Verkehrsrecht

Medizinisch-psychologisches Gutachten, Entziehung der Fahrerlaubnis, Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Fahrerlaubnisbehörde, Trunkenheit im Verkehr, Führen von Kraftfahrzeugen, Trunkenheitsfahrt, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Fahreignungsregister, Widerspruchsbescheid, Gutachtenanordnung, Kein Gutachten, Verkehrszentralregister, Blutalkoholkonzentration, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Verwirkung, Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, Fahrerlaubnisentziehung

Aktenzeichen  M 6 K 18.2545

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41307
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1 und Abs. 3
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 c)

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Klä-ger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwen-den, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also hier der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der gerichtlichen Überprüfung einer Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist (Bay VGH, U.v. 17.1.2020 – 11 B 19.127 – juris), ist hier nicht einschlägig, da dem Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht untersagt wurde fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, da er das geforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht beigebracht hat (§ 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG -, § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -) bzw. seine Nichteignung aufgrund des Gutachtens der BAD vom 10. September 2013 feststeht (§ 3 Abs. 1 StVG; § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV).
2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinischpsychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr führt. Darunter fällt auch die erstmalige Fahrt mit einem Fahrrad (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 5).
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt ebenso bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gem. § 11 Abs. 7 FeV auch die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens. Verbleiben Zweifel an seiner Fahreignung, sind dagegen gem. § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. §§ 11 Abs. 8 FeV weitere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.
2.2 Die Fahrerlaubnisbehörde ist davon ausgegangen, dass der Kläger am *. April 2012 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,73 Promille im öffentlichen Straßenverkehr mit seinem Fahrrad gefahren ist und hat deshalb gem. § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens angeordnet. Da der Kläger das Gutachten vorgelegt hat, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten. Einem Verwertungsverbot steht auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (BayVGH in st. Rspr. z.B. B.v. 5.11.2019 – 11 CS 19.1336 – juris m.w.N).
Das Fahreignungsgutachten der BAD aufgrund der Untersuchung vom 10. September 2013 kam zu dem abschließenden Ergebnis, dass zu erwarten ist, dass der Kläger zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch mit einem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr auffällig wird und als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorliegen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage stellen. Das Fahreignungsgutachten ist auch nachvollziehbar, obwohl der Kläger bei Begehung der Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad und nicht mit dem Kraftfahrzeug unterwegs war. Auf die Frage des Gutachters, ob es durch Alkohol bisweilen zu einem Kontrollverlust oder einem Filmriss gekommen sei, hatte der Kläger verneint und angegeben, nur an diesem Abend habe er nicht mehr die Kontrolle über sein Trinkverhalten gehabt. Diesen Kontrollverlust hatte er auf die „Erzählerei“ und „Euphorie“ zurückgeführt (Seite 18 des Gutachtens; Blatt 187 der Behördenakte). Die Schlussfolgerung des Gutachtens, dass bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht von einer stabilen und dauerhaften Verhaltensveränderung ausgegangen werden könne, sodass die Gefahr für ein weiteres alkoholbedingtes Fehlverhalten im Straßenverkehr weiterhin bestehe, ist ebenso nachvollziehbar, wie die Schlussfolgerung, dass Ursache dafür, dass der Kläger seinen Vorsatz, nie mit mehr als 3 Halben Bier Fahrrad zu fahren, gebrochen habe, der Rauschzustand gewesen sei, in dem der Kläger die Durchsetzung seiner Vorsätze nicht mehr habe kontrollieren können. Deshalb erschien plausibel, dass der Kläger auch seinen Vorsatz, nie alkoholisiert Auto zu fahren, im Falle eines Rauschzustandes nicht einhalten kann. Insofern sah der Gutachter bei dem offenbar immer noch bestehenden übermäßigen Alkoholkonsum auch die Gefahr einer Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug (Seite 20 des Gutachtens, Blatt 188 der Behördenakte). Das Ergebnis des Gutachtens ist somit schlüssig hergeleitet und nachvollziehbar.
2.3 Unabhängig davon, dass das vorgelegte Gutachten eine neue selbständige Tatsache geschaffen hat, ist die Gutachtensanordnung vom 3. Juli 2013 auch zu Recht erfolgt. Das spätere Vorbringen des Klägers, er sei tatsächlich nicht auf dem genannten Fuß- und Radweg gefahren, sondern auf der daneben gelegenen Wiese überzeugt nicht. Aufgrund des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts M* … steht der genannte Sachverhalt fest. Zwar ordnet § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 StVG eine Bindungswirkung an die Feststellung des Sachverhalts in einem Strafverfahren nur insoweit an, als nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers vom Inhalt des Urteils oder Strafbefehls abgewichen werden darf. Jedoch können nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH – B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris m.w.N.), der sich das erkennende Gericht anschließt, die Fahrerlaubnisbehörde oder das Verwaltungsgericht auch sonst grundsätzlich von den für die fahreignungsrelevanten strafrichterlichen Feststellungen ausgehen. An diesen Feststellungen muss sich der Betroffene festhalten lassen, sofern nicht ausnahmsweise gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen, insbesondere neue Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 Nr. 5 Strafprozessordnung – StPO – vorliegen, die für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil sprechen. Der Vortrag des Klägers, er habe den genannten Weg nicht befahren, sondern lediglich die Wiese neben dem Weg, genügt hierfür ebenso wenig, wie die von ihm filmisch nachgestellte Szene, die er dem Gericht mittels USB-Stick zukommen ließ.
2.4 Zwar stand die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen (wie oben dargelegt) bereits aufgrund des BAD Gutachtens fest, so dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV hätte erfolgen müssen. Jedoch wollte die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger aufgrund des mittlerweile verstrichenen Zeitraums erneut Gelegenheit geben, die Zweifel an seiner Nichteignung auszuräumen. Dass die Behörde die Fahrerlaubnisentziehung letztlich auf § 11 Abs. 8 FeV stützte ist unschädlich, da im Ergebnis keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können (vgl. auch BayVGH, B.v. 21.01.2019 – 11 ZB 18.2066 – juris).
2.5 Die Beklagte, die weder hinsichtlich der erstmaligen Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens noch hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis einen Ermessensspielraum hatte, war auch nicht durch Zeitablauf an der Entziehung der Fahrerlaubnis gehindert.
Eine „Verwirkung“ kommt zum einen solange nicht in Betracht, solange die Tat im Verkehrszentralregister bzw. Fahreignungsregister eingetragen ist. Resultieren Zweifel an der Fahreignung einer Person aus Umständen, die in das Verkehrszentralregister einzutragen sind, so beantwortet sich die Frage, innerhalb welcher Zeitspanne dieser Sachverhalt zum Anlass für die Forderung nach Beibringung eines Fahreignungsgutachtens gemacht werden darf, grundsätzlich nach den für dieses Register geltenden Tilgungs- und Verwertungsvorschriften. Ist der anlassgebende Sachverhalt danach noch verwertbar, ist für eine weitere einzelfallbezogene Prüfung dahingehend, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen, im Regelfall kein Raum mehr (BayVGH – 6.5.2008 – 11 CS 08.551). Die fahrlässige Trunkenheit im Verkehr war sowohl zum Zeitpunkt der Gutachtensanordnungen wie auch noch zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids zur Entziehung der Fahrerlaubnis im Verkehrszentralregister/Fahreignungsregister eingetragen.
Überdies setzt Verwirkung neben dem Zeitmoment zusätzlich ein Umstandsmoment voraus, aus dem der Betroffene schließen durfte, dass die Behörde nunmehr nicht mehr tätig werden würde. Zwar war die Beklagte nach Rücksendung der Akten durch die … GmbH annähernd 3 Jahre untätig geblieben und hat das Verfahren nicht mit dem gebotenen Nachdruck betrieben, das bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch gehalten wäre, zum Schutz der Verkehrssicherheit gebotene fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen zu unterlassen. Es kann dahinstehen, ob eine Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2014 – 11 C 14.386 – juris Rn. 20). Voraussetzung für eine Verwirkung wäre jedenfalls, dass neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums weitere Umstände hinzukommen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, die Behörde werde von ihrer Befugnis auch künftig keinen Gebrauch mehr machen (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005 – DAR 2014, 281 Rn. 7). Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hatte den Kläger auf dessen eigene Anträge hin mit Schreiben vom 8. Juli 2014 zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens aufgefordert und die Akten der … GmbH zugeleitet. Darauf hat der Kläger nicht mehr reagiert und die Akten trafen am 27. August 2014 wieder bei der Behörde ein. Ein von der Behörde im Folgenden geschaffener Vertrauenstatbestand ist nicht ersichtlich. Von der Möglichkeit, seine Fahreignung durch Beibringung des zuletzt mit Schreiben vom 29. Juni 2017 geforderten medizinischpsychologischen Gutachtens nachzuweisen und hierdurch die Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.
3. Da die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war, ist auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins §§ 3 Abs. 2 StVG, § 47 Abs. 1 FeV nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung wird auf die Begründung des behördlichen Bescheids verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.


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