Verkehrsrecht

Hinreichende Darlegung von Hinderungsgründen bei begehrter Fristverlängerung zur Absolvierung eines Aufbauseminars nach § 2a StVG; Interessenabwägung bei Berufskraftfahrer

Aktenzeichen  3 M 48/22

Datum:
3.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0603.3M48.22.00
Normen:
§ 2a StVG
§ 2a Abs 6 StVG
§ 60 Abs 5 VwGO
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend VG Magdeburg, 2. Mai 2022, 1 B 4/22 MD, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg – 1. Kammer – vom 2. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.750,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg – 1. Kammer – vom 2. Mai 2022 bleibt ohne Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 15. Dezember 2021 und 30. Dezember 2021 zu Recht nicht wiederhergestellt bzw. angeordnet. Der Bescheid vom 15. Dezember 2021, mit dem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen (Ziffer 1) und unter Anordnung des Sofortvollzuges (Ziffer 3) die unverzügliche Abgabe des Führerscheins bis spätestens 28. Dezember 2021 aufgegeben (Ziffer 2) sowie ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € für den Fall der Nichtabgabe seines Führerscheines angedroht worden ist (Ziffer 4), erweist sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein veranlassten überschlägigen Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Bescheids vom 30. Dezember 2021, mit dem der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € wegen der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins festgesetzt hat. Der Antragsgegner hat gestützt auf § 2a Abs. 3 StVG dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (auf Probe) in rechtlich nicht zu beanstandender Weise entzogen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere rechtliche oder tatsächliche Bewertung.
1. Mit der Beschwerde wendet der Antragsteller ein, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft festgestellt, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, unverschuldet an der Einhaltung der bis zum 16. November 2021 gesetzten Frist zur Durchführung eines Aufbauseminars gehindert gewesen zu sein. Vielmehr habe er – im erstinstanzlichen Verfahren – an Eides statt versichert, dass er an einem Aufbauseminar habe teilnehmen wollen, jedoch hätten die Fahrschule M. in F-Stadt, die Fahrschule Z. in F-Stadt, die Fahrschule K. in F-Stadt und die Fahrschule Z. in H-Stadt, bei denen er sich habe anmelden wollen, mangels ausreichender Teilnehmerzahl kein Seminar durchgeführt und ein Einzelunterricht sei nicht möglich gewesen.
Das Beschwerdevorbringen berücksichtigt nicht, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unter Bezugnahme auf die obergerichtliche Rechtsprechung (SchlHOVG, Beschluss vom 31. März 2021 – 5 MB 39/20 – juris) darauf abgestellt hat, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis bei – wie hier behaupteter – unverschuldeter Säumnis gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann verstoßen könne, wenn ein Fahranfänger rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Frist unter gleichzeitiger substantiierter Darlegung der Hinderungsgründe sowie der Äußerung des erkennbaren Willens, das Aufbauseminar bei nächster Gelegenheit zu absolvieren, gestellt habe. Selbst wenn – entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts – in dem Schreiben des Antragstellers von 3. November 2021, mit dem dieser aufgrund beruflicher Gründe die Genehmigung der Durchführung eines Einzelseminars beantragt hat, mit der Beschwerde ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung zu erblicken wäre, hat der Antragsteller in diesem Antrag keine substantiierten Hinderungsgründe dafür vorgetragen, weshalb er in dem ihm zur Verfügung stehenden Zeitraum von knapp drei Monaten an der Durchführung eines Aufbauseminars gehindert gewesen sein soll. Seine berufliche Einbindung (Vollzeit im Schichtsystem und am Wochenende) genügt für sich betrachtet nicht, zumal sich der Antragsteller weder im behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren darauf beruft noch die Beschwerde hierauf abhebt.
Erstmals nach Fristablauf hat der Antragsteller im Verfahren der Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis mit anwaltlichen Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 mitteilen lassen, dass er der Anordnung habe Folge leisten wollen und bei „der Aufbauseminarstelle“ mehrfach einen Termin erbeten habe, jedoch zurückgewiesen worden sei. Selbst wenn – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – damit eine nachträgliche Fristverlängerung in Betracht zu ziehen wäre, scheitert eine solche – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – an der gleichzeitigen hinreichenden Substantiierung, hinsichtlich welcher Aufbauseminarstelle sich der Antragsteller erfolglos bemüht haben will (vgl. Beschlussabdruck S. 3 [4. Absatz]). Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht, sondern bezieht sich allein auf die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers. Hinderungsgründe bzw. ihre Substantiierung, die erst im Widerspruchs- oder gerichtlichen Verfahren nach der Entziehung der Fahrerlaubnis vorgebracht werden, sind indes unbeachtlich.
Dessen ungeachtet, zeigen der anwaltliche Schriftsatz vom 2. Dezember 2021, das Widerspruchsvorbringen und das erstinstanzliche Vorbringen einschließlich der vorgelegten – undatierten – eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers nicht auf, dass sich der Antragsteller rechtzeitig bei allen im Landkreis ansässigen und von dem Antragsgegner vorgeschlagenen neun Anbietern um die Teilnahme an einem Aufbauseminar bemüht haben will bzw. weshalb die vorgeschlagenen Seminarstellen von vornherein nicht geeignet gewesen sein sollen. Die Beschwerde beschränkt sich darauf, pauschal zu behaupten, dass die Ausführungen des Antragsgegners, der Aufbauseminare in den Raum gestellt habe, die schon vor der hiesigen Anordnung stattgefunden hätten, widerlegt seien, ohne im Ansatz darzulegen, welche Aufbauseminare dies konkret betrifft und dass sich dadurch das Angebot an Aufbauseminaren im Landkreis erschöpft hat. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht den Antragsteller hinsichtlich der Teilnahme an einem Aufbauseminar weder auf das gesamte Bundesgebiet verwiesen noch verlangt, sein bundesweites Bemühen um Teilnahme glaubhaft zu machen. Vielmehr hat es hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit des Antragstellers in B-Stadt darauf aufmerksam gemacht, dass der Antragsteller vom Antragsgegner darauf hingewiesen worden sei, dass die Teilnahme am Aufbauseminar nicht auf den Salzlandkreis beschränkt sei, sondern in ganz Deutschland habe erfolgen können (vgl. Beschlussabdruck S. 3 [4. Absatz]).
2. Soweit eingewendet wird, das Verwaltungsgericht folge zu Unrecht dem Antragsgegner darin, dass „das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zum Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und zur Ausschließung eines erheblichen Gefahrenpotentials“ vorliege, ist nicht hinreichend erkennbar, ob die Beschwerde berücksichtigt, dass dem Widerspruch gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe infolge der Nichtteilnahme an einem behördlich angeordneten Aufbauseminar binnen der festgesetzten Frist (§ 2a Abs. 3 StVG) nach § 2a Abs. 6 Alt. 2 StVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt, mithin – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – Ziffer 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 15. Dezember 2021 kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (vgl. Beschlussabdruck S. 4 [3. Absatz]).
Das Gericht hat bei seiner eigenen originären Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners sowie die betroffenen Interessen Dritter und der Allgemeinheit nach denselben Grundsätzen gegeneinander abzuwägen wie die Ausgangsbehörde bzw. die Widerspruchsbehörde nach § 80 Abs. 4 VwGO. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Hauptsacheklage überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der Hauptsacheklage das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes oder fehlende Erfolgsaussichten des Widerspruchs/der Klage führen jedoch nicht dazu, dass eine Interessenabwägung entbehrlich wäre (Art. 19 Abs. 4 GG). In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung wirkt sich mithin auf die Anforderungen an die Interessenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus. Hat sich der Gesetzgeber – wie hier gemäß § 2a Abs. 6 StVG – für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist. Ein Antragsteller hat daher die Wertung des Gesetzgebers mit Besonderheiten seiner Situation zu entkräften und Wege aufzeigen, die gleichwohl den öffentlichen Belangen noch Rechnung tragen. Dabei sind die Folgen, die sich für den einzelnen Betroffenen mit dem Sofortvollzug verbinden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben (zum Ganzen: vgl. OVG LSA, Beschluss vom 23. April 2015 – 1 M 45/15 – juris Rn. 3 ff. m.w.N.). Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sein außerhalb einer geschlossenen Ortschaft ohne Alkoholeinfluss begangener Geschwindigkeitsverstoß nicht schwerwiegend und verkehrsgefährdend gewesen sei. Eine Auseinandersetzung mit der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 2a Abs. 6 StVG findet weder statt noch zeigt die Beschwerde auf, dass die sich für den Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbindenden Folgen nicht schon regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung sind. Zwar trägt der Antragsteller vor, Berufskraftfahrer zu sein und aufgrund der Entziehung der Fahrerlaubnis seinen Beruf nicht mehr ausüben und seine Familie nicht mehr ernähren zu können. Hierbei handelt es sich jedoch um Folgen, die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis regelmäßig einhergehen, wenn eine Fahrerlaubnis auch beruflich genutzt wird. Abgesehen davon bleibt es dem Antragsteller unbenommen, die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu beantragen; eine gesetzliche Sperrfrist besteht nicht.
Im Übrigen betrafen die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung allein die in Ziffer 2 des Bescheides vom 15. Dezember 2021 enthaltene Aufforderung, den Führerschein bis spätestens 28. Dezember 2021 abzugeben (vgl. Beschlussabdruck S. 4 [letzter Absatz]). Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 FeV besteht nach der Entziehung der Fahrerlaubnis die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wird – ohne dass sich die Beschwerde hiermit auseinandersetzt – auch damit begründet, dass der Besitz des Führerscheins bei einer Polizeikontrolle zu dem Eindruck führen könnte, dass der Antragsteller noch im Besitz der (entzogenen) Fahrerlaubnis sei. Anders gewendet: Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller gleichwohl am Straßenverkehr teilnehmen wird. Ausgehend von den allein den konkreten Verkehrsverstoß des Antragstellers betreffenden Einwendungen der Beschwerde gegen die Anordnung des Sofortvollzugs (kein schwerwiegender, verkehrsgefährdender Geschwindigkeitsverstoß) ist der Schluss nicht fernliegend, dass der Antragsteller meinen könnte, von seinem Führerschein – ungeachtet des sofort vollziehbaren Fahrerlaubnisentzugs – Gebrauch machen zu können, d.h. am Straßenverkehr ohne Fahrerlaubnis teilnehmen zu dürfen. Folglich besteht an der Ablieferung des Führerscheins ein überwiegendes öffentliches Interesse, um andere Verkehrsteilnehmer vor einem Kraftfahrzeugführer zu schützen, der seine Fahreignung nicht nachgewiesen hat.
II. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Nrn. 46.3, 1.5 und 1.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der verwaltungsgerichtlichen Festsetzung.
III. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.


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