Verkehrsrecht

Neuerteilung der Fahrerlaubnis – MPU als Voraussetzung

Aktenzeichen  B 1 K 18.572

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21861
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2
StGB § 316 Abs. 1, Abs. 2, § 69, § 69a
FeV § 13 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 20 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine einmalig gebliebene Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille genügt ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände nicht, um als sonstige Tatsache iSd § 13 S. 1 Nr. 2 FeV die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2018 verpflichtet, dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen.
2.Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet. 

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache Erfolg.
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis. Die Beklagte hat den entsprechenden Antrag des Klägers wegen der nicht erfolgten Vorlage eines Gutachtens einer medizinisch-psychologischen Begutachtungsstelle für Fahreignung zu Unrecht abgelehnt, da vorliegend ein solches Gutachten nicht gefordert werden durfte. Die Beklagte ist daher zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen, unter denen von der Fahrerlaubnisbehörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Fahrerlaubnis bei Vorliegen einer Alkoholproblematik eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu fordern ist, sind in § 13 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) festgelegt. Hiernach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn nach einem gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV eingeholten ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a). Gleiches gilt, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e). Diese Regelungen gelten auch im Falle einer Neuerteilung nach einer Entziehung, was § 20 Abs. 1 FeV ausdrücklich klarstellt.
Mit den Tatbeständen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV erfasst der Verordnungsgeber verschiedene Lebenssachverhalte, die je selbständig zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichten. Diese Tatbestände stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr hat der Verordnungsgeber mit ihnen einen Rahmen geschaffen, bei dessen Ausfüllung auch die jeweils anderen Tatbestände und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen sind. Das gilt namentlich für die Tatbestände des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV. Lag die Blutalkoholkonzentration, mit der ein Fahrzeug geführt wurde, unter 1,6 Promille und wurde keine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen, so ist nach diesen Bestimmungen die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Diese Grundentscheidung des Verordnungsgebers ist nicht anders als im Rahmen eines Regelbeispielskatalogs bei der Auslegung des Tatbestands des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu beachten. Eine einmalig gebliebene Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille genügt ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände nicht, um als sonstige Tatsache im Sinne dieses Tatbestands die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen (vgl. BVerwG, U.v. 06.04.2017 – 3 C 24/15 – juris, Rn. 16 ff.).
Im vorliegenden Fall liegt nur eine Trunkenheitsfahrt mit einer festgestellten BAK von 1,47 Promille vor. Die Varianten des § 13 Satz 1 Nr. 2b und 2c) FeV sind somit nicht einschlägig. Sonstige Zusatztatsachen im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2a) Var. 2 FeV liegen ebenfalls nicht vor. Durch das Gericht konnte nicht festgestellt werden, dass nur durch das polizeiliche Einschreiten am 08.04.2017 eine (weitere) Trunkenheitsfahrt des Klägers verhindert werden konnte (hierzu unter Buchst. a). Auch liegt keine der anerkannten Fallgruppen vor, welche die Anordnung einer MPU auf Grund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK unter 1,6 Promille rechtfertigen würde (hierzu unter Buchst. b).
a) Die durchgeführte mündliche Verhandlung hat ergeben, dass keine hinreichend belastbaren Tatsachen gegeben sind, die dafür sprechen, dass der Kläger am 08.04.2017 noch alkoholisiert nach Hause gefahren wäre, wenn die Polizei nicht seinen Zündschlüssel sichergestellt hätte. Vielmehr stützt sich dies auf die Vermutung der Polizisten, die die Angaben des Klägers an jenem Abend für nicht glaubhaft hielten und in der in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben haben, dass sie auf jeden Fall einer möglichen Alkoholfahrt vorbeugen wollten.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, am 08.04.2017 zunächst in der Stadt beim Essen gewesen zu sein, weil es noch etwas früh gewesen sei. Man habe bereits zu Beginn des Abends den Plan gehabt, Alkohol am Auto zu konsumieren bevor man in die Stadt gehe, weshalb der Zeuge H. schon vorab die Alkoholika besorgt habe. Das Auto habe er extra dort geparkt, wo es erlaubt sei, um nach dem Diskobesuch nach Hause laufen zu können und keinen Strafzettel zu erhalten. um von einem Vorglühen zu sprechen, lassen die Gesamtumstände den vom Kläger und dem Zeugen H. geschilderten Plan als durchaus möglich erscheinen. Dass ein längeres Parken (über Nacht) an dieser Stelle nicht erlaubt gewesen wäre, wurde von keinem der Zeugen ausgesagt. Ein beabsichtigter Besuch der vom Kläger benannten Diskothek wäre ebenfalls noch möglich gewesen. Nach Angaben des Klägers, des Zeugen H. und der Zeugin L., sind an Samstagen in der …Innenstadt zwei Diskotheken bis um 05:00 Uhr morgens geöffnet. Auch ein „Vorglühen“ vor einem Diskobesuch erscheint nicht so außergewöhnlich – wenn auch die Zeitspanne zwischen der vom Kläger angegebenen Beendigung des Essens (gegen 22.00 Uhr) und der Kontrolle durch die Polizeibeamten (ca. 4 Stunden) außergewöhnlich lang ist -, dass alleine deshalb die Angaben als unglaubhaft bewertet werden könnten, und mit einer baldigen Weiterfahrt des Klägers zu rechnen gewesen wäre. Schließlich ist die Wohnadresse des Zeugen H, wo der Kläger und der Zeuge nach dessen Aussage hätten übernachten wollen, nach den Angaben des Zeugen H. in 10 bis 15 Minuten zu erreichen, dies gilt auch für die Wohnung des Klägers.
Die Zeugen C. und L. haben im Ergebnis ausgesagt, dass ihr Handeln lediglich präventiven Charakter hatte, um eine mögliche Trunkenheitsfahrt zu verhindern. Nach deren übereinstimmenden Aussagen hat der Kläger den Zündschlüssel auch – ohne Widerworte oder Widerstand – „freiwillig“ übergeben. Einen konkreten Hinweis oder gar Beweis dafür, dass der Kläger tatsächlich den Plan gehabt hätte, in dieser Nacht noch zu fahren, konnte keiner der Zeugen benennen. Der Zeuge C. hat ausgeführt, dass er aus der Gesamtsituation geschlossen habe, dass es nicht vollkommen sicher gewesen sei, dass der Kläger das Fahrzeug nicht mehr benutzen werde (vgl. S. 4 der Niederschrift). Die Zeugin L hat ausgeführt, dass der Kläger gesagt habe, er werde auf keinen Fall mehr mit dem Auto heimfahren. Das sei für sie aber nicht überzeugend gewesen. Die Absicht ihres Handelns sei gewesen, präventiv vorzugehen und auf jeden Fall einer eventuellen Alkoholfahrt vorzubeugen (vgl. S. 6 der Niederschrift). Damit lässt sich auch den Aussagen der Polizeibeamten nicht entnehmen, dass der Kläger sicher vorgehabt hätte, in dieser Nacht noch selbst mit dem Auto nach Hause zu fahren, vielmehr handelt es sich um Spekulationen.
Im Ergebnis kann damit der Vorfall vom 08.04.2017 wegen der nicht feststellbaren Absicht des Klägers, in einem die Fahreignung ausschließenden Alkoholisierungszustand sein Fahrzeug führen zu wollen, nicht als sonstige Tatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2a) Alt. 2 FeV gewertet werden. Für das Vorliegen von Tatsachen in diesem Sinne sind Mutmaßungen, Bedenken, subjektive Werturteile, Behauptungen, ein Verdacht oder sonstige Annahmen nicht ausreichend (vgl. Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 13 FeV Rn. 41).
b) In Fällen, in denen nur eine einmalige Alkoholfahrt mit einem Blutalkoholgehalt von unter 1,6 Promille inmitten steht, ist die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur erlaubt, wenn zusätzlich konkrete Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinne, also dafür vorliegen, dass der Betroffene generell zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und dem Fahren nicht zu trennen vermag. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Betroffene jeden Abend große Mengen Alkohol trinkt und jeden Morgen zur Berufsausübung ein Kraftfahrzeug führen muss oder nahezu tägliche Autofahrten erfolgen. Bei dieser Konstellation kann ein Dauerkonflikt zwischen Trinken und Fahren angenommen werden, der einen Verstoß gegen das Trennungsgebot der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV unausweichlich erscheinen lässt (vgl. BayVGH, U.v. 02.12.2011, – 11 B 11.246, juris, Rn. 21 ff. – trotz Aufhebung in der Revision aus anderen Gründen insoweit nach wie vor gültig und durch BVerwG, U.v. 06.04.2017, – 3 C 24/15, juris, Rn. 14 – bestätigt, wonach die Annahme von Alkoholmissbrauch auch bei einer einmaligen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr mit einer BAK von unter 1,6 Promille möglich ist, wenn zusätzliche Tatsachen diese Annahme rechtfertigen; vgl. jüngst auch VG Bayreuth, U.v. 29.01.2019 – B 1 K 18.692).
Im vorliegenden Fall kann aber ein derartiger Dauerkonflikt nicht festgestellt werden. Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er bis zum Entzug der Fahrerlaubnis das Auto benutzt hat, um zu seiner Arbeitsstelle zu kommen. Weiter gab er aber an, Alkohol nicht unter der Woche, sondern nur am Wochenende zu trinken, wenn er mit seinen Freunden feiern gehe (vgl. S. 2 der Niederschrift). Diese Aussage kann jedenfalls nicht widerlegt werden. Die Trunkenheitsfahrt ereignete sich am 29.04.2017 in den frühen Morgenstunden eines Samstags. Bei der in diesem Zusammenhang durchgeführten Blutentnahme wies der Kläger deutliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen auf. Es kann daher zumindest nicht von einer so außergewöhnlich hohen Alkoholgewöhnung des Klägers ausgegangen werden, da er diese nur durch einen täglichen oder nahezu täglichen Alkoholkonsum größeren Ausmaßes hätte erreichen können. Sonstige Anhaltspunkte über das Trinkverhalten des Klägers liegen nicht vor. Ein Dauerkonflikt im Sinne der Rechtsprechung, trotz ständigen Alkoholkonsums regelmäßig ein Kraftfahrzeug führen zu müssen, kann daher im vorliegenden Fall nicht angenommen werden.
c) Da vorliegend keine Fallkonstellation des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV einschlägig ist, ist es im Umkehrschluss hierzu der Beklagten verwehrt, die Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis von einer medizinisch-psychologischen Begutachtung des Klägers abhängig zu machen. Sonstige Gründe, welche die Erteilung der Fahrerlaubnis gemäß § 2 Abs. 4 StVG und § 11 Abs. 1 FeV hindern würden, sind weder erkennbar noch vorgetragen. Vielmehr haben die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass – soweit ersichtlich – dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen wäre, wenn eine MPU nicht gefordert werden dürfte (S. 9 der Niederschrift). Damit ist eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten durch das Gericht auszusprechen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.


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