Verkehrsrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Unfall, Reparaturkosten, Mitverschulden, Fahrzeug, Kollision, Haftungsverteilung, Arbeitszeit, Gutachten, Versicherungsvertrag, Unfallgeschehen, Widerspruch, Zeitpunkt, analoge Anwendung, Sinn und Zweck, von Amts wegen

Aktenzeichen  10 U 627/21

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7013
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

71 O 218/18 2021-01-12 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten zu 2) und zu 3) vom 29.01.2021 und die Berufung der Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3) vom 04.02.2021 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 12.01.2021 (Az.: 71 O 218/18) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 160,28 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.07.2017 zu zahlen.
II. Der Kläger und der Drittwiderbeklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 3) einen Betrag von 2.670,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2017 zu zahlen.
III. Der Kläger und der Drittwiderbeklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Beklagten zu 3) von außergerichtlichen, nicht festsetzbaren Rechtsanwaltskosten in Höhe von 405,60 € freizustellen.
IV. Im Übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen werden jeweils zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits (erster und zweiter Instanz) tragen der Kläger und der Drittwiderbeklagte samtverbindlich 33%, der Kläger alleine weitere 31%, die Beklagten samtverbindlich 3% und darüber hinaus die Beklagte zu 2) weitere 15% und der Beklagte zu 3) weitere 18%.
Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt der Kläger 91%. Im Übrigen trägt der Beklagte zu 1) seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger 40%. Im Übrigen trägt die Beklagte zu 2) ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) haben der Kläger 17% alleine und der Kläger und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 53% zu tragen. Im Übrigen trägt der Beklagte zu 3) seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 5% und darüber hinaus die Beklagte zu 2) weitere 11% und der Beklagte zu 3) weitere 13%. Im Übrigen trägt der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten tragen die Beklagte zu 2) 22% und der Beklagte zu 3) 27%. Im Übrigen trägt der Drittwiderbeklagte seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, somit zulässigen Berufungen haben in der Sache zumindest teilweise Erfolg.
Das Erstgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger nach §§ 7, 18 StVG, 823 I, II, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 VVG ein umfassender Schadensersatzanspruch entsprechend des Klagebegehrens aus dem Verkehrsunfallgeschehen vom 20.02.2017 im Bereich der Zapfsäulen der Tankstelle W. in I. zusteht, wohingegen die Widerklage als unbegründet abzuweisen war. Vielmehr führt die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge im Lichte der durch den Senat erneut durchgeführten Beweisaufnahme dazu, dass der Kläger nicht mehr als ein Drittel des entstandenen Schadens ersetzt verlangen kann und die Widerklage der Beklagten zu 2) und zu 3) unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 1/3, also in Höhe von 2/3, begründet ist.
I.1. a) Im Hinblick auf das Klagebegehren ist den Beklagten zunächst zuzugeben, dass auf Seiten des Klägers nicht von einem „unabwendbaren Ereignis“ im Sinne des § 17 III StVG auszugehen ist. Unabwendbar ist ein Ereignis im Sinne des § 17 III 2 StVG nur dann, wenn es auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. „Dies erfordert geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln, welches über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausgeht. Die Rechtsprechung geht dann von einer Unabwendbarkeit aus, wenn ein so genannter Idealfahrer den Verkehrsunfall nicht hätte verhindern können“ (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 17 Rn. 32). Ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 III StVG nimmt auch das Erstgericht nicht an.
Bei der nach §§ 17 I, II i. V. m. 18 III StVG erforderlichen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- bzw. Verschuldensbeiträge kommt das Erstgericht aber unzutreffend zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Mitverschulden an dem Verkehrsunfallgeschehen nicht anzulasten ist (vgl. Seite 9 des EU).
In rechtlicher Hinsicht ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auf einem Tankstellengelände, das eine einem Parkplatz vergleichbare Verkehrsfläche darstellt, das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 II StVO gilt (vgl. LG Lübeck, Urteil vom 28. Juli 2017 – 6 O 67/15 – Rn. 27, juris; LG Köln, Urteil vom 10. Mai 2016 – 11 S 360/15 -, Rn. 5, juris; OLG Köln MDR 1995, 363). Ähnlich wie bei der Suche nach einem Stellplatz auf einem frei zugänglichen Parkplatzgelände ist die Aufmerksamkeit der Kraftfahrer auf einem Tankstellengelände „durch die Suche nach einer freien Zapfstelle oder nach einer sonstigen Einrichtung beeinträchtigt, an oder in der die Vornahme einer konkreten Verrichtung geplant ist (z. B. Werkstatt, Waschstraße, Verkaufsraum, Luftdruckmeßgerät). Aus der Zweckbestimmung eines Tankstellengeländes folgt daher, dass sich dort jeder Verkehrsteilnehmer nur mit besonderer Umsicht und insbesondere angepaßter Geschwindigkeit bewegen darf, weil er mit situationsbedingten Unaufmerksamkeiten anderer Tankstellenbesucher rechnen muß“ (OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. Juni 2001 – 1 U 126/00 -, Rn. 4, juris; vgl. auch für Großparkplätze OLG Nürnberg, ZfSch 2014, 679).
Hingegen findet die Vorschrift des § 10 StVO mit der Verpflichtung, die Gefährdung anderer auszuschließen, entgegen der Auffassung der Beklagten keine direkte Anwendung, da sich das Unfallgeschehen unstreitig noch im Bereich der Zapfsäulen ereignete, der Kläger mithin im Zeitpunkt der Kollision noch nicht im Begriff war, sich in den fließenden Verkehr auf dem Tankstellengrundstück einzuordnen (vgl. bei der Absicht, sich auf die Fahrstraße eines Tankstellengeländes einzuordnen, OLG Hamm, Urteil vom 25. April 1977 – 3 U 2/77 -, Rn. 29, juris). Dem Kläger ist auch zuzugeben, dass – wie im Schriftsatz vom 30.03.2022 vorgebracht – eine analoge Anwendung des § 10 StVO grundsätzlich nur dann ausnahmsweise in Betracht zu ziehen ist, wenn bestimmten Verkehrsflächen im Vergleich zu anderen Verkehrsflächen nach dem objektiven Erscheinungsbild, insbesondere der baulichen Gestaltung oder Markierung ein eindeutiger Straßencharakter beizumessen ist (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O. m.w.N.).
Nach Auffassung des Senats steht dies jedoch nicht der bereits im Wege der vorläufigen Beweiswürdigung mitgeteilten Auffassung entgegen, wonach das vorliegend Geltung beanspruchende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 II StVO zumindest insoweit im Lichte des Rechtsgedankens des § 10 StVO zu sehen ist, als Fahrzeugführer eines zunächst stehenden Fahrzeugs vor dem Anfahren die sich im Bereich einer Tankstelle bewegende Fahrzeuge besonders zu beobachten hat.
Im konkreten Fall ist sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten zu 3) ein Verstoß gegen die aus § 1 II StVO resultierende Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme anzulasten.
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. J. S., an dessen Sachkunde und Zuverlässigkeit der Senat infolge einer Vielzahl von Verfahren keinen Zweifel hat, im Rahmen der ergänzenden Beweisaufnahme durch den Senat ist davon auszugehen, dass den Beklagten zu 3) eine höhere Geschwindigkeit als 15 km/h nicht nachgewiesen werden kann. Der Sachverständige hat zu den gefahrenen Geschwindigkeiten überzeugend dargelegt, dass bei dem Klägerfahrzeug von einer Geschwindigkeit von ca. 10 km/h auszugehen sei und „aus den Beschädigungen der beiden Fahrzeuge festgestellt werden [könne], dass das Beklagtenfahrzeug schneller war als das Klägerfahrzeug“, wobei die „Differenzgeschwindigkeit im Bereich von mindestens 5 km/h“ liege und „25 km/h [stellt] das obere Limit der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs dar[stelle], da dieser ja bis zur vorderen Zapfsäule auf 0 abbremsen musste“ (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.). Da der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst geäußert hat, dass er nur langsam losgefahren sei, ist davon bei unfallanalytischen Erwägungen ebenfalls auszugehen. Es bestehen auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu 3), dass er in einer S-Kurve um das Klägerfahrzeug herum die vordere Tanksäule anfahren musste („Die Zapfsäule auf Höhe des klägerischen Fahrzeugs links war frei, weshalb ich durchfahren konnte, an der vorderen Zapfsäule links war jedoch ein Fahrzeug gestanden, sodass ich in einer S-Kurve an die vordere rechte Zapfsäule hinfahren musste“, vgl. Seite 3 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 305 d. A.). Nicht anzunehmen war dabei, dass an der links neben dem Klägerfahrzeug befindlichen Zapfsäule ebenfalls noch ein Fahrzeug stand, der Kläger war sich insoweit unsicher („Ich weiß heute nicht mehr, ob links neben mir ein Fahrzeug an der Tanksäule gestanden ist“, vgl. Seite 3 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 305 d. A.), der Beklagte zu 3) hat dies in Abrede gestellt („Die Zapfsäule auf Höhe des klägerischen Fahrzeugs links war frei“, vgl. Seite 3 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 305 d. A.) und der Sachverständige hat erläutert, dass ein gefahrloses Vorbeifahren durch ein „drittes Fahrzeug“ ebenfalls bei Einhaltung von Sicherheitsabständen nicht möglich gewesen wäre („Wenn man berücksichtigt, dass Fahrzeuge beim Tanken nicht völlig exakt am Rand zur Tanksäule stehenbleiben und wenn die jeweiligen Außenspiegel mit berücksichtigt werden, bestünden keine ausreichenden Sicherheitsabstände mehr, dass bei einem links dem dem Kläger stehenden Fahrzeug und dem Klägerfahrzeug dazwischen noch ein weiteres Fahrzeug durchfahren könnte“, vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.).
Der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. S. führte im Rahmen der Beweisaufnahme durch den Senat zunächst aus, dass die ergänzend durchgeführte Anhörung der Parteien sein schriftliches Gutachten bestätigt habe (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.). In seinem schriftlichen Gutachten legte der Sachverständige überzeugend dar, dass für den Kläger zwar im Zeitpunkt des Anfahrentschlusses die Absicht des Beklagten zu 3) die Zapfsäule vor dem klägerischen Fahrzeug anzufahren, (noch) nicht erkennbar war. Die Richtungsänderung des Beklagtenfahrzeugs konnte der Kläger erst 0,4-0,9 Sekunden vor der Kollision realisieren, woraus sich unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden nach den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, dass der Unfall für den Kläger – sofern man unterstellt, dass es entscheidend auf die Erkennbarkeit der Richtungsänderung ankommt – weg- und zeitmäßig unvermeidbar war (vgl. Seite 14 des Gutachtens = Bl. 155 d. A.; Seite 8 des EU). Indes konnte der Sachverständige basierend auf den Angaben beider Parteien im Termin vor dem Senat auch nachvollziehbar bekräftigen, dass der Kläger bei einem Blick in den Außenspiegel links, jedenfalls bei ordnungsgemäßer Durchführung des von ihm selbst berichteten Schulterblicks nach links („Ich habe dann auch noch einen Schulterblick nach links gemacht und dabei niemand gesehen, dann bin ich losgefahren“ vgl. Seite 3 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 305 d. A.) das Beklagtenfahrzeug vor dem Anfahren hätte erkennen müssen (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A. und bereits Seite 10 des Gutachtens vom 21.01.2020 = Bl. 151 d. A.). Er führte hierzu insbesondere aus, dass bei Unterstellung der Angaben des Klägers in dessen informatorischer Anhörung, wonach hinter diesem noch ein Fahrzeug gewartet habe, „das Beklagtenfahrzeug ja nicht hinter dem Kläger erst ausscheren [konnte], sondern […] schon in paralleler Fahrrichtung links neben dem Kläger heranfahren“ musste, so dass „bei den gerade vorhin genannten Geschwindigkeiten […] der Kläger das Beklagtenfahrzeug im Außenspiegel, jedenfalls aber bei seinem Schulterblick nach links kurz vor dem Losfahren, erkennen [hätte] müssen“ (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.). Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 30.03.2022 vortragen lässt, dass das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt des Anfahrvorgangs infolge der vom Beklagten zu 3) gewählten Fahrlinie nicht sichtbar gewesen sei, da es sich im sogenannten „toten Winkel“ befunden habe, so steht dies im klaren Widerspruch zu den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Im Übrigen ergibt sich auf den auf Seite 7 des Schriftsatzes der Klageseite präsentierten Skizzen auch nicht, dass der Kläger das herannahende Beklagtenfahrzeug nicht durch den selbst behaupteten Schulterblick habe erkennen können. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Sicht des Klägers im Moment des Anfahrens derart eingeschränkt gewesen wäre, dass er den rückwärtigen Bereich nicht voll habe überblicken können, so hätte er nicht „quasi blind“ anfahren dürfen, sondern hätte sich durch Abwarten vergewissern müssen, dass sich von hinten kein Fahrzeug nähert. Dies gilt umso mehr, als sich nach den eigenen Angaben des Klägers weder hinter ihm in Fahrtrichtung gesehen eine weitere Zapfsäule befand, noch die Zapfsäule vor dem Klägerfahrzeug besetzt war, (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 305 d. A.), so dass der Kläger in jedem Fall auch verpflichtet war, zu beobachten, ob sich nicht von hinten ein Fahrzeug annähert, um die vor ihm befindliche freie Zapfsäule anzufahren. In diesem Zusammenhang überzeugt der Einwand des Klägers im Schriftsatz vom 30.03.2022, wonach die „Durchfahrt zum Erreichen einer hinteren Zapfsäule, sofern die vorherige belegt ist, […] nicht Sinn und Zweck dieser Fläche“ ist, wenn die Zapfsäulen durch rechts und links an den Zapfsäulen stehende Fahrzeuge belegt sind, da dann die Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können, nicht. Zum einen war die links neben dem Klägerfahrzeug gelegene Zapfsäule gerade nicht belegt, so dass es nicht zu einem Unterschreiten des Sicherheitsabstandes gekommen ist. Zum anderen müssen die Nutzer von Zapfsäulen auf einem Tankstellengelände naturgemäß damit rechnen, dass freie Zapfsäulen durch weitere Verkehrsteilnehmer angefahren werden.
Zusammengefasst musste der Kläger, nachdem der gerichtliche Sachverständige – wie bereits dargelegt – ausgeführt hat, dass der Kläger das Beklagtenfahrzeug erkennen hätte müssen, in jeden Fall davon Abstand nehmen loszufahren, da das Beklagtenfahrzeug selbst dann, wenn dieses nicht die vordere Tanksäule hätte anfahren wollen, wegen des nach den unzweifelhaften Angaben des Beklagten an der vorderen linken Zapfsäule befindlichen Fahrzeugs nach rechts schwenken musste, um an diesem vorbeizufahren. Hieraus folgt der Verstoß des Klägers gegen die aus § 1 II StVO resultierende Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme.
Nicht relevant ist insoweit in rechtlicher Hinsicht, dass für den Kläger das Unfallgeschehen entsprechend der gutachterlichen Ausführungen nach dem Anfahrvorgang nicht mehr vermeidbar war, da er bereits nach § 1 II StVO verpflichtet gewesen wäre, von einem Anfahren Abstand zu nehmen.
b) Aber auch dem Beklagten zu 3) ist vorzuwerfen, dass er bei der von ihm selbst beschriebenen beengten Situation auf dem Tankstellengelände zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens mit der nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu unterstellenden Geschwindigkeit von mindestens 15 km/h deutlich zu schnell gefahren ist. Hieraus folgt ebenfalls ein Verstoß gegen das auf dem Tankstellengelände geltende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 II StVO. Zwar ist auch davon auszugehen, dass der Beklagte zu 3) seinerseits jedenfalls im Zuge der Vorbeifahrt am Klägerfahrzeug im Augenwinkel rechts ein anfahrendes Klägerfahrzeug hätte erkennen können. Der Senat geht jedoch infolge der nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen davon aus, dass ein rechtzeitiges Reagieren auf dieses Anfahren nicht mehr möglich war, um den Unfall zu vermeiden. („Bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h fährt das Beklagtenfahrzeug ca. 4 m in der Sekunde, bei 25 km/h ca. 6 m in der Sekunde. Wenn der Beklagte zu 3) im Augenwinkel bei seiner Vorbeifahrt, die ja orientiert war in Richtung einer S-Kurve zur Tanksäule, nach einer Reaktionszeit reagiert hätte, hätte er trotzdem einen Zusammenstoß nicht mehr vermeiden können. Hierbei habe ich berücksichtigt, dass beide Parteien die Unfallstelle etwa in der Mitte zwischen den beiden Tanksäulen verortet haben. Dabei ist berücksichtigt, dass sich ja auch das Klägerfahrzeug bis zu einer Geschwindigkeit von 10 km/h hin nach vorne in Richtung Kollisionsstelle bewegt hat.“, vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.).
Soweit der Kläger dies in den schriftsätzlichen Ausführungen vom 30.03.2022 in Zweifel zieht und meint, dass der Sachverständige sich mit seinen Ausführungen zur Vermeidbarkeit in diametralem Widerspruch zu seinen Darlegungen in seinen schriftlichen Gutachten vom 21.01.2020 und 15.09.2020 setze, weswegen von Amts wegen ein neues Gutachten einzuholen wäre, so kann dem nicht gefolgt werden. Zutreffend ist, dass der gerichtliche Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung zunächst auf sein „erstes schriftliches Gutachten“ Bezug genommen hat (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 306 d. A.). Im Folgenden hat der gerichtliche Sachverständige aber die im Rahmen seiner schriftlichen Ausführungen angestellte Vermeidbarkeitsbetrachtung dahingehend präzisiert, dass „bei einer theoretischen Überlegung […] der Unfall allenfalls [dann] vermieden [hätte] werden können für den Beklagten zu 3), wenn er, falls er schon nach rechts eingelenkt hat, wieder nach links lenkt in eine Parallelausrichtung und der Kläger parallel geradeaus gefahren wäre, dann hätte es nicht zu einem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge kommen können“ (vgl. Seite 5 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 307 d. A.). Hierbei gab der gerichtliche Sachverständige unter Bezugnahme auf die Modellrechnungen mehrfach zu verstehen, dass der Zeitpunkt des Anfahrens des Klägerfahrzeugs „nicht gleichzusetzen [sei] mit einer Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 3), weil dieser gerade bei einem langsamen Losfahren dieses noch nicht sofort hat erkennen können. Im Zuge der folgenden dynamischen Prozesse (Weiterfahrt des Beklagtenfahrzeugs mit 15 km/h, Anfahren des Klägerfahrzeugs bis zu einer Kollisionsgeschwindigkeit von 10 km/h) ab dem Zeitpunkt der Erkennbarkeit des Losfahrens für den Beklagten zu 3) ist eine Reaktionszeit von 0,8s zu rechnen“. (vgl. Seite 5 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 307 d. A.). Insoweit kommt der gerichtliche Sachverständige zu dem aus Sicht des Senats nachvollziehbaren Schluss, dass „der Beklagte [zwar] im Zuge der Vorbeifahrt am Klägerfahrzeug im Augenwinkel rechts ein Losfahren des Klägerfahrzeugs hat bemerken können, ihm bei Berücksichtigung von Reaktionszeiten eine Abwehr trotzdem nicht mehr möglich war“ (vgl. Seite 5 des Protokolls vom 23.03.2022 = Bl. 307 d. A.).
Für die Einholung eines weiteren Gutachtens, wie vom Kläger beantragt, besteht daher kein Anlass. Im Übrigen ist die Einholung eines weiteren Gutachtens, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 412 ZPO) steht, nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise geboten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67 -, BGHZ 53, 245-264; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO 40. Aufl., § 412 Rn. 1). Das Gericht darf und muss nur dann eine neue Begutachtung anordnen, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn es Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen erscheinen (BGH DRiZ 1967, 166) (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67 -, BGHZ 53, 245-264). Darüber hinaus kann ein weiteres Gutachten erforderlich sein, wenn eine besonders schwierige Frage zu entscheiden ist oder das vorgelegte Gutachten grobe Mängel aufweist (BGH MDR 1953, 605; BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67 -, BGHZ 53, 245-264; Thomas/Putzo, ZPO 40. Aufl., § 412 Rn. 1 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor.
c) Bei der gemäß § 17 StVG anzustellenden Abwägung der jeweiligen Verursachungs- bzw. Verschuldensanteile der beiden Fahrzeuglenker am streitgegenständlichen Unfall ist nach der ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme des Senats davon auszugehen, dass dem Kläger ein überwiegendes Verschulden am Unfall vorzuwerfen ist, was zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Klageseite führt. Zwar ist sowohl auf der Klage- als auch auf der Beklagtenseite ein Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht nach § 1 II StVO zu beachten. Entsprechend der Ausführungen des gerichtlichen Sachversändigen Dipl.-Ing. S. ist aber zu beachten, dass der Kläger in jedem Fall das Beklagtenfahrzeug heranfahren hätte sehen und angesichts der Verkehrslage davon hätte ausgehen müssen, dass das Beklagtenfahrzeug vor ihm nach rechts ziehen muss, es auch wahrscheinlich war, dass es zur Tanksäule hinüberfahren wird, wobei auch der Rechtsgedanke des § 10 StVO zu berücksichtigen ist. Dem Beklagten zu 3) kann hingegen – abweichend zu den Erwägungen des Erstgerichts – nicht mehr angelastet werden, dass er noch auf das losfahrende Fahrzeug hätte reagieren können. Vorzuwerfen ist ihm im Rahmen des § 1 II StVO nur noch die überhöhte Geschwindigkeit. Daraus folgt, dass der Kläger überwiegend haftet. Den jeweiligen Verursachungs- bzw. Verschuldensbeiträgen wird nach Auffassung des Senats mit einer Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Klageseite angemessen entsprochen.
d) Hinsichtlich der Schadenshöhe ergibt sich das Folgende:
(1) Das Erstgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger die vollumfänglichen Reparaturkosten gemäß dem gutachterlichen Kostenvoranschlag vom 07.03.2017 (Anlage K 1) zustehen, mithin also ein Betrag in Höhe von netto 2.476,71 €. Zu berücksichtigen ist hier jedoch die Mithaftungsquote von 2/3.
Die Ausführungen des Erstgerichts basieren auf dem Urteil des BGH vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18:
Nach § 249 II Satz 1 BGB kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustellen, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18 -, Rn. 9, juris). Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BGH beschränkt sich das Ziel der Restitution dabei nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (BGH, a.a.O., Rn. 9, juris m. w. N.). Hierbei hat das Gericht den zur Herstellung objektiv erforderlichen (ex ante zu bemessenden) Betrag gemäß § 287 I ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln (BGH, a.a.O., Rn. 10, juris m. w. N.).
Zwar ist den Beklagten zuzugeben, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Kosten der Beilackierungs- und Einstellungsarbeiten trifft (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11 juris). Soweit die Beklagten der Auffassung sind, dass das Erstgericht nicht ohne Erholung eines Sachverständigengutachtens über die Höhe der Reparaturkosten entscheiden hätte dürfen, verkennen sie aber – wie das Erstgericht zu Recht darlegt (vgl. Seite 12 des EU), dass § 287 I ZPO an das Maß der Überzeugungsbildung des Tatrichters geringere Anforderungen als die Vorschrift des § 286 ZPO stellt (st. Rspr. des BGH: BGH, a.a.O., Rn. 13, juris m. w. N.). Im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO darf sich der Tatrichter je nach Lage des Einzelfalls mit einer überwiegenden (höheren oder deutlich höheren) Wahrscheinlichkeit begnügen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 13, juris; BGHZ 4, 192 [196]; BGH NJW-RR 2005, 897; Senat NZV 2006, 261 [262], Urt. v. 25.6.2010 – 10 U 1847/10 [juris]; OLG Schleswig NZV 2007, 203 [204]). Ihm steht bei der Schadensschätzung ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH, a.a.O., Rn. 13, juris; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 Rn. 23).
Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht im Rahmen des ihm eröffneten tatrichterlichen Ermessens nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Beilackierungs- und Einstellungsarbeiten als überwiegend wahrscheinlich erachtet hat.
Erstattungsfähig sind nach der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme ferner die beanspruchten UPE-Aufschläge und die Verbringungskosten.
Hinsichtlich der UPE-Aufschläge und Verbringungskosten ist Anknüpfungspunkt die Erforderlichkeit i. S. d. § 249 II 1 BGB. Ein Schadengutachten legt den zu beanspruchenden Schadensersatz für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs nicht bindend fest. Bei den Kosten für die Verbringung des Fahrzeugs zu einer Lackiererei handelt sich nicht um einen unmittelbaren Schaden an der Fahrzeugsubstanz, sondern nur um einen mittelbaren Begleitschaden, der in dieser oder einer anderen Höhe anlässlich der Reparatur in einer bestimmten Werkstatt möglicherweise anfallen kann. Andererseits ist für das, was zur Schadensbeseitigung nach der letztgenannten Vorschrift erforderlich ist, ein objektivierender, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten typisierender Maßstab anzulegen. Die Festlegung des für die Reparatur erforderlichen Geldbetrages kann dabei im Wege einer fiktiven Abrechnung sachgerecht auf der Grundlage des Gutachtens eines anerkannten Kfz-Sachverständigen erfolgen. Hierbei muss der Sachverständige eine Prognose darüber erstellen, welche Kosten bei einer Reparatur in einer Fachwerkstatt anfallen. Auch hinsichtlich der UPE-Aufschläge handelt es sich um unselbständige Rechnungspositionen im Rahmen der Reparaturkostenermittlung, deren Beurteilung durch den Sachverständigen nicht anders zu behandeln ist als seine hinsichtlich der Arbeitszeit oder des benötigten Materials erfolgte Einschätzung (Senat, Urteil vom 28. Februar 2014 – 10 U 3878/13 -, Rn. 12, juris mit Verweis auf OLG Hamm NZV 2013, 247).
Maßgeblich ist nach Auffassung des Senats, ob im Falle einer Reparatur bei Werkstätten in der Region typischerweise Verbringungskosten und UPE-Aufschläge erhoben werden (vgl. Senat, a.a.O., Rn. 13, juris unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf DAR 2008, 523; KG KGR 2008, 610; Senat, Urt. v. 27.05.2010 – 10 U 3379/09 [juris, dort Rz. 25]).
Hierzu führte der gerichtliche Sachverständige M. S., an dessen Sachkunde und Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, im Termin am 23.03.2022 überzeugend aus, dass im Raum um den Wohnort des Klägers diese Kosten weit überwiegend von den dortigen Werkstätten verlangt werden, so dass die beanspruchten UPE-Aufschläge und die Verbringungskosten dem Kläger (anteilig entsprechend der Haftungsverteilung) zustehen.
(2) Erstattungsfähig sind ferner – unter Einbeziehung der Mithaftungsquote – die Kosten für den erholten Kostenvoranschlag in Höhe von 67,83 €. Die Kosten für die Einholung eines Kostenvoranschlags können nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen erstattungsfähig sein, soweit der Geschädigte Aufwendungen zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder zur Wiederherstellung für erforderlich und zweckmäßig halten durfte (LG Saarbrücken, ZfSch 2014, 500 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 23.1.2007 – VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 f.; v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03, VersR 2005, 380 f. und v. 29.11.1988 – X ZR 112/87, NJW-RR 1989, 953, 956). Soweit – wie vorliegend – die Kosten eines Kostenanschlags an Stelle eines teureren Gutachtens eingeholt werden, sind diese Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 249 Rn 58a mit Verweis auf die str. Rechtsprechung).
(3) Unter Berücksichtigung der anteilig zu ersetzenden Unkostenpauschale und Beachtung des Seitens der Beklagten bereits außergerichtlich regulierten Betrages von 696,23 € ergibt sich daher ein Schadensersatzanspruch von noch 160,28 € (1/3 von (2.476,71 € + 67,83 € +25 €) abzüglich 696,23 €). Die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren aus dem relevanten Gegenstandswert von 856,51 € (1/3 von (2.476,71 € + 67,83 € +25 €)) sind durch den bereits außergerichtlich beglichenen Betrag von 147,56 € bereits vollständig bezahlt.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
2. Die Widerklage des Beklagten zu 3) ist entsprechend der bereits ausgeführten rechtlichen Gesichtspunkte dem Grunde nach unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 1/3 begründet. Im Übrigen war die Widerklage abzuweisen.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers und des Drittwiderbeklagten ist der Beklagte zu 3) hinsichtlich des mit der Widerklage in Ziffer 1 geltend gemachten Schadensersatzanspruches (Reparaturkosten, Nutzungsausfall, merkantiler Minderwert und Unkostenpauschale) auch aktivlegitimiert.
Hieran ändert zunächst der Umstand, dass das Fahrzeug VW Polo auf die Beklagte zu 2) zugelassen ist, sie mithin als Halterin des Fahrzeuges VW Polo in den Fahrzeugpapieren eingetragen ist und auch der Versicherungsvertrag auf sie läuft (vgl. Anlage K 2) nichts. Denn nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur folgt die Eigentümerstellung weder aus der Haltereigenschaft noch aus der Stellung als Vertragspartner des KFZ-Versicherungsvertrages. Der Fahrzeugbrief dokumentiert lediglich, auf welche Person ein Kraftfahrzeug bei der Zulassungsstelle zugelassen ist (LG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 11 O 51/16 -, Rn. 14). Aus dem Versicherungsvertrag geht nur hervor, wer Vertragspartner der KFZ-Versicherung ist.
Ein gewichtiges Indiz für die Eigentümerstellung des Beklagten zu 3) ist der Umstand, dass allein der Beklagte zu 3) den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen VW Polo abgeschlossen hat, was er durch Vorlage der Rechnung vom 15.05.2015 (vgl. Anlage B 5) belegt hat, mag auch der Kaufpreis von dem gemeinschaftlichen Konto der Eheleute bezahlt worden sein (vgl. Anlage B 6).
Dem Beklagten zu 3) kommt überdies die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zugute. Nach dieser Bestimmung wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei. Der Beklagte zu 3) hat den streitgegenständlichen VW Polo zum Unfallzeitpunkt geführt und hatte an diesem Alleinbesitz, woraus sich die Vermutung für das Alleineigentum des Beklagten zu 3) ergibt.
b) Dem Beklagten zu 3) steht neben den geltend gemachten Reparaturkosten (Anlage K 1) und der Unkostenpauschale auch der beanspruchte Nutzungsausfallschaden und die die Wertminderung zu, wobei jeweils eine Mithaftungsquote von 1/3 zu berücksichtigen ist.
(1) Ein Anspruch auf Nutzungsausfall für die Dauer der Reparatur vom 18.04.2017 bis 26.04.2017 (vgl. Anlage K 1) steht dem Beklagten zu 2) basierend auf der Haftungsquote von 2/3 : 1/3 zu Lasten des Klägers in Höhe von 210,00 € zu.
Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entschädigung für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich bejaht (z.B. BGH in MDR 2018, 470; BGH Urteil v. 23.11.2004 – VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154 = MDR 2005, 268; v. 10.6.2008 – VI ZR 248/07 Rz. 6, 8, MDR 2008, 969 = NJW-RR 2008, 1198). Anspruchsgrundlage ist insoweit § 251 Abs. 1 BGB.
Für den Nutzungsausfallschaden gelten die schadensrechtlichen Grundsätze der subjektbezogenen Betrachtung des Schadens sowie des Bereicherungsverbots (BGH, NJW-RR2008, 1198 mit Bezugnahme auf BGHZ 45, 212 [219f.] = NJW 1966, 1260; BGHZ 162, 161 [165] = NJW 2005, 1108 m.w. Nachw. und NJW 2008, 915 = DAR 2008, 139). Dem Geschädigten gebührt die Entschädigung daher nur dann, wenn er sein Kraftfahrzeug während der Reparaturzeit benutzen wollte und hierzu in der Lage war (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 1198). Eine Entschädigung für entgangene Gebrauchsvorteile des Kraftfahrzeugs scheidet im Umkehrschluss aus, wenn sich der Nutzungsentzug für den Geschädigten nicht als „fühlbarer“ wirtschaftlicher Nachteil ausgewirkt hat, weil er das Fahrzeug während dieser Zeit nicht benutzen wollte, nicht zu dessen Nutzung in der Lage war oder weil die Entbehrung der Nutzung in anderer, anrechenbarer Weise aufgefangen worden ist (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. September 2017 – 4 U 82/16 -, Rn. 35, juris unter Bezugnahme auf Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 211, m.w.N.).
In der Regel spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW diesen während eines unfallbedingten Ausfalls benutzt hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Januar 2007 – I-1 U 151/06; Urteil vom 1. Oktober 2001, Az.: 1 U 206/00 sowie Urteil vom 29. Oktober 2001, Az.: 1 U 211/00; so auch OLG Celle VersR 1973, 717; OLG Frankfurt DAR 1984, 318; OLG Köln VRS 96, 325).
Der streitgegenständliche Unfall, der zu einer Beschädigung des Beklagtenfahrzeugs geführt hat, ereignete sich vorliegend am 20.02.2017. Der Beklagte zu 3) ließ das Fahrzeug im Zeitraum vom 18.04.2017 bis 26.04.2017 (bgl. Anlage K 1) reparieren. Hierbei verkennt der Senat keineswegs, dass nach Teilen der Rechtsprechung ein Nutzungswille fehlt, wenn der Geschädigte nach einem Unfall über längere Zeit keine Reparatur durchführen lässt bzw. kein Ersatzfahrzeug angeschafft hat (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Dezember 2012 – 4 U 164/12 – ein Jahr neun Monate, mit Verweis auf Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 249 Rz. 42 m.w.N.). Zumindest begründet ein längerer Zeitraum des Zuwartens mit einer Reparatur eine von dem Geschädigten zu entkräftende tatsächliche Vermutung für einen fehlenden Nutzungswillen (vgl. Wenker, jurisPR-VerkR 6/2012 Anm. 4 unter Bezugnahme auf OLG Celle, Urt. v. 13.10.2011 – 5 U 130/11 und u.a. ebenso OLG Bremen, Urt. v. 03.04.2001 – 3 U 108/00 – vier Monate; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, a.a.O., Rn. 37 – vier Monate; LG Hanau, Urt. v. 14.11.2008 – 9 O 650/08 – mehrere Monate).
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass der Beklagte zu 3) nur ca. zwei Monate abwartete, bis er das Fahrzeug reparieren ließ. Es ist daher von einem fortbestehenden Nutzungswillen auszugehen.
(2) Die Wertminderung des VW Polo ist entsprechend der Ausführungen des Klägers und Drittwiderbeklagten mit 500,00 € anzusetzen. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl. Ing. S. (vgl. Gutachten Seite 15 = Bl. 156 d. A.). Unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 2/3 : 1/3 ergibt sich daher ein Betrag von 333,33 €.
(3) Der Anspruch des Beklagten zu 3) beläuft sich damit insgesamt auf 2.670,22 € (2/3 von (brutto 3.165,34 € + Nutzungsausfall 315 € + merkantiler Minderwert 500,00 € + Unkostenpauschale 25,00 €)).
c) Im Hinblick auf den mit der Widerklage geltend gemachten Rückstufungsschaden der Beklagten zu 2) war die Widerklage abzuweisen.
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH die – vorliegend aus der in Anlage K 2 vorgelegten Aufstellung zur Schadensmehrbelastung zu entnehmende – Rückstufung in der Vollkaskoversicherung für die Beklagte zu 2) eine Folge des unfallbedingten Fahrzeugschadens (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1966 – VI ZR 147/64, BGHZ 44, 382, 387; vom 25. April 2006 – VI ZR 36/05, VersR 2006, 1139 und vom 26. September 2006 – VI ZR 247/05, VersR 2007, 81 Rn. 8; ebenso BGH, Urteil vom 14. Juni 1976 – III ZR 35/74, VersR 1976, 1066, 1067, insoweit in BGHZ 66, 398 nicht abgedruckt; BVerwGE 95, 98, 102 f.; vgl. zur Gebäudekaskoversicherung Senatsurteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04, VersR 2005, 558, 559). Dies gilt nach dem BGH auch dann, wenn der Rückstufungsschaden (auch) infolge der Regulierung des von der Beklagten zu 2) selbst zu tragenden Schadensanteils eintritt (BGH, Urteile vom 25. April 2006 – VI ZR 36/05 und vom 26. September 2006- VI ZR 247/05). Das folgt aus dem Grundsatz, dass eine Mitursächlichkeit einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleichsteht (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – VI ZR 577/16, Urteile vom 26. September 2006 – VI ZR 247/05, vom 25. April 2006 – VI ZR 36/05, vom 19. April 2005 – VI ZR 175/04, VersR 2005, 945, 946; vom 20. November 2001 – VI ZR 77/00, VersR 2002, 200, 201; vom 27. Juni 2000 – VI ZR 201/99, VersR 2000, 1282, 1283 und vom 26. Januar 1999 – VI ZR 374/97, VersR 1999, 862). Ein Leistungsanspruch der Beklagten zu 2) ergäbe sich – unter Beachtung der Haftungsquote – aber jeweils nur in Höhe des bereits eingetretenen Prämienschadens und nicht für den noch nicht (sicher) bezifferbaren Zukunftsschaden (zum Ganzen, Senat, Urteil vom 06. Dezember 2019 – 10 U 2554/19 -, Rn. 9, juris). Insoweit fehlt es trotz des Hinweises des Senats in der Terminsverfügung vom 22.07.2021 (Bl. 291/292 d. A.) an einem substantiierten Vortrag der Beklagtenseite zur Höhe des bereits eingetretenen Prämienschadens.
Im Übrigen waren die Berufungen zurückzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO und der sog. Baumbachschen Formel.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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