Versicherungsrecht

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Aktenzeichen  14 HK O 11212/20

Datum:
24.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5080
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 397.830,00 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.04.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin von den Kosten des vorprozessualen Tätigwerdens des Klägervertreters in Höhe von € 2.957,00 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 10.09.2020 zu bezahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage war bis auf einen Kostennebenpunkt in vollem Umfang begründet.
Es liegt ein durch die Beklagte zu entschädigender Versicherungsfall im Sinne der Bedingungen der Beklagten vor, weil nach deren eigenen Bedingungen
– ein Versicherungsfall vorliegt,
– eine transparente Einschränkung des Versicherungsfalls im Sinne der Bedingungen gerade nicht erfolgt,
– ein Leistungsausschluß nicht eingreift.
I. Die grundsätzliche Zahlungspflicht ergibt sich gerade aus den eigenen Bedingungen der Beklagten selbst. Bei deren Auslegung kommt es auf die Perspektive eines durchschnittliche, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers an ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse (vgl. BGH IV ZR 240/18, Rn. 9).Daraus ergeben sich auch Anforderungen an die Transparenz der Regelungen, weshalb der Verwender, also hier die Beklagte, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darstellen muß.
Auszugehen ist vom Wortlaut der von der Beklagten verwendeten Klausel in A), § 1, die lautet:
„A)
Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung? (§§ 14)
§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung“
Die oben im Tatbestand zitierte Regelung verweist ausdrücklich auf eine Entschädigungsmöglichkeit, wenn die zuständige Behörde aufgrund meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt.
Eine solche Schließung der Betriebe der Klägerseite infolge von InfektionsschutzgesetzMaßnahmen fand statt, wobei die Beklagte allerdings rügte, dass die Schließungsanordnung rechtsunwirksam gewesen sei, worauf weiter unten noch eingegangen werden wird.
Die Schließung erfolgte auch aufgrund des Einschreitens der Behörden auf Basis des Infektionsschutzgesetzes aufgrund Auftretens meldepflichtiger Krankheiten bzw. Krankheitserreger. Insoweit stützte sich die Behörde zu Recht auf § 6 Abs. 1 Nr. 5 des Infektionsschutzgesetzes, die Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz aufgrund der „Generalklausel“ in damals Ziffer 5 des § 6 meldepflichtige Erkrankungen, das Coronavirus einschloss, da meldepflichtig auch war „das Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1-4 meldepflichtig ist.“
Schon nach den Bedingungen der Beklagten waren Schutzmaßnahmen infolge des Coronavirus abgedeckt durch die Versicherungsbedingungen der Beklagten. Schon nach deren Bedingungen war daher grundsätzlich der Versicherungsfall nach § 1 Nr. 1 der Versicherungsbedingungen in Buchstabe A) eingetreten und festgestellt, wenn es dort heißt, dass „die Betriebsschließungsversicherung … Entschädigung (bietet), wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen … beim Auftritt meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt.“ Dieser Tatbestand der Bedingung A), § 1, I. Nr. 1 lag vor, da Corona bzw. das entsprechende Virus in den Generalklauseln der §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz mit umfasst waren.
Der Versicherungsschutz ist auch nicht dadurch entfallen oder eingegrenzt durch A), § 1, III. der Bedingungen der Beklagten. Dieser lautet:
„Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig? Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die Folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich (Hervorhebungen durch die Unterzeichner) genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“
Diese von der Beklagten verwendete Klausel enthält jedoch bereits eine falsche Aussage. Insinuiert wird gerade durch den Verweis auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz, dass allgemein über die Meldepflicht von Krankheiten informiert und der Gesetzestext wiedergegeben wird. Von der Beklagten wird – gerade durch Verwendung des Wortes „sind“ damit der Eindruck erweckt, dass im Folgenden nur noch die Gesetzesvorschriften textlich wiederholt werden.
Dieser Eindruck wird auch erweckt dadurch, dass – gerade auch durch die Verwendung ermüdender Spiegelstrich-Aufzählungen – sämtliche Meldepflichten des § 6 und des § 7 Infektionsschutzgesetz durch die vorliegende Versicherung abgedeckt würden. Durch die lange Aufführung von Krankheiten aus § 6, die weitestgehend – mit Ausnahme insbesondere der Generalklausel in § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG, damalige Fassung – identisch sind mit den Regelungen im Infektionsschutzgesetz insinuiert die Beklagte genau dies. Die Beklagte möchte insoweit die Klausel heute jedoch verstanden wissen, dass ausschließlich die dort wörtlich aufgeführten Krankheiten bzw. Krankheitserreger abgesichert sein sollten und verweist in diesem Zusammenhang auf das Wörtchen „namentlich“ im Zusammenhang mit „namentlich genannter Krankheiten und Krankheitserreger“.
Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Wort „namentlich“ im Deutschen in zwei Bedeutungsrichtungen fallen kann:
Es kann zum einen adjektivisch als auch zum anderen adverbial verwendet werden. In der adjektivischen Verwendung wird es beispielsweise verwendet bei „namentlicher Abstimmung im Gegensatz zu geheimer Abstimmung“.
In der adverbialen Verwendung wird es synonym verwendet in der Bedeutung „hauptsächlich, besonders, in erster Linie“ in den im Internet auffindbaren synonymen Wörterbüchern, beispielsweise im Duden wird als Synonym vor allem die adverbiale Variante angezeigt, wenn als Beispiele aufgeführt werden „größtenteils, hauptsächlich, im besonderen, in besonderer Weise, in den meisten Fällen, in der Hauptsache, in erster Linie, insbesondere, meist, meistens, überwiegend, vor allem, vor allen Dingen, vornehmlich, vorwiegend, vorzugsweise, zumal, zum größten Teil“.
Der unbefangene kaufmännische Leser wird schon angesichts der im alltäglichen Sprachgebrauch häufigeren gebräuchlichen Verwendung des Wortes „namentlich“ an die Bedeutung im Sinne von „insbesondere“ denken und nicht an eine abschließende Aufzählung.
Im Zusammenwirken mit dem Wort „sind“ wird daher noch verstärkt durch die Beklagte der Eindruck erweckt, dass sämtliche Krankheiten bzw. Krankheitserreger aus §§ 6, 7 Infektionsschutzgesetz, die damals Covid-19 zwar noch nicht in der Aufzählung, aber in der Generalklausel enthielten, mit abgedeckt sei.
Dass die Beklagte umfassenden Schutz auch gegen nicht aufgezählte Krankheiten, die jedoch ähnlich gefährlich sind, im Sinne der Generalklausel der §§ 6, 7 Infektionsschutzgesetz Deckung gewähren wollte, zeigt der Versicherungsausschluß gemäß den Bedingungen in §§ 4, Ziffer 4 der Bedingungen der Beklagten, wo es heißt: „Wir haften nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf“. Eine solche Haftung dem Grunde nach für Prionenerkrankungen war jedoch nach den Bedingungen der Beklagten nur dann entschädigungspflichtig, wenn Prionen unter die meldepflichtigen Krankheiten fallen würden. In dem Katalog, den die Beklagte in ihren Bedingungen A), § 1, III., Ziffer 1 und 2 verwendet, tauchten Prionenerkrankungen nicht auf, es sei denn, man ist – wie offensichtlich auch die Beklagte bei Formulierung des Haftungsausschlusses – sich im Klaren, dass durch das oben genannte Wörtchen „sind“, Prionenerkrankungen durch den Verweis auch auf die Generalklausel des § 6 und § 7 Infektionsschutzgesetz mit umfasst worden sind. Der Haftungsausschluß bezüglich der nicht „namentlich“ aufgeführten Prionenerkrankungen zeigt jedenfalls, dass die Beklagte selbst als der Verwender der Bedingungen die o.a. reine Auflistung in A § 1 III Nr. 1 und 2 ihrer Bedingungen als den Umfang der Leistungspflicht nicht abschließend betrachtete, sondern die Generalklauseln des InfSG mitversichert betrachtete.
Aus diesem Grund geht das Gericht davon aus, dass die Covid-19-Maßnahmen des Landratsamts einen Versicherungsfall im Sinne der Bedingungen der Beklagten darstellten.
Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgen würde, wäre festzuhalten, dass die Klauseln intransparent sind. Das Wort „namentlich“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch vor allem mit „insbesondere“ benutzt, wie die oben zitierten Auflistungen aus den im Internet ohne weiteres zugänglichen Synonymwörterbücher zeigen. Auch das Wörtchen „sind“ führt dazu, dass der aufmerksame Leser, der den Gesetzestext parallel zu den Bedingungen lesen würde, den Eindruck bekommt, dass die Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes Mitbestandteil der Versicherungsfälle gewesen wäre. Da insoweit die Bedingungen der Beklagten dann mehrdeutig waren, wäre auf die allgemeinen Verkehrskreise und deren Erwartung abzustellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Verkehrskreise bei Abschluss einer solchen Versicherung in Zeiten der Globalisierung gerade sich umfassend schützen wollen, gerade auch vor neu auftretenden Erkrankungen, die in kürzester Zeit sich pandemisch um die ganze Welt ausbreiten können.
Dies festzustellen ist gemäß § 114 GVG gerade eine originäre Zuständigkeit der hier von der Beklagten zu Recht angerufenen Kammer f. Handelssachen, die mit deren hier entscheidenden Mitglieder schon seit vielen Jahren in der (allgemeinen) 14. KfH des LG München 1 tätig sind, der Vorsitzende seit über 16 Jahren, die Beisitzer seit vielen Jahren mit ihren beruflichen Erfahrungen als gelernte Steuerberater/Wirtschaftsprüfer und Leiter der Steuerabteilung eines global tätigen mittelständischen Konzerns bzw. als Vorstand in vielen neu am Markt tätigen Unternehmen im Auftrag der Kapitaleignerseiten.
Zugunsten der Beklagten mit ihren hier gewählten Bedingungen spricht auch nicht die Auslegung des BGH im Urteil vom 26. Januar 2022 in IV ZR 144/21. Denn die dortigen, von einem Konkurrenten der Beklagten verwendeten „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV08)“ sind wesentlich präziser und eindeutiger als die der Beklagten, wenn es dort unter anderem heißt: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ (Hervorhebung durch die Unterzeichner) sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Bedingungen des Konkurrenten der Beklagten sind insoweit für den Konkurrenten günstiger und klarer durch die Einschränkung „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ verwandt worden, während die Beklagte ausdrücklich durch die Verwendung des Wortes „sind“ zunächst einmal umfassend und anschließend intransparent auf den Wortlaut der § 6 und § 7 Infektionsschutzgesetz verweist.
Für den juristisch nicht vorgebildeten Gastwirt war nicht erkennbar, daß angesichts des weitestgehend deckungsgleichen Wortlauts zwischen Versicherungsbedingungen einerseits und den §§ 6, 7 IfSG andererseits empfindliche Lücken bestanden, was das „Nichtaufführen“ der Generalklausel insbesondere in § 6 I # 5 IfSG betrifft, unter die das Coronavirus in der damaligen Gesetzesfassung zu subsumieren war.
Es mag zwar einerseits auch einem juristisch nicht ausgebildeten Gastwirt noch zuzumuten sein, neben A), § 1 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen auch in das Infektionsschutzgesetz zu sehen. Es ist ihm jedoch nicht mehr zuzumuten, die fehlende Generalklausel ganz am Ende von § 6 Abs. 1 Nr. 5 Infektionsschutzgesetz in seiner Bedeutung zu erkennen. Hierbei ist gerade die gedankliche Vorprägung des Versicherungsnehmers durch dessen von der Beklagten verursachte Irreführung im Eingangssatz „meldepflichtige Krankheiten … sind die folgenden“ zu berücksichtigen. Die Beklagte wollte mit dieser Irreführung durch die Verwendung des Wortes „sind“ suggerieren, dass Gesetzestext und Versicherungsbedingungen deckungsgleich sind und damit kaschieren, dass die Beklagte gerade die offene Generalklausel verschweigen wollte.
Bezeichnenderweise erkannte dies auch der Vorstandsvorsitzende der „Großmuttergesellschaft“ der Beklagten B. dies in gleicher Weise, wenn er, wie in der Presse berichtet, im Februar 2021 öffentlich auf der Bilanzpressekonferenz im Zusammenhang mit den Betriebsunterbrechungsversicherungen beklagte, dass eigene Versicherungsnehmer den Umfang der Deckung nicht erkennen könnten. Die nachrangig Verantwortlichen bei der Beklagten konnten oder wollten einem diesbezüglich gebotenen Hinweis des Gerichts gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf die Einschätzung der Konzernspitze außer Befangenheitsanträgen jedoch nichts hinzufügen.
Aus den oben genannten Gründen kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, inwieweit die Bedingungen der Beklagten eine sogenannte dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Version des Infektionsschutzgesetzes umfassen.
Soweit die Beklagtenseite Versicherungsschutz verweigert mit er Argumentation, dass die fragliche Deckung nur vorhanden wäre, wenn Covid-19-Fälle gerade im Betrieb der Klägerin („intrinsisch“) bekannt geworden wären, hat sich der BGH in seiner jüngsten Entscheidung IV ZR 144/21 dagegen gewandt. Hinzu kommt, daß im vorliegenden Fall durch die Anlage K 5 auch bereits dargelegt wurde – womit sich die Beklagte überhaupt nicht befasst -, daß in der mehrere Infektionen stattgefunden hatten.
Angesichts des nahen örtlichen Zusammenhangs von Thermen-Betrieb und Gaststättenbetrieb der Klägerin in nur einem Gebäude wäre daher sogar von intrinsischen Gefährdungen auszugehen.
II. Soweit die Beklagte einwendet, dass keine rechtlich wirksame Betriebsschließung durch die zuständige Behörde erfolgt sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Allgemeinverfügungen und Verwaltungsakte sind vorläufig vollstreckbare Titel. Im vorliegenden Fall hatte das Landratsamt E. der Klägerseite Zwangsgelder in Höhe von € 10.000,- je angefangenen Tag der Zuwiderhandlung angedroht. Die Beklagte ihrerseits hat umgekehrt nicht der Klägerseite Unterstützung und Kostenvorschuss für einen etwaigen Prozess vor den Verwaltungsgerichten angeboten, so dass dieser Einwand der Beklagten nicht verfängt. Der Klägerseite blieb angesichts der angedrohten Zwangsgelder nichts anderes übrig, als den Betrieb gemäß der Allgemeinverfügung des Landratsamts zu schließen.
III. Der Höhe nach steht der Klägerin für die Schließung des Betriebs die zugesprochene Summe wie beantragt zu, insgesamt 30 Tage, da länger der Versicherungsschutz nicht reichte. Auf einen konkreten Ertragsausfall der Klägerin kommt es insoweit nicht an. Der vereinbarte Betrag in Höhe von € 13.261,- war als pauschalierte Leistung durch die Parteien vertraglich festgelegt. Es ist gerade Sinn der Vereinbarung eines festen Tagessatzes, entsprechende Streitigkeiten und komplizierte Ermittlungen der Ersatzleistung zu vermeiden. Dass Betriebsschließung auch zu Aufwendungsersparung führen, war den Parteien bei Vereinbarung dieses Betrages bewusst und es ist nicht erkennbar, dass dieser offensichtliche Umstand bei der gemeinsamen Kalkulation unberücksichtigt geblieben ist.
Hinzu kommt, daß die Tagesentschädigung zu Gunsten der Klägerin ja gerade im Vorfeld von der Beklagten ermittelt worden war. Die Beklagte teilt selbst mit, daß vom Jahresumsatz in Höhe von rund € 200.000,- ein Warenumsatz in Höhe von € 50.000,- abgezogen worden und somit ein Kosten- und Gewinnbeitrag in Höhe von rund € 150.000,- ermittelt worden seien. Mit dem Faktor 3,5%o habe man die vertraglich vereinbarte Tagesentschädigung dann errechnet. Dies habe eine Tagesentschädigung von € 575,- ergeben. Daß vor diesem von ihr selbst erhobenen Zahlenhintergrund die Beklagte dann eine Tagesentschädigung von € 13.261,- versicherte (vgl. Versicherungsschein Anlage K 1), war ihre eigene wirtschaftliche Entscheidung.
Hinzu kommt weiter, daß vor diesem Hintergrund es an der Beklagten gelegen hätte, selbst weitere betriebswirtschaftliche Darlegungspflichten im Versicherungsvertrag zu vereinbaren, was sie jedoch nicht tat, so daß ihr Bestreiten bezüglich der Erreichung der Beitragssummen einerseits ins Blaue gerichtet ist, andererseits wegen der gewählten Pauschlierungsberechnung auch rechtlich nicht verfängt. Der vereinbarte Tagessatz ist daher als bindend vereinbart anzusehen, der im vertraglichen Vorfeld von den Parteien anhand der konkreten Geschäftszahlen der Klägerin festgelegt und der Prämienberechnung zugrundegelegt worden sind. Eine Überprüfung dieses Tagessatzes gemäß § 76 S. 2, 2. Hs VVG scheidet daher aus.
Soweit die Beklagte beantragt, dass die Klägerseite darlegen müsse, welche staatlichen Unterstützungsleistungen sie erhalten habe, insbesondere auch in Höhe des Kurzarbeitergeldes, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden.
Das Kurzarbeitergeld ist eine Leistung zu Gunsten der einzelnen Arbeitnehmer, wobei die Klägerin als Arbeitgeber lediglich „Durchlaufstation“ darstellt.
Staatliche Unterstützungsleistungen wären allenfalls nach §§ 4 Nr. 7 der Bedingungen der Beklagten anrechenbar, wonach lediglich Schadensersatz aufgrund öffentlich rechtlichem Entschädigungsrecht die Versicherung befreien würde. Darunter fällt Kurzarbeitergeld nicht.
Eine Zahlungspflicht der Beklagten wäre im übrigen dann dennoch vorhanden, weil die Beklagte mindestens nach §§ 4 Abs. 7, 7.1 letzten Satz ihrer Bedingungen die Summe als zinsloses Darlehen der Klägerseite zur Verfügung stellen müsste, bis diese entsprechende Entschädigungsleistungen bekäme. Entsprechende Darlehenszahlungsangebote der Beklagten wurden jedoch weder im vorliegenden noch in den anderen zahlreichen bei den Kammern für Handelssachen des LG München 1 anhängigen Verfahren gegen die Beklagte bekannt.
Auch wäre es der Beklagten unbenommen geblieben, Abtretung etwaiger Entschädigungsansprüche zu fordern gemäß Ziffer 7.2. Hinzu kommt, dass bei Anrechnung fremder Leistungen die Klägerseite in Darlegungsfallen geriet. Vielmehr hat beispielsweise zur Vermeidung dessen der BGH in seiner Entscheidung vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, entschieden (vgl. Rn. 59), dass in Mietminderungsprozessen grundsätzlich die Störung der Geschäftsgrundlage geprüft werden müsse und in einer Gesamtabwägung insbesondere auch bezüglich der Mieterverpflichtungen, hier also der Klägerin, Leistungen aus einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung mitberücksichtigt werden müssen. Die Verweisung auf Anrechnung etwaiger öffentlicher Unterstützungsleistungen ist daher nicht nur gemäß § 4 der Beklagten-Bedingungen unzulässig, sondern würde im Übrigen auch zu einem Anrechnungswettlauf verschiedener Gläubiger und Schuldner der Klägerin führen. Soweit die Beklagtenseite einwendet, dass wegen öffentlichrechtlichen Entschädigungen die Klägerseite gemäß § 4 Abs. 7 keine Ansprüche gegen die Beklagte stellen könnte, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden, da die Beklagte in keiner Weise dargetan hat, dass etwaige öffentliche Leistungen, insbesondere Soforthilfen, auf Entschädigungsrechtsgrundlagen geleistet worden seien, wenn die Klägerseite solche überhaupt erhalten haben mag.
In diesem Zusammenhang ist die von der Beklagten beklagte niedrige Prämie in Höhe von knapp € 600,- per anno nicht zugunsten der Beklagten mitzuberücksichtigen. Eine Tagessatzentschädigung von rund 13.000,- € auf 30 Tage per anno gegenüber € 600,- zeigt vor allen Dingen nur eines, dass die Beklagte nicht in der Lage war, adäquat 2 Zahlen (Gesamtentschädigung im Jahr von hier knapp 400.000,- € einerseits, Prämieneinnahme auf der anderen Seite von rund 600,- € p.a. andererseits) in die Waage zu bringen. Prämienkalkulation ist jedoch gerade das originäre Geschäftsfeld eines Versicherers; gerade ihm muss es (hoffentlich) möglich sein, Unwägbarkeiten in ein entsprechendes Zahlenwerk umzusetzen – dies ist seine Marktkompetenz als Versicherer – oder ein Fall für die Aufsichtsbehörden.
Im Übrigen wäre die von der Beklagten bedauerte so niedrige Prämie von rund 600,- € p.a. selbst nach deren Verständnis ihrer Versicherungsbedingungen doch zur Abdeckung ausreichend gewesen z.B. in Fällen von Cholera, die in den letzten Jahren immer wieder in Krisengebieten auftritt oder Ebola, bezüglich derer auf die letzten gerichtsbekannten Epidemien in Westafrika in den Jahren 2014 – 2016 verwiesen wird, wobei gerade die Verbreitung des Coronavirus gezeigt hat, wie schnell sich Krankheitserreger global ausbreiten können. Insoweit widerlegt sich die Beklagte selbst, wenn sie behauptet (vgl. Bl. 71f d.A.), für € 582,90 p.a. sei ein umfassender Versicherungsschutz für flächendeckende Betriebsschließungen nicht zu haben: Doch, bei der Beklagten!
III. Kosten:
Gemäß § 91 ZPO hat die Beklagtenseite die Kosten des Rechtsstreits zu tragen; als Verzugsschaden konnte jedoch bezüglich der außergerichtlichen Kosten der Klägervertreterseite lediglich 1 Gebühr angesetzt werden, nicht wie von der Klägerseite begehrt 1,9-Gebühren, da Prozesse um Betriebsunterbrechungsversicherungen Massenverfahren sind, die beidseitig mit gerichtsbekannten Bausteinen arbeiten, die allenfalls je nach beklagter Versicherung graduell abweichen, soweit andere Bedingungen jeweils verwendet wurden. Ansonsten erkennt man bereits an den von der Beklagtenseite geführten „Zitaträuschen“ der Parteivertreter (vgl. Bl. 194 d.A., in Zusammenschau mit den beidseitig vorgelegten Gerichtsurteilen), die üblichen Textbausteine und Versatzstücke, die regelmäßig nur durch die allerneuesten Entscheidungen angereichert wurden.


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