Verkehrsrecht

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Aktenzeichen  9 O 2699/20

Datum:
28.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49213
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.953,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.11.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 1.141,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.11.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.111,18 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
A.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Traunstein ist gemäß Art. 13 Abs. 2 i.V. m. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO international zuständig, da das hier anwendbare kroatische Recht einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kraftfahrthaftpflichtversicherer vorsieht. Danach ist der Geschädigte den in Art. 11 Abs. 1 lit b. EuGVVO bezeichneten Personen gleichzustellen.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Traunstein ergibt sich aus den genannten Vorschriften der EuGVVO, da die Klägerin ihren Verwaltungssitz im hiesigen Landgerichtsbezirk hat.
Die sachliche Zuständigkeit folgt aus den §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, da der geltend gemachte Schadensersatzbetrag über 5.000 € liegt.
B.
Die Klage ist begründet.
I. Die Beklagte ist der Klägerin wegen des Verkehrsunfalls vom 28.02.2020 dem Grunde nach haftbar.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO kommt kroatisches Sachrecht zur Beurteilung der Haftung dem Grunde nach und zur Beurteilung der Schadenshöhe zur Anwendung.
Gemäß Art. 1045 Abs. 2 des kroatischen ZOO trifft sowohl den Fahrer als auch den Halter eines Kraftfahrzeugs eine Gefährdungshaftung bei Schäden im Straßenverkehr (Lemor SVR 2006 Heft 12, 451, beckonline).
Art. 11 des kroatischen Gesetzes über die Haftpflichtversicherung im Verkehr sieht einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kraftfahrthaftpflichtversicherer vor (Grgic in: MüKoStVR, Kroatien Rn. 51, beckonline).
Hier kann im Ergebnis sogar dahinstehen, ob nach den vorgenannten Vorschriften des kroatischen Rechts eine Haftung des Fahrers oder des Halters des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs wegen des Unfalls gegeben ist. Denn die Beklagte muss sich jedenfalls zurechnen lassen, dass ihr Schadensregulierungsbeauftragter mit E-Mail vom 06.07.2020 (Anlage K6) die Haftung für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall dem Grunde nach anerkannt hat.
1. Der Schadensregulierungsbeauftragte, der hier gleichzeitig Zustellungsbevollmächtigter ist, die … Germany GmbH, war berechtigt, mit Wirkung für und gegen die Beklagte ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB abzugeben, mit der Folge, dass der Beklagten zum Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntnisses bekannte oder fahrlässig nicht bekannte Einwendungen gegen ihre Haftung aus der Hand genommen sind.
Gemäß Art. 21 Abs. 1 der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, dass Kraftfahrthaftpflichtversicherer in allen anderen Mitgliedstaaten Regulierungsbeauftragte benennen. Gemäß Art. 21 Abs. 5 der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL müssen diese sogenannten Schadensregulierungsbeauftragten über ausreichende Befugnisse verfügen, um den Versicherer gegenüber dem Geschädigten zu vertreten und Schadensersatzansprüche in vollem Umfang zu regulieren. Dies folgt aus der Zielsetzung der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL, den Geschädigten, im Gleichlauf mit dem System Grüne-Karte, in den Genuss einer Unfallabwicklung wie durch einen inländischen Versicherer kommen zu lassen (MüKoStVR, I. Das System der Grünen Versicherungskarte und der EU-Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien Rn. 52, beckonline). Diese Zwecksetzung ergibt sich auch aus dem Erwägungsgrund Ziffer 34 der entsprechenden Richtlinie, RL 2009/103/EG, wonach die Lösung über den Schadensregulierungsbeauftragten es ermöglichen soll, dass ein außerhalb des Wohnsitzmitgliedstaates des Geschädigten eingetretener Schaden in einer Weise abgewickelt wird, die dem Geschädigten vertraut ist.
Dies hat zur Folge, dass die Schadensregulierungsmaßnahmen des Regulierungsbeauftragten nach deutschem Recht zu beurteilen sind, wiewohl durch das System des Schadensregulierungsbeauftragten im Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten das im konkreten Fall anzuwendende materielle Recht nicht geändert werden soll (Erwägungsgrund Ziffer 35, RL 2009/103/EG). Mit dem Sinn und Zweck der Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie, die Regulierung in einer dem Geschädigten vertrauten Weise abzuwickeln, wäre es nicht vereinbar, die Regulierungsmaßnahmen des Regulierungsbeauftragten nicht nach dem Recht des Wohnsitzmitgliedstaates zu beurteilen. Denn vertraut ist dem Geschädigten das an seinem Wohnsitz geltende Recht.
2. Danach kommt § 781 BGB über das Zustandekommen und die Rechtsfolgen eines deklaratorischen Schuldanerkenntnis zur Anwendung. Eine danach erforderliche Interessenlage, in der ein zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen in Streit steht, ist gegeben. Die Haftung für den Verkehrsunfall vom 28.02.2020 in Kroatien stand zwischen den Parteien nämlich in Streit. Jedenfalls war zwischen den Parteien ungewiss, wen die Haftung trifft. Aus diesem Grunde stellte der Regulierungsbeauftragte mit E-Mail vom 16.03.2020 der Klägerin auch anheim, ihre Schadensersatzansprüche dem Grunde und der Höhe nach zu belegen und unter anderem das polizeiliche Aktenzeichen und Zeugen anzugeben. Gemäß §§ 133, 157 BGB durfte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, daher aufgrund der Äußerung in der E-Mail vom 06.07.2020 (Anlage K6) von einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis ausgehen. Die Ungewissheit, wer die Haftung zu tragen hat, wurde durch die Äußerung vom 06.07.2020 beseitigt. Damit ist ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis zustande gekommen.
Das Gericht ist überdies davon überzeugt, dass die Klägerin anspruchsberechtigt ist, weil sie Eigentümerin des beschädigten Pkw Mercedes-Benz ist. Ihre Berechtigung an dem Fahrzeug ergibt sich indizweise zum einen aus den als Anlage K5 und K12 vorgelegten Fahrzeugdokumenten, in denen sie als Halterin eingetragen ist. Zum anderen wird ihre Berechtigung an dem Fahrzeug belegt durch den Umstand, dass offensichtlich die Klägerin den Gutachtensauftrag an das Sachverständigenbüro S. erteilt hat und ihr auch die Kosten der Begutachtung durch Rechnung vom 13.03.2020 in Rechnung gestellt wurden (Anlage K2). Den auf diese Umstände gestützten Vortrag zum Eigentum der Klägerin hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten, sodass das Eigentum der Klägerin nachgewiesen ist.
II. Der Höhe nach kann die Klägerin fiktive netto Reparaturkosten, die Kosten der sachverständigen Begutachtung sowie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung verlangen, abzüglich der bereits als Vorschuss geleisteten 8.000,00 €.
1. Die zum Vorsteuerabzug berechtigte Klägerin muss ihren Unfallschaden nicht auf Totalschadensbasis abrechnen. Sie kann nach kroatischen Recht die fiktiven Nettoreparaturkosten verlangen.
Gemäß dem kroatischen Recht ist der Geschädigte nicht verpflichtet, die geschädigte Sache reparieren zu lassen, die Schadenshöhe kann auch mit der Begutachtung festgestellt werden (Grgic in: MüKoStVR, Kroatien Rn. 97, beckonline).
Ist die Reparatur technisch unausführbar oder wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, so handelt es sich nach kroatischem Recht um einen Totalschaden. Die Berechnung nach dem Prinzip des Totalschadens wird so durchgeführt, dass vom festgestellten Marktwert der zerstörten Sache der Wert dessen Rückstandes abgezogen wird. Bei der Berechnung der Schadenshöhe werden in einem solchen Fall der Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall, aber die zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung geltenden Preise berücksichtigt. Die potentiellen Reparaturkosten müssen 75% des Fahrzugwertes übersteigen, um den Totalschaden erklären zu können (Grgic in: MüKoStVR, Kroatien Rn. 100, beckonline).
Danach ist hier nach kroatischem Recht die Grenze zum wirtschaftlichen Totalschaden nicht überschritten. Nach der gutachtlichen Bewertung des Sachverständigenbüros S., die beide Parteien ihrem Inhalt nach als unstreitig zugrunde legen, betragen die Reparaturkosten netto 25.975,16 € und beträgt der Wiederbeschaffungswert netto 41.680,67 €. Die Reparaturkosten machen somit ungefähr 62% des Wiederbeschaffungswerts aus. Das streitgegenständliche klägerische Fahrzeug ist daher nicht reparaturunwürdig. Auf den Restwert dieses Fahrzeugs kommt es nicht an. Die Reparaturkosten sind fiktiv ersatzfähig.
2. Auch die Gutachterkosten sind hier in voller Höhe mit 1.948,72 € netto ersatzfähig.
Wohnt der Geschädigte im Ausland, werden Privatgutachten nach kroatischem Recht akzeptiert (Lemor SVR 2006 Heft 12, 451, beckonline).
Soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin sei hinsichtlich der Gutachterkosten nicht mehr aktivlegitimiert, ist dieser Einwand unsubstantiiert geblieben. Es bestehen angesichts der als Anlage K2 vorgelegten Rechnung des Sachverständigenbüros keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechnung durch einen Sachversicherer oder eine sonstige Person mit der Folge eines Anspruchsübergangs ausgeglichen wurden.
3. Auch die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sind nach kroatischen Recht ersatzfähig.
Dies gilt grundsätzlich auch für den außergerichtlichen Bereich, wobei hier allerdings die Einschaltung eines Anwalts erforderlich gewesen sein muss (was z.B. bei schwieriger Sach- und Rechtsgrundlage, z.T. auch bei immateriellen Schäden, der Fall ist; Lemor SVR 2006 Heft 12, 451, beckonline).
Danach bestand hier eine schwierige Sach- und Rechtslage bereits deshalb, da es um die Regulierung eines Unfalls mit Auslandsbezug ging.
4. Die Kostenpauschale von 30 € ist ebenfalls ersatzfähig. Dies ergibt sich aus dem kroatischen Sachrecht. Allgemeine Unkosten (wie Telefon- und Portogebühren) werden in Form einer Pauschale ersetzt (Lemor SVR 2006 Heft 12, 451, beckonline).
Gemäß § 287 ZPO hält das Gericht 30 € für einen, abgesehen vom Auslandsbezug, gewöhnlichen Verkehrsunfall für grundsätzlich angemessen. Anhaltspunkte dass die Pauschale hier überhöht sein könnte, sind nicht gegeben und auch nicht konkret von der Beklagten aufgezeigt.
III. Prozesszinsen sind nach der lex fori gemäß §§ 288, 291 BGB seit Rechtshängigkeit begründet. Dies ist nach Zustellung am 18.11.2020 der 19.11.2020.
An vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten waren der Klägerin 1.141,90 € aus einem Gegenstandswert von 27.953,88 € unter Berücksichtigung der Kostenpauschale nach Nummer 7002 VV RVG gemäß Nummer 2300 VV RVG zuzusprechen. Hiervon war ein Teil von 157,30 € als Hauptforderung anzusehen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
D.
Zum Streitwert:
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung war der Streitwert zutreffend auf 20.111,18 € festzusetzen. Die Differenz der Rechtsanwaltsgebühren, die sich daraus ergibt, dass außergerichtlich zunächst, vor der Vorschusszahlung, noch ein höherer Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden musste, kann im Rechtsstreit als Hauptsacheanspruch geltend gemacht werden (zu einem ähnlichen Fall: BGH NJW-Spezial 2009, 380).
Danach war der Hauptsacheforderung von 19.953,88 € die Differenz der außergerichtlich geltend gemachten Geschäftsgebühr zur fiktiv „zutreffenden“ Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG hinzuzurechnen. Das sind 157,30 €.


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