Verkehrsrecht

Prüfung der Fahreignung nach strafrechtlicher Ahndung einer Trunkenheitsfahrt

Aktenzeichen  M 26 K 17.5985

Datum:
12.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34592
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die vom Gesetzgeber festgelegten Tilgungs- und Verwertungsfristen dürfen nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz relativiert werden. Der Gesetzgeber hat mit der Festsetzung von Tilgungs- und Verwertungsfristen selbst die Verantwortung dafür übernommen, dass diese Fristen nicht unverhältnismäßig sind (Anschluss BayVGH BeckRS 2013, 49765). (redaktioneller Leitsatz)
2 Liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV vor, steht es nicht im Ermessen der Behörde, ob sie auf die Fahrungeeignetheit des Klägers als Kraftfahrer schließt; sie hat vielmehr davon auszugehen, dass der Betroffene fahrungeeignet ist (Anschluss BayVGH BeckRS 2012, 54501). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte durfte aus der Weigerung des Klägers, sich begutachten zu lassen, gemäß §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen schließen.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Das Gleiche gilt nach § 3 Abs. 1 und 2 FeV im Hinblick auf die Untersagung des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge. Der Schluss auf die Ungeeignetheit ist nach § 11 Abs. 8 FeV zulässig, wenn der Betroffene ohne ausreichenden Grund eine Untersuchung verweigert oder ein von der Behörde zu Recht gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.
2. Der hier maßgebliche § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV schreibt vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnet, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung bedeutet mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Nach dem klaren Wortlaut verlangt die Vorschrift nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss. Dieser Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Radfahrer sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille absolut fahruntüchtig.
2.1 Ausweislich der Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 4. Juli 2013 hat der Kläger diesen Tatbestand verwirklicht. Gegen die Fragestellung in der Gutachtensanordnung vom 10. Januar 2017 ist ebenfalls nichts zu erinnern; insbesondere ist sie anlassbezogen und verhältnismäßig.
2.2 Die Trunkenheitsfahrt des Klägers vom … Juni 2013 konnte der Gutachtensaufforderung vom 10. Januar 2017 zugrunde gelegt werden. Der Strafbefehl des Amtsgerichts München datiert auf den 4. Juli 2013. Auf diesen Tag kommt es hinsichtlich des Beginns der Tilgungsfrist im Verkehrszentralregister gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG (in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung, § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG) maßgeblich an. Die Eintragung im Verkehrszentralregister zu dieser Tat vom … Juni 2013 und dem Strafbefehl vom 4. Juli 2013 unterliegt gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StVG grundsätzlich einer Tilgungsfrist von 10 Jahren. Damit ist diese Eintragung bzw. der dieser zugrundeliegende Vorfall für sich genommen bis zum Ablauf des 4. Juli 2023 verwertbar. Unterliegen jedoch Eintragungen einer 10-jährigen Tilgungsfrist, dürfen sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer 5-jährigen Tilgungsfrist entspricht, nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Damit hätte vorliegend die Eintragung zur Tat vom … Juni 2012 hinsichtlich des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge erst mit Ablauf des 4. Juli 2018 nicht mehr verwertet werden dürfen.
2.3 Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war deshalb unter zeitlichen Gesichtspunkten auch nicht unverhältnismäßig. Das erkennende Gericht schließt sich der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an, der entschieden hat, dass, wenn nur der anlassgebende Sachverhalt noch verwertbar ist, für eine weitere einzelfallbezogene Prüfung dahingehend, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen, im Regelfall kein Raum mehr ist. Die vom Gesetzgeber selbst festgelegten Tilgungs- und Verwertungsfristen dürfen nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz relativiert werden. Der Gesetzgeber hat mit der Festsetzung von Tilgungs- und Verwertungsfristen selbst die Verantwortung dafür übernommen, dass diese Fristen nicht unverhältnismäßig sind (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – RdNr. 39, juris)
Hinzukommt, dass, worauf der BayVGH in der zitierten Entscheidung ebenfalls hinweist, der außerordentliche Grad an Alkoholisierung, den der Kläger bei der Tat vom … Juni 2013 aufgewiesen hat, zusammen mit dem Umstand, dass er trotzdem noch zum Lenken eines Fahrrades einigermaßen in der Lage war, es als ausgeschlossen erscheinen lässt, dass der Kläger ein Geselligkeitstrinker war, sondern dass er bereits an einer ausgeprägten, dauerhaften Alkoholproblematik litt. Bei einem solchen Sachverhalt erscheint es sehr fernliegend und hätte näherer Darlegung und Beweisführung bedurft, dass der Kläger seitdem, wie vorgetragen, ausnahmsweise von sich aus zu einem stabilen und gefestigten Wandel seines Trinkverhaltens gekommen ist. Allein mit dem Argument, dass er seit der Tat nicht im Straßenverkehr auffällig geworden ist, kann er die Beendigung des Missbrauchs und eine gefestigte Änderung seines Trinkverhaltens nicht nachweisen. Denn dies kann nicht zuletzt auf dem bloßen Zufall beruhen, dass er seither nicht mehr polizeilich kontrolliert worden ist. Insoweit ist die angeordnete Begutachtung des Klägers auch aktuell noch möglich, erforderlich und verhältnismäßig.
Liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV vor, steht es nicht im Ermessen der Behörde, ob sie auf die Fahrungeeignetheit des Klägers als Kraftfahrer schließt; vielmehr ist die Behörde dazu verpflichtet, der Wertung des Verordnungsgebers Rechnung zu tragen und die Folgerungen daraus zu ziehen. Sie hat davon auszugehen, dass der Betroffene fahrungeeignet ist (BayVGH, B.v. 14.11.2011 – 11 CS 11.2349 – juris).
3. Des Weiteren durfte die Beklagte nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, der gemäß § 3 Abs. 2 FeV entsprechend anwendbar ist, aufgrund der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens in Bezug auf die Fahreignung für nicht erlaubnisbedürftige Fahrzeuge auf die Ungeeignetheit des Klägers schließen. Im Unterschied zum Entzug der Fahrerlaubnis ist die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 FeV grundsätzlich zunächst ins Ermessen der Behörde gestellt, nachdem das Gesetz neben der Untersagung der Berechtigung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen auch deren Beschränkung oder die Anordnung von erforderlichen Auflagen vorsieht. Da der Kläger jedoch ohne hinreichenden Grund das Gutachten nicht rechtzeitig beigebracht hat, ist das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde insoweit auf Null reduziert. Denn wenn kein Gutachten beigebracht wird, das auch dazu dient, zu klären, ob eine Beschränkung oder Anordnung von Auflagen ausreichend sein könnte, bleibt der Fahrerlaubnisbehörde schlichtweg keine andere Möglichkeit, als zum Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer und der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ohne Einschränkung zu untersagen (BayVGH, B.v. 8.2.2010 – 11 C 09.2200 – DAR 2010, 483; OVG RhPf, U.v. 17.8.2012 – 10 A 10284/12 – NJW 2012, 3388; ThürOVG, B.v. 9.5.2012 – 2 SO 596/11 – DAR 2012, 721; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – NJW 2012, 3321).
4. Nach alledem ist weder der Entzug der Fahrerlaubnis noch die Untersagung des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge zu beanstanden. Gleiches gilt für die Vorlageanordnung sowie die Kostenentscheidung des angefochtenen Bescheides. Insoweit kann auf den Bescheid vom 23. Mai 2017 Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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