Verkehrsrecht

Gutachtensanordnung zur Feststellung der Fahreignung – Diabetes mellitus

Aktenzeichen  M 6 S 16.4526

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 101195
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 6, Abs. 8, § 46 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen eines Diabetes mellitus rechtfertigt für sich allein noch nicht die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. M 6 K 16.4525) gegen den Bescheid des Landratsamts München vom 1. September 2016 wird hinsichtlich Nrn. 1 und 2 des Bescheids wiederhergestellt, hinsichtlich der Nr. 5 wird sie angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Der 19… geborene Antragsteller beantragte bei der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners am … Januar 2016 die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis der Klasse CE samt Unterklassen und legte hierfür Unterlagen vor, darunter eine Bescheinigung über eine ärztliche Augenuntersuchung vom … Dezember 2015, die ausreichendes Sehvermögen bestätigt, sowie den Untersuchungsbericht des … Zentrums … Dr. A… vom … Dezember 2015. Darin ist u. a. unter der Überschrift „Eine weitergehende Untersuchung wegen…“ vermerkt: „Diabetes mell.“ (d. h. Diabetes mellitus). Das nahm die Behörde zum Anlass, vom Antragsteller ohne vorherige Anhörung mit Verfügung vom … Januar 2016 die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nach § 46 Abs. 3 Fahrerlaubnisverordnung – FeV -, § 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV i. V. m. der Anlage 4 Nr.5 der FeV zu fordern, das bis zum … März 2016 vorzulegen sei. Mit diesem Gutachten solle u. a. geklärt werden, welcher Typ der Diabetes-Erkrankung vorliege (Frage Nr. 1), ob die Diabetes-Erkrankung behandlungsbedürftig sei und wenn ja, um welche Behandlungsmethode es sich handle (Nr. 2), ob eine ausgeglichene Stoffwechsellage ohne Gefahr von Hyperglykämie oder Hypoglykämie vorliege (Nr. 3) und ob krankheitsbedingte Komplikationen gegeben oder zu erwarten seien wie Retinopathia-Diabetika, Nephropathia-Diabetika oder kardiale und zerebrale Angiopathie. Außerdem wird in den insgesamt 9 Fragen nicht nur eine Klärung der Fahreignung bezüglich Kraftfahrzeugen der Gruppe II, sondern auch der Gruppe I (Nr. 8) gefordert sowie nach der Notwendigkeit von Nachuntersuchungen gefragt.
Auf der Gutachtensanordnung ist auf Seite 2 (Blatt 18 der Akte) neben dem eingerückt gesetzten Termin zur Vorlage handschriftlich vermerkt, „verlängert bis …4.2016“, ohne dass der Akte entnommen werden kann, worauf diese Anmerkung Bezug nimmt oder wer sie warum veranlasst hat. Trotz dieser Fristverlängerung hörte die Behörde den Antragsteller bereits mit Schreiben vom … März 2016, zugestellt am … März 2016, zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Nachdem am … März 2016 dann der vom Antragsteller unterzeichnete Gutachtensauftrag eingegangen war, übersandte die Behörde mit Schreiben vom … März 2016 die Akte an die benannte Begutachtungsstelle, von wo sie mit Schreiben vom … Juli 2016 wieder zurückgesandt wurde.
Mit Schreiben vom … Juli 2016 bestellte sich sodann der Bevollmächtigte des Antragstellers und teilte mit, es sei zu Differenzen seines Mandanten mit der Begutachtungsstelle gekommen. Da sich Forderungen nach einer Nachbesserung gegenüber Begutachtungsstellen regelmäßig als nutzlos erweisen, werde um die Beauftragung einer anderen Begutachtungsstelle gebeten. Außerdem solle die Begutachtung auf Fahrzeuge der Gruppe II beschränkt werden, da sein Mandant Fahrzeuge der Gruppe I nicht mehr führen wolle. Dieses Ansinnen wies die Behörde mit Schreiben vom … August 2016 zurück, hörte zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des geforderten Gutachtens an und gab dem Antragsteller letztmals Gelegenheit, einen kostenpflichtigen Bescheid über die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch Verzicht hierauf abzuwenden.
Hierzu trug der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom … August 2016, der am selben Tag bei der Behörde einging, für diesen umfangreich dazu vor, was er bzw. dessen Ehefrau unternommen habe, um die Fahreignungszweifel auszuräumen, warum man das Fahreignungsgutachten, das ein negatives Ergebnis habe, nicht vorlegen sondern eine erneute Begutachtung durchführen wolle und weshalb es zu Verzögerungen bei der Behandlung der Angelegenheit gekommen sei. Außerdem wird angegeben, der Mandant wolle keine Fahrzeuge der Klasse A mehr führen.
Daraufhin entzog die Behörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 1. September 2016 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 4 des Bescheids) die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), gab ihm auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids bei der Behörde abzuliefern (Nr.2) und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von a… Euro an (Nr.3). Nr. 5 des Bescheids enthält die Kostenentscheidung. Der insbesondere auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Bescheid ist mit der Nichtvorlage des Gutachtens begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, weil der Antragsteller die wegen seiner Diabetes-Erkrankung an seiner Fahreignung bestehenden Zweifel nicht mittels Vorlage des geforderten Gutachtens ausgeräumt habe. Weil eine solche Erkrankung zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, etwa infolge Bewusstseinsverlusts, führen könnten, müsse die weitere Verkehrsteilnahme des Antragstellers sofort unterbunden werden. Dieser hat seinen Führerschein am … September 2016 abgeliefert.
Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers als Anlage zu Antragsschrift vom … Oktober 2016 u. a. das Gutachten der … GmbH vom … Juli 2016 vor, das mit einem insgesamt negativen Ergebnis endet, jedoch feststellt, es liege ein mit Insulin behandelter, stabil eingestellter Diabetes mellitus vor. Daneben wird u. a. festgestellt, es lägen krankheitsbedingte Komplikationen wie Nephropathia-Diabetika und zerebrale Angiopathie vor. Eine Retinopathia Diabetika, eine kardiale Angiopathie und eine periphere Neuropathie könne nicht bewertet werden, da die erforderlichen Befunde nicht vorgelegt worden seien. Außerdem sei der Antragsteller nicht ausreichend mit sämtlichen Vorsorgemaßnahmen, die ein autofahrender Diabetiker beachten müsse, vertraut. Er sei wegen einer Erkrankung (Diabetes mellitus), die nach Anlage 4 Nr. 5 der FeV die Fahreignung in Frage stelle, nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe I und II gerecht zu werden.
Gegen den am … September 2016 zugestellten Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten durch Schriftsatz vom … Oktober 2016, eingegangen bei Gericht am selben Tag, unter Wiederholung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (Az. M 6 K 16.4525) mit dem Antrag, den Bescheid vom 1. September 2016 aufzuheben und außerdem
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid anzuordnen.
Der Antragsgegner legte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2016, eingegangen am 24. Oktober 2016, seine Akte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Am 16. Januar 2017 führte der Berichterstatter einen Erörterungstermin durch, wobei beide Parteien erschienen waren, sich der Antragsgegner jedoch einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits verweigerte.
Durch Beschluss vom 17. Januar 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten einschließlich derjenigen im Verfahren M 6 K 16.4525 sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin am 16. Januar 2017 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO analog).
II.
Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich gegen die Zwangsgeldandrohung (Nr. 3) im Bescheid vom 1. September 2016 richtet. Im Übrigen ist er zulässig und begründet. Bei der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der Bescheid insbesondere bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtswidrig, so dass die hiergegen gerichtete Klage Erfolg haben wird. In einem solchen Fall besteht kein öffentliches Interesse an der Beibehaltung des Sofortvollzugs.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids bereits unzulässig. Denn der Antragsteller hat seinen Führerschein bereits vor Klageerhebung abgegeben. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsgegner das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 3 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet. Insbesondere die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids vom 1. September 2016 ist rechtswidrig, da sie entgegen der Auffassung des Antragsgegners in § 11 Abs. 8 FeV vorliegend keine Rechtsgrundlage findet. Die Voraussetzung einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung gegenüber dem Antragsteller ist aus mehreren, selbsttragend nebeneinander stehenden Gründen nicht erfüllt, so dass die Behörde aus der Nichtvorlage des somit zu Unrecht geforderten Gutachtens nicht auf die mangelnde Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte.
2.1 Die Gutachtensanordnung vom … Januar 2016 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der Behörde war zu diesem Zeitpunkt lediglich bekannt, dass der Antragsteller an Diabetes mellitus erkrankt ist, was er offensichtlich dem untersuchenden Arzt am … Dezember 2016 selbst offenbart hat. Dies für sich genommen ist jedoch keinesfalls eine Information, die eine Fahrerlaubnisbehörde dazu berechtigt, sogleich ein ärztliches Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen. Das ergibt sich eindeutig aus den unterschiedlichen Konsequenzen, welche in Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV hinsichtlich der Fahreignung aus den verschiedenen Formen und Intensitäten der Diabeteserkrankung gezogen werden, wobei diese auch noch unterschiedlich ausfallen je nachdem, ob es um Fahrzeuge der Gruppe I oder der Gruppe II geht. So ist etwa nach Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe I uneingeschränkt gegeben, wenn eine ausgeglichene Stoffwechsellage unter der Therapie mit Diät oder oralen Antidiabetika mit niedrigem Hypoglykämierisiko vorliegt; auch für Kraftfahrzeuge der Gruppe II besteht in diesem Fall Fahreignung, wenn eine stabile Stoffwechselführung besteht und in den letzten 3 Monaten keine Hypoglykämie aufgetreten ist. Ob ein solcher Fall vorliegt, kann und muss die Behörde zunächst durch die Aufforderung zur Vorlage geeigneter Bescheinigungen des den Diabetes behandelnden Arztes abklären. Werden solche vorgelegt und geht aus ihnen hervor, dass ein Fall der Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV gegeben ist, so darf die Behörde hinsichtlich Kraftfahrzeugen der Gruppe I keinerlei weitere Maßnahmen ergreifen, ohne dass ihr weitere Tatsachen hierzu Anlass geben. Wird eine stabile Stoffwechsellage sowie keine Hypoglykämie in den vergangenen 3 Monaten bescheinigt, wonach der Betroffene seitens der Behörde ausdrücklich zu fragen ist, sind in Fällen, in denen es auch um Kraftfahrzeuge der Gruppe II geht, ebenfalls keine weiteren Maßnahmen mehr veranlasst, sofern nicht zusätzliche Tatsachen hierfür ausreichend Anlass geben.
Dieses Vorgehen der Behörde ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit schon deshalb geboten, weil es den Betroffenen weniger stark belastet als ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle, indem es weniger (oder sogar nichts) kostet und weniger stark in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eingreift. Zugleich ist es aber auch ein geeignetes Mittel, um abzuklären, ob weitergehende Maßnahmen veranlasst sind, weil ein anderer als ein Fall der Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV vorliegt.
Im vorliegenden Fall hat die Behörde nicht einmal versucht, durch weniger einschneidende Maßnahmen erst einmal zu klären, welche Art einer Diabeteserkrankung beim Antragsteller vorliegt, wie sie behandelt wird und mit welchem Ergebnis. Sie hat noch nicht einmal in Erwägung gezogen, dass ein Fall der Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV vorliegen könnte. Das Vorgehen der Behörde war also weder verhältnismäßig noch erforderlich, zumal sie nicht zwischen Maßnahmen in Bezug auf Fahrzeuge der Gruppen I und II unterschieden hat.
Bei einer als „Volkskrankheit“ bezeichneten Erkrankung wie Diabetes mellitus Typ 2 kann es offensichtlich nicht richtig sein, jedermann ohne Kenntnis von weiteren konkreten Umständen des Falles seitens der Fahrererlaubnisbehörden mit einem ärztlichen Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu überziehen. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland aktuell mehr als sechs Millionen behandelte und noch einmal so viele unerkannte und damit unbehandelte Diabeteserkrankungen (Angaben des Deutschen Diabetes-Zentrums, Newsletter vom 19. Januar 2017, http://www.diabetes-heute.uni-duesseldorf.de/fachthemen/entstehungausbreitungverbreitung/index.html?TextID=3836). Bei diesem Personenkreis müssen zunächst die Umstände des jeweiligen Falles mit den mildesten Mitteln so weit wie möglich abgeklärt und sodann auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens entschieden werden, ob und ggf. welche Fragen einer Beantwortung durch ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zugeführt werden sollen. Das ist vorliegend unterblieben, was allein für sich schon zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung, damit zur Rechtswidrigkeit des auf ihr beruhenden Bescheids vom 1. September 2016 und letztlich zum (überwiegenden) Erfolg des vorliegenden Antrags führt.
2.2 Unabhängig hiervon – und insoweit selbsttragend – hat der vorliegende Antrag allein schon deshalb Erfolg, weil die Gutachtensfragen jedenfalls teilweise rechtswidrig sind, so dass die Gutachtensanordnung insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Gutachtensanordnung insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist, wenn sie aus mehreren Fragen besteht, von denen zumindest eine unzulässig ist; denn es kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, selbst herauszufinden, welchem Teil einer Gutachtensanordnung er Folge leisten muss (st. Rspr. etwa VG München B. v. 13.9.2013, M 6b S 13.2756 m. w. N.).
Vorliegend ist bereits die Frage 1 unzulässig, weil diese mittels Vorlage einfacher Atteste des den Diabetes behandelnden Arztes (so der Diabetes überhaupt behandlungsbedürftig ist) hätte beantwortet werden können. Dasselbe gilt für die Fragen 2-4. Gerade der behandelnde Arzt müsste neben Angaben zu Art und Intensität des Diabetes, seiner Behandlung und der Stoffwechsellage auch Auskunft über die Gefahr von Unter- oder Überzuckerung und den Stand der Einstellung des Diabetes sowie dazu geben können, ob solche Stoffwechselprobleme innerhalb der vergangenen 3 Monate aufgetreten sind (relevant für Kraftfahrzeuge der Gruppe II). Jedenfalls teilweise müsste der behandelnde Arzt auch die Fragen 5 und 6 beantworten können, etwa weil er den Patienten mit den Möglichkeiten und Vorkehrungen zur Erkennung einer Unterzuckerung und den Vorsichtsmaßnahmen für diabeteserkrankte Autofahrer bekannt und vertraut gemacht hat. Fraglich ist hier, warum Motorad- oder LKW-Fahrer nach Ansicht der Behörde mit diesen Maßnahmen nicht vertraut sein müssen (sie kommen in Frage 6 nicht vor). Schließlich lassen sich diese Fragen ggf. auch anhand des Diabetikerpasses und des Zuckertagebuchs beantworten.
Erst nach Abklärung dieser Fragen im Vorfeld hätte geprüft und entschieden werden können und müssen, was von den nachfolgenden Fragen 7 und 8 noch Gegenstand einer Begutachtung sein soll bzw. muss. Schließlich ist es unzulässig, wenn die Behörde, die lediglich von der Existenz einer Diabetes-Erkrankung weiß, nach möglichen Folgeerkrankungen „forscht“, ohne für deren Vorliegen irgendeinen konkreten Anhaltspunkt zu haben. Unzulässig war vorliegend auch die Frage nach einer Retinopathia diabetica, weil der Antragsteller eine Bescheinigung über eine Augenuntersuchung vom … Dezember 2015 vorgelegt hat, die ihm voll ausreichendes Sehvermögen bestätigt, so dass keinerlei Anlass für die Frage nach dieser Folgeerkrankung bestand.
2.3 Da die Gutachtensanordnung sich somit als insgesamt rechtlich nicht haltbar erweist, konnte die Behörde aufgrund der Nichtvorlage des zu Unrecht geforderten Gutachtens nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Eignung des Antragstellers schließen und durfte ihm die Fahrerlaubnis nicht entziehen. Dem Antrag war daher, soweit er zulässig ist, statt zu geben.
2.4 Der Bescheid ist aus einem weiteren (selbsttragenden) Grund rechtswidrig, der für sich allein ebenfalls dessen Aufhebung im Hauptsacheverfahren nach sich ziehen wird und daher zum Erfolg des vorliegenden Antrags führt. Zutreffend geht die Behörde davon aus, dass die Gutachtensanordnung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV in ihrem Ermessen stand. Zu den Interessen des Antragstellers finden sich in der Gutachtensanordnung auf deren Seite 2 Ausführungen. Diese sind so gehalten, dass sie in jeder beliebigen Gutachtensanordnung verwendet werden könnten. Ein Bezug zum vorliegenden Fall und den Interessen des Antragstellers, die eventuell gegen den Erlass der Gutachtensanordnung sprechen könnten, ist nicht erkennbar. Das erklärt sich mit der unterbliebenen Anhörung des Antragstellers vor Erlass der Gutachtensanordnung. Die Behörde hatte also keinerlei Kenntnis von den Interessen und der Situation des Antragstellers, weshalb sie dessen Belange auch nicht in ihre Ermessensentscheidung hat einbeziehen können. Folglich leidet diese Ermessensentscheidung an einem schweren Mangel, der zu ihrer Fehlerhaftigkeit und damit zur Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung (Gutachtensanordnung) insgesamt führt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dabei ist das Unterliegen des Antragstellers hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung gegenüber der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins unabhängig vom Streitwert und der Höhe des angedrohten Zwangsgeldes nach pflichtgemäßem Ermessen als derart gering anzusehen, dass es gegenüber dem Obsiegen des Antragstellers nicht nennenswert ins Gewicht fällt, so dass der Antragsgegner die Kosten insgesamt zu tragen hat, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass dem Antragsteller zur Meidung des Zwangsgeldes nichts anderes übrig blieb, als seinen Führerschein abzuliefern.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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