Versicherungsrecht

Zur Beteiligung des Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung aus dem regulierten Altbestand an den Bewertungsreserven

Aktenzeichen  10 O 2604/15 Ver

Datum:
9.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG VVG § 153 Abs. 1, Abs. 3
VAG VAG aF § 56a Abs. 3
GG GG Art. 14
EGVVG EGVVG Art. 4
BGB BGB § 242

 

Leitsatz

1. § 56a Abs. 3 VAG und § 153 Abs. 3 S. 3 VVG in der Fassung des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) vom 01.08.2014 (BGBl. I S. 1330) sind nach ihrem Inkrafttreten am 07.08.2014 auch auf nach diesem Zeitpunkt beendete Altverträge mit höheren Garantiezinsen (hier aus dem regulierten Altbestand mit noch vom BAV genehmigten AVB) anzuwenden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anwendung der § 56a Abs. 3 VAG und § 153 Abs. 3 S. 3 VVG – jeweils in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung – auf Altverträge verstößt nicht gegen Art. 14 GG. Das BVerfG (BeckRS 2005, 28070) hat dem Gesetzgeber lediglich vorgegeben, dem ausscheidenden Versicherungsnehmer, den übrigen Versicherungsnehmern und dem Versicherer einen angemessenen Anteil an den Bewertungsreserven zukommen zu lassen und die nähere Ausgestaltung dem Gesetzgeber überlassen (Anschluss an LG Hamburg BeckRS 2016, 12300 – bestätigt durch OLG Hamburg, Beschlüsse vom 04.07.2016, 27.09.2016 – 9 U 20/16). (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu Inhalt und Reichweite eines Auskunftsanspruchs des Versicherungsnehmers aus § 242 BGB über die Berechnung der Bewertungsreserven durch den Versicherer (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 04158 Rn. 23 ff.). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.275,88 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere war das angerufene Landgericht München II gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 215 Abs. 1 VVG örtlich zuständig, da der Kläger als Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz in 8. W. hat.
2. Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 9.275,88 €.
2.1 Die Klage war bezüglich dieses zuletzt gestellten Zahlungsantrags bereits unschlüssig. Denn ein Anspruch auf eine Beteiligung an den Bewertungsreserven gemäß § 153 Abs. 1, Abs. 3 VVG, die über den Bewertungsreservenmindestanteil hinausginge, wäre allein zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung denkbar. Maßgeblich wäre insoweit also der Stichtag 31.08.2014. Wieso der Kläger stattdessen nunmehr zuletzt die Zahlung jener Bewertungsreserven, welche die Beklagte für den Stichtag 31.07.2014, mithin für einen Zeitpunkt vor Ablauf des Vertrages, mitgeteilt hat (9.275,88 €), begehrt hat, erschließt sich dem Gericht nicht im Ansatz, Unstreitig wurde der streitgegenständliche Vertrag nicht zum 31.07.2014 beendet, sondern lief erst zum 01.09.2014 ab. Selbst wenn man – wie der Kläger – von einer Verfassungswidrigkeit des LVRG ausginge, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie der Kläger die geltend gemachte Klageforderung von 8.275,88 € für den Stichtag 31.08.2014 als dem nach § 153 VVG maßgeblichen Zeitpunkt errechnet.
2.2 Nur ergänzend ist daher auszuführen, dass dem Kläger ein Anspruch auf die ihm von der Beklagten zuvor bzw. für vorangehende Stichtage mitgeteilten Bewertungsreserven nicht zusteht, da der konkrete Betrag allein für den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung festzustellen ist (vgl. Reiff, in Prölls/Martin, § 153 VVG Rn. 26). Nach § 153 Abs. 3 VVG ist der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven zu beteiligen. Dabei handelt es sich um sog. stille Reserven, die sich aus der Differenz aus dem Zeitwert und dem handelsrechtlichen Buchwert ergeben. Die im Einzelnen ermittelten Reserven werden nach dem sog. verursachungsorientierten Verfahren den einzelnen Verträgen rechnerisch zugeordnet. Der konkrete Betrag ist zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zu ermitteln und zur Hälfte dem jeweiligen Vertrag zuzuordnen. Die weitere Hälfte verbleibt beim Versicherer und soll diesen in die Lage versetzen, Schwankungen des Kapitalmarkts abzufedern (vgl. Reiff, in Prölls/Martin, § 153 VVG Rn. 26).
Nach Inkrafttreten des LVRG zum 07.08.2014 sind gemäß § 56 a Abs. 3 VAG Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherer gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven nur insoweit zu berücksichtigen, als sie einem etwaigen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie überschreiten. Dahinter steht der gesetzgeberische Wille, dass in Zeiten einer anhaltenden Niedrigzinsphase Versicherungsunternehmen in der Lage sind, auch noch Altverträge mit höheren Garantiezinsen zu erfüllen (vgl. BT-Drucks. 18/1772, S. 26). Die Norm ist auch – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – auf einen Altvertrag wie den vorliegenden anzuwenden. Gemäß § 4 EGGVG findet § 153 VVG auf Altverträge Anwendung. Die Änderung des § 153 VVG stellte aber gerade eine Folgeänderung der Änderung des § 56 a VAG dar (vgl. Reiff, in: Prölls/Martin, § 153 VVG Rn. 28 d).
Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelung sieht das erkennende Gericht entgegen der Auffassung des Klägers nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf einen – wie vom Kläger angenommenen – Verstoß gegen Art. 14 GG. Die in die Beitragsrückstellung eingestellten Prämien gebühren dem Kollektiv der Versicherungsnehmer und gerade nicht dem einzelnen Versicherungsnehmer. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber insoweit auch lediglich vorgegeben, dem ausscheidenden Versicherungsnehmer, den übrigen Versicherungsnehmern und dem Versicherer einen angemessenen Anteil an den Bewertungsreserven zukommen zu lassen. Bezüglich der genauen Ausgestaltung hat es dem Gesetzgeber überlassen, welchem nach dem BVerfG ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zukommt (vgl. auch LG Hamburg, Urteil v. 13.01.2016, Az. 332 O 243/15).
2.3 Da es bereits an einem Anspruch des Klägers in der Hauptsache fehlt, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten abzuweisen.
II.
1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
1.1 Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2016 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren dem Kläger die Kosten gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.
Das Gericht geht bei Berücksichtigung des bis dahin gegebenen Sach- und Streitstandes und unter Ausübung des ihm insoweit eingeräumten Ermessens davon aus, dass der Kläger insoweit unterlegen wäre.
Ein Auskunftsanspruch des Inhalts, wie zunächst mit der Klageschrift begehrt, stand dem Kläger gegen die Beklagte nicht zu. Zwar kann nach der Rechtsprechung der Versicherer einem Versicherungsnehmer ausnahmsweise nach § 242 BGB zur Auskunft bezüglich der Bewertungsreserven verpflichtet sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, der Auskunftsverpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer erteilen kann und zudem von dem Bestehen eines Zahlungsanspruchs ausgegangen werden kann (BGH IV ZR 213/14 Rn. 24). Ein solcher Anspruch umfasst jedoch keine Verpflichtung des Versicherers zur Vorlage oder Mitteilung von fiktiven versicherungstechnischen Bilanzen oder anderer Geschäftsunterlagen und auch kein Einsichtsrecht. Denn der Versicherer schuldet gerade keine Rechnungslegung i.S.d. § 259 Abs. 1 BGB. Die Grenze eines solchen ausnahmsweise möglichen Auskunftsanspruchs bildet das schutzwürdige Geheimhaltungsinteresse des Versicherers an seinen konkreten Berechnungsmethoden, Gerade auf ein solches hat sich die Beklagte vorliegend berufen. Der Kläger hätte vorliegend also allenfalls Auskunft über die Höhe seines Anteils an den Bewertungsreserven zum maßgeblichen Stichtag bei Vertragsbeendigung von der Beklagten verlangen können, nicht jedoch den konkreten Berechnungs Weg. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.07.2015 die Anteile an den Bewertungsreserven darüber hinaus für weitere, dem maßgeblichen Stichtag vorausgehende Daten dem Kläger mitgeteilt hat, bestand insoweit hierzu keine Verpflichtung der Beklagten und diese weitergehenden Informationen waren im Übrigen auch nicht für die Bezifferung des von dem Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruchs relevant. Ob vorliegend überhaupt die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB erfüllt waren – woran das Gericht bereits deshalb Zweifel hat, weil der Kläger unstreitig das ihm zur Verfügung stehende Verbraucherbeschwerdeverfahren bei der BaFin nicht in Anspruch genommen hat und daher schwerlich von einem „entschuldbaren“ Unwissen über das Bestehen und den Umfang seines Rechts ausgegangen werden könnte – konnte daher letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Umfang eines solchen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzuerkennenden Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB das von dem Kläger ursprünglich verfolgte Auskunftsbegehren in dieser Weite nicht umfasst hätte.
1.2 Im Übrigen folgt die Kostenentscheidung aus § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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