Versicherungsrecht

Kein Anspruch aus Versicherung trotz fehlender Belehrung nach Treu und Glauben

Aktenzeichen  25 U 4170/17

Datum:
23.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45381
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
VVG § 8 Abs. V

 

Leitsatz

Nach der Rechtsprechung des Senats und auch des Bundesgerichtshofs kann bei Vorliegen besonders gravierender Umstände im Ausnahmefall auch dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben die Geltendmachung seines Anspruchs verwehrt sein. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 5464/17 2017-11-16 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.11.2017, Az. 23 O 5464/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass vorliegend ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers ausgeschlossen ist, obwohl die erteilte Widerspruchsbelehrung inhaltlich nicht ordnungsgemäß war.
Nach der Rechtsprechung des Senats und auch des Bundesgerichtshofs (vgl. z.B. Beschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 – zu OLG München, Urteil vom 09.12.2014 – 25 U 1381/14; Beschluss vom 27.01.2016 – IV ZR 130/15; Urteil vom 25.01.2017 – IV ZR 173/15; Beschluss vom 27.09.2017 – IV ZR 506/15) kann bei Vorliegen besonders gravierender Umstände im Ausnahmefall auch dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben die Geltendmachung seines Anspruchs verwehrt sein. Dabei können nach Auffassung des Bundesgerichtshofs keine allgemein gültigen Maßstäbe dafür aufgestellt werden, wann dies der Fall ist; die Beurteilung im Einzelfall obliegt vielmehr dem Tatrichter.
Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass hier solche gravierenden Umstände vorliegen, die es in der Gesamtschau rechtfertigen, die Geltendmachung des Widerspruchsrechts und des Bereicherungsanspruchs durch den Kläger als widersprüchlich und treuwidrig zu bewerten. Die Einwände dagegen in der Berufungsbegründung führen zu keiner anderen Beurteilung.
Hier ist zunächst die sehr lange Vertragsdurchführung von Februar 2000 an bis zur Erklärung des Widerspruchs im Dezember 2015, also über fast 16 Jahre hinweg, zu berücksichtigen, wobei der Kläger bis zur Beitragsfreistellung im August 2014 auch alle dynamischen Prämienanpassungen akzeptiert und damit das Beitrags- und Leistungsvolumen kontinuierlich erhöht hat. In die Gesamtbetrachtung ebenfalls einzubeziehen ist der Umstand, dass der Kläger bei Vertragsabschluss von einem Versicherungsmakler vertreten wurde und daher davon auszugehen ist, dass ihm trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung die Modalitäten des Widerspruchsrechts bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt Letzteres zwar nicht zu einem Ausschluss des Widerspruchsrechts (bzw. eines Rücktrittsrechts nach § 8 Abs. V VVG a.F.), da die Ordnungsmäßigkeit der Belehrung abstrakt zu beurteilen ist; auch mögen allein die genannten Gesichtspunkte für die Annahme besonders gravierender Umstände nicht ausreichen (vgl. BGH Urteil vom 25.01.2017 – IV ZR 173/15 Rn. 19 und 21). Dies bedeutet aber nicht, dass solche Umstände bei der Beurteilung nicht – mit – berücksichtigt werden dürften.
Zu diesen tritt hier die Vereinbarung des Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs. 3 VVG a.F. (nun § 168 Abs. 3 VVG) durch die Parteien des Rechtsstreits im Jahr 2005 hinzu. Der Senat folgt der Beurteilung des Landgerichts, dass dadurch – dem Kläger erkennbar – ein besonderes schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten auf den Fortbestand des Versicherungsvertrages hervorgerufen wurde, was die Ausübung des Widerspruchsrechts widersprüchlich und treuwidrig erscheinen lässt. Sinn und Zweck der Sonderregelung zum Ausschluss des Kündigungsrechts war die Anpassung des Versicherungsvertragsgesetzes an die Änderungen der Rahmenbedingungen der privaten Altersvorsorge zu Beginn des Jahres 2005. Wegen der Gewährung steuerlicher Förderung, des Ausschlusses der Anrechnung auf Sozialleistungen und der Gewährung von Pfändungsschutz bestimmter Lebensversicherungsverträge sollte der Versicherungsnehmer hier ausnahmsweise langfristig gebunden werden können. Die Einräumung dieser wirtschaftlichen Vorteile hängt davon ab, dass es sich um einen der Altersvorsorge dienenden Lebensversicherungsvertrag handelt und der Versicherungsnehmer mit dem Versicherer eine Kündigung oder sonstige Verwertung vor Eintritt in den Ruhestand vertraglich unwiderruflich ausgeschlossen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.2011 – IV ZR 255/10, VersR 2012, 302, Rn. 18 bei juris; Reiff in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 168 Rn. 15; Mönnich in Langheid/Wandt, MünchKomm VVG, 2. Aufl., § 168 Rn. 7 ff.). Die Vereinbarung des Verwertungsausschlusses in Anlage BLD 2, die ausweislich Anlage BLD 1 auf eine Anfrage des Klägers im Hinblick auf das Hartz-IV-Gesetz zurückging, war daher aus Sicht der Beklagten als klare und eindeutige Bestätigung des (langfristigen) Vertragsbindungswillens des Klägers anzusehen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Kläger in der Folge Hartz-IV-Leistungen oder sonstige Vorteile tatsächlich in Anspruch genommen hat oder nicht.
Der Senat hält die vorliegende Fallgestaltung insgesamt für vergleichbar mit Fällen mehrfacher Abtretung, einer Abtretung in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss oder einer sonstigen eindeutigen Bekräftigung des Vertragswillens des Versicherungsnehmers, aus der darauf zu schließen ist, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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