Verkehrsrecht

S. Franz-Xaver, Prentstraße 30, 82433 Bad, K.

Aktenzeichen  1 O 4405/18

Datum:
23.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47716
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.450,03 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 974,40 € seit 26.04.2018 bis 20.07.2018, von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.450,03 seit 21.07.2018 und aus 275,00 € seit 29.11.2018 sowie weitere 473,39 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.07.2018 zu zahlen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 19%, die Beklagten tragen als Gesamtschuldner 81%. Die Kosten der ehemaligen Beklagten zu 1), der … B1. Autovermietung GmbH & Co. KG, trägt der Kläger.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.960,28 € festgesetzt. Der Geschäftswert des Verfahrens gegen die ehemalige Beklagte zu 1), die … B1. Autovermietung GmbH & Co. KG, beträgt 6.450,93 €.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 823 BGB in Höhe von weiteren 6.450,03 €.
1. Der Beklagte zu 1) hat den Unfall allein verschuldet.
1.1. Folgenden Sachverhalt legt das Gericht seiner rechtlichen Wertung zugrunde:
Der Zeuge S2. befuhr mit dem klägerischen Traktor die M3. Straße mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h und beabsichtigte, nach links in eine Einfahrt abzubiegen. Bei Abbiegebeginn fuhr der Traktor bereits an der Fahrbahnmitte. Nach Schulterblick nach links und Setzen des Blinkers bog er unter Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht nach links ab. Beim Abbiegevorgang kam zu der Kollision mit dem Beklagten zu 3), der den Traktor überholen wollte, obwohl dieser sich bereits überwiegend auf der linken Fahrbahn in Ausrichtung auf die Einfahrt befand. Zum Zeitpunkt der Kollision betrug die Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten zu 3) 85 km/h.
1) Das Gericht legt dabei den klägerischen Sachvortrag zugrunde, soweit er nicht durch die Beweisaufnahme widerlegt wurde. Der Vortrag der Beklagten geschah ins Blaue hinein und ist daher unbeachtlich.
1) In der Klageerwiderung vom 11.12.2019 (Bl. 14/16) trugen die Beklagten folgendes vor: „Der Fahrer des Beklagten Fahrzeuges überholte den langsam fahrenden Traktor. Als er sich bereits auf Höhe der Hinterachse des Traktors befand, zog dieser plötzlich ohne Vorwarnung, insbesondere ohne zu blinken, nach links und kollidierte mit dem Beklagtenfahrzeug.“ Außerdem bestreiten sie, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges rechtzeitig links geblinkt, seine Geschwindigkeit verringert und sich nach hinten vergewissert habe.
Es ist jedoch nicht ersichtlich, auf welche Angaben von an dem Unfall beteiligten Personen sich der von den Beklagten behauptete Vortrag stützt. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, der Beklagte zu 3), wurde weder förmlich von der Polizei vernommen, noch ist er, trotz gerichtlicher Ladung, zu dem Verhandlungstermin vom 24.10.2019 erschienen. Auch der Prozessvertreter der Beklagten hat keine Rückmeldung von dem Beklagten zu 3) erhalten (vgl. Bl. 80). Der von der Polizeiinspektion Murnau geschilderte Sachverhalt ist äußerst knapp und erhält keine näheren Angaben zum Unfallhergang. Lediglich ist erwähnt, dass bezüglich der Blinker am Traktor unterschiedliche Aussagen der Unfallbeteiligten vorliegen, ohne dass ausgeführt wird, inwiefern sich die Aussagen unterscheiden.
Anstatt den klägerischen Vortrag, soweit er den dokumentierten Feststellungen widerspricht, mit Nichtwissen zu bestreiten, haben die Beklagten tatsächliche Behauptungen ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich ins Blaue hinein bzw. aufs Geratewohl aufgestellt. Ihr Vortrag ist daher unbeachtlich (Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021, ZPO § 138 Rn. 6, 13). Daher ist der rechtlichen Wertung der klägerische Vortrag zugrundezulegen, es sei denn, er wurde durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Es ist daher sowohl von der Beachtung der ersten Rückschaupflicht, wie auch der rechtzeitigen Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers durch den Zeugen J. S2. auszugehen.
1) Dazu kommt, dass auch das Ergebnis der Beweisaufnahme für die Setzung des Blinkers spricht. Der unfallunbeteiligte Zeuge F., der die Kollision beobachtete, gab an, er habe im Zeitpunkt der Kollision den klägerischen Blinker leuchten sehen. Die Beklagten haben nicht mit Nichtwissen bestritten, dass der Zeuge S2. den Blinker rechtzeitig gesetzt hat.
Die Zeugin U. gab als Zeugin vom Hörensagen an, der Beklagte zu 3) habe ihr gegenüber geäußert, er habe „den Blinker vom J.“ nicht gesehen, was nicht damit gleichzusetzen ist, dass der Blinker tatsächlich nicht gesetzt wurde. Schließlich steht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. A3. fest, dass der Traktor zum Beginn sich des Abbiegvorgangs sich bereits auf der linken Fahrspur befand. Auch auf diesen Umstand hat der Beklagte zu 3) nicht Unterlassen des Überholens reagiert.
1) Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Dr. A3., der dem Gericht als erfahrener Gutachter, der stets zu gut nachvollziehbaren und ausgewogenen Bewertungen kommt, bekannt ist, steht fest, dass der Beklagte zu 3) vor der Kollision 85 km/h gefahren ist und damit die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit ca. 35 km/h weit überschritten hat.
1.2. Der Beklagte zu 3) hat sich grob verkehrswidrig verhalten, als er den klägerischen Traktor bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 StVO) überholen wollte. Er ist hat die innerorts geltende Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mehr als 35 km/h überschritten und damit gegen § 3 Abs. 3 StVO verstoßen.
Es war für ihn frühzeitig erkennbar, dass der klägerische Traktor nicht in der Mitte der (gedachten) rechten Fahrbahn fuhr, sondern sich unter Verringerung seiner Geschwindigkeit auf 20 km/h zur Mitte hin eingeordnet hatte. Trotzdem fuhr er ungebremst in die Kollision ein (S. 7/8 des Gutachtens; Bl. 110/111). Aufgrund dieser Umstände ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte zu 3), der sich nach Angaben der Zeugen in Zeitnot befand, noch versucht hat, sich an dem abbiegenden Traktor des Klägers „vorbeizuschlängeln“. Der Beklagte zu 3) hat sich grob verkehrswidrig verhalten, denn er hat, um seines schnelleren Fortkommens willens, mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 35 km/h ein sich erkenntlich im Abbiegen befindliches anderes Fahrzeug überholt.
1.3. Der Zeuge S2. hat seinerseits gegen die ihm nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO obliegende Pflicht, vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten verstoßen. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. A3. steht fest, dass der Zeuge S2. gegen zweite Rückschaupflicht verstoßen und daher nicht erkannt hat, dass sich der Beklagte zu 3) als überholtes Fahrzeug mit einer deutlichen Überschussgeschwindigkeit näherte (S. 9 des Gutachtens; Bl. 112). Jedoch liegt vorliegend nur ein geringes Verschulden des Zeugen S2. vor, denn bei seiner ersten Rückschau sah er das Fahrzeug des Beklagten zu 3) in einer Entfernung von ca. 50 m. Der Zeuge S2. musste innerorts nicht damit rechnen, dass sich das von der Beklagte zu 3) geführte Fahrzeug derart schnell nähern und trotz sich der Anzeige der Abbiegeabsicht durch Setzen des Blinkers an dem Traktor vorbei drängeln würde.
Ohne dass es für die Entscheidung des Gerichts darauf ankommen würde, weist das Gericht darauf hin, dass – selbst wenn man die Behauptung der Beklagten als wahr unterstellt, dass der Zeuge S2. die Absicht des Abbiegens nicht durch Setzen des Blinkers angezeigt hätte – wäre ein solches Unterlassen auch nicht kausal für den Unfall gewesen. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. A3. steht fest, dass der sich mit 85 km/h nähernde Beklagte die Abbiegeabsicht des klägerischen Traktors auch ohne den gesetzten Blinker hätte erkennen können (vgl. S. 11 des Gutachtens, Bl. 114).
1.4. Das Verschulden des Beklagten zu 3) überwiegt das dem Kläger zuzurechnendes Verschulden des Zeugen S2. bei weitem und lässt auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurücktreten.
2. Der Kläger steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 6.450,03 € zu.
2.1. Insgesamt ist ihm ein Schaden in Höhe von 9.538,45 € entstanden.
Die Höhe der Reparaturkosten des Traktors, des Wiederbeschaffungsaufwands der Kippmulde, die Sachverständigenkosten sowie die Unkostenpauschale sind unstreitig.
Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls für den Traktor in Höhe von 275 €. Es kann dahinstehen, ob es sich bei der von dem Kläger beschriebenen Nutzung des Traktors um eine private Nutzung handelt, da unabhängig von der Einordnung des Traktors als privat oder gewerblich genutztes Fahrzeug vorliegend die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Betracht kommt. Auch bei gewerblich genutzten Fahrzeugen kommt eine Nutzungsausfallentschädigung nämlich dann in Frage, wenn sich die Gebrauchsentbehrung nicht unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrags niedergeschlagen hat und ein Verdienstentgang nicht konkret beziffert werden kann, etwa infolge persönlicher Anstrengungen und Verzichte des Geschädigten (Geigel Haftpflichtprozess/Katzenstein, 28. Aufl. 2020, Kap. 3 Rn. 196 m.w.N.).
Davon ist vorliegend auszugehen. Der Einsatz eines Traktors in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb schlägt sich nicht unmittelbar in einem Geldertrag nieder, denn regelmäßig kommt ein Traktor auch bei bloßen Instandhaltungsmaßnahmen zum Einsatz, die sich nicht unmittelbar in einer Minderung der landwirtschaftlichen Erträge niederschlagen.
Die Höhe der vom Kläger angesetzten täglichen Nutzungsausfallentschädigung ist angemessen wie auch die Ausfallszeit von 11 Tagen, die sich aus der notwendigen Reparaturdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung zusammensetzt (BGH NJW 2018, 1393 Rn. 12; Geigel Haftpflichtprozess/Katzenstein, 28. Aufl. 2020 Rn. 193, Kap. 3 Rn. 193).
3. Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 823, 246, 288, 291 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 708, 711 ZPO.


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