Verkehrsrecht

Haftungsquote bei Lkw-Unfall an einer Laderampe

Aktenzeichen  17 O 13441/19

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20696
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 17 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
StVO § 10, § 14

 

Leitsatz

1, Beschädigt der Fahrer eines Lkw beim Anfahren von einer Laderampe die in den Bereich seines Lkw zwischen Führerhaus und Anhänger geöffnete Tür eines an der Nachbarladerampe stehenden Lkw, ist eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verweigert ein Schädiger die Regulierung des Schadens ernsthaft und endgültig, wandelt sich ein Anspruch des Geschädigten auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in einen Zahlungsanspruch um. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 4.659,81 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.09.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 413,90 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 50 % und die Beklagte 50 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.319,62 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht München I gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 20 StVG, § 32 ZPO örtlich zuständig.
II.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 4.659,81 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,90 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bzw. gemäß § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu.
a) Haftungsquote
Weder der Klagepartei noch der Beklagtenpartei ist es gelungen, nachzuweisen, dass der Unfall ein für sie unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
Ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt – nämlich durch sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann. Hierzu ist die Berücksichtigung sämtlicher möglicher Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler erforderlich.
Dies war vorliegend nicht der Fall, da beiden unfallbeteiligten Personen jeweils ein Fehlverhalten vorzuwerfen war.
Der Zeuge … führte aus, seinen Lkw auf der Rampe Nummer 5 abgestellt zu haben. Dort habe er gewartet, dass seine Ladung aufgenommen werde. In der Zwischenzeit sei der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gekommen und habe seinen Lkw mit Anhänger an der Rampe Nummer 6 abgestellt. Er habe dann wieder in sein Fahrzeug einsteigen wollen. Seine Türe habe er hierfür nur zur Hälfte geöffnet, weil die Fahrzeuge so nah beieinander gestanden haben. Genau in dem Augenblick, als er sich zum Einsteigen auf der Treppe seines Lkw befunden habe, sei der andere Lkw losgefahren. Etwa 2-3 Sekunden später sei die Türe seines Lkw durch den Anhänger des anderen Lkw beschädigt worden. Die Türe habe zu diesem Zeitpunkt aber bereits etwa 10 Sekunden offen gestanden, bevor sie von dem anderen Fahrzeug beschädigt worden sei. Der andere Fahrer habe sein Losfahren vorher nicht angekündigt.
Der Zeuge … gab an, als erster an der Rampe Nummer 6 eingeparkt zu haben. Erst währenddessen sei der Zeuge … gekommen und habe seinen Lkw an Rampe Nummer 5 geparkt. Er habe sich dann zunächst mit dem Zeugen … unterhalten und sei anschließend in sein Fahrzeug gestiegen, um die Position seines Fahrzeugs zu korrigieren, weil dieses zunächst etwas schräg gestanden sei. In dem Moment, als er angefahren sei, habe er sofort ein Geräusch gehört und sei stehen geblieben. Die Kollision habe sich etwa 2-3 Sekunden nach dem Losfahren ereignet. Er habe aufgrund der Schrägstellung des Lkw beim Anfahren nicht sehen können, ob die Türe des anderen Lkw offen gestanden habe. Die offene Türe habe er dann erst nach dem Aussteigen nach der Kollision wahrgenommen.
Der Sachverständige … führte aus, dass es sich bei der Unfallörtlichkeit um einen Verladebereich handele, an welchem weiße Markierungslinien vorhanden seien. Die einzelnen Ladebereiche haben eine Breite von ca. 3,8 m. Er gab weiter an, dass für den Fahrer des Lkw der Beklagtenseite aufgrund des gerade ausgerichteten Anhängers und der Schrägstellung der Fahrzeugfront nach links die Möglichkeit bestehe, dass der spätere Kontaktbereich und insbesondere die Fahrzeugtüre des Klägerfahrzeugs ausnahmsweise nicht über das Außenspiegelsystem einsehbar gewesen seien.
Der Abstand des Klägerfahrzeugs zum Anhänger des Beklagtenfahrzeugs sei im Bereich von etwa 0,9 m einzugrenzen. Daraus ergebe sich, dass die Fahrzeugtüre am Klägerfahrzeug zum Kollisionszeitpunkt praktisch vollständig geöffnet gewesen sei. Es sei als plausibel zu bewerten, dass die Fahrzeugtüre vor dem Kollisionsgeschehen in den Zwischenraum zwischen dem Lkw der Beklagtenseite und dessen Anhänger hineingeraten sei, weil hierdurch auch das sogenannte Überschlagen und nach vorne mitziehen der Fahrzeugtüre plausibel zu erklären wäre. Aus technischer Sicht lasse sich aber nicht abschließend klären, wie lange die Fahrzeugtüre am Klägerfahrzeug vor Anfahrstart des Beklagtenfahrzeugs geöffnet worden sei.
Das Gericht ist folglich überzeugt, dass der Zeuge … die Türe zum Einsteigen seines Lkw öffnete und diese dann durch das Anfahren des Zeugen … beschädigt wurde. Nicht sicher feststellbar ist, wie viele Sekunden der Zeuge … die Türe vor dem Anfahren des Beklagtenfahrzeugs öffnete. Beide Zeugen gaben aber übereinstimmend ein, dass die Türe etwa 2 bis 3 Sekunden nach dem Anfahren beschädigt wurde. Das Gericht ist aufgrund der schlüssigen und fundierten Ausführungen des Sachverständigen … ferner überzeugt, dass der Zeuge … entgegen dessen Aussage die Fahrzeugtüre vollständig öffnete und der Zeuge … die geöffnete Fahrertüre von seinem Fahrersitz im Lkw vor dem Anfahren nicht wahrnehmen konnte, weil sich diese innerhalb eines toten Winkels befand.
Der Sachverständige … ist dem Gericht als sorgfältiger und fachkundiger Gutachter bekannt. Er hat die ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen sorgfältig und nachvollziehbar ausgewertet. Das Gericht schließt sich seinen Feststellungen daher vollumfänglich an und macht sich diese zu Eigen.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall gleichermaßen durch den Zeugen … und den Zeugen … verursacht wurde. Der Sachverständige … trug insoweit vor, dass sich für die Klägerseite eine Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens ergeben würde, wenn grundsätzlich auf ein Öffnen zumindest in der vorliegenden Öffnungsweite und sogar in den Zwischenraum zwischen Lkw und dem Anhänger des Fahrzeugs abgesehen worden wäre.
Eine Vermeidbarkeit für die Beklagtenseite würde sich ergeben, wenn man davon ausgehe, dass die Fahrzeugtüre schon längere Zeit offen gestanden habe und dies vor Anfahrstart für die Beklagtenseite als solche erkennbar gewesen sei bzw. wenn von vornherein von einer Anfahrsituation des Beklagtenfahrzeugs abgesehen worden wäre.
Gegen die Klägerin spricht ein Verstoß gegen § 14 StVO. Die Vorschrift ist auf dem grundsätzlich für jedermann zugänglichen Grundstück, auf welchem sich der Unfall ereignete, zumindest entsprechend anwendbar, zumal dort mit dem Verkehr weiterer Lkw zu rechnen ist. Jedenfalls aber war der Zeuge … unter Beachtung der allgemeinen Sorgfaltspflichten gehalten, sich vor dem Einsteigen zu vergewissern, dass er durch das Öffnen der Tür keinen anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet. Dieser Pflicht ist er nicht hinreichend nachgekommen. Im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit diesem Öffnungsvorgang ereignete sich auch die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug.
Aber auch für die Beklagtenpartei war der Unfall vermeidbar. Gegen die Beklagtenseite spricht ein Verstoß gegen § 10 StVO, welcher ebenfalls entsprechend anzuwenden ist, indem er beim Anfahren das klägerische Fahrzeug beschädigte.
Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung erachtet das Gericht die jeweiligen Verursachungsbeiträge für gleichwertig. Einerseits ist zu sehen, dass der klägerische Zeuge die Fahrertüre zumindest fast vollständig in den Bereich des Beklagtenfahrzeugs zwischen Führerhaus und Anhänger öffnete. Die Öffnung erfolgte noch dazu in einen Bereich, der vom für den Fahrer des Beklagtenfahrezugs vom Fahrersitz aus vor Anfahren nicht einsehbar war, so dass zunächst der klägerische Zeuge die Ursache für den Unfall setzte. Gleichzeitig ist dabei aber auch zu berücksichtigen, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs die Pflicht hat, sich beim Anfahren so zu verhalten, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dies war hier nicht der Fall. Unabhängig davon, dass nicht mehr sicher feststellbar ist, wie lange die Türe vor dem Anfahren des Beklagtenfahrzeugs geöffnet war, trifft den Fahrer der Beklagtenseite nach Auffassung des Gerichts jedenfalls die Pflicht zur Überprüfung, ob ein Anfahren ohne Gefährdung anderer Sachen oder Personen möglich ist, zumal der Unfallbereich zwischen Führerhaus und Anhänger aufgrund der Schrägstellung des Lkw für ihn nicht einsehbar war. Das Gericht ließ dabei nicht außer Acht, dass in einem solchen Fall für den Lkw-Fahrer ein Anfahren ohne fremde Hilfe beim Ausweisen andernfalls nie möglich wäre und ihm daher zuzustehen wäre, nach vorheriger Prüfung sein Fahrzeug in Bewegung zu setzen, auch wenn er nicht sein gesamtes Fahrzeug einsehen kann. Vorliegend wurde seitens des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs aber gar nicht dargetan, den für ihn vom Fahrersitz aus nicht einsehbaren Bereich vorher auf etwaige Hindernisse überprüft zu haben, obwohl er diesen Bereich nicht einsehen konnte. Es konnte auch nicht sicher festgestellt werden, dass die Türe vom Zeugen … erst geöffnet wurde, nachdem sich der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs in seinem Lkw befand. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Anfahren mit einem Lkw den für andere Verkehrsteilnehmer potentiell deutlich gefährlicheren Verkehrsvorgang darstellt gegenüber dem Öffnen der Fahrertüre. Hinzu kommt, dass es für den klägerischen Zeugen vor dem Einsteigen in seinen Lkw aber auch gar nicht erkennbar war, dass sich das Beklagtenfahrzeug in Bewegung setzt, so dass nach Auffassung des Gerichts beide Verstöße schließlich gleich schwer wiegen. Die sowohl auf Klage-, als auch auf Beklagtenseite zu berücksichtigenden Umstände rechtfertigen im Ergebnis nach Auffassung des Gerichts daher eine hälftige Haftungsverteilung.
b) Schadenshöhe
Die Klägerin kann von der Beklagten im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Schadensersatz in Höhe von 4.659,81 € verlangen.
1) Reparaturkosten
Die erstattungsfähigen Reparaturkosten belaufen sich auf 8.368,12 €.
Hinsichtlich der Schadenshöhe der von Beklagtenseite beanstandeten Schadenspositionen führte der Sachverständige … aus, dass aus technischer Sicht ein Rabatt hinsichtlich des Klägerfahrzeugs als nicht üblich bzw. zwingend vorzugeben sei. Hinsichtlich der Verbringungskosten gab er an, dass grundsätzlich der überwiegende Anteil Fahrzeug Verbindungskostenansätze, diese auch teilweise von Herstellern intern so vorgegeben werden, wenn die Fahrzeuge beispielsweise an einen anderen Standort verbracht werden müssen.
Das Gericht schließt sich auch diesen schlüssigen und überzeugenden Ausführungen an und macht sich diese zu Eigen. Die Verbringungskosten waren folglich aufgrund der Ortsüblichkeit auch im vorliegenden Fall anzusetzen. Ferner konnte die Beklagte hinsichtlich eines für die Klägerin bestehenden Preisnachlasses in Höhe von 10 % aufgrund einer Vereinbarung zwischen Großabnehmern und Werkstätten keinen Nachweis erbringen.
Aufgrund der hälftigen Haftungsverteilung waren daher Reparaturkosten in Höhe von 4.184,06 € erstattungsfähig.
2) Sachverständigenkosten
Die Sachverständigenkosten betrugen unstreitig 926,50 €. Hiervon kann die Klägerin 463,25 € verlangen. Die Klägerin ist für die in Rechnung gestellten Kosten des Sachverständigen aktiv legitimiert, weil dessen Kostennote durch die Klägerin beglichen wurde. Dies wurde durch eine klägerseits vorgelegte Bestätigung des Sachverständigen vom 08.01.2020 zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
3) Kostenpauschale
Ferner steht der Klägerin eine Kostenpauschale unstreitig in Höhe von 25,00 € zu. Da der Klägerin eine 50 %-ige Mithaftung anzulasten ist, kann die Klägerin hier lediglich 12,50 € verlangen.
2. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Die der Klägerin ferner zugesprochenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € wurden auf Basis einer 1,3-Gebühr zuzüglich Unkostenpauschale einem Gegenstandswert bis 5.000,00 € entnommen.
Die Einwendungen der Beklagtenseite insoweit sind unbeachtlich. Fälligkeit trat spätestens mit Geltendmachung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Rahmen der Antragsbegründung vom 28.10.2019 ein. Ferner wandelte sich aufgrund des Umstands, dass die Beklagte die Regulierung des klägerischen Sachschadens unbestritten ernsthaft und endgültig verweigerte, unabhängig von der Frage, ob die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bereits beglichen wurden, ein etwaiger Anspruch auf Freistellung jedenfalls in einen Zahlungsanspruch um. Schließlich handelt es sich, soweit die Beklagte davon ausgeht, dass der geltend gemachte Anspruch gemäß § 86 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen ist, um eine unsubstantiierte Behauptung ins Blaue hinein.
3. Zinsen
Der Zinsanspruch seit dem 05.09.2019 folgt aus §§ 288, 291 BGB, 696 Abs. 3 ZPO.
4. Klageabweisung
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
III.
1. Die Kostenregelung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach §§ 708, 709, 711 ZPO.
3. Der Streitwert richtet sich nach § 48 Abs. 1 GKG, §§ 3 ff. ZPO.


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