Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot, Freiheitsstrafe, Bescheid, Gerichtsbescheid, Einreise, Lebensunterhalt, Asyl, Schutzstatus, Bundesamt, Ermessensentscheidung, Aufenthaltsverbot, Zuerkennung, Familie, Verfolgung, Sierra Leone, Kosten des Verfahrens, nationales Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  RN 14 K 18.31212

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43509
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage war als unbegründet abzuweisen.
Gegen den Gerichtsbescheid wurde gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Der Gerichtsbescheid gilt daher gemäß § 84 Abs. 3 2. Halbsatz VwGO als nicht ergangen.
Das Gericht nimmt gemäß § 84 Abs. 4 VwGO vollinhaltlich Bezug auf den Gerichtsbescheid vom 17.2.2020. Es wurden keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Entscheidung des Gerichts rechtfertigen würden. Das Gericht folgt daher der Begründung des Gerichtsbescheids.
Ergänzend zu den Ausführungen des Gerichtsbescheids vom 17.2.2020 wird Folgendes ausgeführt:
1. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Unter Zugrundelegung des einheitlichen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 = BVerwGE 140, 22) ist die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin davon überzeugt, dass sich die vom Kläger vorgetragenen Geschehnisse in Wirklichkeit nicht ereignet haben. Das klägerische Vorbringen ist nicht nur vage und oberflächlich – so wie es bereits das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat, sondern auch widersprüchlich. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung trug der Kläger erneut seine Verfolgungsgeschichte vor, die jedoch in wesentlichen Punkten von den Angaben bei der Anhörung des Bundesamtes abweicht.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er sei eines Tages zu Besuch bei seiner Tante gewesen, als er von dem Vorfall seines Freundes E … erfahren habe. Nachdem er seine Tante besucht habe, sei er mit dem Bus auf dem Weg nach Hause gewesen, als ihn seine Tante angerufen habe. Seine Tante habe ihm gesagt, er solle sofort wieder zurück zu ihr. Er könne nicht nach Hause fahren. Seine Tante habe ihm auch erzählt, dass der Mann, zu dem E … gegangen sei, von der Polizei verhaftet worden sei und die Polizei nun nach ihm – dem Kläger – suche. Anschließend habe seine Tante seine Mutter angerufen, um zu erfahren, was los gewesen sei. Seine Mutter habe dann der Tante erzählt, dass sie bei der Polizeiwache sei und die Polizei nach ihm suche. Da die Polizei ihn nicht habe finden können, habe man seine Mutter verhaftet. Er sei dann im September 2015 nach Guinea ausgereist. Für die Reise habe er nichts zahlen müssen, da der Mann, der ihn mitgenommen habe, sein Onkel gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger hingegen an, seine Mutter hätte ihn angerufen und ihm gesagt, er solle erst einmal zu seiner Tante gehen, bis sie herausgefunden habe, was das Problem sei. Seine Mutter sei dann zur Polizeistation gegangen und habe dort erfahren, dass sein Freund E … verstorben sei. Er sei dann 2 Tage zu seiner Tante gegangen. Diese habe ihn dann zu einem Freund gebracht, mit dem er dann gemeinsam ausgereist sei.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Verfolgungsgeschichte des Klägers in wesentlichen Punkten widersprüchlich ist. Einerseits habe er vom Tod des Freundes E … telefonisch von seiner Tante erfahren, wiederum soll es sich um seine Mutter gehandelt haben. Hinsichtlich seiner Ausreise gab er einerseits an, sein Onkel habe ihm bei der Ausreise verholfen, andererseits habe es sich um einen nicht näher benannten Freund gehandelt.
Doch selbst bei Wahrunterstellung der Schilderungen widerspricht es der Lebenserfahrung, dass der Kläger wegen der unmittelbar bevorstehenden Gefahr durch die Polizei und die Familie des getöteten E … erst im September 2015 aus Sierra Leone ausgereist, obwohl sich das vermeintliche Tötungsdelikt bereits im Juli 2015 ereignet haben soll.
Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass der Kläger von der Polizei und von nichtstaatlichen Akteuren – den Eltern des getöteten Freundes E … – wegen des Verdachts der Tötung verfolgt worden ist, so muss er sich auf internen Schutz verweisen lassen, §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 AsylG.
2. Es ist dem Kläger auch zuzumuten, in einen anderen Landesteil zu gehen.
a) Bei der anzustellenden Rückkehrprognose, im Rahmen derer zu prüfen ist, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische aber doch – realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris = BVerwGE 90, 364; BVerwG, U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris). Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Art. 6 GG gewährt zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris = NVwZ 2013, 1207), enthält aber als wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und gebietet die Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen bei staatlichen Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr – grundrechtlich geschütztes – familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen. Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (ausführlich dazu: BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris, Rn. 16 ff.). In derartigen Fällen mag sich zwar ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis ergeben. Allerdings ist dieses seitens des Bundesamtes nicht zu prüfen; denn dies ist die Aufgabe der die Abschiebung durchführenden Ausländerbehörde (BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris = BVerwGE 109, 305; BVerwG, U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – juris = BVerwGE 105, 322; BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris = BVerwGE 105, 383; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; HessVGH, U.v. 15.2.2016 – 7 TG 106/06 – juris = NVwZ-RR 2006, 826; VG München, B.v. 4.9.2017 – M 25 E 17.3413 – juris).
b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist davon auszugehen, dass der Kläger alleine nach Sierra Leone zurückkehren wird. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass er nicht mehr mit der Mutter seiner Kinder liiert ist und auch nicht zusammen mit seinen Kindern lebt. Zwar besuche der Kläger seine Kinder nach eigenen Angaben regelmäßig. Jedoch führt dies nicht zu der Annahme, dass zwischen den einzelnen Mitgliedern eine Lebensgemeinschaft besteht.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, seinen Kindern sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, brauchte das Gericht im Rahmen des Asylverfahrens nicht zu überprüfen, ob sich hieraus möglicherweise wegen des Schutzes der Familie (Art. 6 GG) ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis ergeben könnte, das zu einem Anspruch des Klägers auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG führen könnte. Derartige Vollstreckungshindernisse sind seitens des Bundesamtes und damit auch seitens des Gerichts im Asylverfahren nicht zu prüfen; denn dies ist die Aufgabe der die Abschiebung durchführenden Ausländerbehörde (BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris = BVerwGE 109, 305; BVerwG, U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – juris = BVerwGE 105, 322; BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris = BVerwGE 105, 383; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; HessVGH, U.v. 15.2.2016 – 7 TG 106/06 – juris = NVwZ-RR 2006, 826; VG München, B.v. 4.9.2017 – M 25 E 17.3413 – juris).
c) Selbst wenn im Rahmen der Rückkehrprognose wegen der häufigen Besuche des Klägers von einem Familienverband auszugehen wäre und der Kläger gemeinsam mit seinen Familienmitgliedern nach Sierra Leone zurückkehren würde, so gilt im Ergebnis nichts Anderes.
Auch bei einer Rückkehr im Familienverband wird es dem Kläger möglich sein, den Lebensunterhalt für die gesamte Familie in Sierra Leone sicherzustellen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er an, den Beruf des Automechanikers gelernt zu haben. Der Kläger ist jung, volljährig, gesund und erwerbsfähig, so dass es ihm ohne weiteres möglich sein sollte, in Sierra Leone auch das Einkommen – notfalls auch mit Gelegenheitsjobs – für die gesamte Familie zu erwirtschaften, wie dies vielen anderen Sierra-Leonern auch möglich ist.
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind zwar schwierig, sie führen jedoch nach der Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass der Kläger und seine Familie dort einer unmenschlichen Behandlung im oben beschriebenen Sinn ausgesetzt wären. Dies gilt nach der Überzeugung des Gerichts selbst dann, wenn die Familie keine Unterstützung durch andere in Sierra Leone zurückgebliebene Familienmitglieder finden könnte.
3. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus ergibt sich auch nicht aufgrund einer Homosexualität oder drohenden Diskriminierung wegen des Kontakts zu homosexuellen Personen. Der Kläger hat wieder vorgetragen, homosexuell zu sein, noch gibt es Anhaltspunkte für eine Homosexualität des Klägers. Im Übrigen stellt sich die Situation Homosexueller in Sierra Leone nach den dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen wie folgt dar:
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Mann in Sierra Leone wegen seiner Homosexualität mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss. Homosexualität wird zwar in Sierra Leone von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet. Es gibt ein Gesetz aus der britischen Kolonialzeit, das formal nicht außer Kraft gesetzt wurde und männliche Homosexualität verbietet. Weibliche Homosexualität ist dagegen gesetzlich nicht untersagt. Laut diesem Gesetz aus dem Jahr 1861 ist bei Männern zehn Jahre Gefängnisstrafe für die Absicht einer unzüchtigen Handlung angesetzt. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nicht angewendet (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone, abrufbar auf der Homepage des Auswärtigen Amtes). Von dieser gesetzlichen Lage geht auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7.11.2013 (C-199/12 bis C-201/12 – juris) aus. Nach Section 61 des Gesetzes von 1861 über Straftaten gegen die Person (Offences against the Person Act 1861) drohe einer Person bei homosexuellen Handlungen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich. In der Entscheidung stellt der Europäische Gerichtshof aber klar, dass das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als Maßnahme betrachtet werden kann, die einen Antragsteller in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht wird, der erforderlich ist, um die Strafbarkeit als Verfolgung ansehen zu können. Erst die tatsächliche Verhängung einer derartigen Freiheitsstrafe stellt eine Verfolgungshandlung dar. Da nach den Ausführungen des Auswärtigen Amtes das Gesetz aus dem Jahre 1861 in Sierra Leone nicht angewendet und demnach auch keine Freiheitsstrafen bei homosexuellen Handlungen verhängt werden, kann aus dem Bestehen der Strafvorschrift keine Verfolgung als Mitglied einer sozialen Gruppe abgeleitet werden. Nach derzeitiger Erkenntnislage scheidet daher eine Flüchtlingsanerkennung von Homosexuellen in Sierra Leone aufgrund einer staatlichen Verfolgung regelmäßig aus.
Schließlich gelten die oben genannten Ausführungen unter Ziffer 2 sowie des Gerichtsbescheids zur inländischen Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG.
4. Ein nationales Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aufgrund der sich ausbreitenden weltweiten Corona-Pandemie, die auch Sierra Leone erfasst hat; denn es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Kläger in Sierra Leone gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwerster Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre.
a) Sierra Leone ist bisher von COVID-19 weniger betroffen. Die Regierung hat Regeln zur Pandemieprävention bei Ein- und Ausreise erlassen. Flugreisende müssen sich vor Reiseantritt über das Reiseportal von Sierra Leone registrieren. Dafür ist u.a. der Nachweis eines negativen COVID-19-Tests einzureichen, der bei Abflug nicht älter als 72 Stunden sein darf. Negatives Testergebnis sowie Nachweis der Registrierung sind bereits am Ausgangsflughafen bei der Abfertigung durch die Fluggesellschaft vorzulegen. Bei Einreise ist die Durchführung eines weiteren COVID-19-PCR-Tests verpflichtend. Eine Einreise über Land- oder Seegrenzen ist nicht möglich. Der internationale Flughafen in Lungi ist geöffnet. Die Bevölkerung in Sierra Leone bleibt aufgefordert, die grundlegenden Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten, größere Menschenansammlungen zu vermeiden und in der Öffentlichkeit Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Die nächtliche Ausgangssperre wurde Ende Oktober aufgehoben (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, Stand – 9.11.2020, unverändert gültig seit: 27.10.2020, abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/). Die Zahl der Infizierten sowie der an COVID-19 Verstorbenen ist darüber hinaus nach den von der WHO veröffentlichten Zahlen vergleichsweise niedrig (vgl. WHO; Infektionszahl: 2383, Todeszahl: 74 Stand: 9.11.2020, abrufbar unter: https://covid19.who.int/region/afro/country/sl). Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Infektionszahlen in Sierra Leone wesentlich höher sind, als dies die Zahlen der WHO ausweisen, weil dort nur wenige Corona-Tests durchgeführt werden, ist den Zahlen zu entnehmen, dass das Infektionsrisiko in Sierra Leone kaum größer sein dürfte als in Deutschland.
Im Ergebnis ist jedenfalls festzustellen, dass die Regierung von Sierra Leone Maßnahmen ergriffen hat, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden bzw. zu verlangsamen. Jeder Einzelne hat es darüber hinaus selbst in der Hand, sich und andere vor allem durch die Einhaltung der Abstandsregelungen – insbesondere Meidung von Menschenmassen – zu schützen, sodass nach derzeitigem Stand nicht davon ausgegangen werden muss, dass sich der Kläger in seiner Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus infizieren wird.
Selbst bei unterstellter Infektion besteht jedenfalls keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung. Nach den bisherigen Erkenntnissen zu COVID-19 kommt es beim ganz überwiegenden Teil der Erkrankten zu einem milden bis moderaten Verlauf und nur ein geringer Teil entwickelt eine schwere Erkrankung. Das größte Risiko für einen schweren Verlauf besteht bei älteren Personen ab etwa 50 bis 60 Jahren und bei Personen mit Vorerkrankungen. Bei Kindern sind Erkrankungen seltener und verlaufen in aller Regel mild (vgl. Robert Koch Institut [RKI], SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), https: …www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). Der Kläger ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, 22 Jahre alt und gehört somit aufgrund seines Alters nicht zu einer Risikogruppe.
b) Außerdem fehlen belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sich die Wirtschaft- und Versorgungslage der Bevölkerung im Zuge der Pandemie in Sierra Leone derart verschlechtert, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt für sich bzw. seine Familie sicherzustellen. Das Gericht geht davon aus, dass gerade der für Viele als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach den bereits wieder gelockerten Ausgangsbeschränkungen zur Verfügung steht. Bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung kommt es zudem zu keinem Mangel, der über das übliche Maß hinausgehen würde (BFA, Bundesamt für fremden Wesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, Seite 13). Das Gericht verkennt nicht – auch unter Berücksichtigung der COVID- 19 – Pandemie die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Sierra Leone. Diese betreffen jedoch sierra-leonische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise. Ein Abschiebungsverbot ist deshalb nicht festzustellen.
Die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG schied nach alledem aus.
5. Auch Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist ebenfalls rechtmäßig. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG – in der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§§ 77 Abs. 1 Satz 1, 83c AsylG) geltenden Fassung – ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf sie außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten. Die getroffene Ermessensentscheidung erweist sich als rechtmäßig. Hier wurde die maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Bundesamt nach dem Wortlaut der Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur „befristet“ und nicht auch angeordnet hat . § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der seit 21.8.2019 geltenden Fassung regelt, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr von Gesetzes wegen eintritt, sondern von der zuständige Behörde in Form eines Verwaltungsaktes zu erlassen ist. Bei dem Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung handelt es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann (BeckOK MigR/Katzer AufenthG § 11 Rn. 1-4). Folglich liegt in der in Ziffer 6 des Bescheids erlassenen Befristung zugleich auch die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben