Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot für minderjährigen Rückkehrer nach Afghanistan

Aktenzeichen  M 2 K 21.30954

Datum:
12.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40155
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 4 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Auch für einen jungen, alleinstehenden und grundsätzlich arbeitsfähigen Mann kann nach der Machtübernahme durch die Taliban nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass er bei einer Rückkehr in der Lage wäre, sein Existenzminimum ohne Rückgriff auf ein vorhandenes und insoweit leistungsfähiges familiäres Netzwerk allein aus eigener Kraft sicherzustellen. (Rn. 34 – 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2021 wird in den Nummern 4 – 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 12. November 2021 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Gewährung subsidiären Schutzes, jedoch hat er einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 19. April 2021 ist daher bezogen auf die Verfügungen unter den Nummern 4 – 6 rechtswidrig, hinsichtlich der Verfügungen unter den Nummern 1 – 3 (wobei die Verfügung unter Nr. 2 nicht streitgegenständlich ist) dagegen rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Dabei ist es Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Das Verfolgungsvorbringen des Klägers ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßgaben nicht glaubhaft. Weder liegt ein in sich schlüssiges noch ein ausreichend substantiiertes Verfolgungsvorbringen vor. Im Einzelnen wird auf die überzeugenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, dort insbesondere auf S. 4, zweiter Absatz, die sich das Gericht zu eigen macht. Die Gelegenheit, sein Verfolgungsvorbringen in der mündlichen Verhandlung darzustellen, hat der Kläger nicht wahrgenommen, sondern sich auf sein Vorbringen in der Anhörung beim Bundesamt bezogen, weswegen auch insofern die überzeugenden Bewertungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid nicht in Frage stehen. Unabhängig davon glaubt das Gericht das vorgetragene Vorbringen auch deswegen nicht, weil es nach der Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrens einschließlich des Eindrucks des Klägers und des von ihm Gesagten in der mündlichen Verhandlung nicht gleichsam „greifbar“ genug geschildert wurde, um die Überzeugungsbildung des Gerichts in die Richtung zu determinieren, das Vorgetragene zu glauben. Aus den gesetzlichen Regelungen, z.B. aus § 25 Abs. 1 AsylG, wird deutlich, dass es Sache des Asylklägers selbst ist, das Vorliegen der Voraussetzungen der asylgesetzlichen Tatbestände durch entsprechende Angaben glaubhaft zu machen. Daran fehlt es hier, da es nach der Überzeugung des Gerichts an der Glaubhaftmachung fehlt.
Ergänzend wird auf die Feststellungen und die Begründung im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort S. 3 unter 1. und 2. bis S. 5, insbesondere S. 4, zweiter Absatz und S. 5, dritter Absatz. 2. Den beantragten (unionsrechtlichen) subsidiären Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kann der Kläger ebenfalls nicht beanspruchen, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei neben des hier nicht in Rede stehenden Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG). Außerdem kommt die ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) in Betracht.
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger jedoch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG.
Die Annahme eines ernsthaften Schadens wegen der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) scheidet hier deswegen aus, weil hierfür Voraussetzung ist, dass die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland zielgerichtet von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgeht (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 12; B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 13), woran es hier fehlt: Allgemein ist auch unter Zugrundelegung der aktuellen Verhältnisse in Afghanistan (weiterhin) davon auszugehen, dass in Afghanistan sowohl vor als auch nach den Umwälzungen dort seit insbesondere August 2021 ein für die humanitären Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, weswegen es an der erforderlichen Zielgerichtetheit insofern fehlt. Individuell bezogen auf den Kläger scheidet die Annahme einer Zielgerichtetheit im o.g. Sinn unabhängig davon auch deswegen aus, weil dem Kläger das Verfolgungsvorbringen nicht geglaubt wird (siehe dazu oben), weswegen es auch aus diesem Grund nicht als Umstand in Frage kommt, der die erforderliche Zielgerichtetheit zu vermitteln vermag.
Die Annahme eines ernsthaften Schadens wegen einer ernsthaften und individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) scheidet deswegen aus, weil ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt – nur diese Variante kommt im Falle des Herkunftsstaats Afghanistans in Betracht – jedenfalls im Entscheidungszeitpunkt nicht existiert, was sich aus der allgemeinen, frei zugänglichen medialen Berichterstattung über Afghanistan ergibt; ob ein solcher Konflikt (samt der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) vor der Machtübernahme durch die Taliban geherrscht hat oder nicht (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 13a ZB 21.30438), ist für die Entscheidung über die vorliegende Klage im Entscheidungszeitpunkt, dem Tag der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG), nicht (mehr) erheblich.
Auf die Feststellungen und die Begründung im angefochtenen Bescheid im Übrigen wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 3 unter 3. bis Seite 5 unten.
3. Dem Kläger steht im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) aber ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Bei den sogenannten nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG (i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK) und gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 – juris Rn. 17). Das hat zur Folge, dass eine Verpflichtungsklage hinsichtlich des (einheitlichen) Streitgegenstandes „nationale Abschiebungsverbote“ bereits dann Erfolg hat, wenn auch nur zur Feststellung eines dieser Abschiebungsverbote verpflichtet wird und letztlich für die Begründetheit der Klage insoweit unerheblich ist, auf welche Anspruchsgrundlage von beiden sich das Abschiebungsverbot durchgreifend gründet.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Soweit – wie in Afghanistan sowohl vor als auch nach den Umwälzungen dort seit insbesondere August 2021 – ein für die entsprechenden Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“).
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22) bzw. – in den Fällen wie dem vorliegenden genauer gesagt, in denen der Begriff der „Behandlung“, der ein zielgerichtetes Element beinhaltet, nicht passt – dem Bestehen einer Situation, in der Verhältnisse und Umstände herrschen, unter denen der Betreffende einer im Ergebnis unmenschlichen Situation ausgesetzt ist, entweder wegen einer allgemein so schlechten Lage im Herkunftsstaat als solcher oder wegen dem Bestehen einer solchen und dem Hinzutreten besonderer, individuell begründeter Umstände, welche eine allgemein schlechte Lage im Einzelfall über die Schwelle dessen heben, was der Einzelne für den Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat (noch) hinzunehmen hat.
Unter Berücksichtigung der aktuellsten Erkenntnismittel zu den sozioökonomischen Schlüsselindikatoren und den humanitären Verhältnissen in Afghanistan geht das Gericht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine unter Berücksichtigung der oben dargestellten rechtlichen Ausgangspunkte Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht.
Das Gericht ging auf der Grundlage der bis dahin zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen im Einklang mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. neben anderen BayVGH, U.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris; B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris; OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 30.11.2020 – 13 A 11421/19 – juris; NdsOVG, B.v. 13.1.2021 – 9 LA 150/20 – juris) jedenfalls bis zum Abschluss der Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban am oder um den 15. August 2021 davon aus, dass trotz der nach wie vor äußerst schlechten allgemeinen Versorgungslage nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass jeder Rückkehrer aus Europa den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden müsste. Insbesondere hat das Gericht in der Gesamtschau der bis zur Machtübernahme der Taliban vorliegenden Auskünfte angenommen, dass vor allem für alleinstehende, aus dem europäischen Ausland zurückkehrende und arbeitsfähige Männer aus der Bevölkerungsmehrheit ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen – mitunter auch ohne familiären Rückhalt – die Möglichkeit gegeben ist, wenigstens auf einer schmalen Grundlage das eigene Überleben zu sichern.
Unter Berücksichtigung der im Folgenden dargestellten Umstände hält das Gericht an dieser Rechtsprechung (vgl. z.B. VG München, U.v. 6.8.2021 – M 2 K 21.30893; U.v. 16.7.2021 – M 2 K 21.995), die maßgeblich an diejenige des für den Herkunftsstaat Afghanistan zuständigen 13a. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtsgerichtshofs (vgl. zuletzt U.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris; B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris) angelehnt war, nicht mehr fest.
Die humanitäre und wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist im Entscheidungszeitpunkt dieses Verfahrens (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) von derjenigen im Entscheidungszeitpunkt der aktuellsten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hierzu (B.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris; vgl. auch B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris) bzw. von den in dieser Entscheidung getroffenen Feststellungen auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen in Afghanistan so verschieden, dass den Maßgaben dieser Rechtsprechung keine ausreichende Aussagekraft mehr zukommt. Die Annahme in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Abschiebung nach Afghanistan nicht ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen würde und dass jedenfalls für volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige Männer eine Rückkehr nach Afghanistan weiterhin zumutbar sei, beruht auf mehreren, jeweils selbständig tragenden Erwägungen (vgl. BayVGH, B.v. 7.6.2021 – Az. 13a B 21.30342 – juris Rn. 18, Rn. 19ff., insbesondere Rn. 21 – 28, Rn. 29f und Rn. 31 – 39). Alle davon, jeweils für sich betrachtet genauso wie in einer Zusammenschau, treffen mittlerweile wegen der geänderten tatsächlichen Verhältnisse so nicht (mehr) zu.
Vielmehr kann auch (bzw. sogar) für einen jungen, alleinstehenden und grundsätzlich arbeitsfähigen Mann unter den geänderten Umständen in Afghanistan (zu diesen sogleich) nach der Machtübernahme durch die Taliban nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass er bei einer Rückkehr in der Lage sein wird, sein Existenzminimum ohne Rückgriff auf ein familiäres Netzwerk, das nicht nur überhaupt vorhanden, sondern zur Leistung entsprechender Unterstützung auch tatsächlich in der Lage ist, allein aus eigener Kraft sicherzustellen (vgl. hierzu z.B. auch VG Gelsenkirchen, U.v. 20.9.2021 – 5a K 6073/17.A. – juris Ls. und Rn. 82, 91 und 112 m.w.N.).
Die Lage in Afghanistan stellt sich im Entscheidungszeitpunkt so dar, dass das Gericht jedenfalls im Fall des Klägers unter Berücksichtigung der bei ihm gegebenen Umständen des Einzelfalls vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ausgeht.
Das beruht im Einzelnen auf Folgendem:
Bereits vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 war die wirtschaftliche und humanitäre Lage der Bevölkerung in Afghanistan in besorgniserregendem Maß schlecht.
Afghanistan zählt zu einem der ärmsten Länder der Welt und wurde zudem von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie schwer getroffen.
Die Grundversorgung ist für große Teile der ansässigen Bevölkerung ebenso wie für Rückkehrer eine tägliche Herausforderung. UN-OCHA erwartet, dass 2021 mehr als 18 Millionen Afghaninnen und Afghanen in jeder Provinz auf humanitäre Hilfe angewiesen sein würden, also u.a. keinen gesicherten Zugang zu Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und/oder medizinischer Versorgung hätten (2020: 14 Mio.). Zwischen März und Mai 2021 waren 11 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen; eine weitere Verschlechterung sei ab dem Spätherbst 2021 zu erwarten. Etwa 3,5 Millionen Afghaninnen und Afghanen, insbesondere Zurückkehrende und Binnenvertriebene, leben in Behausungen mit ungeklärten bzw. umstrittenen Eigentumsverhältnissen. Etwa 45% der bereits seit längerem und 38% der kürzlich Zurückkehrenden berichteten, dass sie offiziell nicht berechtigt seien, in ihrer aktuellen Unterkunft zu leben. In Kabul gibt es etwa 54 „informelle Siedlungen“, deren Bewohnerinnen und Bewohner, häufig Binnenvertriebene oder Rückkehrende, eine besonders vulnerable Gruppe bilden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan v. 15.7.2021, Stand Mai 2021 [im Folgenden: Lagebericht], S. 20 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Afghanistan, aus dem COI-CMS, Version 4, Stand 11.6.2021 [im Folgenden: Länderinformation], S. 356 ff.).
Anfang 2021 benötigten aufgrund Vertreibung durch Dürre, Überschwemmungen, der anhaltenden Unsicherheit, des wirtschaftlichen Abschwungs und der Covid-19-Pandemie etwa 6,6 Millionen Afghanen eine Unterkunft gegenüber noch 3,6 Millionen im Jahr 2020. Ein Drittel der Binnenvertriebenen wohnt in stark beschädigten oder zerstörten Unterkünften (vgl. ACAPS, thematic report, Afghanistan, humanitarian impact and trend analsysis, 23.8.2021).
Die humanitäre Lage für Rückkehrer, Binnenvertriebene und Flüchtlinge stellt sich besonders folgenschwer dar.
Bereits vor der endgültigen Machtübernahme durch die Taliban waren die humanitären Verhältnisse so ungenügend, dass Rückkehrer, die nicht auf ein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk zurückgreifen konnten, allenfalls mit Hilfe der bis dahin gewährten Rückkehrhilfen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris Rn. 31) vor der Verelendung bewahrt werden konnten. Seit 17. August 2021 ist die geförderte freiwillige Rückkehr nach Afghanistan jedoch „bis auf weiteres“ ausgesetzt (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/countries/afghanistan/ sowie die Homepage des Bundesamts, Nachweis dazu siehe sogleich unten).
Auch wenn dem Auswärtigen Amt nach dessen Angabe bis dahin keine Fälle bekannt wurden, in denen Rückkehrende aus Europa nachweislich aufgrund ihres dortigen Aufenthalts Opfer von Gewalttaten wurden, wurden sie doch bereits vor der Machtübernahme der Taliban von der afghanischen Gesellschaft teilweise misstrauisch wahrgenommen und es haftete ihnen insbesondere innerhalb ihrer Familie oftmals der Makel des Scheiterns an. Es war im Falle eines langen Aufenthalts im Ausland wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existierten oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt war, wodurch die Reintegration stark erschwert werden konnte. Die größte Schwierigkeit stellte und stellt für einen Großteil der Rückkehrer der Mangel an Arbeitsplätzen dar, da der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich von lokalen Netzwerken abhing und abhängt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan v. 15.7.2021, S. 24).
Mit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban über das gesamte Land, zuletzt bzw. endgültig, gleichsam als letztes Glied einer Kette von Eroberungen, durch die Einnahme der Stadt Kabul am 15. August 2021, und der Ausrufung des Islamischen Emirats Afghanistan sind Afghanistans Beziehungen zu seinen internationalen Unterstützern zerrissen. Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan haben sich in kürzester Zeit noch einmal grundlegend verändert und verschlechtert (vgl. etwa Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Sonderkurzinformation der Staatendokumentation v. 17.8.2021), was Folgen für die humanitären Verhältnisse und hier vor allem entscheidend für die Situation von Rückkehrern, insbesondere aus westlichen Staaten, hat.
Bereits die durch die Machtübernahme der Taliban ausgelöste politische Instabilität und der Nachfragedruck bei Fremdwährungen führen zu einem deutlichen Anstieg des Wechselkurses und der Afghani ist auf ein neues Rekordtief gefallen. Der Wertverlust führt zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise, da die meisten Nahrungsmittel importiert werden müssen. So sind die bereits ohnehin schon hohen Preise für Weizen, Weizenmehl, Reis, Hülsenfrüchte, Salz und Zucker im Vergleich zur letzten Juniwoche 2021 enorm gestiegen, während gleichzeitig die Beschäftigungsmöglichkeiten seit Anfang August auf etwa 1,5 Tage/Woche gesunken sind. Angesichts dieser Umstände ist es für viele Haushalte schwer, sich ausreichend Lebensmittel zu kaufen (vgl. zu alledem UN, World Food Programm, Afghanistan, Countrywide Market Price Bulletin, 2. Oktoberwoche). In diesem Jahr fällt zudem eine schwere Dürre mit der Pandemie und dem Umsturz der politischen Verhältnisse zusammen.
Der Internationale Währungsfond (IWF) erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Sonderkurzinformation der Staatendokumentation v. 20.8.2021) und die Bundesregierung setzt als Reaktion auf den Machtwechsel die staatliche Entwicklungshilfe aus, so dass sich die oben beschriebene äußerst angespannte humanitäre Lage weiter verschlechtert und – voraussichtlich drastisch – noch weiter verschlechtern wird.
Mittlerweile steht nach Einschätzung des World Food Programme mehr als der Hälfte der Bevölkerung Afghanistans, rund 22,8 Millionen Menschen, von bzw. seit November 2021 an Nahrungsmittelunsicherheit bevor (Situation Report v. 25.10.2021, abrufbar unter https://www.wfp.org/news/half-afghanistans-population-face-acute-hunger-humanitarian-needs-grow-record-levels). Die Hungersnot breitet sich vom ländlichen Raum in die städtischen Gebiete hinein aus.
Binnenvertriebene und Rückkehrer sind von der humanitären Krise mit am stärksten betroffen. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR hat aufgrund der volatilen Lage die Staaten aufgefordert, die Rückführung afghanischer Flüchtlinge so lange zu stoppen, bis sich die Sicherheitslage und die Menschenrechtsbedingungen soweit verbessert haben, dass eine sichere und menschenwürdige Rückkehr möglich ist (UNHCR, Position on returns to Afghanistan, August 2021), was demnach derzeit nicht der Fall ist; soweit ersichtlich, kommen die Staaten dieser Aufforderung auch umfassend nach. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilt auf seiner Website (https://www.bamf.de/DE/Themen/Rueckkehr/rueckkehr-node.html) mit Stand im Entscheidungszeitpunkt dieses Urteils mit, dass aufgrund der sich stark verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan die unterstützte freiwillige Rückkehr nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt ist.
Der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in Afghanistan vom 22. Oktober 2021 (Stand: 21.10.2021, dort S. 14) stellt zur Wirtschaftslage fest, dass die durch die Folgen der COVID-19-Pandemie und anhaltende Dürreperioden bereits angespannte Wirtschaftslage in Folge des Zusammenbruchs der afghanischen Republik vor dem völligen Kollaps steht. Rückkehrende verfügen aufgrund des gewaltsamen Konflikts und der damit verbundenen Binnenflucht der Angehörigen nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern.
Dass im Fall des Klägers ein derartiger Einzelfall in dem Sinne des soeben zitierten Auszugs aus dem aktuellen Lagebericht vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.
Nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zwar noch Angehörige in Afghanistan (vgl. Sitzungsprotokoll S. 3). Jedoch geht das Gericht unter Berücksichtigung der vom Kläger insofern glaubhaft geschilderten Umstände (vgl. Sitzungsprotokoll, ebda.) in seinem Fall davon aus, dass der Kläger von seinen Angehörigen nicht in dem Maße Unterstützung erfahren kann, wie es für die Annahme, dass im Fall des Klägers die desolaten wirtschaftlichen Umstände gemessen an den oben dargestellten rechtlichen Maßgaben ausreichend abgefedert werden könnten, erforderlich wäre.
Dass sich im Taliban-Staat die unzureichenden und weitgehend prekären Unterkunftsverhältnisse in absehbaren Zeit zum Besseren wenden, ist schon angesichts der wirtschaftlichen Situation und des Fehlens ausländischer Hilfsgelder unwahrscheinlich, für eine derartige Annahme oder auch nur Hoffnung fehlen jegliche Anhaltspunkte.
In der Zusammenschau der obigen Feststellungen ist das Gericht davon überzeugt, dass beim Kläger stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht wird sichern können. Vor dem Hintergrund der obigen Feststellungen sprechen erhebliche Gründe dafür, dass der Kläger, aufgrund der derzeitigen Situation in Afghanistan, nämlich dem Zusammenbruch der Zivilregierung und der Machtübernahme durch die Taliban sowie den erheblichen Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt, und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, einer individuellen Gefahrensituation in dem o.g. Sinne ausgesetzt wäre.
Schließlich ist im Falle des Klägers außerdem und zusätzlich zu berücksichtigen, dass er minderjährig ist; der Kläger ist im Entscheidungszeitpunkt 17 Jahre alt.
Der Umstand der noch nicht eingetretenen Volljährigkeit spielt für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots durch die Bejahung des Vorliegens eines besonderen Ausnahmefalls im o.g. Sinn insofern eine wesentliche Rolle, als insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner oben nachgewiesenen ständigen Rechtsprechung – noch ohne Berücksichtigung des vollzogenen Machtwechsels und den damit einhergehenden, oben ausführlich dargestellten Folgen -, zu dieser Frage zunächst allgemein, quasi „vor die Klammer gezogen“, folgendes ausführt (U.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris Rn. 14; im Ls. 1 in juris dagegen verkürzt wiedergegeben):
Hinsichtlich der somit allein zu prüfenden allgemeinen Gefahren ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan für volljährige [Hervorhebung durch das Gericht], alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Männer ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, und ist auch keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (analog) führen würde.
Daraus folgt noch nicht, dass bei jedem nicht Volljährigen gleichsam automatisch ein Abschiebungsverbot festzustellen ist – was im vorliegenden Verfahren auch nicht relevant ist, da beim Kläger noch weitere Umstände hinzutreten, siehe dazu oben -, es zeigt jedoch, dass die Minderjährigkeit des Klägers bei der Bewertung eine wesentliche Rolle spielt. Auch im weiteren Verlauf dieses die (damalige) ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zusammenfassenden und aktualisierenden Urteils ist bei der Prüfung der Abschiebungsverbote mehrfach ausdrücklich von (u.a.) volljährigen afghanischen Männern die Rede. Sowohl bei der Bewertung der humanitären Situation in Afghanistan (BayVGH, U.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris Rn. 29ff.)‚ die nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs „schon deshalb, weil […] keine Verschlechterung der humanitären Situation, sondern eher ein Positivtrend zu verzeichnen ist, […] für volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige Männer eine Rückkehr nach Afghanistan weiterhin zumutbar“ sei, grundsätzlich zu einer Verneinung der Annahme eines Abschiebungsverbotes führe, als auch bei der weiteren, selbständig tragenden („unabhängig“) Erwägung zu den Rückkehrhilfen (BayVGH, U.v. 7.6.2021 – 13a B 21.30342 – juris Rn. 31ff., dort insbesondere Rn. 31, 32 und 38) beziehen sich die Ausführungen explizit auf volljährige afghanische Staatsangehörige.
Wie oben bereits angesprochen, kommt es allerdings nicht darauf an, ob die Minderjährigkeit des Klägers allein (so z.B. VG Augsburg, U.v. 12.12.2017 – Au 6 K 17.32980 – juris Rn. 32) bereits einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots wegen des Vorliegens eines besonderen Ausnahmefalls begründet.
Denn beim Kläger kommen zur Minderjährigkeit als solcher noch die weiteren, oben dargestellten Umstände seines Einzelfalls hinzu, die nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls zur Annahme eines besonderen Ausnahmefalls und demzufolge zur Bejahung eines Anspruchs des Klägers auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots führen. In einer Gesamtbewertung der individuellen Umstände des Klägers ergibt sich nach der Überzeugung des Gerichts im Fall des Klägers ein besonderer Ausnahmefall im o.g. Sinn und demzufolge ein Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots.
Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot wie oben bereits dargelegt um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17).
4. Die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hat zur Folge, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht nur in seiner Nr. 4, sondern auch in den Nummern 5 und 6 aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO und §§ 708ff. ZPO.


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