Verwaltungsrecht

Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines faktischen Inländers

Aktenzeichen  B 6 K 17.607

Datum:
28.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 52168
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 25 Abs. 3, § 54 Abs. 2 Nr. 2, § 55, § 59 Abs. 1
JGG § 88

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die als Bescheidungsklage zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch darauf, dass die Beklagte aufgrund der in Betracht kommenden Ermessensvorschriften seine Aufenthaltserlaubnis verlängert.
a) Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Vorschrift, auf deren Grundlage dem Kläger am 21.08.2015 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und am 01.07.2016 und am 29.07.2016 jeweils verlängert wurde, ist anzuwenden, weil auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die gleichen Vorschriften Anwendung finden wie auf die Erteilung (§ 8 Abs. 1 AufenthG).
Zusätzlich müssen die allgemeinen (Regel-) Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen, sofern nicht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG davon abgesehen werden kann.
aa) Eine Regelerteilungsvoraussetzung ist, dass kein Ausweisungsinteresse besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Diese Regelvoraussetzung ist nicht erfüllt.
Ein Ausweisungsinteresse liegt vor, wenn einer der in § 54 AufenthG definierten Tatbestände erfüllt ist. Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse u.a. dann gegeben, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt ist (§ 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Bei einer nachträglichen Einheitsstrafenbildung ist als Jugendstrafe dabei die letzte einheitliche Verurteilung anzusehen. Eine Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung liegt nur vor, wenn die Vollstreckung gemäß § 21 JGG ausgesetzt wird, weil zu erwarten ist, dass der Jugendliche auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dagegen reicht es nicht aus, dass die Vollstreckung des Rests der Jugendstrafe gemäß § 88 Abs. 1 JGG ausgesetzt wird, weil der Verurteilte einen Teil der Strafe verbüßt hat und die Aussetzung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (Tanneberger in Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand 01.08.2018, § 54 AufenthG Rn. 83f.m.w.N.).
Ob ein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG zu bejahen ist, spielt dagegen keine Rolle, weil nicht darauf abzustellen ist, ob eine Ausweisung, wenn sie durchgeführt würde, rechtens wäre (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand September 2018, § 5 AufenthG, Rn. 27b).
Dagegen muss das Ausweisungsinteresse aktuell noch bestehen, d.h. es darf nicht ohne vernünftige Zweifel feststehen, dass die Gefahr, die mit dem Ausweisungsinteresse zusammenhängt, nicht mehr droht. Dabei sind umso geringere Anforderungen an das Vorhandensein einer akuten Gefährdung zu stellen, je gewichtiger das Ausweisungsinteresse ist (BayVGH, B. v. 26.08.2016 – 10 AS 16.1602 – juris Rn. 21f; Hailbronner, a.a.O, Rn. 31b).
„Verbraucht“ ist das Ausweisungsinteresse, wenn die Ausländerbehörde zuvor in Kenntnis des Ausweisungsinteresses vorbehaltlos einen Aufenthaltstitel erteilt oder verlängert hatte und keine neuen Umstände hinzugekommen sind (Hailbronner, Ausländerrecht, a.a.O. Rn. 30).
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U. v. 07.04.2009 – 1 C 17/08 – BVerwGE 133, 329/346 Rn.40 = InfAuslR 2009, 270/276) liegt ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse i.S. v. § 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor Das Amtsgericht … hat den Kläger mit Urteil vom 19.04.2018, das seit 07.05.2018 rechtskräftig ist, zu einer Einheits-(Jugend-)Strafe von einem Jahr und 9 Monaten verurteilt, die nicht gemäß § 21 JGG zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe durch den Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 11.07.2018 gemäß § 88 JGG ist dagegen nicht zu berücksichtigen.
Das Ausweisungsinteresse ist auch jetzt noch gegeben, weil die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger weitere Straftaten begehen wird und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.
Auch wenn das Verwaltungsgericht nicht daran gebunden ist, kommt der Entscheidung des Amtsgerichts … vom 11.07.2018 hohe erhebliche indizielle Bedeutung zu. Eine relevante Wiederholungsgefahr kann das Verwaltungsgericht jedoch erst dann bejahen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage getroffen wird (BVerfGKammer, B. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – InfAuslR 2017, 8/10f. Rn. 21, 24).
Nach diesen Grundsätzen kann das Gericht hier von einer beachtlichen Wiederholungsgefahr ausgehen. Zwar war das Amtsgericht … in seinem Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung des Restes der Jugendstrafe auf der Grundlage einer befürwortenden Stellungnahme der JVA … davon ausgegangen, dass vom Kläger keine Gefahr für die Sicherheit für die Allgemeinheit mehr ausgeht. Das Verwaltungsgericht ist dadurch aber nicht gehindert, eine Wiederholungsgefahr anzunehmen, weil seither neue Tatsachen hinzugekommen sind, die eine Entscheidung auf einer breiteren und aktuelleren Grundlage erfordern.
Der Kläger hat schon mit seinem in einem Aktenvermerk dokumentierten drohenden Auftreten gegenüber der Leiterin des Ausländeramtes der Beklagten am 24.09.2018 deutlich gemacht, dass zu erwarten ist, dass er zu körperlicher Gewalt greifen wird, wenn andere Menschen ihm nicht seinen Willen erfüllen. Vor allem aber ergibt sich die weiterhin bestehende Gefahr aus den Feststellungen, die dem Haftbefehl vom 17.10.2018 zugrunde liegen. Dort ist ausgeführt, dass der Kläger in dringendem Verdacht steht, am 09.10.2018 eine gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung begangen zu haben. Außerdem geht auch der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht … davon aus, dass bei ihm die Gefahr besteht, dass er erneut erhebliche Gewaltstraftaten begehen wird, wenn er nicht zuvor inhaftiert wird.
Stellt man weiter in Rechnung, dass es sich bei den Straftaten um Delikte von erheblichem Gewicht handelt, so dass keine gesteigerten Anforderungen zu stellen sind, um von einer akuten Gefährdung ausgehen zu können, besteht auch aktuell ein Ausweisungsinteresse.
Das Ausweisungsinteresse ist auch nicht deswegen verbraucht, weil die Beklagte in Kenntnis der strafrechtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 21.06.2016 die Aufenthaltserlaubnis am 01.07.2016 und am 29.07.2016 verlängert hatte. Denn inzwischen sind mit den Verurteilungen vom 21.02.2017 und vom 19.04.2018 neue Umstände hinzugekommen, die zuvor noch nicht bekannt waren, so dass die Beklagte auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht daran gehindert ist, dem Kläger unter Berufung auf das Ausweisungsinteresse die Verlängerung zu versagen.
bb) Die Beklagte war nicht daran gehindert, dem Kläger das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses entgegenzuhalten, weil eine Ausnahme vom Regelfall vorläge.
Eine atypische Ausnahmesituation liegt allgemein dann vor, wenn verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen oder atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, dies begründen (vgl. dazu BVerwG, U. v. 22.05.2012 – 1 C 6/11 – BVerwGE 143,150/152 = InfAuslR 2012, 350/351 jew. Rn.11). Speziell bei der Interessenabwägung, ob eine Ausnahme vom Regelfall, dass kein Ausweisungsinteresse vorliegen darf, zu machen ist, um zu verhindern, dass der Ausländer ausreisepflichtig wird, sind einzubeziehen die Dauer eines bisher rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Bestehen schutzwürdiger Bindungen im Bundesgebiet, das Gewicht des Ausweisungsinteresses, insbesondere die Schwere einer strafrechtlichen Verurteilung, die Dauer eines straffreien Aufenthalts im Verhältnis zur Gesamtaufenthaltsdauer, das Fortbestehen einer Gefährdungslage sowie der Grad der Entfremdung vom Heimatland (BayVGH, B. v. 26.08.2016 – 10 AS 16.1602 – juris Rn. 24; Hailbronner, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 31a) In angemessenem Umfang Rechnung zu tragen ist schließlich der besonderen Härte, die es für sie darstellt, wenn faktische Inländer, d.h. Ausländer, die in Deutschland geboren sind oder als Kleinkinder hier her gekommen sind, das Land verlassen müssen. Allerdings besteht auch für diese Personengruppe kein generelles Ausweisungsverbot (BVerfG-Kammer, B. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8/10 Rn.19).
Für den Kläger spricht, dass er sich bereits sein ganzes Leben, d.h. fast 22 Jahre, im Bundesgebiet aufhält, wo er auch geboren wurde, so dass er als faktischer Inländer zu gelten hat. Er spricht Deutsch und hat hier, wenn auch ohne Abschluss, die Schule besucht.
Außerdem leben hier seine Geschwister und seine Mutter, die über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verfügt. Zu seiner Kernfamilie unterhält er enge Beziehungen. Insbesondere hat er dem Abbruch einer Ausbildung oder nach der Entlassung aus der Strafhaft bei seiner Mutter und seinen Brüdern gewohnt.
Wie er in der mündlichen Verhandlung nochmals deutlich gemacht hat, ist ihm …, das Land seiner Staatsangehörigkeit, wo er nach eigenen Angaben bisher nie gewesen ist, vollkommen fremd. Darüber hinaus macht er geltend, er spreche kein Portugiesisch und habe in … zu niemandem Kontakt.
Gegen den Kläger spricht, dass er keine Schul- oder Berufsausbildung abgeschlossen hat. Außerdem konnte er seinen Lebensunterhalt vor seiner Inhaftierung am 19.10.2018 nicht aus eigenen Mitteln sichern. Schon aufgrund seiner mangelnden beruflichen Qualifikation besteht auch keine realistische Aussicht, dass er nach einer Haftentlassung ohne öffentliche Leistungen auf Dauer leben können wird. Eine Aufenthaltserlaubnis besaß er nur in der Zeit vom 21.08.2015 bis 21.02.2017. Weiterhin hat er laut seinem Strafregisterauszug seit 2011 in steter Folge zunehmend schwerere Straftaten begangen. Davon hat ihn auch seine familiäre Umgebung – einer seiner Brüder ist derzeit ebenfalls inhaftiert – nicht abhalten können. Seine Straftaten haben dazu geführt, dass er seit 2016 bereits dreimal zu Jugendstrafen verurteilt wurde. Nachdem er, unter Bewährung stehend, erneut straffällig wurde, musste er erstmals eine Jugendstrafe in … verbüßen. Auch diese erstmalige Hafterfahrung hat er sich keine Lehre sein lassen. Vielmehr hat er nach einem strafrechtlich nicht geahndeten aggressivem „Auftritt“ in der Ausländerbehörde laut dem gegen ihn ergangenen Haftbefehl am 09.10.2018 erneut ein Körperverletzungs- und Gewaltdelikt begangen. Aufgrund seiner bisher begangenen Straftaten ist zu erwarten, dass er nach der Entlassung aus der Haft, die ihm als Bewährungsversager, der erneut straffällig wurde, droht, wegen seiner fehlenden Lebensperspektive und seinem Hang, Konflikte mit Gewalt zu lösen, alsbald wieder straffällig wird.
Wägt man die für und gegen den Kläger ihn sprechenden Umstände ab, ist auch im Hinblick darauf, dass dann seine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird und er ausreisepflichtig wird, keine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung „kein Ausweisungsgrund“ zu machen. Denn es ist ihm zuzumuten im Land seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug hat, zu leben. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass er ein faktischer Inländer ist oder dass er sich schon lange Zeit im Bundesgebiet aufhält (OVG Hamburg, B. v. 24.05.2018 – 1 Bf72/17.z – juris Rn.34; Hailbronner, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 31c). Denn auch von ihm als faktischem Inländer, den es wie anderen Ausländern aus dieser Personengruppe unzweifelhaft hart ankommen wird, das Bundesgebiet verlassen zu müssen, ist eine Ausreise nach … zu verlangen. Es ist ihm über Jahre hinweg nicht gelungen ist, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Vielmehr stellt er als Intensivstraftäter mit einem erheblichen Gewaltpotential ein erhebliches Risiko für die Sicherheit im Bundesgebiet dar. Aufgrund seiner ausländischen Staatsangehörigkeit kann er nicht beanspruchen, dass seine Straftaten lediglich strafrechtlich geahndet werden, er seine Haftstrafe im Bundesgebiet verbüßen darf und sich anschließend weiter hier aufhalten kann. Vielmehr musste er, wie die Beklagte ihm insbesondere mit der ausländerrechtlichen Verwarnung vom 01.07.2016 hinreichend klargemacht hat, damit rechnen, dass auf die strafrechtlichen Verurteilungen als aufenthaltsrechtliche Folge die Nichtverlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis folgt.
cc) Schließlich handelte die Beklagte, wie das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt zu überprüfen hat, auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie, nachdem feststeht, dass keine atypische Ausnahmesituation vorliegt und deshalb auf der Regelvoraussetzung zu bestehen ist, das ihr darüber hinaus gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen dahingehend ausübte, dass sie nicht von der Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absah. Sie hat sich dazu im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigung darauf berufen, dass es (auch) dem Kläger zuzumuten war, sich an die deutsche Rechtsordnung zu halten und er insbesondere auch die ausländerrechtliche Verwarnung vom 01.07.2016, nicht beherzigt hat, in der er eindeutig und verständlich darauf hingewiesen wurde, welche ausländerrechtlichen Folgen es für ihn haben wird, wenn er weiter Straftaten begeht.
dd) Scheidet bereits wegen des bestehenden Ausweisungsinteresses die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus, kommt es nicht mehr darauf an, ob zusätzlich die Regelerteilungsvoraussetzungen der nachgewiesenen Sicherung des Lebensunterhalts und der Erfüllung der Passpflicht ebenfalls nicht erfüllt sind oder ob es der Beklagten versagt ist, sich auf diese Regelerteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG zu berufen, weil sie zuvor in Kenntnis, dass sie schon damals nicht vorlagen, die Aufenthaltserlaubnis erteilt und zweimal verlängert hat.
b) Ein Anspruch auf neue Bescheidung des Antrages ergibt sich auch nicht aus § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von§ 8 Abs. 1 AufenthG verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassens des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf dieser Rechtsgrundlage setzt weiter voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG, d.h. auch ein nichtbestehendes Ausweisungsinteresse vorliegen.
Allerdings kann von der Regelerteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses im Rahmen des Ermessens gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 6 Abs. 1 GG und die Regelung des Art.8 EMRK abgesehen werden (so zum Ausweisungsinteresse bei § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG BVerwG, U. v. 27.01.2009 – 1 C 40/07- BVerwGE 133, 72/84 = NVwZ 2009, 979/982 jew. Rn. 25).
Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift steht ein Ausweisungsinteresse entgegen. Ein atypischer Ausnahmefall, der es rechtfertigen würde, das Fehlen eines Ausweisungsinteresses nicht zu verlangen, liegt nicht vor.
Schließlich gebietet es das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens, das sich insbesondere aus Art. 8 EMRK ableitet, nicht, im Ermessenswege von diesem Erfordernis abzuweichen. Dieses Recht umfasst den Schutz aller persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts eine wachsende Bedeutung zukommt (BVerwG, BVerwGE 133, 72/ 82f. = NVwZ 2009, 979/982, jew. Rn. 21).
Wie bereits aufgezeigt, unterhält der Kläger, der sich seit 21 Jahren im Bundesgebiet aufhält, davon allerdings 18 Jahre lediglich geduldet, enge familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Aufgrund seiner Straftaten ist er aber nicht sozial integriert. Auch wirtschaftlich ist er mangels erfolgreich abgeschlossener schulischer oder beruflicher Ausbildung und längerdauernder beruflicher Tätigkeit nicht integriert. Deshalb ist er im Bundesgebiet nicht, wie erforderlich, verwurzelt, so dass wie bei anderen jungen Intensivstraftätern, denen das Land ihrer Staatsangehörigkeit vollkommen fremd ist, bei der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Wege des Ermessens nicht davon abzusehen ist, dass ein Ausweisungsinteresse vorliegt.
c) Auch die auf § 59 Abs. 1 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist ist rechtmäßig. Insbesondere konnte sie erlassen werden, auch wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses in Haft saß und die Ausreisefrist während der Strafhaft ablief (Haedicke in, HTK-AuslR, § 59 AufenthG/Fristausnahmen, Rn. 23 m.w.N.). Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG stand dem Erlass der Abschiebungsandrohung auch nicht entgegen, dass aufgrund der Passlosigkeit des Klägers ein Duldungsgrund wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit seiner Abschiebung vorliegt.
d) Erfolgten damit die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Androhung der Abschiebung zu Recht, ist auch die Befristung der Wirkungen einer möglichen Abschiebung nicht zu beanstanden.
2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.


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