Verwaltungsrecht

Abschiebungsschutz wegen Konversion vom Islam zum Christentum

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31011

Datum:
16.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 5

 

Leitsatz

Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen; eine Verfolgungsgefahr besteht gerade auch für die Angehörigen evangelikaler oder freikirchlicher Gruppierungen, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, das Verfahren wieder aufzugreifen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Iran vorliegen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Kläger besitzt einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sowie auf Feststellung eines Abschiebeverbotes hinsichtlich Iran auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG.
Dies folgt daraus, dass der Kläger nach § 51 Abs. 5, § 49 VwVfG, einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat. Dieser Anspruch verdichtet sich dann von Verfassungs wegen auf einen Rechtsanspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes und erlaubt damit eine abschließende gerichtliche Entscheidung zugunsten des Klägers, wenn ein Festhalten an der bestandskräftigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 AufenthG zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist (vgl. VG Augsburg, U. v. 22.11.2012 – Au 6 K 12.30289 – juris Rn. 25). Dies zugrundegelegt hat der Kläger einen Rechtsanspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 und 9 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen besteht zur Zeit im Iran eine konkrete Gefahr für konvertierte Christen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden.
Der Begriff der tatsächlichen Gefahr bzw. des realen Risikos in der EMRK ist mit der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Asylverfahren vergleichbar (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146,67). Erniedrigende oder unmenschliche Maßnahmen sind aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthaft zu befürchten. Stichhaltige Gründe für die Annahme des realen Risikos an einer solchen Misshandlung sind konkret gegeben. Bei der Qualifizierung eines Verhaltens als unmenschlich kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei genügen auch intensive psychische oder physische Leiden bei einer im Vordergrund stehenden Demütigung des Opfers. Der ernsthafte Schaden kann dabei auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Bei der Annahme einer konkreten Gefahr ist ausgehend vom anzulegenden Prognosemaßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Verengung auf Verhaltensweisen, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können oder zur Verursachung bleibender Schäden geeignet sind, zu verneinen. Auch erniedrigende Behandlungen, die keine solchen Folgen hinterlassen, fallen in den Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 und 9 EMRK (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Einzubeziehen ist jeweils auch die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigung. An die Feststellung der drohenden Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen.
Ein Ausländer darf in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe, wie die Religion, Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende aufgrund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 5.9.2012 – C 71/11 und C 99/11 – ZAR 2012, 433). Aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt sich, dass im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen besteht. Iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, unterliegen bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art.9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen (vgl. BayVGH, U. v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – DÖV, 2008, 164; Hess. VGH, U. v. 18.11.2009 – 6 A 210508.A – ESVGH 60, 248). Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslichen-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (Hess. VGH, B. v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013,5).
Die konkrete Gefahr, jedenfalls unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, resultiert daraus, dass Christen häufig von iranischen Behörden und Sicherheitskräften festgenommen und verhört werden, ohne Kontakt in Haft gehalten, misshandelt, gefoltert, angeklagt und verurteilt werden. Das Sich – Bekennen zum Christentum ist in der derzeitigen Lage im Iran mit erheblichen Gefahren verbunden.
Zur Überzeugung des Gerichtes besteht für den Kläger daher bei einer Rückkehr in den Iran eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bzw. eine reale Gefahr, jedenfalls unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, da der Kläger aufgrund einer tieferen inneren Glaubensüberzeugung den christlichen Glauben angenommen hat.
Das Gericht ist auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen, der Einvernahme des den Kläger betreuenden Pastors … (Iranische Kirchengemeinde in …) und der persönlichen Einvernahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger jedenfalls nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hat, ihn aus innerer Überzeugung praktiziert und ihm aus diesem Grund eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist.
Wird im Herkunftsland eines Asylbewerbers auf dessen Entschließungsfreiheit, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21). Eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU kann unter Berücksichtigung an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. September 2012, Rs. C 7 1/11 und C-99/11, nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (Forum Internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (Forum Externum) (BVerwG – a. a. O. Rn. 24). Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG – a. a. O. Rn. 26). Ein solches Verbot hat aber nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG – a. a. O. Rn. 28). Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG – a. a. O. Rn. 29).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Gz.: 508-516.80/3 IRN – Stand November 2015 – S. 4). Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht gerade auch für die Angehörigen evangelikaler oder freikirchlicher Gruppierungen, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. U. v. OVG NRW vom 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 49; BayVGH, U. v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 21). Darüber hinaus müssen Angehörige christlicher Religionsgemeinschaften mit Verfolgung insbesondere auch durch Dritte rechnen, wenn Gottesdienste im privaten Bereich bekannt werden (vgl. BayVGH – a. a. O. Rn. 21). Gerade zum Christentum konvertierte Muslime können dabei staatlichen Repressionen ausgesetzt sein (vgl. BayVGH – a. a. O. Rn. 21). Für solche Konvertiten ist danach im Iran eine religiöse Betätigung selbst im privaten, häuslichen oder nachbarschaftlichen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, so dass auch für einfache Mitglieder der Kirchengemeinde, die keine herausgehobene Rolle einnehmen oder eine missionarische Tätigkeit entfalten, von einer konkreten Verfolgungsgefahr auszugehen ist. Gerade muslimische Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, sind jedenfalls dann einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer solchen Gruppierung aufnehmen (vgl. Hess. VGH, U. v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 42 und 43). Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Verfolgung von Konvertiten im Iran nicht strikt systematisch erfolgt, sondern lediglich stichprobenartig, wenn z. B. von der Bevölkerung hauskirchliche Tätigkeiten oder private Versammlungen von Nachbarn gemeldet werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 15).
Der Kläger hat hinreichend bewiesen und es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er ernsthaft zum Christentum konvertiert ist und die Betätigung seines Glaubens Teil seiner religiösen Identität ist. Das Gericht kommt zu diesem Ergebnis, aufgrund der vom Kläger vorgelegten Unterlagen über seine Taufe am 19. Januar 2014 und seiner dauerhaften Aufnahme in die iranische Glaubensgemeinschaft im Bezirk …, …, vom 24. Juli 2016. Der in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörte Pastor der iranischen Kirchengemeinde … hat dem Gericht glaubhaft geschildert, dass der Kläger sich höchst engagiert und interessiert mit christlichen Inhalten auseinandersetzt. Der Kläger sei von der christlichen Lehre durchdrungen. Er sei davon überzeugt, dass der Kläger im Christentum seine „richtige“ Konfession gefunden habe.
Das Gericht hat unabhängig von den durch den Staat zu respektierenden Kirchenmitgliedschaftsregelungen Feststellungen zur religiösen Identität des Flüchtlings zu treffen, um die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Klägers im Iran zu beurteilen, d. h. insbesondere, welche Art der religiösen Betätigung der Kläger für sich als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – InfAuslR 2013, 339 ff.).
Nach dem Ergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung eine unverzichtbare Bedeutung zukommt. Er hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2017 ausführlich zu der Art seiner Glaubensbetätigung geäußert und hat die Aufgaben, die er in der Kirchengemeinde in … ausübt, geschildert. Demnach nimmt er regelmäßig an Gottesdiensten teil und erledigt darüber hinaus anfallende Arbeiten in der Kirchengemeinde (Küchendienst). Auch waren dem Kläger die wichtigsten kirchlichen Feiertage und deren Inhalte hinreichend bekannt. Der Kläger konnte hierbei Detailwissen vorweisen.
Demnach nimmt er regelmäßig an Gottesdiensten und Jungenschaften teil und bringt sich überdies durch Arbeiten, die er ausführen kann, in der Kirchengemeinde ein. Der Kläger ist in die christliche Gemeinschaft nach Auffassung des Gerichts fest eingebunden und betrachtet den christlichen Glauben als Leitschnur seines Lebens. Damit gehört er zur Überzeugung des Gerichts eine christlich-religiöse Betätigung zur Identität des Klägers. Letztere ist ihm im Iran indes nicht möglich, wobei es ihm nicht zuzumuten ist, hiervon nach einer Rückkehr in den Iran Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden.
Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht auch für die Angehörigen einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. OVG NRW, U. v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris; BayVGH, U. v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris; SächsOVG, U. v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris).
Für derartige Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung jedoch selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, womit auch für „einfache“ Mitglieder von einer konkreten Verfolgungsgefahr ausgegangen werden muss. Apostasie ist im Iran unabhängig davon, dass sie mangels Inkrafttreten des geplanten Apostasiegesetzes keinen ausdrücklichen Straftatbestand erfüllt, verboten und mit langen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Konvertierte werden zumeist nicht wegen Apostasie, sondern aufgrund von „mohareeh“ (Waffenaufnahme gegen Gott), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ (Verdorbenheit auf Erden oder Handlungen gegen die nationale Sicherheit) bestraft. Häufig wird zum Christentum konvertierten Muslimen bei Androhung von Strafe nahegelegt, zum Islam zurückzukehren (vgl. HessVGH, U. v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – DÖV 2010, 238; VG Ansbach, U. v. 30.10.2013 – AN 1 K 13.30119 – juris). Diese Gefahr wird beim Kläger noch durch die glaubhaft vorgetragenen und belegten Aktivitäten im Internet nochmals gesteigert.
Staatlich-repressive Maßnahmen drohen insoweit aber nicht nur Kirchenführern und in der Öffentlichkeit besonders aktiven Personen, sondern auch „einfachen“ Konvertiten und den Kirchengemeinden, denen sie angehören. Außerdem unterliegen evangelikale-freikirchliche Christen besonders häufig der Überwachung und Verfolgung durch iranische Sicherheitsbehörden (vgl. Auskunft von amnesty International v. 7.7.2008 an das VG Mainz; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 16).
Nach alledem ist die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu gewähren. Der dem entgegenstehende Bescheid des Bundesamtes vom 8. Juli 2016 war daher antragsgemäß aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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