Verwaltungsrecht

Abiturprüfung 2020, Mündliche Zusatzprüfung im Fach, Deutsch, Unterschreiten der Prüfungszeit (verneint), Auswirkung der Corona-Pandemie auf die Prüfungsvorbereitung

Aktenzeichen  M 3 K 20.4193

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19883
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 1
GSO § 50 Abs. 1 S. 1 und 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Bescheids vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Über die Klage kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beteiligten wurden vorher nach § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist vorliegend der geltend gemachte Anspruch auf fehlerfreie Neubewertung der Leistung des Klägers in der mündlichen Zusatzprüfung zur Abiturprüfung im Fach Deutsch.
Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag der Verpflichtungsklage ist bei verständiger Würdigung dabei so auszulegen, dass er sich gegen die Feststellung des Nichtbestehens der Abiturprüfung in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Juli 2020 richtet, da die Bewertung einzelner Teile einer Prüfung im Allgemeinen keine unmittelbare Regelungswirkung entfaltet. Der Prüfling hat es aber in der Hand zu bestimmen, gegen welche Prüfungsleistungen, die in das Abschlusszeugnis eingehen, er mit substantiierten Einwendungen vorgehen und welche er gegen sich gelten lassen will. Ist die Bewertung einer der vom Prüfling angesprochenen Aufgaben fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Gesamtergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Abschlusszeugnisses und zur Verpflichtung des Beklagten, das Prüfungsverfahren mit einer erneuten – nunmehr fehlerfreien – Bewertung fortzusetzen (BVerwG, U.v. 16.3.1994 – 6 C 5/93 – juris Rn. 21 ff. zur Ersten Juristischen Staatsprüfung).
Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ergibt sich vorliegend daraus, dass die Bewertung der Abiturprüfungsleistung im Fach Deutsch in die Gesamtpunktzahl eingeht und damit auf die Durchschnittsnote und das Nichtbestehen der gesamten Abiturprüfung Einfluss hat. Es gab auch keine andere Hürde außer der Gesamtpunktzahl, die unabhängig hiervon ebenfalls zum Nichtbestehen der Abiturprüfung geführt hätte.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Feststellung des Nichtbestehens der Abiturprüfung und des Widerspruchsbescheids, soweit die mündliche Zusatzprüfung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Gymnasialschulordnung (GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K), die zuletzt durch § 6 der Verordnung vom 22. Juni 2020 (GVBl. S. 335, 406) geändert worden ist, im Fach Deutsch mit null Punkten bewertet wurde, sowie Neubewertung dieser Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Bewertung der Prüfungsleistung des Klägers in der mündlichen Zusatzprüfung der Abiturprüfung im Fach Deutsch ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die gerichtliche Kontrolle fachlicher, wissenschaftlicher Urteile, Wertungen und Entscheidungen von Prüfern stößt an Grenzen, weil die Beurteilung von Prüfungsleistungen von Gesichtspunkten und Überlegungen bestimmt ist, die sich einer rechtlich unmittelbar subsumierbaren Erfassung mehr oder minder entziehen und jedenfalls teilweise auf nicht in vollem Umfang objektivierbaren Einschätzungen und Erfahrungen beruhen und insbesondere davon abhängig sind, was nach Meinung der Prüfer bei einem bestimmten Ausbildungsstand als Prüfungsleistung verlangt werden kann. Diese für die Bewertung von Prüfungsleistungen anzustellenden fachlichen Erwägungen lassen sich nicht regelhaft erfassen und können insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der Chancengleichheit auch grundsätzlich nicht mit Hilfe von Sachverständigen vom Gericht ersetzt werden. Eine uneingeschränkte Ersetzung der Prüferbewertung durch das Gericht würde zu einer Verzerrung der Bewertungsmaßstäbe und zu einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit führen (vgl. BVerfG, B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 – BVerfGE 84, 34/51 ff.; BVerwG, U. v. 24.2.1993 – 6 C 35/92 – BVerwGE 91, 262/265; U. v. 9.12.1992 – 6 C 3/92 – BVerwGE 92, 132/137).
Soweit die Bewertung nicht rein fachliche Fragen betrifft, unterliegt daher die Benotung einer erbrachten Leistung dem Bewertungsspielraum der Prüfer und ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. BVerfG, B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 – BVerfGE 84, 34/51 ff; BVerwG, U. v. 9.12.1992 – 6 C 3/92 – BVerwGE 91, 262/265; BVerwG, U. v. 24.2.1993 – 6 C 35/92 – BVerwGE 92, 132/137). Zu diesen nur eingeschränkt überprüfbaren Fragen zählen etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels und einzelner positiver Ausführungen im Hinblick auf die Gesamtbewertung (BVerwG, B.v. 2.6.1998 – 6 B 78/97 – juris Rn. 3 f.; B.v. 16.8.2011 – 6 B 18/11 – juris Rn. 16; B.v. 8.3.2012 – 6 B 36/11 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 ZB 13.2221 – juris Rn. 8). Bei diesen prüfungsspezifischen Wertungen ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden, mit ihrem Prüfungsauftrag nicht zu vereinbarenden Erwägungen leiten lassen und ob die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist (ständige Rechtsprechung im Anschluss an BVerwG, U. v. 9.12.1992 – 6 C 3/92 – BVerwGE 92, 132/137; vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2009 – 7 ZB 09.160 – juris Rn. 9).
Die Bewertung ist formal ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere wurde die Regelprüfungsdauer von 20 Minuten nach § 50 Abs. 1 Satz 7 Alt. 1 GSO eingehalten.
Ein Verfahrensfehler durch Abweichung von einer vorgegebenen Mindest- oder Höchstdauer einer mündlichen Prüfung hat nur dann einen Anspruch auf Wiederholung der Prüfung zur Folge, wenn er wesentlich ist, Art. 46 BayVwVfG (s.a. Jeremias in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 488; BayVGH, B.v. 29.5.2000 – 7 ZB 00.229 – juris Rn. 8). Nur geringfügige Unter- oder Überschreitungen der vorgegebenen Prüfungsdauer wirken sich erfahrungsgemäß nicht auf die Verlässlichkeit des in der Prüfung gezeigten Leistungsbildes eines Prüflings aus und können daher allein noch nicht zur gerichtlichen Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen.
Ob die hier im Raum stehende Unterschreitung von 5 Minuten einer 20-minütigen Regelprüfungszeit noch als lediglich geringfügig anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben, da nach Überzeugung des Gerichts die Regelprüfungszeit von 20 Minuten eingehalten worden ist.
Der Kläger selbst trägt vor, pünktlich um 12.50 Uhr aus dem Vorbereitungsraum zur Prüfung vom Hauptprüfer abgeholt worden zu sein. Dann sei das tatsächliche Prüfungsende aber um 13.05 Uhr gewesen. Erst auf ausdrückliche gerichtliche Aufforderung führt er weiter aus, er habe bei einem Blick auf seine Armbanduhr beim Verlassen des Prüfungsraumes diese Uhrzeit festgestellt.
Die glaubhaften dienstlichen Stellungnahmen der beteiligten Prüfer versichern dagegen übereinstimmend, dass die Prüfung 20 Minuten dauerte. Der Hauptprüfer versichert in seiner Stellungnahme glaubhaft, den Kläger um exakt 12.50 Uhr aus dem Vorbereitungsraum abgeholt zu haben und nach wenigen einleitenden Worten jeweils 10 Minuten zum Schwerpunktthema und zu den verbleibenden Halbjahren, die Prüfungsbestandteil waren, geprüft zu haben. Um 13.11 Uhr sei der Kläger aus der Prüfung entlassen worden, wobei die einmütige Verzögerung zum Ausgleich des Weges vom Vorbereitungsraum zum Prüfungsraum und der einleitenden Worte zustande gekommen sei. Auch die Beisitzerin versichert, dass der Kläger für 20 Minuten geprüft worden sei. Der Hauptprüfer habe den Kläger um 12.50 Uhr abgeholt und die Prüfung habe bis um 13.11 Uhr angedauert. Die Zeiten seien jeweils anhand der Uhr ihres Smartphones und eines Funkweckers festgestellt worden.
Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Prüfungszeit tatsächlich mindestens 20 Minuten, eventuell sogar 21 Minuten, betrug. Die dienstlichen Stellungnahmen der Prüfer sind glaubhaft und kohärent, während der Kläger sein Vorbringen erst nach Aufforderung substantiierte. Da der Sachverhalt für das Gericht durch die Einholung der dienstlichen Stellungnahmen und dem weiteren schriftlichen Vortrag des Klägers geklärt ist, ist die beantragte Parteieinvernahme des Klägers nicht nötig.
Bewertungsrügen hat der Kläger nicht erhoben. Folglich untersucht das Gericht die Bewertung auch nicht auf Fehler.
Auch einen Verstoß gegen die Chancengleichheit oder ein Gleichbewertungsgebot liegt nicht vor. Der Vortrag des Klägers beschränkt sich insoweit auf (bestrittene) Aussagen, die eine nicht an seiner Prüfung beteiligte Lehrkraft und der Schulleiter getroffen haben sollen. Ganz abgesehen ob dem Vortrag des Klägers überhaupt gefolgt werden kann, ist jedenfalls nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass die streitgegenständliche Prüfung oder die beteiligten Prüfer gegen das Gebot der Chancengleichheit oder ein Gleichbewertungsgebot verstoßen haben. Auch die Behauptung, die bis zum Abitur erzielten Noten seien als Grundlage der Bewertung mit 5 Punkten herangezogen worden, ist in keiner Weise substantiiert noch finden sich anhand der Noten des Klägers (Klausuren: 1, 1, 4, 1 Punkt(e) und kleine Leistungsnachweise im Schnitt: 8,25, 7, 1, 3,5 Punkt(e)) hierfür Anhaltspunkte. Nur ergänzend ist anzumerken, dass die bis zum Abitur erzielten Noten den Leistungsstand des Prüflings wiederspiegeln und deshalb eine ähnliche Abiturnote die Regel und nicht die Ausnahme darstellt.
Auch mit dem Vortrag, wegen der Corona-Pandemie sei der Prüfungsstoff nicht ausreichend besprochen worden, kann der Kläger nicht durchdringen.
Denn Ausbildungsmängel führen im Allgemeinen nicht zur Rechtswidrigkeit der – sie nicht beachtenden – Prüfungsentscheidung (BayVGH, U.v. 25.9.1985 – 7 B 82 A.2336 – DÖV 1986, 478; BVerwG, B.v. 12.11.1992 – 6 B 36/92 – juris Rn. 2). Zudem ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers schon nicht zu welchen Prüfungsthemen er nicht umfassend informiert worden sei oder weshalb eine Vorbereitung hierauf nicht möglich gewesen sein sollte. Darüber hinaus kann sich der Kläger auf Ausbildungsmängel grundsätzlich nur dann mit Erfolg berufen, wenn er diese unverzüglich, d. h. hier bereits vor der Prüfung geltend gemacht hat (BVerwG, U.v. 22.6.1994 – 6 C 37.92 -, BVerwGE 96, 126, juris Rn. 17 ff.; OVG NRW, B.v. 9.4.2018 19 A 519/17 – juris Rn. 5 f.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die Klage hat daher keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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