Verkehrsrecht

Mehrfache Abschleppkosten, Nutzungsausfallschaden und Wertminderung bei einem verunfallten Cabrio

Aktenzeichen  10 O 4251/15

Datum:
5.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31436
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 254
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Kosten für mehrmaliges Abschleppen des bei einem Unfall beschädigten Fahrzeugs sind erstattungsfähig, wenn das Fahrzeug nach dem Unfall sofort die Unfallstelle verlassen muss, aufgrund (dort) hoher Verwahrkosten unter Schadensminderungsgesichtspunkten aber eine anschließende Verbringung an einen anderen Abstellplatz notwendig wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Verunfallt der Fahrzeugeigentümer mit seinem Cabrio und besitzt er daneben einen weiteren Pkw als „Winterfahrzeug“, den er sodann für die (hier: mehrmonatige) Reparaturzeit des Cabrios zulässt und nutzt, kann ihm ein Nutzungsausfallschaden nur für jenen Zeitraum zustehen, in welchem ihm keines seiner beiden Fahrzeuge zur Verfügung stand. (redaktioneller Leitsatz)
3. Beim Verkauf hochpreisiger (gebrauchter) Pkw liegt eine Einschränkung des potentiellen Käuferkreises vor, so dass die Unfallfreiheit des Fahrzeugs eine verhältnismäßig größere Rolle spielt, als bei günstigeren und häufigeren Fahrzeugtypen; dies spiegelt sich bei einem Unfallfahrzeug in einer überproportionalen Wertminderung wider. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.506,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.09.2015 sowie weitere 650,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.09.2015 zu zahlen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 91% und die Beklagte 9% zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 71.846,44 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Dem Kläger steht der Anspruch nur in der ausgeurteilten Höhe zu.
Dieser ergibt sich aus der Summe von 1.077,61 € (diverse Rechnungen), 425,14 € (Abschleppkosten) und 5.000,00 € (merkantiler Minderwert).
Zunächst verweist das Gericht auf die im Beschluss vom 27.07.2016 und in der Verfügung vom 06.10.2016 erteilten Hinweise und macht diese vollumfänglich zum Inhalt der Urteilsbegründung.
Dem Kläger stehen die Ansprüche dem Grunde nach zu. Dies ist zwischen den Partein unstreitig.
Die Höhe des Schadensersatzanspruchs ergibt sich – auch bei Ansprüchen nach dem StVG – aus den §§ 249 ff. BGB. Bei Anwendung dieser Vorschriften ergibt sich zu den einzelnen Schadenspositionen folgendes:
I.
Rettungsdienst, Notarzt usw.
Die Beklagte ist verpflichtet die Kosten zu erstatten. Der Anspruch ergibt sich aus § 249 BGB. Die Kosten sind zur notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers angefallen. Dies wurde auch nicht bestritten. Nach den mündlichen Verhandlungen, dem schriftsätzlichen Vorbringen der Parteien und den vorgelegten Unterlagen steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger die entsprechenden Kosten entstanden und diese nicht von Dritten getragen wurden. Eine weitergehende Beweisaufnahme hierzu war nicht notwendig.
Es ergibt sich hierbei ein Anspruch in Höhe von 1.077,61 €.
II. Abschleppkosten
Zunächst wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss vom 06.10.2016 verwiesen.
Hinsichtlich der Rechnung K5 ergibt sich nach Schätzung des Gerichts (§ 287 BGB) nach Ermittlung der hierfür notwendigen Gesichtspunkte ein Anspruch in Höhe von 680 €.
Im Übrigen hält das Gericht die beanspruchten Kosten hinsichtlich des Abschleppens, des Nachtzuschlages und der Vermittlungsgebühr für überhöht. Demgegenüber hat der Kläger schlüssig dargelegt, weshalb der Pkw insgesamt dreimal von einem Ort zum anderen geschleppt werden musste. Diese Aufwendungen waren auch erforderlich zur Schadensbehebung. Insbesondere musste der Pkw nach dem Unfall sofort die Unfallstelle verlassen. Eine Verwahrung bei einer Vertragswerkstatt bis zur Reparatur wäre nach Kenntnis des Gerichts teurer oder unmöglich gewesen. Aufgrund der hohen Verwahrkosten von 17,00 € pro Tag war es aus Kostenminderungsgründen (§ 254 BGB) auch notwendig, den Pkw an einen anderen Abstellplatz zu verbringen. Insofern verhält sich die Beklagte auch widersprüchlich, wenn sie eine Verwahrung über 14 Tage hinaus nicht für angemessen hält und nicht zahlen möchte und auf der anderen Seite noch am 29.07.2014 eine Nachbegutachtung durchführt und dennoch keinen Anspruch auf die Verbringung des Pkw an einen anderen Unterstellplatz erkennen mag. Zudem fehlte es an schlüssigem Vortrag der Beklagten dazu, dass der Kläger den Pkw in zumutbarer Weise günstiger hätte verwahren lassen können.
Hinsichtlich der Rechnung K6 wurden von der Beklagten keine Einwände vorgebracht. Diese Kosten sind nach Überzeugung des Gerichts vollständig erforderlich und angemessen und somit vollständig zu leisten. Insofern ergibt sich ein Anspruch in Höhe von 144,00 €.
Nach Abzug des bereits geleisteten Betrages von 394,84 € ergibt sich eine zu erstattende Differenz von 429,16 €.
III. Nutzungsausfallschaden
1. Ein über den bereits erstatteten Zeitraum hinausgehender Nutzungsausfallschaden steht dem Kläger nicht zu. Auf die entsprechenden Hinweise wird verwiesen.
Grundsätzlich bestehen bereits dogmatische Bedenken gegen die Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs für entgangene Nutzungsmöglichkeit, wonach der Geschädigte auch dann, wenn er keine Aufwendungen zur Überbrückung des Ausfalls der beschädigten Sache gemacht hat, eine Entschädigung beanspruchen kann. Nicht ohne Grund wird diese Rechtsfigur gelegentlich als „ohne dogmatische Fundierung aus reinen Billigkeitserwägungen hergeleitete und von fragwürdigen Rechtfertigungsversuchen gestützte, hinsichtlich ihres Anwendungsbereiches zersplitterte und im Schrifttum überwiegend abgelehnte Judikatur, die auch in anderen Rechtsordnungen kaum Parallelen hat“, bezeichnet (so: Greger/Zwickel in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 25, Rn. 50).
Jedenfalls besteht auch nach der Rechtsprechung des BGH aber kein Anspruch, wenn dem Geschädigten ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stand. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt Nutzungsersatz nur für einen der vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung des Wirtschaftsgutes vergleichbaren eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der betreffenden Sache in Betracht, BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – VI ZA 40/11 -, Rn. 5, juris. Mit diesem nicht gleichzusetzen ist der die Lebensqualität erhöhende Vorteil der Möglichkeit, ein besonderes Fahrzeug zu benutzen, vgl. BGH a.aO. zu einem Motorrad und Urteil vom 10. Juni 2008 – VI ZR 248/07 zu einem Wohnmobil.
Letztlich begründet der BGH die (fragwürdige) Figur des Nutzungsausfallschadens hier mit dem tatsächlichen Nutzungswert eines Pkw als Fortbewegungs- und Transportmittel, der einem wirtschaftlichen Schaden gleichstehe. Alles, was über die Möglichkeit der Fortbewegung und der Beförderung hinausgeht, ist nicht ersatzfähig, vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. November 2011 – I-1 U 50/11 -.
Nachdem dem Kläger ein anderer Pkw zur Verfügung stand, bestand kein Anspruch.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch zu, der sich daraus begründen ließe, dass er Vorhaltekosten aufbringen musste. Die Voraussetzungen hierfür wurden auch nach entsprechendem Hinweis des Gerichts nicht schlüssig vorgetragen.
IV. Merkantiler Minderwert
Dem Grunde nach besteht ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz des merkantilen Minderwerts als echter wirtschaftlicher Schaden, welcher darin besteht, dass ein Unfall-Pkw trotz fachgerechter Reparatur einen geringeren Marktwert hat, als ein unfallfreier Pkw.
Die Höhe des merkantilen Minderwerts war nach § 287 BGB zu schätzen. Hierzu hat sich das Gericht sachverständig beraten lassen.
Das Gericht schätzt nach vollständiger Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung der schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Po. den merkantilen Minderwert auf 10.000,00 €.
1. Dazu wird zunächst auf die Gutachten vom 26.04.2017, vom 04.10.2017 und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2018 verwiesen.
2. Die sachverständigen Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Po. macht sich der Einzelrichter zu Eigen. Der Sachverständige hat die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen einschließlich des Parteigutachtens (Anlage BLD 1) und der Angebote in den Anlagen K9 und K10 sowie K14 umfassend ausgewertet und der Begutachtung zugrunde gelegt. Entsprechend überzeugend hat er auf die Fragen und Einwendungen der Parteien hin seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2018 ergänzend begründet und widerspruchsfrei dargelegt.
3. Der Sachverständige gab hierbei an, dass seiner Einschätzung nach ein merkantiler Minderwert in einem Bereich zwischen 8.000 und 11.000 € verbleibe. Nach Ansicht des Gerichts ist hierbei eine Schätzung im höheren Bereich dieser Spanne angemessen, weil die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte, die für eine Erhöhung der Minderwertes sprechen vom Gericht entsprechend bewertet werden. So ergibt sich insbesondere aus dem hohen Preis des Pkw eine Einschränkung des potentiellen Käuferkreises, wobei die Unfallfreiheit eine verhältnismäßig größere Rolle spielt, als bei günstigeren und häufigeren Fahrzeugtypen.
4. Der Sachverständige begründete auch nachvollziehbar, dass die Berechnung des Klägers hinsichtlich des Minderwerts fehlerhaft gewesen ist. Vergleichen könne man nur Händlereinkaufspreise unfallfreier Fahrzeuge mit Händlereinkaufspreisen verunfallter Fahrzeuge. Ein Vergleich von Einkaufspreisen mit Verkaufspreisen lasse einen Rückschluss auf den Minderwert nicht zu, weil hierbei die Marge der Händler unberücksichtigt bleibe.
5. Auch diese Händlermarge stellt für das Gericht einen Grund dar, den Minderwert eher höher in der vorgefundenen Spanne zu schätzen. Anders als bei günstigeren und gängigeren Fahrzeugen dürfte es beim streitgegenständlichen Pkw für den Kläger als Geschädigten deutlich schwieriger sein, seinen Pkw selbst an einen neuen Endkunden weiterzuverkaufen. Dazu hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass bei derartigen Fahrzeugen der Privatmarkt kaum eine Rolle spiele (vgl. Protokoll S. 5).
6. Von dem merkantilen Minderwert von 10.000 € müssen die bereits geleisteten 5.000,00 € in Abzug gebracht werden, so dass ein darüber hinausgehender Anspruch in Höhe von 5.000 € verbleibt.
V. Verzugszinsen
Dem Kläger steht hinsichtlich der berechtigten Forderungen ein Anspruch auf Verzinsung seit Rechtshängigkeit zu gem. §§ 291, 288 BGB zu. Ein weitergehender Zinsanspruch besteht nicht. Sofern der Kläger Verzugszinsen seit dem 20.05.2014 begehrte, fehlte es an jedweden Vortrag dazu, woraus sich der Anspruch dazu ergab. Die Voraussetzungen des Zinsanspruchs wurden von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25.11.2015 bestritten. Die Klagepartei hat ihren Vortrag hierzu nicht ergänzt. Auch aus den Anlagen ergab sich keine Mahnung oder sonstige verzugsbegründende Gesichtspunkte.
VI. Vorprozessuale Rechtsanwaltskosten
Die Beklagte hat dem Kläger Kosten vorgerichticher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € zu ersetzen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf vorgerichtiche Rechtsanwaltskosten im Rahmen der Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB zu, sofern diese zur Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren. Das ist nur in dem Umfang der Fall, wie ein berechtigter Anspruch geltend gemacht wurde. Aus der Höhe der berechtigten Forderung von 6.502,75 € ergibt sich eine 1,3 Geschäftsgebühr von 526,50 € netto, zuzüglich 20,00 € Pauschale zuzüglich MWSt in Höhe von 19%.
VII. Kosten
Die Kostentragungslast ergibt sich aus § 92 ZPO. Das Gericht ging – dem Schriftsatz des Klägers vom 12.09.2016 folgend – von einem Gesamtstreitwert von 71.846,44 € aus, wovon 5.000 € auf die inzidente Feststellung eines entsprechenden Minderwertes entfielen. Die Beklagte unterliegt in dem Umfang, in dem ein Anspruch zugesprochen wurde. Dies sind etwas über 9% des Gesamtstreitwertes. Im Übrigen trägt der Kläger die Kosten.
VIII.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
IX.
Hinsichtlich des Streitwertbeschlusses wird auf VII verwiesen. Eine Reduktion des Streitwertes erfolgte durch die Antragsänderung des Klägers nicht, da der ursprüngliche Antrag in der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2016 bereits gestellt war.


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