Verkehrsrecht

Tschechische Fahrerlaubnis, Fahrerlaubniserlangung, Entzug der Fahrerlaubnis, Erteilung der Fahrerlaubnis, Fahrerlaubnisbehörde, Ausländische Fahrerlaubnis, Fahrerlaubnisrecht, Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahrerlaubnis-Verordnung, EU-Fahrerlaubnis, Fahrerlaubniserwerb, Erwerb der Fahrerlaubnis, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Führerscheinstelle, Führerscheinrichtlinie, Mitgliedstaaten, Widerspruchsverfahren, Verwaltungsgerichte, Führen von Kraftfahrzeugen, Antrag auf Aufhebung

Aktenzeichen  RO 8 S 20.676

Datum:
3.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41300
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FeV § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 28 Abs. 4 S. 2
RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 („3. Führerschein-Richtlinie“)
RL 2006/126/EG Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. April 2020 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Vollziehung von Ziffer 2 des Bescheids vom 3. April 2020 durch Entfernung des Sperrvermerks im polnischen Führerschein des Klägers, ausgestellt am 27.6.2018, oder in sonstiger geeigneter Weise, aufzuheben.
III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Feststellung, dass er nicht die Berechtigung besitzt, mit seiner polnischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen, sowie die Verpflichtung, den polnischen Führerschein zum Zwecke der Eintragung eines Sperrvermerkes vorzulegen.
Dem am 21. … 19 … geborenen Antragsteller wurde vom Landratsamt S … (LRA) am 16. Oktober 2008 die Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C1E, CE und T nach vorherigem Entzug neu erteilt.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2018, zugestellt am 29. Mai 2018, wurde dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller erteilten Klassen mit Wirkung ab Zustellung dieses Bescheids entzogen und der Antragsteller zur Abgabe seines Führerschein verpflichtet. Die Verfügungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund wiederholter Verkehrsteilnahmen des Antragstellers unter Alkoholeinfluss hätten erhebliche Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestanden. Deshalb sei eine Fahreignungsprüfung veranlasst worden. Nachdem der Antragsteller ein entsprechendes Fahreignungsgutachten nicht vorgelegt habe, könne der Schluss gezogen werden, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Zugrunde lagen Trunkenheitsfahrten am 16. Oktober 2007 (Blutalkoholkonzentration von 2,02 Promille, Entzug der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht S … mit Strafbefehl vom 16. Dezember 2007) und am 6. November 2017 (Blutalkoholkonzentration 0,90 Promille, Bußgeldbescheid vom 11. Dezember 2017 mit einmonatigen Fahrverbot). Der Bescheid wurde bestandskräftig. Der Antragsteller gab am 4. Juni 2018 seinen Führerschein ab.
Mit Schreiben vom 25. März 2019 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers gegenüber der Führerscheinstelle beim LRA mit, dass der Antragsteller am 27. Juni 2018 rechtswirksam eine Fahrerlaubnis in Polen erworben habe, die grundsätzlich anzuerkennen sei. Dem Antragsteller sei bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle mitgeteilt worden, dass ihn die polnische Fahrerlaubnis eventuell nicht berechtigen würde, in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen. Es würden Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft A … geführt. Der Antragsteller beantrage daher einen rechtsmittelfähigen Bescheid zur Frage, ob er berechtigt sei, von der am 27. Juni 2018 erworbenen polnischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Mit Schreiben vom 27. März 2018 an das Kraftfahrtbundesamt bat das LRA darum, bei der polnischen Ausstellungsbehörde anzufragen, ob der Antragsteller die beiden Trunkenheitsfahrten vom 16. Oktober 2007 und vom 16. November 2017 wahrheitsgemäß angegeben habe und ob im Zuge der Ausstellung des polnischen Führerscheins eine Fahreignungsüberprüfung stattgefunden habe. Falls eine Fahreignungsüberprüfung nicht stattgefunden habe, werde die Ausstellungsbehörde ersucht, die Fahrerlaubnis zu widerrufen und den Führerschein zurückzunehmen. Des Weiteren werde die Ausstellungsbehörde gebeten mitzuteilen, ob ein Führerschein umgetauscht worden sei, ob im Führerschein ein deutscher Wohnsitz eingetragen gewesen sei und ob bestätigt werden könne, dass dort zu keinem Zeitpunkt ein fester Wohnsitz bestanden habe. Sofern ein Verstoß gegen das Wohnortprinzip vorliege, werde die Ausstellungsbehörde ebenfalls ersucht, die Fahrerlaubnis zu widerrufen und den Führerschein einzuziehen.
Nachdem trotz mehrmaliger Erinnerung von Seiten der polnischen Behörden keine Antwort kam, legte der Bevollmächtigte des Antragsteller einen Mietvertrag über die Anmietung einer Wohnung in Polen sowie eine Bescheinigung der polnischen Behörden über die Registrierung des Aufenthalts eines Bürgers der Europäischen Union in Polen vom 10. Mai 2018 vor (Datum der Registrierung: 30. April 2018). Als Wohnsitz wurde angegeben: … Tanowo Szcecinska … Mit Bescheid vom 3. April 2020 stellte das LRA nach Anhörung zum Erlass eines negativen Bescheids in Ziffer 1 fest, dass der Antragsteller keine Berechtigung besitzt, mit seiner polnischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen. In Ziffer 2 des Bescheides wurde der Antragsteller verpflichtet, den polnischen Führerschein für die Klassen AM, B1 und BE, ausgestellt am 27. Juni 2018 durch die Fahrerlaubnisbehörde Starosta Policki, unverzüglich an das LRA S … zu übersenden, damit die fehlende Fahrberechtigung (Sperrvermerk) eingetragen wird. Die Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurden für sofort vollziehbar erklärt. In Ziffer 4 ist für den Fall, dass der Verpflichtung in Nr. 2 nicht innerhalb der dort genannten Frist nachgekommen wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- Euro angedroht. Zur Begründung des Bescheids wird unter anderem ausgeführt, das Vorliegen eines Wohnsitzverstoßes sei dem Antragsteller trotz wiederholtem Auskunftsersuchen beim Ausstellungsmitgliedstaat über das Kraftfahrtbundesamt nicht nachgewiesen worden. Die EU-Fahrerlaubnis berechtige jedoch nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen, sofern die Fahrerlaubnis im Inland sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden sei (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Nach § 28 Abs. 4 Satz 2 bzw. § 29 Abs. 4 Satz 2 FeV könne die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Fahrberechtigung erlassen. Auf die weitere Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller gab den polnischen Führerschein nachfolgend zur Anbringung eines Sperrvermerks ab. Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 14. April 2020 ließ der Antragsteller gegen den am 8. April 2020 zugestellten Bescheid Widerspruch einlegen, über den noch nicht entschieden ist.
Am 23. April 2020 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. Es wird vorgebracht, entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV auch weiterhin nur auf diejenigen Fälle anwendbar, in denen ein anderer Unions-/EWR-Staat eine Fahrerlaubnis während einer noch laufenden Sperrfrist erteilt habe. Die Vorschrift sei daher ihrem Wortlaut nach weitgehend europarechtswidrig und müsse aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts entsprechend richtlinienkonform ausgelegt werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe dies mit Urteil vom 6. September 2018 (Az. 3 C 31/16) erneut bestätigt. Da hier bereits keine Sperrfrist angeordnet worden sei, sei die konkrete Erteilung der polnischen EU-Fahrerlaubnis jedenfalls nicht innerhalb einer laufenden Sperrfrist erfolgt. Entsprechend der zwingenden richtlinienkonformen Auslegung könne § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht Rechtsgrundlage für die Feststellung einer fehlenden Berechtigung des Antragstellers, mit der polnischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen, sein. Der Antragsteller bewohne ein abgelegenes Anwesen und sei deswegen sowie im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Der Antragsteller habe seinen Führerschein dem LRA vorgelegt und es sei ein Sperrvermerk eingetragen worden; insoweit sei der Bescheid bereits vollzogen. Hinsichtlich dieser bereits erfolgten Vollziehung sei gem. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) deren Aufhebung anzuordnen.
Der Antragsteller beantragt,
1.die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. April 2020 wiederherzustellen,
2.die Aufhebung der erfolgten Vollziehung anzuordnen.
Das LRA beantragt für den Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, nach den vorliegenden Erkenntnissen des Landratsamtes sei der Antragsteller seit mindestens 20. Februar 2018 ununterbrochen im Inland gemeldet (Gemeinde S1 … Der Verdacht eines Wohnsitzverstoßes habe jedoch nicht erhärtet werden können. Wiederholte Anfragen an die zuständige Fahrerlaubnisbehörde in Polen seien nicht beantwortet worden. Der Antragsteller habe seine Kraftfahreignung nach behördlichem Entzug (Bescheid vom 28.5.2018) nicht nachgewiesen. Stattdessen habe er am 27. Juni 2018 eine polnische Fahrerlaubnis erworben. Diese sei grundsätzlich von den Mitgliedstaaten der EU gegenseitig anzuerkennen (Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG). Insofern führe der Antragsteller hierzu richtigerweise aus, dass dem Unionsrecht gegenüber der nationalen Regelungen in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV grundsätzlich Vorrang einzuräumen sei. Die Auffassung des Antragstellers, dass der Anerkennungsgrundsatz ohne jegliche Einschränkungen gelte, werde jedoch nicht geteilt. Es sei geklärt, dass die Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nur partiell gegen Unionsrecht verstoßen würde. Wenngleich es sich hier nicht um eine gerichtliche, sondern verwaltungsbehördliche Maßnahme handele, sei der Entzug der Fahrerlaubnis für sofort vollziehbar erklärt worden. Noch vor Eintritt der Bestandskraft des Bescheides am 3. Juli 2018 sei dem Antragsteller ein polnischer Führerschein ausgehändigt worden. Somit sei der Entzug der Fahrerlaubnis aus bereits vorliegenden Gründen (Schluss auf die Nichteignung wegen Nichtvorlage des rechtmäßig geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens) gerechtfertigt gewesen. Der vom Antragsteller vorgebrachte Einwand, dass eine festgestellte Nichteignung durch eine Eignungsüberprüfung in einem anderen Mitgliedstaat behoben worden sei, trage nicht. Zwar sei es grundsätzlich Aufgabe eines jeden Aussteller-Mitgliedstaats zu prüfen, ob die unionsrechtlichen Mindestvoraussetzungen erfüllt seien. Dennoch dürfe der Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung ursprünglich begangen wurde, die Wiedererlangung überprüfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist teilweise unzulässig. Soweit er zulässig ist, hat er in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er der Sache nach darauf gerichtet ist, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die in Ziffer 4 enthaltene Androhung eines Zwangsgeldes im Falle der nicht fristgerechten Vorlage des polnischen Führerscheins entsprechend der Verpflichtung in Ziffer 2 des Bescheids anzuordnen. Denn der Antragsteller hat den polnischen Führerschein bereits der Fahrerlaubnisbehörde zur Eintragung des Sperrvermerks vorgelegt. Durch Erfüllung der Verpflichtung hat sich die Androhung des Zwangsgeldes erledigt. Nachdem auch sonst nicht ersichtlich ist, dass das LRA insoweit weiterhin Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen will, ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anordnung nicht mehr ersichtlich.
Im Übrigen ist der Antrag zulässig. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs ist insbesondere auch hinsichtlich des in Ziffer 1 des Bescheids enthaltenen feststellenden Verwaltungsaktes statthaft (vgl. Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, Rn. 54 ff. zu § 28 FeV m.w.N.). Bei dem feststellenden Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 S. 2 FeV handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt. Einschlägige Rechtsbehelfe sind Widerspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) und Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Bezüglich der Ziffer 1 des Bescheids wurde in Ziffer 3 die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Dem Anfechtungswiderspruch bzw. der Anfechtungsklage bzw. hier dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt auch nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil auch im Falle der Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheides bzw. der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Feststellung der Inlandsungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis der Antragsteller nicht automatisch berechtigt wäre, im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug zu führen, da sich die Inlandsungültigkeit nach § 28 Abs. 4 FeV direkt aus dem Gesetz ergibt (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 13.12.2011 – 11 B 11.2336 – juris; Koehl, a.a.O., Rn. 45, 51 zu § 28 FeV). Denn eine bestandskräftige Feststellung, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, mit der polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug zu führen, kann der Berechtigung als eigenständiger Rechtsgrund entgegengehalten werden kann (vgl. Koehl, a.a.O. Rn. 50 ff. zu § 28 FeV unter Verweis auf BVerwG, U. v. 11.12.2008 – 3 C 26/07 – juris). Die Statthaftigkeit des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung des Bescheids im Hinblick auf die in Ziffer 2 enthaltene Pflicht zur Vorlage des polnischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
2. Soweit der Antrag zulässig ist, hat er in der Sache Erfolg.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Insbesondere hat das Landratsamt, das die sofortige Vollziehung angeordnet hat, das besondere Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinreichend begründet. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen, in denen die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die Begründung darf nicht lediglich formelhaft sein, sondern muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen, die die Annahme eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses tragen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung aber keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist nämlich das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch (vgl. z.B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 46, 55). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde daher in solchen Fällen nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört (so für die hier gegebene Konstellation einer sofort vollziehbaren Feststellung, dass eine ausländische Fahrerlaubnis nicht dazu berechtigt, in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen, ausdrücklich BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Bezug auf die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 3. April 2020 (vgl. S. 6 und 7) genügt diesen Anforderungen. Es wurde einzelfallbezogen auf die Erfordernisse der effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr abgestellt und auch die persönliche Betroffenheit des Antragstellers gewürdigt. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es erfolgt eine eigene Interessenabwägung des Gerichts.
b) Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt.
Für diese Interessenabwägung sind wesentlich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich. Sind die Erfolgsaussichten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht hinreichend abzuschätzen, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen, bei der zum einen das Vollzugsinteresse der Behörde, hier u.a. das hohe Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs (vgl. dazu Koehl, a.a.O., Rn. 56 zu § 28 FeV), und zum anderen die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einzustellen sind.
aa) Im vorliegenden Fall sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids nach summarischer Prüfung nicht abschließend abzuschätzen.
Der Beklagte stützt die Nichtanerkennung der polnischen Fahrerlaubnis des Klägers in Ziffer 1 des Bescheids auf § 28 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung nach Absatz 1 u.a. nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist. Nach § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV ist Satz 1 Nr. 3 und 4 nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) getilgt sind. Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV kann die Behörde in den Fällen des Satzes 1 einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Inlandsungültigkeit waren vorliegend nach dem Wortlaut der Bestimmung in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 3. April 2020 erfüllt; diese sind auch nach wie vor gegeben (soweit man im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt darauf abstellt, dass der feststellende Bescheid ein Dauerverwaltungsakt ist). Dem Antragsteller, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2018 als zuständige Verwaltungsbehörde – sofort vollziehbar ab Zustellung des Bescheids – die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller erteilten Klassen entzogen. Nach Auskunft des Antragsgegners vom 28. August 2020 wurde der Entzug der Fahrerlaubnis im Fahreignungsregister eingetragen, der Eintrag wurde noch nicht getilgt. Das Gericht hat keinen Grund zu der Annahme, dass der Entzug der Fahrerlaubnis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides am 3. April 2020, damit knapp zwei Jahre nach den Entzug der Fahrerlaubnis, noch nicht eingetragen gewesen wäre.
Allerdings stellt sich die Frage, ob hier im konkreten Fall die Anwendung der Regelung in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV mit den europarechtlichen Vorgaben in der RL 2006/126/EG (sog. 3. Führerschein-Richtlinie) vereinbar ist. Denn nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ist die Vorschrift weitgehend nicht europarechtskonform und darf aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts nicht zur Anwendung kommen (vgl. Koehl, a.a.O. Rn. 33 zu § 28 FeV).
Denn Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG sieht die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Es ist danach Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind, und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß der Richtlinie ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung diese Voraussetzungen erfüllte (vgl. VG Augsburg, B.v. 12.11.2018 – Au 7 E 18.1433 – juris Rn. 43 unter Verweis auf EuGH, U. v. 26.6.2008 – C-329/06 und C-343/06 – Wiedemann u. a., juris, Rn. 50 ff.; U.v. 19.5.2011 – C-184/10 – Grasser, juris, Nr. 19 ff.; U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – Akyüz, juris, Rn. 40 ff.; U.v. 23.4.2015 – C-260/13 – Aykul, juris, Rn. 45 ff.). Vorliegend ist nach der in der Behördenakte befindlichen Kopie des polnischen Führerschein des Antragstellers davon auszugehen, da es sich um einen neu ausgestellten Führerschein und nicht um eine Umschreibung handelt, nachdem in Spalte 12 keine entsprechende Kennziffer für eine Umschreibung eingetragen ist.
Der § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV entspricht zwar weitgehend den Vorgaben des Art 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG. Danach hat ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der in einem anderen Mitgliedstaat von einer Person erworben wurde, auf die im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung des Führerscheins angewendet wurde.
Die in Art. 11 Abs. 4 der RL 2006/126/EG vorgesehene Befugnis ist aber eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse und aus diesem Grund eng auszulegen (vgl. z.B. EuGH, U.v. 26.4.2012 – C-419/10 – Hofmann – juris, Rn. 43 ff.; U.v. 21.5.2015 – C-339/14 – Wittmann – juris, Rn. 24). Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126 (bzw. vormals Art. 8 Abs. 4 der RL 91/429 EWG) berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis angewandt wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit jedes Führerscheins zu versagen, der ihr nach Ablauf der Sperrfrist von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Andernfalls könnte ein Unionsbürger nur noch in dem Mitgliedstaat eine Fahrerlaubnis erlangen, in dem sie zuvor beschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, und zwar ohne zeitliche Begrenzung dieser Einschränkung (vgl. VG Augsburg, B.v. 12.11.2018, Au 7 E 18.1433 – juris). Der EuGH legt entgegen dem Wortlaut der Richtlinie den gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz dahin gehend aus, dass im Fall einer EU-Fahrerlaubnis, der eine Eignungsprüfung vorausgegangen ist, eine Berechtigung des Aufnahmemitgliedstaats zur Nichtanerkennung – mit Ausnahme der Fallgruppe des Erwerbs der Fahrerlaubnis während des Laufs einer gerichtlichen Sperrfrist – dann besteht, wenn der Ausstellermitgliedstaat durch die Offenbarung der Nichteinhaltung der Wohnsitzvoraussetzung quasi selbst einräumt, für die Ausstellung unzuständig gewesen zu sein. Gegen diese einschränkende Auslegung kann auch nicht ins Feld geführt werden, dass die Berufung auf den gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz durch den Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn dieser unter Umgehung der strengeren Vorschriften in seinem Heimatstaat im benachbarten EU-Ausland eine Fahrerlaubnis erwirbt, um damit in seinem Heimatstaat Kraftfahrzeuge führen zu können. Der EuGH hat ausdrücklich betont, dass es Bestandteil der europarechtlichen Freizügigkeit ist, sich als EU-Bürger in einen fremden Mitgliedstaat begeben, um zu den dort geltenden Konditionen, wie möglicherweise weniger anspruchsvoll sind als diejenigen seines Heimatstaates, eine EU-Fahrerlaubnis zu erwerben (vgl. dazu Koehl, a.a.O., Rn. 35 f zu § 28 FeV mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH).
Im vorliegenden Fall liegt der Entzug der Fahrerlaubnis mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 29. Mai 2018 zeitlich vor der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis, die nach dem vorgelegtem Führerschein am 27. Juni 2018 erteilt wurde. Demnach ergeben sich hier keine Umstände, die nach der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis eingetreten wären und der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet entgegen gehalten werden könnten. Die Umstände lagen zum Zeitpunkt der Ausstellung des polnischen Führerscheins vor. Nach den vorstehenden Ausführungen ist der Besitz des von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung diese Voraussetzungen erfüllte und demnach anzuerkennen ist. Dies zugrunde legend bestehen rechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 1 des Bescheids enthaltenen Feststellung der Nichtanerkennung.
Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 29. Mai 2018 noch nicht bestandskräftig war und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis in Deutschland und der nachfolgenden Ausstellung der polnischen Fahrerlaubnis am 27. Juni 2018 besteht. Insoweit ist offen, ob der Entzug der deutschen Fahrerlaubnis des Antragstellers bereits für die polnischen Behörden erkennbar war (z.B. durch Eintragung des Entzugs in den entsprechenden Registern) und vor diesem Hintergrund die erforderliche Prüfung der Fahreignung überhaupt sachgerecht stattgefunden hat. Entsprechende Nachfragen des LRA wurden von den polnischen Behörden bislang nicht beantwortet.
Der EuGH (U.v. 20.11.2008 – C-1/07, W. – juris) hat zu einem etwas anders gelagerten Fall (Ausstellung der ausländischen Fahrerlaubnis während einer Aussetzung einer deutschen Fahrerlaubnis durch Verhängung eines Fahrverbots im Bußgeldverfahren und nachfolgender Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Ordnungsamt nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV) zu Art. 8 Abs. 2 der RL 91/439/EWG (sog. „2. Führerscheinrichtlinie“), der Vorgängerregelung zu Artikel 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG („3. Führerscheinlichtlinie“), Folgendes ausgeführt:
31. Es kann nicht angenommen werden, dass die RL 91/439 dazu verpflichtet, die Gültigkeit eines unter solchen Bedingungen erteilten Führerscheins anzuerkennen.
32 Der Gerichtshof hat zwar Gelegenheit gehabt, festzustellen, dass ein Mitgliedstaat die ihm von Art. 8 Abs. 2 der RL 91/439 eröffnete Befugnis, seine innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuwenden, nur aufgrund eines Verhaltens des Inhabers dieses Führerscheins nach dessen Erwerb ausüben kann (vgl. Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 59, und Zerche u. a., Randnr. 56, Beschlüsse Halbritter, Randnr. 38, und Kremer, Randnr. 35).
33. Die Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, die gegen den Betroffenen in der dem Beschluss Kremer zugrunde liegenden Rechtssache verhängt worden war, war jedoch nicht mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden. In den Rechtssachen, die den anderen in der vorstehenden Randnummer angeführten Entscheidungen zugrunde liegen, waren die Sperrfristen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, mit denen die Maßnahmen des Entzugs verbunden waren, allesamt zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen.
34. Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat von der in Art. 8 Abs. 2 der RL 91/439 vorgesehenen Befugnis nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins Gebrauch machen kann. Diese Bestimmung erlaubt es dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes nämlich nicht, die Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins allein mit der Begründung abzulehnen, dass dem Inhaber dieses Führerscheins zuvor eine frühere Fahrerlaubnis im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen wurde (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 66, und Zerche u. a., Randnr. 63).
35. Ganz anders stellt sich hier die Situation im Ausgangsverfahren dar. Auf Herrn W. wurde, als er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, eine von den zuständigen deutschen Behörden erlassene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis angewandt. Außerdem wurde gegen ihn nach der Erteilung seines tschechischen Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis verhängt, mit der dieselbe Tat geahndet wurde, die die Maßnahme des Fahrverbots gerechtfertigt hatte.
36. In einer solchen Situation ist auf der Grundlage der RL 91/439 und insbesondere ihres Art. 8 Abs. 4 die Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins abzulehnen, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, uneingeschränkt und endgültig anzuerkennen, wenn auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. Juli 2008, Möginger, C-225/07, Randnr. 41). Der Umstand, dass der Entzug der Fahrerlaubnis nach dem Zeitpunkt der Erteilung des neuen Führerscheins angeordnet wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zu eben diesem Zeitpunkt bereits vorlagen (vgl. im Umkehrschluss Urteil Kapper, Randnr. 74).
37. Jede andere Auslegung nähme der in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der RL 91/439 vorgesehenen Befugnis eines Mitgliedstaats, es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, den eine Person, die in seinem Hoheitsgebiet einer Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterlag, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, jeden Inhalt.
38. Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist allein der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung begangen wird, dafür zuständig, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs, eventuell verbunden mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, verhängt.
39. Einen Mitgliedstaat mit der Begründung, dass der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nach dessen Erteilung keine Zuwiderhandlung im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats begangen hat, zur Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins zu verpflichten, obwohl diese Person noch einer gültigen, durch eine vor dieser Erteilung liegende Tat gerechtfertigten Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterliegt, schüfe nun aber gleichsam einen Anreiz für Täter von Zuwiderhandlungen, die mit einer Maßnahme des Entzugs bestraft werden können, sich unverzüglich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um den verwaltungs- oder strafrechtlichen Folgen dieser Zuwiderhandlungen zu entgehen, und zerstörte letztendlich das Vertrauen, auf dem das System der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine beruht.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung des EuGH zum Anerkennungsgrundsatz nach der 2. Führerscheinrichtlinie auch für die 3. Führerscheinrichtlinie Geltung hat (vgl. zuletzt BVerwG, B.v. 16.1.2020 – 3 B 51/18, juris Rn. 16 a.E. mit Verweis auf Rspr. des EuGH). Es spricht nach Auffassung der Kammer einiges dafür, dass auch im vorliegendem Fall, in dem nach Erlass eines sofort vollziehbaren Entzugsbescheids in einem engem zeitlichen Abstand noch vor dessen Bestandskraft, dem Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat ein Führerschein ausgestellt wird, vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nach Art 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG eine Ausnahme gilt. Dafür sprechen die zitierten Erwägungen des EuGH.
Die einschlägigen Rechtsfragen können aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Es ist derzeit auch nicht absehbar, ob im Widerspruchsverfahren möglicherweise eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch eine Antwort der polnischen Behörden auf die Anfrage des LRA über das Kraftfahrtbundesamt möglich ist, insbesondere ob der Entzug der Fahrerlaubnis in Deutschland den polnischen Behörden bereits bekannt war oder bekannt sein konnte oder vom Ausstellerstaat herrührende Erkenntnisse bekannt werden, die einen Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erkennen lassen.
Von der Rechtmäßigkeit der Feststellung in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. April 2020 hängt schließlich auch die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung in Ziffer 2 des Bescheids zur Vorlage des polnischen Führerscheins bei der Fahrerlaubnisbehörde zur Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 2 FeV ab.
bb) Nachdem die Erfolgsaussichten des Widerspruchverfahrens nicht abschließend beurteilt werden können, ist bei der Entscheidung über den Antrag eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidungen in Ziffer 1 und 2 des Bescheids überwiegt.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der von den polnischen Behörden ausgestellte Führerschein nach dem erwähnten Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt und der ausgestellte Führerschein grundsätzlich dokumentiert, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis vorlagen. Ausnahmen sind nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen. Lässt sich nicht ausreichend klären, dass eine Ausnahme vorliegt, ist von einer Fahrberechtigung im Bundesgebiet auszugehen.
Hinzu kommt, dass mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Feststellung der Inlandsungültigkeit nur der Rechtsschein der negativen Feststellung beseitigt wird. Die Inlandsungültigkeit an sich ergibt sich, wie ausgeführt, bereits aus dem Gesetz (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 13.12.2011 -11 B 11.2336 – juris; Koehl, a.a.O., Rn. 45, 51 zu § 28 FeV). Die Berechtigung, aufgrund des streitgegenständlichen polnischen Führerscheins im Bundesgebiet eine Kraftfahrzeug zu führen, ergibt sich aus der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht. Eine positive Feststellung der Inlandsgültigkeit ist vorliegend nicht streitgegenständlich (vgl. dazu z.B. Koehl, a.a.O., Rn. 57 f. zu § 28 FeV). Die bloße Beseitigung allein des Rechtsscheins der Feststellung der Inlandsungültigkeit ist vor dem Hintergrund der offenen Erfolgsaussichten aber sachgerecht.
Vor diesem Hintergrund gebieten auch das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben es nicht, den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Feststellung der Inlandsungültigkeit und auf Rückgängigmachung des Vollzugs durch Eintragung eines Sperrvermerks abzulehnen. Im Hinblick auf die genannten Schutzgüter sind zwar grundsätzlich hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss die Feststellung der Inlandsungültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis dann hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen ordnungsgemäßen Ablauf resultiert; dieses Risiko muss deutlich über demjenigen liegen, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist (vgl. dazu z.B. BayVGH, B.v. 7.11.20128 – 11 CS 18.435 – juris Rn. 12). Vorliegend erscheint das vom Antragsteller ausgehende Gefahrenpotential aber nicht so erheblich über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer zu liegen, dass eine andere Entscheidung geboten wäre. Insoweit ist anzuführen, dass zwischen den beiden Trunkenheitsfahrten, die zum Entzug der Fahrerlaubnis geführt haben ein zeitlicher Abstand von ca. 10 Jahren liegt. Die zweite Trunkenheitsfahrt wurde nur als Ordnungswidrigkeit geahndet, die dabei festgestellte Blutalkoholkonzentration von 0,9 Promille lag auch in einem Bereich, die für sich genommen noch nicht ausreichender Anlass für Zweifel an der Fahreignung gewesen wäre. Dem Entzug der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 29. Mai 2018 lag auch keine feststehende Fahrungeeignetheit zugrunde, sondern lediglich Zweifel, die zur Anordnung der Vorlage eines – dann nicht vorgelegten – Gutachtens führten, so dass die Behörde nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen durfte, die aber nicht feststeht.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Feststellung der Inlandsungültigkeit in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. April 2020 ist nach alledem sachgerecht. In der Folge war auch die Aufhebung der Vollziehung durch Eintragung des Sperrvermerks im polnischen Führerschein des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO anzuordnen.
Der Antrag hat daher, soweit er zulässig ist, Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO. Soweit der Antrag hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheids unzulässig ist, war es sachgerecht, von einer Kostenbeteiligung des Antragstellers abzusehen, da sich die Anfechtung der Zwangsgeldandrohung vorliegend nicht streitwerterhöhend auswirkt (vgl. Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.


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