Verkehrsrecht

Schadenersatz wegen Dienstpflichtverletzung durch nicht hinreichend gesichertes Abstellen eines Fahrzeuges

Aktenzeichen  Au 2 K 17.1704

Datum:
13.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9283
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 14 Abs. 2 S. 1
BBG § 75 Abs. 1 S. 1
PostPersRG § 7 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Nach § 75 Abs. 1 S. 1 BBG iVm § 7 Abs. 2 PostPersRG haben bei einem Postnachfolgeunternehmen beschäftigte Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzt haben, dem Postnachfolgeunternehmen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grob fahrlässig handelt ein Postzustellungsbeamter, wenn er sein Fahrzeug abstellt und zur Postzustellung verlässt, ohne die – unabhängig von der Beschaffenheit des Geländes – erforderliche doppelte Sicherung des abgestellten Fahrzeugs mittels Handbremse und Einlegen eines Ganges vorzunehmen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht über die vorliegende Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Der Bescheid der … vom 14. August 2017 in Gestalt deren Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG i.V.m. § 7 Abs. 2 PostPersRG haben bei einem Postnachfolgeunternehmen beschäftigte Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzt haben, dem Postnachfolgeunternehmen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (BayVGH, B.v. 26.2.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 5; B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 16).
Als dem Beamten obliegende dienstliche Pflichten sind sämtliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verstehen, die ihm abstrakt ein bestimmtes äußeres Verhalten vorschreiben, sowie auch Weisungen für den Einzelfall (vgl. Lemhöfer in Plog/Wiedow, BBG (2009), Stand Mai 2013, § 75 Rn. 15). Hierzu gehören auch die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sowie der Anweisung für Kraftfahrzeugführer der … (siehe zum Ganzen: VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 17).
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 StVO muss derjenige, der ein Fahrzeug führt, die nötigen Maßnahmen treffen, um Unfälle oder Verkehrsstörungen zu vermeiden, wenn das Fahrzeug verlassen wird. Was als „nötige Maßnahme“ zu verstehen ist, wird im „Handbuch für Fahrer und Fahrerinnen der … – Teil 1: Allgemein betriebliche und gesetzliche Regelungen für Fahrerinnen und Fahrer“ konkretisiert, das der Kläger vorliegend am 10. Oktober 2014 erhalten hat (Blatt 15 der Verwaltungsakte). Dort wird unter der Überschrift „Sichern und Abstellen von Kfz“ die Wegrollsicherung beschrieben (vgl. VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 18 f.):
„Als Sicherung sind folgende Maßnahmen erforderlich:
– Feststellbremse betätigen; bei Anhängern im öffentlichen Straßenverkehr: Feststellbremse zusätzlich durch ein Vorhängeschloss sichern
– Ersten Gang oder Rückwärtsgang jeweils gegenläufig bzw. bei automatischem Getriebe Parksperre einlegen
– bei unebenem Gelände oder im Gefälle: zusätzlich vorgeschriebene Unterlegkeile nur an den Rädern der ungelenkten Achse anlegen, nie an der gelenkten Achse oder Liftachse
– beim Abstellen in starken Steigungen oder Gefällen ist das Fahrzeug durch Einschlagen der Lenkung abstützend gegen einen ggf. vorhandenen Bordstein zu richten
– beim Be- oder Entladen mit Flurförderfahrzeugen (z.B. Gabelstapler) Feststellbremse betätigen und Unterkeile anlegen“
Entsprechende Hinweise zur doppelten Sicherung enthält Nr. 4.2 („Sichern und Abstellen von Kraftfahrzeugen“) des Handbuchs für Fahrer und Fahrerinnen der … (Blatt 28-30 der Gerichtsakte).
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Beamten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Beamten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2017 – 2 C 22.16 – juris Rn. 14; U.v. 29.4.2004 – 2 C 2.03 – BVerwGE 120, 370/374; BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; B.v. 1.6.2017 – 6 ZB 17.903 – juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 21; siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 26.2.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 6).
b) Hiervon ausgehend hat der Kläger am 28. März 2017 den streitgegenständlichen Schaden am Zustellfahrzeug, dessen Höhe er nicht bestreitet, infolge einer grob fahrlässigen Verletzung seiner Dienstpflichten verursacht; seine Haftung ist daher nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat sein Fahrzeug abgestellt und zur Postzustellung verlassen, ohne die sowohl nach den einschlägigen Dienstvorschriften der Beklagten als auch gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 StVO unabhängig von der Beschaffenheit des Geländes erforderliche doppelte Sicherung des abgestellten Fahrzeugs mittels Handbremse und Einlegen eines Ganges vorzunehmen. Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Anscheinbeweises fest, da im Lichte des durch eine Fachwerkstatt unmittelbar im Nachgang des Schadensfalls festgestellten ordnungsgemäßen Zustands der Feststellbremse (Blatt 11 der Verwaltungsakte) ansonsten ein Abrollen des Fahrzeugs ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. NdsOVG, B.v. 2.4.2013 – 5 LA 50/12 – juris Rn. 7; VG Sigmaringen, U.v. 20.11.2017 – 2 K 6134/16 – UA S. 7 f.; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 22; VG Wiesbaden, U.v. 25.6.2007 – 8 E 384/05 – juris Rn. 37; VG Hamburg, U.v. 22.9.1999 – 22 VG 292/99 – juris Rn. 21). Ohnehin hat auch der Kläger selbst in seiner Stellungnahme vom 4. Mai 2017 (Blatt 8 der Verwaltungsakte) lediglich angegeben, dass er davon ausgegangen sei, dass ein Gang eingelegt gewesen sei, da er dies beim Abstellen stets so handhabe; eine genaue Erinnerung daran zu haben, einen Gang eingelegt zu haben, hat somit auch der Kläger nicht vorgetragen. Auch die Klagebegründung räumt ein, dass es durchaus sein könne, dass der Kläger im vorliegenden Fall ausnahmsweise die doppelte Sicherung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe; es wird insoweit im Kern die Qualifizierung als grobe Fahrlässigkeit angegriffen (Blatt 3 der Gerichtsakte; vgl. zu dieser Einlassung auch bereits die Widerspruchsbegründung v. 26.9.2017, Blatt 35 der Verwaltungsakte).
Somit hat der Kläger jedoch grob fahrlässig die Verhaltenspflichten missachtet, die jedem Kraftfahrzeugführer beim Abstellen eines Fahrzeugs auch bei einem – wie hier – nur leichten Gefälle ohne weiteres einleuchten. Dies gilt in gleicher Weise für Postzusteller, auch wenn sie solche Routinevorgänge während der Zustellung täglich in hoher Zahl durchführen müssen. Besondere Umstände in der Person des Klägers, die den Grund des Versäumnisses erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 26.2.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 8; B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; VG Ansbach, U.v. 7.5.2014 – AN 11 K 13.1851 – juris Rn. 18; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 21/23; U.v. 23.6.2008 – Au 2 K 07.306 – juris Rn. 11 f.).
Insbesondere ist vorliegend auch kein bloßes sog. Augenblicksversagen gegeben. Hierfür wäre erforderlich, dass der Kläger einen Routinehandgriff wegen einer Ablenkung durch äußere Umstände ausnahmsweise vergessen hätte (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 20.11.2017 – 2 K 6134/16 – UA S. 11; OLG Karlsruhe, U.v. 8.3.2007 – 19 U 127/06 – juris Rn. 14). Das Vorliegen solcher äußerer Umstände behauptet der Kläger jedoch nicht.
c) Eine Verpflichtung des Dienstherrn zum Abschluss einer Versicherung für derartige Fälle wie hier besteht nicht und hätte wohl auch keine Entlastung für den Kläger gebracht, da auch im Rahmen der Haftpflichtversicherung eine Leistungspflicht im Fall der groben Fahrlässigkeit ausgeschlossen wäre (vgl. VG Ansbach, U.v. 7.5.2014 – AN 11 K 13.1851 – juris Rn. 19). Auch der Hinweis der Klägerseite auf eine etwaige Vollkaskoversicherung der Beklagten bzw. eine Pflicht zu deren Abschluss geht fehl; die … ist ein sog. Selbstversicherer, eine Pflicht zum Abschluss einer Vollkaskoversicherung für Zustellfahrzeuge besteht demnach nicht (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.12.2017 – AN 11 K 17.310 – UA S. 19; U.v. 7.5.2014 – AN 11 K 13.1851 – juris Rn. 13).
Soweit die Klägerseite überdies auf die im Arbeitsrecht erörterte Haftungsminderung für Arbeitnehmer verweist, so kann diese im Beamtenrecht schon wegen des dort geltenden Verschuldensmaßstabs keine Berücksichtigung finden (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.12.2017 – AN 11 K 17.310 – UA S. 17 f.; U.v. 7.5.2014 – AN 11 K 13.1851 – juris Rn. 17).
2. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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