Verkehrsrecht

Ersatzfähigkeit eines durch Überfahren einer Bodenwelle entstandenen Schadens in der Vollkaskoversicherung

Aktenzeichen  10 O 3458/16 Ver

Datum:
13.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2017, 136
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AKB 2008 A.2.3.2
VVG § 215

 

Leitsatz

Wird eine Bodenwelle aufgrund ihrer mangelnden Erkennbarkeit mit einem Kraftfahrzeug zu schnell überfahren und entsteht dadurch ein Schaden am Fahrzeug, so liegt darin ein Unfallschaden und nicht ein – nach den im Streitfall vereinbarten Versicherungsbedingungen vom (Vollkasko-)Versicherungsschutz nicht umfasster – Betriebsschaden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus dem Schadensereignis vom 07.11.2015 einen Betrag von € 12.437,54 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.12.2015 zu bezahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, als Nebenforderung an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.08.2016 zu bezahlen.
3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus dem Streitwert. Die örtliche Zuständigkeit beruht auf § 215 VVG, der Kläger hat seinen Wohnsitz im hiesigen Bezirk.
II.
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet, da der streitgegenständliche Vorfall vom 07.11.2015 nicht als Betriebsschaden zu qualifizieren ist und das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der Schadenshöhe unsubstantiiert ist.
Der Vorfall vom 07.11.2015 fällt nicht unter den Ausschluss in Ziffer A.2.3.2 der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen.
Diese Bedingung lautet:
„Versichert sind Unfälle des Fahrzeugs. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden. Dazu zählen z. B. Schäden am Fahrzeug durch rutschende Ladung oder durch Abnutzung, Verwindungsschäden, Schäden aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeugs.“
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH, so beispielsweise im Urteil vom 19.12.2012, IV ZR 21/11, sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Nach dem Urteil des BGH (NJW 1969, 96) sind Betriebsschäden solche Schäden, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen, ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des Kfz gehören.
Nach den für das Gericht glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Klägers im Termin vom 23.11.2016 war für ihn die von ihm mit seinem Fahrzeug Nissan überfahrene Bodenwelle nicht erkennbar. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits vorher ähnliche Bodenwellen überfahren hätte, liegen nicht vor und sind von der Beklagten insoweit auch nicht behauptet worden. Der Kläger hat vielmehr geschildert, dass er mit der vor Ort zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h die Schwelle überfahren hat. Aufgrund eines entgegenkommenden Fahrzeugs sei er kurzzeitig leicht erschrocken gewesen. Warnhinweise, etwa durch entsprechende Beschilderung, seien vor der Bodenwelle nicht vorhanden gewesen. Das Gericht folgt insoweit den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Klägers, gegenteilige Anhaltspunkte sind nicht vorhanden.
Ausweislich der zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen gilt als Unfall ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkende Ereignis.
So liegt der Fall hier. Das Überfahren der Bodenwelle stellt ein von außen auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis mit mechanischer Gewalt dar. Aufgrund der Tatsache, dass die Bodenwelle für den Kläger nicht erkennbar war, war dieses Ereignis auch für den Kläger plötzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von der Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az.: 8 O 7495/15. Im dort entschiedenen Fall hatte das Gericht festgestellt, dass der Kläger zwar ebenfalls eine Bodenwelle überfahren hatte, die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug zuvor bereits mehrere vergleichbare Bodenwellen sowie bei der Hinfahrt bereits die gleiche streitgegenständliche Bodenwelle überfahren hatte, so dass das Landgericht Nürnberg-Fürth insoweit nicht mehr von einem Überraschungsmoment ausgegangen ist.
Das Gericht schließt sich vorliegend vielmehr der Rechtsansicht der Entscheidungen des Landgerichts Bochum vom 29.06.2012, Az.: 4 O 477/11, sowie des Landgerichts Stuttgart vom 30.03.2015, Az.: 16 O 34/15, an.
Im Falle des Landgerichts Bochum hat das ebenfalls vollkaskoversicherte Fahrzeug einen Schaden durch Überfahren einer sogenannten Fräskante erlitten. Das Landgericht hat insoweit zutreffend festgestellt, dass der Fahrer eines Fahrzeugs mit einer derartigen Gefahrenquelle nicht rechnen musste und diese im Fall des Landgerichts Bochum auch nicht erkennbar war. Auch das Landgericht Stuttgart hat in seiner Entscheidung vom 30.03.2015 die Annahme eines Betriebsschadens ausgeschlossen. Dieser Entscheidung lag ebenfalls das Überfahren einer Bodenschwelle zugrunde, die für den Kläger insoweit nicht erkennbar war.
Das Landgericht Stuttgart hat insofern zutreffend ausgeführt, dass hinsichtlich der Frage der Abgrenzung, ob ein Ereignis als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen sei, die konkrete Verwendung des Fahrzeugs entscheidend sei. Schäden, die durch Ereignisse und Umstände hervorgerufen werden, in denen sich Gefahren verwirklichen, denen das Fahrzeug im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt sei, die also nur eine Auswirkung des normalen Betriebsrisikos seien, das in Kauf genommen werde, seien Betriebsschäden.
Im hier zu entscheidenden Fall ist zu berücksichtigen, dass üblicherweise eine derartige Bodenschwelle, soweit sie erkennbar war bzw. erkannt wurde, lediglich mit einer solchen Geschwindigkeit überfahren wird, die keine Schäden am Fahrzeug verursachen würde. Wird die Bodenschwelle jedoch aufgrund der mangelnden Erkennbarkeit so schnell überfahren, dass Schäden entstehen, handelt es sich gerade nicht mehr um Gefahren, denen das Fahrzeug in seiner konkreten Verwendungsart üblicherweise ausgesetzt ist. Zum normalen Betriebsrisiko eines Fahrzeugs gehört es eben nicht, dass dieses mit so hoher Geschwindigkeit über eine Bodenschwelle fährt, dass hierdurch erhebliche Schäden entstehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Schaden auch bei einem langsamen Überfahren der Bodenschwelle, beispielsweise mit Schrittgeschwindigkeit oder geringerer als der zugelassenen Geschwindigkeit von 50 km/h entstanden wäre, wurden weder vorgetragen noch sind derartige Anhaltspunkte ersichtlich.
Aufgrund des Vorliegens eines Unfalls im Sinne der Versicherungsbedingungen ist die Beklagte daher grundsätzlich zur Erstattung des Reparaturaufwands verpflichtet. Die Beklagte hat die Höhe pauschal mit Nichtwissen bestritten und wurde dem entsprechend im Termin vom 23.11.2016 darauf hingewiesen, dass ein pauschales Bestreiten mit Nichtwissen unsubstantiiert ist. Ergänzender Sachvortrag erfolgte nicht, so dass insoweit der Klagebetrag, der schlüssig dargestellt ist, zuzusprechen war. Die vereinbarte Selbstbeteiligung war in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen.
Auch die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten wurden von der Beklagten weder dem Grunde noch der Höhe nach bestritten, so dass auch diese erstattungsfähig sind.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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