Verkehrsrecht

Reparaturkosten, Unfall, Anscheinsbeweis, Berufung, Haftungsquote, Schadensminderungspflicht, Prozesskostenhilfe, Haftungsverteilung, Geschwindigkeit, Ersatzbeschaffung, Nutzungsausfall, Auffahrunfall, Fahrzeug, Schmerzensgeld, von Amts wegen, Sinn und Zweck, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  10 U 2165/21

Datum:
11.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11748
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1 O 4787/13 2021-04-01 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 19.04.2021 wird das Endurteil des LG München II vom 01.04.2021 (Az. 1 O 4787/13) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.274,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.042,00 € von 29.03.2014 bis 13.01.2017 und aus 3.274,00 € seit 14.01.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.01.2017 zu zahlen.
3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 413, 64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.03.2014 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 86% und die Beklagten samtverbindlich 14%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 84% und die Beklagten samtverbindlich 16%.
III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache zumindest teilweise Erfolg.
I. Das Landgericht ist zu Unrecht von einer vollständigen Haftung der Beklagtenseite ausgegangen:
1. Das Erstgericht ist im Ansatzpunkt zutreffend davon ausgegangen, dass gegen die Beklagte zu 1) als Auffahrende zunächst der erste Anschein einer Sorgfaltspflichtverletzung spricht. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO; BGH, VersR 2017, 374, m.w.N.; Senat, Urteil vom 25. Oktober 2013 – 10 U 964/13 -, Rn. 6, juris; (Senat, Urteil vom 09. Februar 2022 – 10 U 1962/21 -, Rn. 23, juris).
2. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist es den Beklagten aber gelungen, den gegen die Beklagte zu 1) sprechenden Anschein zu erschüttern. Erschüttert ist der Anscheinsbeweis, wenn die ernsthafte (reale) Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs besteht (BGHZ 8, 239 [240] = NJW 1953, 584 = DAR 1953, 55; BGH, NJW-RR 1986, 384 = DAR 1985, 316). Die Tatsachen, aus denen diese ernsthafte Möglichkeit hergeleitet wird, müssen unstreitig oder (voll) bewiesen sein (BGHZ 6, 169 [171] = NJW 1952, 1137; BGHZ 8, 239 [240] = NJW 1953, 584 = DAR 1953, 55). Zweifel gehen zulasten dessen, gegen den der Anscheinsbeweis streitet. Bei erfolgreicher Erschütterung besteht wieder die beweisrechtliche Normallage (s. dazu BGHZ 2, 1 [5] = NJW 1951, 653; BGHZ 6, 169 [171] = NJW 1952, 1137) (Senat, NZV 2014, 416, beck-online).
Die Beklagten vermochten vorliegend gerade darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin einen schuldhaften Mitverursachungsbeitrag an dem Auffahrgeschehen gesetzt hat. Der rechtlichen Auffassung des Erstgerichts, wonach von einem schuldhaften Mitverursachungsbeitrag der Klägerin deswegen nicht ausgegangen werden könne, da nicht feststehe, dass „die Klägerin ihr Fahrzeug völlig zum Stillstand brachte“ (vgl. Seite 9 des EU), kann nicht gefolgt werden.
Den Beklagten ist zuzugeben, dass das Erstgericht insoweit die Anforderungen des § 4 I Satz 2 StVO überspannt. Nach § 4 I Satz 2 StVO darf, wer vorausfährt, nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. Ein „starkes“ Bremsen im Sinne der Vorschrift liegt dann vor, wenn es deutlich über das Maß eines „normalen“ Bremsvorganges hinausgeht (KG NZV 2003, 41) (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, StVO § 4 Rn. 15). Ein Abbremsen bis zum völligen Stillstand (vgl. Seite 9 des EU) verlangt die Vorschrift aber gerade nicht. „Der Pflicht des Nachfolgenden, Abstand zu halten, entspricht die Pflicht des Vordermannes, zur Verhütung von Auffahrunfällen durch verkehrsgerechtes, allmähliches Bremsen beizutragen (OLG Stuttgart VM 1979, 28)“ (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, a.a.O.). Verletzt er diese Pflicht, so ist er am Auffahrunfall zumindest mitschuldig (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, a.a.O.). Nach der vom Erstgericht vorgenommenen Beweiswürdigung, an die der Senat nach § 529 I Nr. 1 ZPO nur gebunden ist, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung von der Berufung aufgezeigt werden oder sich bei der von Amts wegen gebotenen Prüfung (vgl. BGH, NJW 2005, 983) ergeben, steht aber fest, dass die unbeteiligten Zeugen H. „durchwegs ihrer Aussage treu“ geblieben sind, wonach „die Klägerin ihr Fahrzeug stark abbremste“ (vgl. Seite 9 des EU). Soweit das Erstgericht darüber hinaus ausführt, dass sich die Zeugen aber nicht festlegen konnten, ob die Klägerin ganz oder fast bis zum Stillstand abbremste, spielt dies für die Beurteilung eines Sorgfaltsverstoßes nach § 4 I 2 StVO gerade keine Rolle, sondern ist einer fehlerhaften Rechtsanwendung des Erstgerichts geschuldet.
Im Übrigen findet die Aussage der unbeteiligten Zeugen – entgegen der Auffassung des Erstgerichts – auch Bestätigung in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) S., dessen Sachkunde und Zuverlässigkeit dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist. Dieser führte in seinem Gutachten vom 03.08.2015 aus, worauf die Beklagten zutreffend hinweisen, dass im Zeitpunkt des Kollisionsgeschehens „das Beklagtenfahrzeug vollgebremst und das Klägerfahrzeug zumindest stark gebremst gewesen sein muss. Anders lässt sich der Höhenunterschied von ca. 10 cm beim Erstkontakt zwischen den Kontaktzonen der Fahrzeuge (siehe Abbildungen 18 und 19 dieses Gutachtens) nicht erklären“ (vgl. Seite 26 des Gutachtens = Bl. 149 d. A.).
Hieran ändert auch die Aussage des gerichtlichen Sachverständigen im Rahmen seiner Anhörung im Termin am 20.07.2017, wonach „es jedoch nicht auszuschließen [sei], dass die Klägerin lediglich auf ca. 60 km/h, wie von ihr geschildert, die Geschwindigkeit verringerte“ (vgl. Seite 6 des Protokolls vom 20.07.2017 = Bl. 336 d. A.) nichts. Insofern führen die Beklagten zutreffend aus, dass das Erstgericht die Aussage aus dem Sachzusammenhang gerissen wiedergibt (vgl. Seite 4 der Berufungsbegründung = Bl. 586 d. A.). Denn der Sachverständige gab hierauf ergänzend an, dass „dies […] aber eine entsprechend höhere Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs eben zuzüglich der oben angesprochenen Differenz von 43-55 km/h bewirken [würde] bzw. einer noch höheren Ausgangsgeschwindigkeit, weil ja feststeht, dass die Beklagte vorher bereits gebremst hat“. In seinem Ergänzungsgutachten vom 29.11.2017 bezifferte er die in diesem Fall notwendige Ausgangsgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs zwischen 103 bis 115 km/h (vgl. Seite 5 = Bl. 353 d. A.). Von einer derart hohen Ausgangsgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs berichtet aber gerade keiner der Beteiligten. Insoweit stufte der gerichtliche Sachverständige die Angaben der Zeugen H., „wonach die Klägerin sehr stark abbremste bis fast auf den Stillstand,“ als „durchaus plausibel“ ein (vgl. Seite 6 des Protokolls vom 20.07.2017 = Bl. 336 d. A.).
Entgegen der Auffassung des Erstgerichts war der starke Bremsvorgang auch nicht gerechtfertigt. Es lag gerade kein zwingender Grund – im Gegensatz zum „triftigen“ Grund in § 3 II StVO – vor. Von einem zwingenden Grund ist nur im Fall der Abwendung einer plötzlichen ernstlichen Gefahr für Leib, Leben und bedeutende Sachwerte auszugehen, z.B. beim Hineinlaufen eines Kindes oder Fußgängers in die Fahrbahn oder einem plötzlichen Bremsen des Vordermannes (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, a.a.O., § 4 Rn. 16). Kein zwingender Grund ist hingegen eine – von der Klageseite behauptete – weitere Geschwindigkeitsreduzierung von 60 km/h auf 40 km/h, zumal eine solche an der Kollisionsstelle (noch) nicht ersichtlich ist (vgl. Luftbildaufnahmen zum Gutachten vom 03.08.2015). Im Übrigen ist nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme, an die der Senat – wie bereits ausgeführt – gebunden ist, auch entgegen den Ausführungen der Klageseite im Termin vom 11.05.2022 (vgl. Seite 2 des Protokolls = Bl. 625 d. A.) davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Geschwindigkeit gerade nicht nur auf 40 km/h reduzierte, sondern ihr Fahrzeug vielmehr unberechtigt stark abbremste.
3. Bei der daher nach § 17 I, II StVG vorzunehmenden Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile liegt das überwiegende Verschulden daher auf der Klageseite, da sowohl in den von der Beklagten zu 1) und dem Zeugen H. geschilderten Fahrauffälligkeiten vor dem streitgegenständlichen Unfall (unkonstante Fahrweise mit einem Wechsel von Abbremsen und Beschleunigen), von der auch das Erstgericht ausgeht (vgl. Seite 8 des EU), als auch in dem ungerechtfertigten starken Bremsmanöver der Klägerin ein erhebliches Gefährdungspotential für den nachfolgenden Verkehr liegt, das sich auch im streitgegenständlichen Unfall verwirklicht hat. Sinn und Zweck des § 4 I 2 StVO ist es auch gerade, eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs zu verhindern (OLG Köln DAR 1994, 28; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, a.a.O., StVO § 4 Rn. 15). Der Senat hält daher eine Haftungsverteilung von 60:40 zu Lasten der Klageseite für angemessen.
Soweit die Klägerin hierzu ausführt, dass hiervon abweichend von einer überwiegenden Haftung auf Seiten der Beklagten schon deshalb auszugehen sei, da die unstete Fahrweise der Klägerin die Beklagten zu 1) zu besonderer Vorsicht und Achtsamkeit hätte anhalten müssen (vgl. Seite 2 des Protokolls vom 11.05.2022 = Bl. 625 d. A.), so ist dem entgegenzuhalten, dass insoweit bereits die Vorschrift des § 4 S. 1 StVO die Erwartung an ein eigenverantwortliches Verhalten eines jeden Autofahrers, sich an die sich ständig verändernden Verkehrsverhältnisse und damit auch an die Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer anzupassen, beinhaltet (vgl. MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 4 Rn. 3). Der Verursachungsbeitrag der Beklagtenseite wurde insoweit – nach Auffassung des Senats – durch die vorgenommene Haftungsverteilung entsprechend gewichtet.
2. Zur Schadenshöhe ist wie folgt auszuführen:
a) Nach der Rechtsprechung des BGH „besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 2017 – VI ZR 182/16, NJW 2017, 2183 Rn. 7 mwN). Ziel des Schadensersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei“ (BGH, Urteil vom 25. September 2018 – VI ZR 65/18 -, Rn. 6, juris).
Etwas anderes gilt nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3.12.2013 (VI ZR 24/13 ‒ juris Rn. 12) nur für die Fallgestaltung, dass der Geschädigte seinen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren lässt, den der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten unterschreiten (vgl. OLG München, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 24 U 4397/20 -, Rn. 5, juris). Nur in diesem Fall beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten. (OLG München, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall der lediglich provisorischen Reparatur in Höhe von behaupteten 5.000,00 € sind die im Wege der fiktiven Abrechnung geltend gemachten Reparaturkosten aber nicht auf die tatsächlich aufgewendeten Kosten zu reduzieren.
Ausgehend von dem Betrag von 6.589,20 € im gerichtlichen Sachverständigengutachten (vgl. Seite 44 des Gutachtens vom 03.08.2015 = Bl. 167 d. A.) und der Haftungsquote, errechnet sich somit ein Anspruch in Höhe von 2.635,68 €.
Zutreffend haben die Beklagten auch darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Mehrwertsteuer nicht beanspruchen kann (vgl. Seite 5 der Berufungsbegründung = Bl. 587 d. A.).
Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte, der den Weg der fiktiven Schadensabrechnung wählt, den Ersatz von Umsatzsteuer nicht beanspruchen. „Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur oder Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie fiktiv bleibt (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rn. 11 f., 17; vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, VersR 2018, 1530 Rn. 6 f.). Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB begrenzt insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juli 2013 – VI ZR 351/12, VersR 2013, 1277 Rn. 7; vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rn. 11).
Die Umsatzsteuer bleibt nicht nur dann fiktiv in diesem Sinne, wenn es nicht zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt; sie bleibt es vielmehr auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, diese Maßnahme aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht, sondern seinen Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnet (vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2005 – VI ZR 26/05, BGHZ 164, 397, juris Rn. 5; vom 9. Mai 2006 – VI ZR 225/05, VersR 2006, 987 Rn. 10; vom 2. Juli 2013 – VI ZR 351/12, VersR 2013, 1277, Rn. 9; vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rn. 17; vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, VersR 2018, 1530 Rn. 7; Katzenstein in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 3 Rn. 69; aA Freymann in Geigel, aaO, Kap. 5 Rn. 11 ff.)“ (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19 -, Rn. 21 – 23, juris).
So verhält es sich im vorliegenden Fall, so dass die Klägerin, die im Übrigen – worauf die Beklagten zu Recht hinweisen – auch nicht vorträgt, dass bei der Reparatur in Höhe von 5.000,00 € Umsatzsteuer angefallen sei, nur den Netto-Schadensbetrag aus dem Sachverständigengutachten, bereinigt um die Haftungsquote geltend machen kann.
b) Im Hinblick auf die Einwendungen der Beklagten gegen den vom Erstgericht zugesprochenen Nutzungsausfall gilt, dass der Geschädigte nach der ständigen Rechtsprechung des BGH einen Anspruch auf Entschädigung für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs hat (z.B. BGH in MDR 2018, 470; BGH Urteil v. 23.11.2004 – VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154 = MDR 2005, 268; v. 10.6.2008 – VI ZR 248/07 Rz. 6, 8, MDR 2008, 969 = NJW-RR 2008, 1198). Anspruchsgrundlage ist insoweit § 251 Abs. 1 BGB.
Der unfallbedingte Ausfall eines privatgenutzten Kraftfahrzeuges stellt einen wirtschaftlichen Schaden dar, weil die ständige Verfügbarkeit eines solchen Kraftfahrzeuges als geldwerter Vorteil anzusehen ist (BGHZ 98, 212).
In der Regel spricht auch die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW diesen während eines unfallbedingten Ausfalls benutzt hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Januar 2007 – I-1 U 151/06; Urteil vom 1. Oktober 2001, Az.: 1 U 206/00 sowie Urteil vom 29. Oktober 2001, Az.: 1 U 211/00; so auch OLG Celle VersR 1973, 717; OLG Frankfurt DAR 1984, 318; OLG Köln VRS 96, 325).
Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt auch bei fiktiver Schadensabrechnung für die Dauer einer fühlbaren Gebrauchsbeeinträchtigung des Geschädigten in Betracht. Dies bedeutet, dass im Grundsatz hinsichtlich der Dauer der Nutzungsausfallentschädigung nur die Zeit für die Erstellung des Schadensgutachtens, unter Umständen eine anschließende angemessene Überlegungsfrist, ob der Schaden durch Reparatur ausgeglichen werden soll, sowie die kalkulierte notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zu berücksichtigen sind, soweit der Geschädigte nicht konkret weitere Zeiträume vorträgt, die der eigentlichen Wiederbeschaffung bzw. Reparatur vorausgehen und in denen er unfallbedingt auf sein Fahrzeug verzichten musste.
Weiter ist zu beachten, dass ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung über die gewöhnliche Reparatur- oder Wiederbeschaffungszeit hinaus im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht nach § 254 II BGB voraussetzt, dass der Geschädigte nicht in der Lage ist, ohne Erhalt der Entschädigung die Reparatur oder den Erwerb eines Ersatzfahrzeugs vorrangig durch Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung (Senat, Hinweisverfügung nach § 522 II 1 ZPO vom 13.02.2007, 10 U 5484/06, – nicht veröffentlicht; Senat VersR 1984, 1054 = zfs 1984, 136; OLG Naumburg OLGR 2004, 390 = NJW 2004, 3191 = NZV 2005, 198 = DAR 2005, 158 = SP 2004, 235) oder hilfsweise durch Kreditaufnahme vorzufinanzieren (OLG Düsseldorf VersR 1998, 911 = SP 1998, 211; OLG Naumburg a.a.O.). Allerdings ist eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen, ausnahmsweise nur dann zu bejahen, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (vgl. BGH, Urteil vom 18.02.2002, II ZR 355/00, – [juris]).
Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Rahmens steht der Klägerin aber allenfalls für einen Zeitraum von 15 (Kalender-)Tagen (ab dem 03.07.2013) eine Nutzungsausfallentschädigung zu. Hierbei hat der Senat die im Sachverständigengutachten vom 03.07.2013 (vgl. Anlage K1), das noch am Unfalltag erstellt wurde, kalkulierte Reparatur bzw. Wiederbeschaffungsdauer, die zwischen 8-10 Arbeitstagen bzw. 10-12 Kalendertagen liegt zuzüglich einer Überlegungs- und Entscheidungsfrist von drei Tagen zugrunde gelegt. Es errechnet sich damit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 510,00 € (15 x 34,00 €) und damit unter Berücksichtigung der Haftungsquote ein berechtigter Anspruch von 204,00 €.
Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ist der Klägerin entgegen den Ausführungen des Erstgerichts nicht zuzubilligen. Zwar ist dem Erstgericht zuzugeben, dass von einem fortbestehenden Nutzungswillen ausgegangen, mithin die Vermutung widerlegt werden kann, wenn der Geschädigte konkret nachweisen kann, dass die finanziellen Mittel für eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung fehlen (vgl. dazu AG Heilbronn, Urt. v. 10.08.2007 – 13 C 1458/06 – jurisPR-VerkR 9/2008 Anm. 2, Wenker). Die Schlussfolgerung, dass im Lichte der von der Klägerin vorgetragenen eigenen Finanzsituation im Prozesskostenhilfeverfahren, die dazu führte, dass ihr in zwei Instanzen uneingeschränkt Prozesskostenhilfe gewährt wurde, von einem fortbestehenden Nutzungswillen bis zum Zeitpunkt der provisorischen Reparatur und der Aushändigung des Fahrzeugs an die Klägerin am 07.04.2016 (vgl. K 12) ausgegangen werden kann, überzeugt aber nicht. Den Beklagten ist insoweit zuzugeben, dass die Tatsache, dass die Klägerin vorgerichtlich den Schädiger nicht explizit darauf hingewiesen hat, dass sie zur Finanzierung der Reparaturkosten bzw. eines Ersatzwagens nicht in der Lage ist und deshalb einen Vorschuss benötigt (vgl. Seite 3 des Schriftsatzes vom 02.02.2017), und dass sie sich erst mehrere Monate nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 24.11.2015 im April 2016 zur provisorischen Reparatur mittels eines Privatkredits entschloss, den Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht impliziert (vgl. Seite 6 der Berufungsbegründung = Bl. 588 d. A.). Seitens der Klagepartei wurde auch nicht vorgetragen, dass der Klägerin die Beschaffung eines Privatkredits bei einer guten Freundin (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 13.03.2017) nicht auch schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre.
c) Hinsichtlich der Standgebühren ist der Senat ebenfalls entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. Senat, Urteil vom 24. November 2006 – 10 U 4748/06 -, Rn. 16, juris) der Auffassung, dass eine solche nur für einen angemessenen Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung über die weitere Schadensabwicklung verlangt werden kann. Berücksichtigt man vorliegend, dass Standgebühren erst ab dem 04.07.2013 berechnet wurden (vgl. Anlage K 5), so steht der Klägerin unter Berücksichtigung der vorläufigen Haftungsquote ein Anspruch in Höhe von 14 Tagen à 5,00 € / 40% = 28,00 € zu.
d) Hinsichtlich der beanspruchten Unkostenpauschale ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein Betrag von 25,00 € angemessen, hier also 10,00 € berechtigt (vgl. Senat, Urt. v. 16.07.2004 – 10 U 1953/04 und Senat, Urt. v. 18.03.2005 – 10 U 5448/04).
e) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. BGH – GSZ – BGHZ 18, 149 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 8.3.2007 – 12 U 154/06 [juris]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]).
Unter Berücksichtigung, dass die zum Unfallzeitpunkt bereits 76 Jahre alte Klägerin bei dem Unfallgeschehen eine HWS-Distorsion des Schweregrades 2 nach QTF und multiple Prellungen erlitten hat, infolge derer sie nach dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 15.03.2019 bis zu drei Monate lang Beschwerden hatte (vgl. Seite 48 des Gutachtens = Bl. 437 d. A.) hält der Senat angesichts des vom Erstgericht zutreffend mit in die Bemessung eingestellten zögerlichen Regulierungsverhaltens der Beklagten zu 2) und bei Berücksichtigung der Haftungsquote ein Schmerzensgeld von 500,00 € für angemessen.
f) Die Höhe der unstreitig entstandenen Sachverständigenkosten bemisst sich entsprechend der Haftungsverteilung auf 396,32 € (40% von 990,79 €).
g) Zudem hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus dem berechtigten Gegenstandswert in Höhe von 413,64 €.
h) Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen und die weitergehende Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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