Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten einer psychischen Erkrankung im Zielstaat

Aktenzeichen  W 1 K 15.30021

Datum:
5.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 2
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 3b Abs. 1, § 4  Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1 Erhebliche psychische Erkrankungen sind in Afghanistan nicht ausreichend behandelbar und können daher zu einem Abschiebungsverbot führen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Nicht jeder Person, die in den Fokus der Taliban oder anderer krimineller Gruppierungen geraten ist, wird von diesen eine abweichende politische Überzeugung zugeschrieben. Denn die Absichten dieser Gruppen sind nicht ausschließlich politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage von politischen, religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Zielsetzungen auf. (redaktioneller Leitsatz)
3 In der Region Logar und in der Stadt Kabul hat sich die Sicherheitslage trotz häufiger Anschläge nicht derart verschärft, dass jede Zivilperson unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen allein aufgrund ihrer Anwesenheit im betreffenden Gebiet konkret und individuell gefährdet ist, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Dezember 2014 wird in den Ziffern 4 und 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, in der Person des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens von Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 i. V. m. Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Dezember 2014 ist daher in Ziffern 4 und 5 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich auch aus der Gefahr ergeben, dass sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i. d. F. des Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung von Asylverfahren vom 11. März 2016 – BGBl. I S. 390, in Kraft getreten am 12.3.2016 – AufenthG n. F.). Unter den vorgenannten Voraussetzungen kann sich eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr daraus ergeben, dass die Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung Herkunftsland unzureichend sind (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 12 ff.) oder im Einzelfall auch daraus, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn im Herkunftsstaat des Ausländers eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit wegen des geringen Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Zum anderen kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betreffende Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, z. B. wenn eine notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – DVBl. 2003, 463). Dabei ist jedoch zu beachten, dass – auch an Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK gemessen – kein Anspruch auf eine mit der Versorgung im Bundesgebiet gleichwertige medizinische Versorgung im Zielstaat besteht (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG n. F.; EGMR, U.v. 7.10.2004 – Dragan, 33743/03 – NVwZ 2005, 1043 ff.; BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris Rn. 7). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt des Weiteren in der Regel auch dann vor, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG n. F.).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers vor.
1.2 Ausweislich der vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie Dr. med. F… vom 22. Dezember 2015 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen der fehlenden Behandlungsmöglichkeit eine erhebliche Verschlechterung seiner schwerwiegenden psychischen Erkrankung konkret droht. Dr. F… diagnostiziert eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine mittelgradige depressive Episode sowie Panikattacken. Das Attest gibt Auskunft über die Schwere der Erkrankung, die konkreten Symptome und den Behandlungsverlauf. Der Arzt hat dem Gericht gegenüber auch dargelegt, wie er die Exploration des Klägers vorgenommen hat. Danach war der Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung dreimal bei ihm in Behandlung gewesen, weitere Behandlungstermine standen noch bevor. Bei der ersten Untersuchung war der Kläger nach Auskunft des Arztes derart depressiv, dass er selbst nicht auf Fragen antworten konnte. Der Arzt hat dann die Exploration zunächst auf der Grundlage der Unterlagen anderer Ärzte, insbesondere des Herrn Dr. von … – bei dem der Kläger ausweislich des vorgelegten Attestes dieses Arztes ebenfalls in Behandlung ist -, erstellt und sie in weiteren Vorstellungen des Klägers durch den Einsatz eines Mitpatienten als Dolmetscher überprüft. Bei der zweiten persönlichen Untersuchung habe sich der Kläger dann dem Arzt gegenüber auch öffnen können. Die ärztlichen Stellungnahmen kommen auf diese Weise zu der nachvollziehbaren Einschätzung, dass eine engmaschige psychotherapeutische Behandlung des Klägers notwendig ist. Weitere Anforderungen sind an die Substantiierung einer depressiven Erkrankung nicht zu stellen (BayVGH, B.v. 26.5.2014 – 13a ZB 13.30310 – juris). Ohne dass es darauf entscheidend ankäme, erfüllt das Attest des Herrn Dr. F… vom 22. Dezember 2015 in Verbindung mit den dazu gegebenen Erläuterungen im Übrigen wohl die Anforderungen der Rechtsprechung an die Substantiierung einer PTBS-Erkrankung (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15). Der Kläger leidet somit an einer erheblichen, behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Derartige Erkrankungen sind in Afghanistan nicht ausreichend behandelbar (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 35 bezüglich rezidivierender depressiver Störung mittelgradiger Ausprägung; U.v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris Rn. 29 ff. bezüglich Trauma-Folgestörung; VG Würzburg, U.v. 5.8.2015 – W 1 K 14.30153 – UA S. 12; VG Würzburg, U.v. 9.3.2015 – W 1 K 13.30030 – juris Rn. 32; U.v. 9.12.2013 – W 1 K 12.30208 – juris Rn. 53; VG Augsburg, U.v. 11.3.2013 – AU 6 K 12.363 – juris Rn. 26).
Insoweit hat die Klage daher Erfolg.
2. Dem Kläger steht jedoch weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Insoweit ist der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Dezember 2014 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.1 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab 24. Oktober 2015 geltenden Fassung (Art. 1, Art. 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes v. 20.10.2015, BGBl I, S. 1722 ff.) anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.
Der Kläger hat Afghanistan nicht vorverfolgt i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. Art. 4 Abs. 4 QRL verlassen. Es steht auch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Taliban in Anknüpfung an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe droht.
Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte in vollem Umfang der Wahrheit entspricht. Zwar konnte der Kläger in der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung einige in der Anhörung beim Bundesamt aufgetretene Ungereimtheiten und Widersprüche ausräumen, insbesondere konnte der zeitliche Ablauf der Ereignisse genauer aufgeklärt werden. Danach habe der Kläger bereits seit vielen Jahren in Kabul in der Nähe des ISAF-Stützpunktes im Stadtteil Golaie-Shashdarak ein Ladengeschäft betrieben. Gewohnt habe er aber in seinem Heimatdorf in der Provinz Logar. Er sei somit täglich zwischen Logar und Kabul hin- und hergependelt. Seit dem Jahr 2011 sei er in seinem Laden mehrfach von unbekannten Personen aufgesucht worden. Zuerst sei nur ein Mann gekommen, dann seien es zwei Männer gewesen. Sie hätten ihn etwa sechs- bis siebenmal aufgesucht und gefragt, was er dort mache, dort arbeiteten nur Leute von der Regierung. Sie hätten ihm vorgeworfen, ein Spion der Regierung zu sein, weil es keinen anderen Laden in der Nähe gebe. Sie hätten ihn auch gewarnt, dass es dort gefährlich für ihn sei. Es sei auch einmal ein amerikanischer Journalist in seinem Laden gewesen, habe ihm verschiedene Fragen gestellt und ihn gewarnt. Der Journalist habe ohne Wissen des Klägers ein Foto gemacht und dieses zusammen mit einem Zeitungsartikel veröffentlicht. Der Artikel sei etwa ein bis zwei Monate vor der Ausreise des Klägers erschienen. Einen Tag vor seiner Ausreise sei der Kläger auf dem Weg von Kabul nach Logar entführt worden. Unbekannte hätten das Taxi angehalten, in dem sich der Kläger befunden habe, hätten ihn zu einem Wald verschleppt und dort beraten, was sie mit dem Kläger anstellen sollten. Diese Gelegenheit habe der Kläger genutzt und sei geflohen. Er sei durch den Wald geflohen zu einem Bach, durch den er hindurchgewatet sei. Er sei dann nicht nach Logar zurückgekehrt, weil dort bereits sein Vater und vier seiner Onkel ermordet worden seien. Deshalb sei er per Anhalter zurück nach Kabul, und zwar direkt zum Flughafen gefahren. Dort angekommen habe der Kläger einen Anruf eines Freundes erhalten, der ihm berichtet habe, dass gerade ein Selbstmordattentat in der Nähe seines Ladens in Kabul passiert sei, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen seien. Am selben Tag habe sein Bruder in der Moschee einen Drohbrief für den Kläger gefunden, wovon er ihm einen Tag später telefonisch erzählt habe.
Auf der Grundlage dieses Vortrags ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger vorverfolgt ausgereist ist oder dass ihm im Falle der Rückkehr Verfolgung i. S. d. §§ 3 ff. AsylG oder ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG droht. Das Gericht hält es zwar aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse über die Lage in Afghanistan, insbesondere über den erneut wachsenden Einfluss der Taliban und anderer regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppierungen, für plausibel, dass der Kläger mehrere „Besuche“ von unbekannten Männern erhalten hat, bei denen er aufgefordert wurde, sein Geschäft in der Nähe des ISAF-Stützpunktes zu schließen, weil dies für ihn gefährlich sei. Derartige Einschüchterungsversuche gehören zur Taktik der Taliban bzw. anderer regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppierungen, die insbesondere solche Personen zum Ziel ihrer Bedrohungen machen, die aufgrund unterschiedlicher Umstände in den Verdacht geraten sind, mit ausländischen Streitkräften, fremden Staaten bzw. internationalen Organisationen oder der afghanischen Regierung zu kooperieren. Solche „Warnungen“ sind für sich genommen jedoch noch nicht geeignet, eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylG darzustellen, weil sie zum einen nicht die notwendige Intensität aufweisen und es zum anderen dem Kläger möglich gewesen wäre, durch Verlegung seines Geschäftssitzes dem Verdacht zu entgehen, er würde mit den ISAF zusammenarbeiten. Denn gerade Letzteres wäre für eine Person, die sich nicht aus anderen, nicht flüchtlingsrelevanten Gründen im Ausland niederlassen will, naheliegender als eine Ausreise. Der Kläger hat aber selbst vorgetragen, bereits im Jahr 2011, also zeitlich vor den nach seinen Angaben fluchtauslösenden Ereignissen im Jahr 2012, den Entschluss gefasst zu haben, in die USA auszuwandern. Er habe sich zu diesem Zweck auch bereits einen Reisepass besorgt. Diese Umstände sprechen gegen eine Flucht vor tatsächlicher Verfolgung.
Hinzu kommt, dass die weiteren vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht glaubhaft sind. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass tatsächlich ein amerikanischer Journalist einen Zeitungsartikel mit einem Foto des Klägers veröffentlicht hat, denn der Kläger konnte sich auch auf Nachfrage nicht einmal an den Namen der Zeitung erinnern. Des Weiteren ist auch die vorgetragene Entführungsgeschichte nicht plausibel. Es erscheint zum einen bereits zweifelhaft, ob der angebliche Überfall auf das Taxi überhaupt gezielt gegen den Kläger gerichtet war. Dies würde voraussetzen, dass die unbekannten Entführer den Kläger bereits längere Zeit beobachtet haben, um feststellen zu können, in welches Taxi er einstieg, um dann gezielt dieses Taxi auf dem Weg nach Logar anzuhalten und zu überfallen. Nicht plausibel erscheint aber insbesondere der Umstand, dass der Kläger ohne Weiteres aus der Gewalt der Entführer geflohen sein will. Denn es überzeugt nicht, dass die unbekannten Kriminellen den Kläger zunächst unter Aufwendung erheblicher Anstrengungen und Inkaufnahme erheblicher Risiken entführt, ihm aber dann die Möglichkeit zur Flucht gegeben haben sollten. Der Vortrag, dass die Entführer sich beraten hätten, was mit dem Kläger zu geschehen habe, und dieser dabei unbemerkt habe fliehen können, erscheint konstruiert und nicht wirklichkeitsnah. Des Weiteren hat das Gericht auch erhebliche Zweifel daran, dass der Selbstmordanschlag in der Nähe des Ladens des Klägers, den dieser nicht selbst miterlebt hat, überhaupt dem Kläger gegolten haben sollte. Selbstmordanschläge geschehen in Afghanistan häufig. Sie werden von den Taliban oder anderen regierungsfeindlichen, bewaffneten Gruppierungen verübt, um Angst und Schrecken zu verbreiten und somit den Boden für eine weitere Destabilisierung der politischen Verhältnisse zu bereiten. Selten sind jedoch solche Anschläge gezielt auf eine bestimmte Person oder eine bestimmte Personengruppe gerichtet. Getroffen werden sollen vielmehr entweder die Regierung bzw. diese repräsentierende Personen wie Polizisten oder Militärangehörige, Auslandsvertretungen fremder Staaten bzw. internationaler Organisationen oder wahllos Angehörige der Zivilbevölkerung. Im Übrigen war der Selbstmordanschlag nach dem Vortrag des Klägers auch nicht ausschlaggebend für seine Ausreise, weil er sich dazu bereits vorher entschlossen und sich zum Anschlagszeitpunkt bereits am Flughafen befunden hatte.
Da somit bereits die vorgetragene Verfolgungsgeschichte nicht in vollem Umfange glaubwürdig erscheint, kann es offen bleiben, ob darin eine Verfolgung in Anknüpfung an ein Merkmal i. S. d. § 3b Abs. 1 AsylG zu sehen wäre. Zwar lässt der Kläger auf verschiedene Stellungnahmen des UNHCR verweisen, aus denen hervorgeht, dass Personen, denen die Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften, Auslandsvertretungen anderer Staaten oder der afghanischen Regierung unterstellt wird, zu den Risikogruppen in Afghanistan gehören, deren mögliche Verfolgung besonders gewissenhaft zu prüfen ist (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, August 2013, deutsche Übersetzung in Asylmagazin 11/2013, S. 368 ff.; UNHCR-Vertretung Berlin, Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan – Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013, August 2014, S. 3). Diese Stellungnahmen des UNHCR sind aber allgemein auf den internationalen Schutzbedarf der genannten Risikogruppen bezogen und umfassen damit auch den subsidiären Schutzstatus i. S. d. § 4 AsylG (vgl. Art. 2 Nr. 1 QRL). Es kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass die unter die genannten Kriterien fallenden Personen von vornherein ein flüchtlingsrelevantes Merkmal erfüllten. Insbesondere kann unter Berücksichtigung der Erwägungen im vorhergehenden Absatz nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Person, die unter den genannten Umständen in den Fokus der Taliban oder anderer krimineller Gruppierungen gerät, von diesen eine abweichende politische Überzeugung i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG zugeschrieben wird. Denn die Absichten der Taliban oder anderer krimineller Gruppierungen sind nicht ausschließlich politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage von politischen, religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Zielsetzungen auf.
Auch scheidet eine Verfolgung des Klägers aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG aus, weil schon nicht erkennbar ist, wie die soziale Gruppe, der er zugerechnet werden könnte, definiert werden sollte. Allein der Umstand, dass einer unbestimmten Vielzahl von Personen unter verschiedenen Umständen die Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung, ausländischen Streitkräften oder Auslandsvertretungen anderer Staaten unterstellt wird, ist nicht als Merkmal geeignet, um eine hinreichend bestimmte Gruppe zu definieren, die in Afghanistan eine deutlich abgegrenzte Identität hätte, aufgrund derer ihre Angehörigen von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet würden (vgl. VG Würzburg, U.v. 18.12.2013 – W 1 K 13.30033 – juris, Rn. 23; U.v. 5.8.2015 – W 1 K 14.30153 – Urteilsabdruck S. 16).
2.2 Aufgrund der oben dargestellten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Geschehens kommt auch keine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylG an den Kläger in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder aufgrund besonderer gefahrerhöhender Umstände ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG droht. In Bezug auf die Herkunftsregion des Klägers, Logar, sowie in Bezug auf Kabul hat sich die Sicherheitslage trotz der aktuellen Häufung von Anschlägen nicht derart verschärft, dass jede Zivilperson unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen allein aufgrund ihrer Anwesenheit im betreffenden Gebiet konkret und individuell gefährdet ist, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. für Kabul: BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 13a ZB 14.30172 – juris Rn. 7; B.v. 27.5.2014 – 13a ZB 13.30309 – juris Rn. 4; B.v. 18.7.2012 – 13a ZB 12.30150 – juris Rn. 7 ff.; OVG NW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15.A – juris Rn. 8; für Logar: BayVGH, B.v. 10.12.2013 – 13a ZB 13.30162 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 10.9.2014 – 13 A 1271/13.A – juris Rn. 5; U.v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – juris Rn. 46 ff.).
Insoweit war die Klage daher abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei das Gericht davon ausgeht, dass Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutzstatus und Abschiebungsverbote jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter aufzuspaltenden Streitgegenstand darstellen (st.Rspr., z. B. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 9).
Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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