Versicherungsrecht

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Aktenzeichen  12 O 3608/21

Datum:
4.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4232
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 79.995,50 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Eine Entschädigung aufgrund mehrfacher Anordnung ist wirksam ausgeschlossen.
I.
Die Voraussetzungen für eine Entschädigungspflicht der Beklagten für die Betriebsschließung des Restaurants ab November 2020 liegen nicht vor. Es liegt eine mehrfache Anordnung vor, welche auf den gleichen Umständen beruht, wie die Schließung im Frühjahr 2020. Daher kann dahinstehen, ob ein Haftungszeitraum von 30 Tagen zwischen den Parteien vereinbart war.
1. Die Klage scheitert nicht an der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin.
Mit E-Mail vom 17.01.2020 wurde der Beklagten gegenüber zunächst die Klägerin als Versicherungsnehmerin benannt und entsprechend am 28.01.2020 in den Versicherungsschein übertragen (Anlage BLD 3 und 4). Durch einen Fehler des Versicherungsmaklers wurde dann schließlich eine R. GmbH als Versicherungsnehmerin aufgenommen, obgleich offensichtlich war, dass es eigentlich bei dem ursprünglichen Versicherungsnehmer – somit der  UG – bleiben sollte (Vgl. Anlage BLD 6). Eine solche GmbH existiert soweit ersichtlich auch gar nicht und betreibt zur Überzeugung des Gerichts insbesondere nicht das Restaurant am Versicherungsort. Sowohl für das Gericht als auch die Beklagte ist damit erkennbar, dass tatsächlicher Vertragspartner der Betriebsschließungsversicherung die Klägerin ist.
Jedenfalls ist es auch rechtsmissbräuchlich von der Beklagten, sich auf eine fehlende Aktivlegitimation zu berufen. Bereits für den ersten Schließungszeitraum im Frühjahr 2020 wurde die Klage von der hiesigen Klägerin erhoben und eine vergleichsweise Einigung zwischen den Parteien gefunden.
Es ist der Beklagten angesichts dieses Sachverhalts daher verwehrt sich auf den offensichtlich fehlerhaften Wortlaut des Versicherungsscheins zu berufen.
2. Die Klausel, welche den Versicherungsschutz auf das Auftreten bestimmter, in den AVB-BS namentlich aufgeführter Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt, ist vorliegend unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).
a) Nach den AVB-BS leistet die Beklagte Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den Betrieb schleißt. Hinsichtlich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger wird auf § 1 Nr. 2 AVB verwiesen. Danach sind meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger wörtlich „die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Es folgt eine Aufzählung von zahlreichen Krankheiten und Krankheitserregern. Zwar sind hier nicht genannt die „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“, das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) und das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome Coronavirus-2 (SARS-CoV-2). Die Liste ist aber ohne dass die Beklagte hierauf hingewiesen hätte unvollständig und die entsprechende Klausel § 1 Nr. 2 a) und b) AVB-BS damit unwirksam.
b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (BGH, BeckRS 2021, 8284, Rn. 26, beck-online). Dabei nimmt die Auslegung ihren Ausgangspunkt bei dem Klauselwortlaut, gleichzeitig sind aber die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers und damit auch seine Interessen zu berücksichtigen (Ebd.). Zusätzlich sind der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2019, 1286 (1287), beck-online).
c) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird bei Durchsicht des § 1 Nr. 2 AVB davon ausgehen, dass alle in dem aufgeführten Katalog genannten Krankheiten und Krankheitserreger angesichts der Nennung des §§ 6 und 7 IfSG auch im IfSG aufgeführt sind und andersherum. Die Suggestion ist aber irreführend, da mehrere Krankheiten und Krankheitserreger in der damals gültigen Fassung des IfSG (Stand der AVB-BS: 01.01.2019) nicht in dem hiesigen Katalog aufgeführt sind. Es fehlt die Aufzählung von Keuchhusten, Mumps, Röteln einschließlich Rötelnembryopathie, Bordetella pertussis, Bordetella parapertussis, Coxiella burnetii, humanpathogene Cryptosporidium sp., des Mumpsvirus sowie des Varizella-Zoster-Virus.
Da sich die Kataloge in den AVB-BS und dem IfSG in der maßgeblichen Fassung vom 25.07.2017 bis 29.02.2020 nicht decken, ist die Regelung nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und benachteiligt die Klägerin unangemessen. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Versicherungsbedingungen ihm dies hinreichend verdeutlichen (BGH, Urt. V. 10.04.2019, Az.: IV ZR 59/18, Rn. 21, juris). Neben dem Ausschluss der Haftung für das Auftreten von Prionenerkrankungen, wird der Versicherungsschutz für weitere Krankheiten und Krankheitserreger nicht ausgeschlossen. Die AVB-BS enthalten insoweit eine Lücke im Versicherungsschutz. Der Klägerin wird der gewährte Umfang des Versicherungsschutzes sowie ihre Rechte und Pflichten hierdurch nicht klar und durchschaubar dargestellt (Vgl. BGH, NJW 1990, 2383, beck-online).
3. Ob die Unwirksamkeit der § 1 Nr. 2 a) und b) AVB-BS vorliegend zur Folge hat, dass dynamisch auf das IfSG verwiesen würde, kann dahinstehen. Denn es steht jedenfalls eine mehrfache Anordnung im Streit, nachdem zwischen den Parteien über den ersten Schließungszeitraum im Frühjahr 2020 bereits ein Vergleich geschlossen wurde. Nach § 2 Nr. 4 AVB-BS wird eine Entschädigung wegen mehrfacher Anordnung einer Maßnahme aufgrund der gleichen Umstände jedoch nur einmal gewährt.
a) Es liegt eine mehrfache Anordnung vor. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat sowohl im März als auch im November 2020 Gastronomiebetriebe untersagt.
b) Die mehrfache Anordnung beruht auch auf den gleichen Umständen. Die Behörde handelte jeweils zur Eindämmung des Coronavirus. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Klausel für den vorliegenden Fall daher als erfüllt ansehen. Unabhängig von etwaigen Mutationen des Virus handelt es sich hierbei nach allgemeinem Verständnis um die gleichen Umstände. Der Begriff „Umstände“ erfordert nach dem allgemeinen Sprachverständnis auch nicht, dass lediglich eine identische Ursache vorliegt. Die Umstände sind vorliegend unabhängig von etwaigen Mutationen beide Male das Coronavirus. Andere mit dem Coronoavirus einhergehende Anordnungen und Einschränkungen, wie beispielsweise die Maskenpflicht, bestanden einheitlich über den gesamten Zeitraum hinweg und verdeutlichen ebenfalls, dass die gleichen Umstände vorliegen.
c) Über die Entschädigungsleistung aufgrund des ersten Schließungszeitraums wurde zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen und die Beklagte hat die hiernach geschuldete Zahlung erbracht. Eine weitere Entschädigung scheidet daher aus.
d) Diese Klausel ist entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht überraschend. Von einem aufmerksamen Versicherungsnehmer wird nach ständiger Rechtsprechung verlangt, sich die Allgemeinen Versicherungsbedingungen anzusehen (BGH, BeckRS 2021, 8284, Rn. 26, beck-online). Da sich die Regelung über die mehrfache Anordnung eben unter jener Überschrift bereits auf der zweiten Seite der AVB-BS findet, wurde sie, anders als die Klägerin behauptet, nicht versteckt und musste von der Klägerin ihrem Verständnis vom Versicherungsumfang zu Grunde gelegt werden. Da Versicherungsschutz grundsätzlich für einen bestimmten Haftungszeitraum vereinbart wird, was zumindest ursprünglich auch im hiesigen Versicherungsverhältnis der Fall war, liegt es auch nahe, dass das Interesse der Beklagten nicht dadurch ausgehöhlt werden kann, dass eine Behörde zahlreiche identische, aber jeweils zeitlich begrenzte Maßnahmen erlässt. Dem trägt die in Rede stehende Klausel Rechnung und formuliert dies auch klar und verständlich. Die Klausel begegnet daher keinen Bedenken.
4. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung. Daher hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Zinsen oder den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.


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