerlaubnis am 28. August 2012 und den Unfall vom 11. September 2020 auf, ein fachärztliches Gutachten eines Neurologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zu den Fragen vorzulegen, ob er trotz des Vorliegens der Erkrankung (Epilepsie) in der Lage sei, den Anforderungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, ob ggf. durch Auflagen oder Beschränkungen eine bedingte Eignung hergestellt werden könne, ob die Durchführung von Testverfahren im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Prüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit für notwendig gehalten werde und ob nachträgliche Eignungsuntersuchungen in Form von Nachkontrollen, Nachuntersuchungen oder Nachbegutachtungen erforderlich seien, wenn ja, in welchen zeitlichen Abständen.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Gewährung von Akteneinsicht in Form von Kopien der Aktenteile, die Gegenstand des Anhörungsschreibens gewesen seien. Diesen Antrag lehnte das Landratsamt wegen Unbestimmtheit ab.
Im März 2021 wurde bekannt, dass der Antragsteller zum 1. Dezember 2020 in den Landkreis Hof verzogen war.
Mit Schreiben vom 16. April 2021 erteilte das Landratsamt Hof die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens durch das Landratsamt Kulmbach.
Mit Bescheid vom 29. April 2021 entzog dieses dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Ablieferung seines Führerscheins innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids auf. Weiter ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 4. Mai 2021 ließ der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erheben, über die noch nicht entschieden ist, und weiter beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben.
Mit Beschluss vom 26. Mai 2021 lehnte das Verwaltungsgericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung ab, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in ausreichendem Maße schriftlich begründet worden. Es genüge, wenn ausgeführt werde, dass wegen der Nichtvorlage des geforderten Eignungsgutachtens zu befürchten sei, dem Antragsteller fehle die Fahreignung. Daher sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit auch der Führerschein sofort abzugeben und könne der rechtskräftige Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden. Die Klage habe aus den in dem angefochtenen Bescheid dargelegten Gründen voraussichtlich keinen Erfolg. Der Entziehungsbescheid sei formell rechtmäßig. Die örtliche Zuständigkeit des Landratsamts ergebe sich hier aus Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG. Der Antragsteller sei auch ordnungsgemäß angehört und im Übrigen schon mit der Begutachtungsaufforderung auf die Konsequenz der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens hingewiesen worden. Der Bevollmächtigte habe sich erst nach Ablauf der gesetzten Äußerungsfrist angezeigt, was in den Verantwortungsbereich des Antragstellers falle. Der Erlass des Bescheids ohne Stellungnahme des Antragstellers sei nicht zu beanstanden. Jedenfalls wäre ein Verstoß gegen das Anhörungsgebot im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt. Das Landratsamt habe von fehlender Fahreignung ausgehen dürfen. Die Anordnung des Gutachtens vom 3. Dezember 2020 entspreche den gesetzlichen Voraussetzungen. Ihr konkreter Anlass sei für den Antragsteller klar erkennbar gewesen. Das Unfallgeschehen vom 11. September 2020 und dessen Begleitumstände erwiesen sich als hierfür ausreichend tragfähig. Die Anordnung sei aufgrund einer bestehenden Dauererkrankung und eines (erneuten) konkreten Anlasses in Form des Unfallgeschehens erfolgt. Bereits im ärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2012 werde festgestellt, dass sich die Epilepsie des Antragstellers auf seine Fahreignung auswirken könne. Das Landratsamt habe auch das vom Antragsteller vorgelegte Attest vom 16. November 2020 berücksichtigt, dieses jedoch zutreffend nicht für ausreichend gehalten. So gehe aus dem Attest nicht hervor, dass dem Neurologen bei dessen Erstellung das Unfallgeschehen vom 11. September 2020 bekannt gewesen sei. Wegen des nicht vorgelegten Berichts aus der Notaufnahme nach dem Unfall sei auch nicht bekannt, wer den Antragsteller am 11. September 2020 im Krankenhaus behandelt habe. Die Kenntnis des Geschehens sei aber entscheidend, um eine Aussage über die Fahreignung treffen zu können. Möge auch der letzte epileptische Anfall mehr als zwei Jahre vor dem 11. September 2020 liegen, würde ein an diesem Tag erneut aufgetretener Anfall ausreichen, um die Fahreignung des Antragstellers neu bewerten zu müssen. Es könne auch nicht dem Einwand gefolgt werden, es habe sich am 11. September 2020 um einen einmaligen “Fahrfehler” gehandelt, der jedem passieren können, denn die Begleitumstände des Unfallgeschehens sprächen hier gegen einen gewöhnlichen Fahrfehler und legten vielmehr die Vermutung nahe, dass ein epileptische Anfall vorgelegen haben könnte. Die Einlassung des Antragstellers erscheine dem Gericht weniger überzeugend als die Aussage der Zeugin, die ihm mit dem Fahrzeug gefolgt sei. Zudem ergebe sich aus dem Polizeibericht, dass sich der Antragsteller nach Aussage der Notaufnahme eingenässt habe, was ebenfalls für das Vorliegen eines epileptischen Anfalls spreche. Zu seinen Lasten müsse auch gehen, dass er das Attest aus der Notaufnahme über seine Behandlung nach dem Unfall nicht herausgegeben habe. Auch seine Angaben hierzu erschienen nicht überzeugend. In der Behördenakte seien bereits zahlreiche ärztliche Atteste bzw. Gutachten sowie Polizeiberichte enthalten, die das vom Antragsteller bestehende Krankheitsbild ausführlich dargelegten und teilweise ebenfalls den persönlichen bzw. intimen Bereich beträfen. Es dränge sich daher die Vermutung auf, dass das Attest bewusst zurückgehalten werde, weil aus ihm negative Schlüsse hinsichtlich der Fahreignung gezogen werden könnten.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller geltend, die gerichtliche Entscheidung sei rechtsfehlerhaft. Es sprächen nicht mehr Gründe gegen seine Fahreignung als – aufgrund seiner bisher unwiderlegten Einlassung – für sie sprächen. Bei der bestehenden Faktenlage und Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte des Für und Wider sei nicht erkennbar, dass von ihm bei Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs ausgehe. Das Unfallgeschehen vom 11. September 2020 sei keine ausschließlich tragfähige Grundlage für eine so weitreichende Entscheidung. Er sei zwar seit Jahren als an Epilepsie erkrankt bekannt. Seine Fahreignung sei durch ärztliche Stellungnahmen dennoch nicht in Zweifel gezogen worden, solange die medikamentöse Einstellung in Ordnung gegangen sei, was bis zuletzt der Fall gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem neurologischen Attest vom 16. November 2020. Hinsichtlich des Unfallgeschehens stehe nicht ansatzweise fest, dass dieses auf einen epileptischen Anfall zurückzuführen sei. Weder die Art und Weise des Unfallgeschehens noch seine Einlassungen deuteten darauf hin, dass ein epileptischer Anfall dieses verursacht habe. Er sei medikamentös eingestellt gewesen und habe sich regelmäßig untersuchen lassen und angegeben, zuletzt am 10. September 2020 gegen 22:00 Uhr seine Medikamente eingenommen zu haben. Er sei seit mehreren Jahren aufgrund der medikamentösen Einstellung anfallsfrei gewesen und gehe davon aus, dass es sich deshalb nicht um einen epileptischen Anfall gehandelt haben könne. Dass er seine Medikamente vorschriftsmäßig eingenommen habe, habe er auch unmittelbar nach dem Unfall gegenüber der Polizei so geäußert. Eine plausible Erklärung für das konkrete Unfallgeschehen sei ein Fahrfehler, der nicht mit einem epileptischen Anfall in Verbindung gestanden habe, sondern mit der Unaufmerksamkeit des Fahrzeugführers zu erklären gewesen sei. Nachdem der Unfall keine nennenswerten Drittschaden verursacht habe und lediglich er selbst einen Personen- und Sachschaden erlitten habe, könne allein daraus nicht auf eine fehlende Fahreignung mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis geschlossen werden.
Der Antragsgegner hält die Beschwerde mangels hinreichender Darlegung für unzulässig und führt ergänzend aus, es sei zwischenzeitlich zu neuerlichen krankheitsbedingten Vorfällen gekommen, die die Bedenken gegen die Fahreignung des Antragstellers aufgrund seiner Epilepsie weiter erhärteten. Die Ereignisse vom 25./26. Juli 2021 belegten, dass nach der Entziehung der Fahrerlaubnis beim Antragsteller zumindest zwei weitere Anfälle aufgetreten seien und ihn selbst diese in kurzer Abfolge auftretenden und mit Verletzungen verbundenen Krampfanfälle nicht davon abgehalten hätten, trotz des Fehlens der erforderlichen Fahrerlaubnis kurze Zeit nach dem zweiten Anfall wieder mit dem Pkw zu fahren.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 2020 (BGBl I S. 2667), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die zum Teil am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Verordnung vom 16. November 2020 (BGBl I S. 2704), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines für die Fragestellung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) zuständigen Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV ist die Fahreignung bei bestehender Epilepsie nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht. Bei Fahrzeugen der Gruppe 1, die der Antragsteller führen darf, kann nach einem Jahr der Anfallsfreiheit hiervon ausgegangen werden. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
Der Antragsteller wendet sich gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass der der Beibringungsanordnung zugrunde liegende Sachverhalt diese rechtfertige, verkennt in seiner Kritik jedoch das Gewicht der in seinem Fall für ein Fehlen der Fahreignung sprechenden Umstände und den hieran anzulegenden Maßstab. Insoweit hält der Senat die Darlegungen in der Beschwerdeschrift gerade noch für ausreichend (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Die Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 20; B.v. 16.10.2019 – 11 CS 19.1434 – juris Rn. 21 jeweils m.w.N.). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein “Anfangsverdacht” (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht “ins Blaue hinein” bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 18.6.2021, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.6.2021 a.a.O. m.w.N.).
Es ist daher nicht ausschlaggebend, ob eine “Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte des Für und Wider” für eine Gefährdung des Straßenverkehrs durch den Betroffenen während des Hauptsacheverfahrens sprechen, sondern dass hier gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der unstreitig an einer Epilepsie leidende Antragsteller am 11. September 2020 einen epileptischen Anfall erlitten hat. Damit wäre nach den Vorgaben des Verordnungsgebers (Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV) keine Fahreignung mehr gegeben. Ob durch den epileptischen Anfall ein Dritter nennenswert zu Schaden gekommen ist, spielt demgegenüber keine Rolle. Da nicht vorherzusagen ist, in welcher Situation ein derartiger Anfall auftritt, handelt es sich insoweit um einen zufälligen glücklichen Umstand.
Nicht erforderlich ist, dass sicher feststeht, dass der Antragsteller einen epileptischen Anfall erlitten hat, sondern dass die Anhaltspunkte hierfür ausreichend belastbar sind. Das ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat – der Fall. Der Antragsteller, der in der Vergangenheit schon mehrere epileptische Anfälle erlebt hat, hat dies unmittelbar nach dem Unfall spontan selbst so gesehen. Auch die Klinik, die ihn nach dem Unfall behandelt hat, hat dies gemäß ihrer fachlichen Auskunft an die Polizei so eingeschätzt. Ferner spricht dafür der Ablauf des Unfalls, wonach sein Fahrzeug ungebremst von der Straße abgekommen und bis zum Stillstand an einem Baum ca. 150 m über eine Wiese gefahren ist. Diesen auch durch entsprechende Spuren belegten Ablauf hat der Antragsteller nicht in Abrede gestellt, sondern insofern lediglich eine bestimmte andere Unfallursache (Fahrfehler) behauptet. Es entspricht indes nicht der Lebenserfahrung, dass ein Fahrer, der durch Unachtsamkeit von der Fahrbahn abkommt, absolut nichts mehr unternimmt, um das Fahrzeug abzubremsen. Seine zwischenzeitlich andere Einschätzung zur Unfallursache hätte der Antragsteller im Rahmen der Begutachtung vorbringen können, wobei er im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht ggf. verpflichtet gewesen wäre, Unterlagen des ihn nach dem Unfall behandelnden Klinikums vorzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 11 CS 19.1565 – juris Rn. 24).
Ferner hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, weshalb die Anhaltspunkte für ein Anfallsgeschehen nicht durch das neurologische Attest vom 16. November 2020 entkräftet sind. Hiermit hat sich der Antragsteller nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Er hat auch nicht dargelegt, dass es einen dahingehenden medizinischen Erfahrungssatz gibt, dass eine jahrelange Anfallsfreiheit bei kontinuierlicher medikamentöser Behandlung zwangsläufig ein Rezidiv ausschließt (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Komm., 3. Aufl. 2018, S. 194 ff.), was durch die offenbar trotz medikamentöser Einstellung am 25. und 26. Juli 2021 aufgetretenen epileptischen Anfälle bestätigt wird, die im Polizeibericht vom 26. Juli 2021 dokumentiert sind. Ob und ggf. ab wann und unter welchen Voraussetzungen die Fahreignung trotz des möglicherweise erlittenen Anfalls (wieder) zu bejahen ist, hätte Gegenstand der angeordneten Untersuchung sein sollen.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben