Versicherungsrecht

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Aktenzeichen  25 U 3523/21

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55399
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 O 11059/20 2021-05-04 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 04.05.2021, Az. 23 O 11059/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 218.820,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin betreibt ein Hotel mit Restaurant in N. und unterhält eine Betriebsschließungsversicherung bei der Beklagten. Vereinbart sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern – AVB -dyn.BS BS 311/05 (fortan: AVB; Anlage K 2).
Die Klägerin macht eine Betriebsschließung aufgrund der öffentlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (Krankheit COVID-19, Krankheitserreger SARS-CoV-2 fortan auch: Corona) geltend. Zu den Einzelheiten und zum Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 199/202 d.A.) Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts wird verwiesen (Bl. 202/209 d.A.).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei den geltend gemachten Anspruch weiter. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung und den eingereichten Schriftsatz vom 16.11.2021 Bezug genommen.
Die Klägerin stellt folgende Anträge:
Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 4. Mai 2021 – Az. 23 0 11059/20 – wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin EUR 218.820,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. April 2020 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 4.072,70 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen. Zu den Einzelheiten wird auf den eingereichten Schriftsatz der Beklagten Bezug genommen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 06.09.2021 (Bl. 256/265 d. A.) Hinweise erteilt.
II.
Die Entscheidung des Landgerichts trifft zu. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Senat hält an der folgenden im Hinweisbeschluss dargestellten Rechtsauffassung fest:
Die Klägerin hat keinen Versicherungsschutz für die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Nach § 1 AVB, die Bestandteil des Versicherungsvertrags der Parteien sind, besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen wegen Corona. § 1 III AVB ist als abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger auszulegen und wirksam. Corona ist in dieser abschließenden Aufzählung nicht enthalten. Doch selbst, wenn man statt der Aufzählung in den Versicherungsbedingungen den Text der §§ 6 und 7 IfSG für maßgeblich hielte, um den Umfang des Versicherungsschutzes zu bestimmen, bestünde für Corona für den Zeitraum bis 22.05.2020 kein solcher.
1. § 1 AVB ist so zu verstehen, dass Versicherungsschutz nur besteht, wenn der Betrieb geschlossen wird zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten, die in § 1 III Nr. 1 und von Krankheitserregern, die in § 1 III Nr. 2 AVB aufgezählt sind. Krankheiten und Erreger, die in diesen Listen nicht enthalten sind, sind nicht in den Versicherungsschutz einbezogen, auch soweit sie in den §§ 6 und 7 IfSG genannt sind. Die Regelung ist auch nicht mehrdeutig.
1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09, r+s 2011, 295 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 – IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
1.2. Nach diesen Grundsätzen ist § 1 III AVB im Sinne einer abschließenden Aufzählung auszulegen (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 10. Mai 2021 – 16 U 25/21, BeckRS 2021, 10599 Rn. 22 f [unter 2]). Der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinnzusammenhang, Wortlaut und Zweck der Bedingungen verlangen eine Auslegung dieser Klausel als abschließende Aufzählung.
1.2.1. Teil A, der die §§ 1 bis 4 beinhaltet, ist überschrieben mit: „Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung ? (§§ 1 – 4)“. § 1 ist überschrieben mit „Was ist Gegenstand der Versicherung ?“. I ist überschrieben mit: „Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung ?“. II ist überschrieben „Wann ist der Versicherungsfall gegeben?“ III. ist überschrieben „Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?“.
Nach § 1 I AVB bietet die Betriebsschließungsversicherung Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger … den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“. In § 1 III AVB heißt es unter der Überschrift „Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?“: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …“, gefolgt von einer listenförmigen Aufzählung von Krankheiten unter 1. und einer solchen von Krankheitserregern unter 2..
1.2.2. Bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger unter § 1 III AVB handelt es sich erkennbar um eine Beschreibung des versicherten Risikos, nicht um einen Risikoausschluss. Das ergibt sich insbesondere aus der Stellung im Bedingungswerk und dem Zusammenhang der betroffenen Regelungen.
Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger findet sich zu Beginn des Bedingungswerks. § 1 I AVB enthält zwar nicht selbst die listenförmigen Aufzählungen, verweist aber auf diese durch die Verwendung des in § 1 III AVB definierten Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger. Dies dient erkennbar nur der sprachlichen Entlastung der Regelung von einer umfangreichen Aufzählung.
Die Überschriften lauten wie dargestellt „Was ist Gegenstand der Versicherung ?“, „Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung ? (§§ 1 – 4)“ . § 1 AVB enthält sodann die Leistungsbeschreibung; dort wird aufgezeigt, welche Krankheiten und Krankheitserreger unter welchen Voraussetzungen bei einer Betriebsschließung versichert sind. § 4 AVB enthält unter der gesonderten Überschrift „Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Ausschlüsse)“ Ausschlüsse.
1.2.3. Aus dem Wortlaut der AVB erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass nur die in der Regelung eigens genannten, nicht aber noch weitere oder alle Infektionskrankheiten versichert sind.
1.2.3.1. Versicherungsschutz besteht nach § 1 I AVB „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“. Welche Krankheiten und Erreger dies sein können, kann nicht unmittelbar § 6 IfSG („Meldepflichtige Krankheiten“) oder § 7 IfSG („Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern“) entnommen werden, weil § 1 III AVB eine eigene Definition meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger vornimmt, woraus sich schließen lässt, dass es sich dabei um die meldepflichtigen Krankheiten und Erreger im Sinne der Bedingungen handelt. Schon wegen dieser eigenständigen Definition kann ein Versicherungsnehmer nicht erwarten, die Bedeutung des Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger decke sich vollständig mit dem infektionsschutzrechtlichen Begriff.
Die Definition in § 1 III erwähnt zwar die §§ 6 und 7 IfSG. Dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist aber bei natürlicher, unbefangener Betrachtung zu entnehmen, dass maßgeblich „die folgenden“ Krankheiten sein sollen, nämlich diejenigen, die nach einem Doppelpunkt unmittelbar folgend im Anschluss an den fraglichen Satz in den Versicherungsbedingungen abgedruckt sind. Ein durchschnittlicher Leser kann als „die folgenden … Krankheiten und Krankheitserreger“ ohne Anstrengung diejenigen ausmachen, die dem Einleitungssatz im Abdruck unmittelbar nachfolgen.
1.2.3.2. Dagegen gibt der Wortlaut der Versicherungsbedingungen keinen Hinweis darauf, dass statt der – bei natürlicher Betrachtung – naheliegenden abgedruckten Listen die Aufzählungen in den §§ 6 und 7 IfSG maßgeblich sein sollten.
In diesem Zusammenhang bedeutet die Formulierung „die folgenden“ in der Beschreibung des versicherten Risikos zugleich, dass auch nur die folgenden Krankheiten und Erreger dem Versicherungsschutz unterfallen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird eine möglichst eindeutige, abschließende und nicht nur beispielhafte Beschreibung des versicherten Risikos erwarten. Zudem würde der durchschnittliche Leser zur Einleitung einer bloß beispielhaften, nicht abschließenden Aufzählung mit einem Wort wie „insbesondere“ oder „beispielhaft“ rechnen, das hier aber fehlt.
Aus der Verwendung des Wortes „namentlich“ ergibt sich nichts anderes. Dieses wird hier nicht in der Bedeutung von „insbesondere“ verwendet. Zwar kann dem Wort diese Bedeutung zukommen, beispielsweise in Formulierungen wie „der Weg ist kaum passierbar, namentlich nach Regen“ oder „überall, namentlich aber im Gebirge“. Doch ergibt sich hier aus dem Kontext der Verwendung („folgenden … namentlich genannten Krankheiten“), dass „namentlich“ im Sinne von „beim Namen genannt“ zu verstehen ist. Auch die Wortstellung entspricht nicht der Einleitung einer beispielhaften Aufzählung, sondern müsste bei einer solchen lauten: „… sind namentlich die folgenden …“
Der Einschub in der Formulierung „die folgenden im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten …“ nimmt der Wendung „die folgenden“ nicht die Bedeutung, sich auf die nach dem Doppelpunkt folgenden Listen zu beziehen. Aus der Erwähnung des Infektionsschutzgesetzes in der Klausel kann nicht der Schluss gezogen werden, dass damit alle in diesem Gesetz aufgenommenen oder auch später hinzukommenden Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien. Wenn der Versicherer hier eine Liste der versicherten Krankheiten und Erreger in eine Klausel seiner Versicherungsbedingungen aufnimmt, macht dies deutlich, dass damit nicht nur über den Inhalt des Infektionsschutzgesetzes informiert werden oder Versicherungsschutz angepriesen werden soll. Vielmehr werden im Sinne einer rechtlich verbindlichen Regelung die Krankheiten aufgezählt, für die Versicherungsschutz versprochen wird.
Gegen ein Verständnis, wonach die im Bedingungswerk abgedruckten Listen lediglich der schnelleren Information des Versicherungsnehmers dienen würden, während maßgeblich die Aufzählungen in den §§ 6 und 7 IfSG seien, spricht schließlich die Überlegung, dass die Versicherungsbedingungen auf dem Stand, den sie bei Abschluss des Versicherungsvertrags hatten, naturgemäß nicht alle nachfolgenden Gesetzesänderungen einbeziehen und wiedergeben können. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann schon aus diesem Grund nicht erwarten, dass es statt der abgedruckten Listen auf den Gesetzestext ankäme.
1.2.4. Erkennbarer Zweck der Leistungsbeschreibung ist es, den Leistungsumfang zu bestimmen. Insbesondere soll dem Versicherer eine Kalkulation ermöglicht werden. Der Versicherungsnehmer soll informiert entscheiden können, ob die Versicherung die ihm drohenden Risiken abdeckt und abgeschlossen werden soll.
Ausgehend von diesem Zweck ist eine Erwartung des Versicherungsnehmers nicht begründbar, der Versicherer werde Versicherungsschutz für alle Infektionskrankheiten ohne Unterschied gewähren und ohne die Möglichkeit, die Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können (vgl. OLG Hamm, r+s 2020, 506; OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 18 ff mwN, 31). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt anhand der Klausel die Krankheiten und Erreger, für die Schutz besteht. Er muss davon ausgehen, dass er nur insoweit geschützt – und dass die Prämie entsprechend kalkuliert – ist, weil andernfalls keine Aufzählung erforderlich wäre und weil kein Zusatz wie „insbesondere“ angebracht ist.
Aus dem Umstand, dass bestimmte Krankheiten oder Erreger vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. § 4 AVB), kann nicht geschlossen werden, dass die vorherige Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger nicht abschließend gewesen sei. Der Ausschluss hat erkennbar nur den Erklärungswert, dass der Versicherer in bestimmten Fällen keinesfalls Versicherungsschutz gewähren will, unabhängig davon, was nach der primären Risikobeschreibung versichert wäre.
2. Die Regelung ist wirksam.
Es handelt sich – wie bereits ausgeführt – um die Leistungsbeschreibung, weil dort ausdrücklich der Gegenstand der Versicherung definiert und somit der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt wird. Damit ist für diese Klausel nur eine Transparenzkontrolle vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2017 – IV ZR 91/16, NJW 2017, 2346 Rn. 15; Römer/Langheid/Römer, VVG, 4. Aufl., vor § 1 Rn. 45).
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach Satz 2 der Vorschrift auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. So liegt der Fall hier nicht.
2.1. Nach dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (BGH, Urteil vom 4. April 2018 – IV ZR 104/17, NJW 2018, 1544 Rn. 8 mwN). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (BGH, Urteil vom 20. November 2019 – IV ZR 159/18, r+s 2020, 45 Rn. 7).
Der Verwender muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – III ZR 157/10, VersR 2012, 323 Rn. 27). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 13. September 2017 – IV ZR 302/16, r+s 2017, 586 Rn. 15; vom 4. April 2018, aaO).
2.2. Gemessen daran ist der Leistungsumfang in § 1 AVB ausreichend transparent geregelt. In diesem Zusammenhang haben die Gesichtspunkte, die bereits bei der Auslegung der Klausel angesprochen wurden, erneut Bedeutung.
Der Wortlaut der Klausel ist nicht unklar oder mehrdeutig. Versichert sind nicht sämtliche Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz, sondern nur die in der erkennbar abschließenden Aufzählung genannten. Einen umfassenden Versicherungsschutz kann der Versicherungsnehmer dem Wortlaut nicht entnehmen, was sich aus der Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger sowie der Formulierung ergibt, die nicht den Eindruck erweckt, alle im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Erreger seien versichert. Das Wort „namentlich“ wird in § 1 III AVB nicht im Sinne von „insbesondere“ verwendet. Es meint an dieser Stelle auch keine Meldepflicht unter namentlicher Nennung der betroffenen Person (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Satz 1 gegenüber § 7 Abs. 3 Satz 1 IfSG), sondern beim Namen genannte Krankheiten und Krankheitserreger, die versichert sein sollen und die der Versicherungsnehmer in der ausführlichen Aufzählung in den Versicherungsbedingungen vorfindet. Dass diese Aufzählung umfangreich ist, liegt in der Natur der Sache.
Mit der Regelungstechnik der abschließenden Aufzählung wird dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Der Versicherer ist nach Treu und Glauben nicht gehalten, dem Versicherungsnehmer wirtschaftliche Nachteile und Belastungen noch besser erkennbar zu machen. Wird der Versicherungsumfang in dieser Weise durch eine Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger bestimmt, muss dem Versicherungsnehmer einleuchten, dass der Versicherer, der sein Risiko begrenzen muss, auf die Weise kalkuliert, dass er ganz bestimmte Krankheiten und Erreger versichert, weil er keinen Einfluss darauf hat, welche weiteren Krankheiten und Erreger der Gesetzgeber in das Infektionsschutzgesetz aufnehmen wird. Dies widerspricht nicht der Forderung, der Versicherungsnehmer müsse die Möglichkeit haben, Lücken im Versicherungsschutz zu erkennen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung der Regelungen nach deren Formulierung von vornherein nicht davon ausgehen, alle Erkrankungen und Erreger, die künftig in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden, seien versichert.
3. Da in der wirksam vereinbarten, abschließenden Aufzählung, die den Umfang des Versicherungsschutzes bestimmt, Corona nicht enthalten ist, besteht hierfür kein Versicherungsschutz.
4. Selbst wenn es für den Umfang des Versicherungsschutzes nicht auf die Aufzählung in § 1 III AVB ankäme, sondern unmittelbar auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, wäre Corona für den Zeitraum bis 22.05.2020 vom Versicherungsschutz nicht erfasst. Erst mit Gesetz vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) wurden mit Wirkung zum 23. Mai 2020 COVID-19 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. t IfSG und SARS-CoV-2 in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG aufgenommen. Zuvor bestand ab 1. Februar 2020 eine Meldepflicht für Corona nur nach einer aufgrund § 15 Abs. 1 und 2 IfSG erlassenen Verordnung vom 30. Januar 2020 (BAnz AT 31.01.2020 V1). Zur Zeit des geltend gemachten Versicherungsfalls, im März und April 2020, waren weder Krankheit noch Erreger namentlich in §§ 6 und 7 IfSG genannt.
5. Ergänzend ist zu den Einwänden der Klägerin weiter auszuführen:
5.1. Auslegung
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, eine Auslegung ergäbe, dass Corona versichert sei und dabei nur auf § 1 I Nr. 1 AVB Bezug nimmt, berücksichtigt sie nicht, dass – wie oben dargelegt – der gesamte § 1 AVB (zu dem auch § 1 III AVB zählt) die Leistungsbeschreibung enthält und dass § 1 Abs. III eine eigene Definition meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger vornimmt.
Soweit die Klägerin auf das Produktinformationsblatt der Beklagten „Betriebsschließungsversicherung für Lebensmittel- und sonstige Betriebe“ Bezug nimmt (K 3), ändert das an der Rechtslage nichts. Die Information kann nicht den umfangreichen Inhalt der vertraglichen Regelung ersetzen. Sie zeigt nur schlagwortartig auf, was Gegenstand des Vertrags ist. Der Versicherungsschutz ergibt sich – für den Versicherungsnehmer ersichtlich – aus dem Versicherungsschein und den Bedingungen. Im Produktinformationsblatt ist sogar ausdrücklich und hervorgehoben vermerkt, dass es nicht vollständig ist und dass sich die vollständigen Informationen aus den Vertragsunterlagen ergeben.
5.2. Wirksamkeit
Wie oben dargestellt, handelt es sich um die Leistungsbeschreibung, so dass für § 1 AVB nur eine Transparenzkontrolle vorzunehmen ist, nicht aber eine weitergehende Wirksamkeitskontrolle. Zur Transparenz wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
5.3. Die Beklagte hatte auch keine Verpflichtung, die Klägerin – ohne Nachfrage – dahingehend zu beraten, dass nicht alle Betriebsschließungen nach der jeweils gültigen Fassung des IfSG versichert sind. Das ergibt sich daraus, dass – wie dargestellt – die vereinbarten Bedingungen das ausreichend aufzeigen. Grundsätzlich obliegt die Ermittlung des Risiko- und Bedarfsprofils dem Versicherungsnehmer selbst. Beratungspflichten des Versicherungsvertreters sind anlassbezogen und bestehen nur, wenn der Versicherungsnehmer erkennbar beratungsbedürftig war.
6. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 16.11.2021 auf die Entscheidung der 13. Handelskammer beim Landgericht München I vom 19.10.2021 (13 HKO 15251/20, Anlage K 20 hinweist und dieser Entscheidung folgend die Auffassung vertritt, die streitgegenständliche Klausel sei unklar, folgt der Senat dem nicht. Liest man § 1 AVB unbefangen, so erkennt man, dass sich in § 1 III AVB ausführliche Auflistungen befinden, in denen Corona nicht enthalten ist. Davon, dass es sich nur um eine – keinen eigenständigen Regelungsgehalt aufweisende – Information über zur Zeit des Vertragsschlusses meldepflichtige Krankheiten handelt, kann ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer nicht ausgehen (so auch Senat in den Verfahren 25 U 1174/21, 25 U 1640/21, 25 U 1947/21, 25 U1948/21, 25 U 3425/21, 25 U 3541/21, 25 U 3573/21, 25 U 3775/21, vgl. insoweit zu in den entscheidenden Punkten gleich formulierten Bedingungen: OLG Dresden Urt. v. 13.7.2021 – 4 U 287/21, BeckRS 2021, 21604 beckonline oder auch OLG Stuttgart Urt. v. 10.6.2021 – 7 U 411/20).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO. Die Revision zum Bundesgerichtshof (§ 133 GVG, § 8 Abs. 2 EGGVG, § 7 Abs. 1 EGZPO) war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit Blick auf das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2021 (12 U 4/21, juris) zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2009 – IV ZR 217/08, r+s 2009, 340 Rn. 2; vom 13. Februar 2013 – IV ZR 260/12, r+s 2013, 282 Rn. 10; vom 15. Februar 2017 – IV ZR 202/16, VersR 2017, 948 Rn. 7; BeckOK-ZPO/Kessal-Wulf, 2021, § 543 Rn. 19, 26, § 545 Rn. 13; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 543 Rn. 13).
Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.


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