Verwaltungsrecht

Abgeschlossenes erfolgloses Asylverfahren in sicherem Drittstaat – Erfolgloser Zweitantrag

Aktenzeichen  M 32 K 17.44372

Datum:
15.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42205
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a

 

Leitsatz

Nach Sinn und Zweck des § 71a AsylG kann es nicht darauf ankommen, ob auch ein Klageverfahren materiell erfolglos abgeschlossen wurde, oder ob das Klageverfahren aus formellen Gründen eingestellt wurde, weil vor einer gerichtlichen Sachentscheidung der Asylantrag stillschweigend zurückgenommen wurde. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. Juni 2019 und die Beklagte mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 das Einverständnis dazu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch weder im Hauptantrag, noch in den Hilfsanträgen zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Asylantrag des Klägers ist zu Recht als unzulässiger Zweitantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 71a AsylG abgelehnt worden.
Gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ist nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), sofern im Bundesgebiet ein weiterer Asylantrag (Zweitantrag) gestellt wird, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vorliegen.
a) Es handelt sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, da das Verfahren des Klägers in Griechenland erfolglos abgeschlossen ist. Ein erfolgloser Abschluss eines in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29). Der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat muss durch bestands- bzw. rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen.
Gemessen hieran bestehen keine ernstlichen Bedenken gegen die Einordnung des bei der Beklagten gestellten Asylantrags als Zweitantrag. Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.06.2013, S. 31) – Dublin III-VO – hat der Mitgliedstaat Griechenland die erbetenen Informationen, einschließlich eingelegter Rechtsbehelfe und deren Ausgang, übermittelt. Damit ist die Beklagte ihrer Amtsermittlungspflicht im vorliegenden Fall hinreichend nachgekommen.
aa) Die Entscheidung im griechischen Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Dies ist bereits mit o.g. Eilbeschluss festgestellt worden. Zudem ändert daran auch die Tatsache nichts, dass im Rahmen des griechischen Klageverfahrens der Antrag als zurückgenommen behandelt wurde und das Verfahren deshalb eingestellt worden ist. Nach Sinn und Zweck des § 71a AsylG kann es nicht darauf ankommen, ob auch ein Klageverfahren materiell erfolglos abgeschlossen wurde, oder ob das Klageverfahren aus formellen Gründen eingestellt wurde, weil, wie hier, vor einer gerichtlichen Sachentscheidung der Asylantrag stillschweigend zurückgenommen wurde. Es genügt, dass eine negative Sachentscheidung der für das Asylgesuch zuständigen Behörde erging und diese nicht vom zuständigen Gericht aufgehoben wurde. Ansonsten hätte es der Kläger in der Hand, nach möglicherweise längerer Verfahrensdauer vor der zuständigen Behörde und vor dem angerufenen Gericht kurz vor einer endgültigen abschließenden – negativen – Gerichtsentscheidung das gesamte Verfahren durch Rücknahme des zugrundeliegenden Asylantrags gegenstandslos zu machen. Dadurch würde die Regelung des § 71a AsylG unterlaufen, wofür es keinerlei sachlichen Gründe gäbe.
Soweit die Rechtsprechung bei Anwendung des § 71a AsylG die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags in der Sache verlangt, nicht aber etwa die Einstellung oder die Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedsstaat im Falle der Ausreise aus diesem Mitgliedsstaat oder des Nichtbetreibens des Verfahrens genügen lässt, betrifft dies nur die Verfahrenskonstellation, dass noch keine Sachentscheidung zum Asylgesuch erging und das Verfahren wegen Ausreise etc. ohne Sachentscheidung beendet wurde, oder aber ein Klageverfahren noch anhängig ist. Wenn aber eine Sachentscheidung getroffen wurde, eine weitere gerichtliche Überprüfung aber durch den Kläger – und sei es durch Rücknahme des ursprünglichen Asylantrags – nicht weiter verfolgt wurde, bleibt es bei der Anwendung des § 71a AsylG (vgl. VG München, B.v. 2.2.2018 – M 10 S 17.41859; B.v. 6.8.2018 – M 10 S 18.32496, GB.v. 23.11.2018 – M 10 K 18.32823).
bb) Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die griechische Entscheidung im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt ist. Dies wird bei allen EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich vermutet. Nur sofern ernstliche Zweifel bestehen, dass dieses System in einem bestimmten Mitgliedstaat in der Praxis auf größere Funktionsstörungen stößt, das in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführte Asylverfahren systemischen Mängeln unterliegt und diese im konkreten Einzelfall unter Würdigung der aus dem Mitgliedstaat vorliegenden Verwaltungsunterlagen durchschlagen, ist in Auslegung des § 71a AsylG davon auszugehen, dass kein Zweitantrag vorliegt (vgl. VG München, B.v. 7.8.2018 – M 23 S 18.32935 m.w.N.).
Vorliegend ist nicht anzunehmen, dass das vom Kläger in Griechenland durchlaufene Asylverfahren mit durchschlagenden systemischen Mängeln behaftet ist. Zwar hat der Kläger seinen Asylantrag vor dem 7. Juni 2013 gestellt, so dass sein Asylverfahren noch in Anwendung des alten griechischen Asylverfahrensrechts bearbeitet wurde, für das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beachtliche strukturelle Defizite in der Prüfung der Asylanträge durch die griechischen Behörden festgestellt hat (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S. v. Belgium and Greece, juris Rn. 300, 321; vgl. auch EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 -, juris Rn. 88). Die strukturellen Mängel ergäben sich insbesondere daraus, dass Polizeibeamte für die Durchführung der Anhörungen und die Entscheidung über die Asylanträge zuständig seien. Diese Entscheider verfügten nur über eine unzureichende Ausbildung. Fast alle erstinstanzlichen Entscheidungen über Asylbegehren seien negativ und in einer stereotypen Art und Weise verfasst. Damit sei das Rechtsbehelfssystem in der Praxis zumindest im Zeitpunkt der Entscheidung des EGMR als uneffektiv anzusehen.
Es bestehen im vorliegenden Einzelfall jedoch keine substantiierten Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des griechischen Asylverfahrens des Klägers. Die von der Beklagten vorgelegten Dokumente aus dem griechischen Verfahren legen nahe, dass der Kläger ausreichend Gelegenheit hatte, seine Asylgründe vorzutragen. Er wurde ausführlich zu seinem Verfolgungsschicksal angehört. Die Anhörung wurde von einem Dolmetscher begleitet und auf Punjabi durchgeführt. Zudem war auch ein Vertreter des UNHCR/UN anwesend. In der Asylentscheidung wurde schließlich auch der subsidiäre Schutz geprüft.
Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass eventuelle systemische Mängel im Verfahren auf die Entscheidung durchgeschlagen haben. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Auch unter Zugrundelegung des deutschen Asylrechts wäre der Asylantrag des Klägers bei einem solchen Sachvortrag zumindest als unbegründet abzulehnen gewesen, da der Kläger seine Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft machen konnte. So ist nicht nachvollziehbar vorgetragen worden, warum der Kläger eine Inhaftierung fürchtet, wenn schon der Vater nach 5 bis 6 Tagen auf Grund bewiesener Unschuld freigekommen sei. Auch eine Gefahr seitens der Verwandten der Opfer hat der Kläger nicht plausibel dargelegt; dass diese nach dem Kläger suchten, hat er selber nicht vorgetragen. Auch der Vater habe mit der Familie der Verstorbenen keine Probleme gehabt; diese würden lediglich oft beim Vater nach dem Verbleib der Verwandten der 5 verhafteten Personen fragen. Jedenfalls würde dem Kläger eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehen.
b) Zu Recht hat sich das Bundesamt demzufolge auf die Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG beschränkt und diese rechtsfehlerfrei verneint. Da dem Bundesamt und dem Gericht aufgrund des von Griechenland vorgelegten Anhörungsprotokolls vom 18. Juli 2011 bekannt ist, was der Kläger im Rahmen des ungarischen Asylverfahrens vorgetragen hatte, besteht eine gesicherte Tatsachengrundlage für die Beurteilung der Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG. Solche sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt keine nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers vor. Der Kläger schilderte im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Dezember 2016 lediglich Umstände, die sich bereits im Herkunftsland ereignet haben sollen. Er gab zwar mit seinem Vortrag eine gegenüber dem griechischen Verfahren etwas abgewandelte Fluchtgeschichte, jedoch mit dem gleichen Kerninhalt, an. Auch diese Umstände lagen – bei unterstellter Glaubhaftigkeit – jedoch schon bei der Ausreise aus Pakistan vor und sind nicht erst nach dem Verfahren in Griechenland entstanden. Der Kläger gab auch in der Anhörung vor dem Bundesamt an, dass er in Griechenland dieselben Fluchtgründe wie in Deutschland hatte. Auch legte der Kläger keine neuen Beweismittel vor, die eine günstigere Entscheidung herbeiführen könnten (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Des Weiteren sind Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG) nicht einschlägig. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der klägerische Vortrag in der Anhörung vor dem Bundesamt ist, auch unter Berücksichtigung der Aussagen im griechischen Asylverfahren, nicht glaubhaft. Ergänzend zu den dazu gemachten Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid spricht auch die abgewandelte Verfolgungsgeschichte gegen die Glaubhaftigkeit. Laut seiner Aussage bei der Anhörung in Griechenland sei der fluchtauslösende Vorfall 2011 passiert, der Kläger sei unschuldig gewesen und es habe 6 Opfer gegeben. Der Vater sei nach 5-6 Tagen auf freien Fuß gesetzt worden. Im Gegensatz dazu äußerte der Kläger gegenüber dem Bundesamt, die Flucht sei durch einen Vorfall im Jahr 2008 ausgelöst worden, an dem er auch persönlich beteiligt gewesen sei. Es habe 7 Opfer gegeben und sein Vater befinde sich seit 7 oder 8 Jahren im Gefängnis. Diese offensichtlichen Ungereimtheiten hat der Kläger nicht ausgeräumt.
Der Antragsteller kann darüber hinaus als junger, gesunder Mann mit Berufserfahrung und ggf. mit Unterstützung durch sein familiäres Umfeld sein Existenzminimum sichern. Auch insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG). Selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags zur Bedrohung durch polizeiliche Ermittlungen oder die Verwandten der getöteten Personen ist nicht anzunehmen, dass bei einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, da die behaupteten Geschehnisse bereits mindestens 8 Jahre bzw. sogar 11 Jahre zurückliegen und der Kläger jedenfalls in anderen Landesteilen vor einer Bedrohung sicher wäre und ein Umzug dorthin auch für ihn zumutbar wäre.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.


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