Verwaltungsrecht

Ägyptischer Staatsangehöriger, Erteilung einer Duldung

Aktenzeichen  M 25 E 21.5665

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35376
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Duldung.
Der Antragsteller, ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 31. Juli 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 26. März 1996 vollumfänglich ab. Der Bescheid wurde am 25. Februar 1999 nach erfolglosen gerichtlichen Verfahren unanfechtbar. Seither erhielt der Antragsteller Duldungen.
Am 25. Oktober 2007 erhob der Antragsteller Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, welche er am 16. November 2007 zurücknahm.
Am 26. Februar 2014 legte der Antragsteller seine Personalien, über die er bis dahin getäuscht hatte, unter Vorlage eines ägyptischen Personalausweises offen. Am 28. August 2015 legte er einen ägyptischen Nationalpass, gültig bis 6. Mai 2022, vor.
Am 30. November 2015 stellte der Antragsteller während eines laufenden Asylfolgeverfahrens einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, welcher mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2017 abgelehnt wurde. Eine dagegen erhobene Klage wurde am 9. Januar 2018, einen Tag vor der mündlichen Verhandlung, zurückgenommen.
Ein Asylfolgeantrag vom 10. September 2013 wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 12. Oktober 2016 abgelehnt. Hierin wurde ihm die Abschiebung nach Ägypten unter Gewährung einer 30-tägigen Ausreisefrist angedroht. Unanfechtbarkeit trat nach dem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren am 8. September 2020 ein.
Am 28. Oktober 2020 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylfolgeantrag. Das Bundesamt teilte diesbezüglich mit Schreiben vom 12. November 2020 mit, dass ein weiteres Asylverfahren voraussichtlich nicht durchgeführt würde, lehnte die Durchführung eines weiteren Verfahrens mit Bescheid vom 27. Mai 2021 ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen. Hiergegen wurde Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben (M 3 K 21.31368), über welche noch nicht entschieden ist.
Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller wiederholt zur freiwilligen Ausreise auf. Seit 9. Oktober 2020 wurden ihm Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt, letztmalig am 20. Juli 2021 mit verlängerter Ausreisefrist bis 20. September 2021, nachdem er am 9. Juli 2021 hatte mitteilen lassen, er würde die freiwillige Ausreise einer Abschiebung vorziehen und müsse hierzu noch Angelegenheiten regeln.
Am 21. September 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsgegner und seinem Bevollmächtigten mit, dass die letztmalig gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise verstrichen sei und, sollten bis zum 29. September 2021 kein konkreter Ausreisetermin mitgeteilt und Nachweise über die Vorbereitung der Ausreise erbracht werden, die Abschiebung des Antragstellers zwangsweise vollzogen werde.
Mit Schreiben vom 25. September 2021 beantragte der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis und eine Fiktionsbescheinigung unter Berufung auf §§ 104a, 25b AufenthG. Eine Fiktionsbescheinigung wurde ihm nicht ausgestellt, über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde bislang nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller nicht aus der Bundesrepublik Deutschland abzuschieben.
Zur Begründung trug er vor, dass der Antragsteller, der seit 26 Jahren in Deutschland sei, fließend Deutsch spreche und in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mit Wohnsitz in M… integriert und verwurzelt sei. Er sei in der Lage zu arbeiten und für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Zur Vermeidung der befürchteten Abschiebung des Antragstellers sei einstweiliger Rechtsschutz zur Wahrung des Bleiberechts des Antragstellers aus seiner Verwurzelung im Bundesgebiet notwendig. Der Antragsteller sei faktischer Inländer. Der Antragsteller sei in Deutschland nie straffällig oder extremistisch aktiv geworden. Insbesondere eine islamistische Betätigung in der M… liege nicht vor. Gegen den Antragsteller sei nie wegen extremistischen oder terroristischen Straftaten ermittelt worden. Auch das Bayerische Verwaltungsgericht München habe im Urteil vom 20. Februar 2020 den Antragsteller nicht für ein Mitglied der M…, sondern allenfalls für einen Sympathisanten gehalten und sei der gegenteiligen Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz nicht gefolgt. Im Übrigen werde ein fachärztliches Attest der Nervenärztin J… K… vom 28. September 2021 vorgelegt, wonach beim Antragsteller die große Gefahr der Selbst- oder Fremdgefährdung und Gefahr einer psychotischen Dekompensation auf der Grundlage einer ausgeprägten depressiven ängstlichen Symptomatik mit Suizidgefahr bestehe.
Mit Schreiben vom 4. November 2021 legte die Antragsgegnerin die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller sei aufgrund des Bescheides des Bundesamts vom 12. Oktober 2016, mit dem ihm die Abschiebung nach Ägypten unter Gewährung einer 30-tägigen Ausreisefrist angedroht wurde, ausreisepflichtig. Die Ausreisepflicht sei auch vollziehbar, da laut Abschlussmitteilung des Bundesamts der Bescheid am 8. September 2020 unanfechtbar wurde. Der Antragsteller sei nicht als faktischer Inländer zu behandeln. Aufgrund der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilten Erkenntnisse über die politische Haltung des Antragstellers zur Situation in Ägypten und seiner Sympathie mit der M… sei davon auszugehen, dass er nach wie vor deutlich in seinem Herkunftsstaat verwurzelt sei und sich gerade nicht in die Rechts- und Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland integriert habe. Der Annahme einer tiefgreifenden Verwurzelung des Antragstellers im Sinne einer nachhaltigen Integration stehe auch der Umstand entgegen, dass er seiner Ausreisepflicht über Jahre hinweg nicht nachgekommen sei, sondern deren Vollzug durch sein Verhalten aktiv verhindert habe.
Es bestünden auch keine Abschiebungshindernisse aus medizinischen Gründen. Eine Fluguntauglichkeit sei nicht belegt. Der geltend gemachten psychischen Belastung werde bei sich abzeichnender Gefahr einer Selbstoder Fremdgefährdung in der Regel durch die Begleitung der Abschiebung durch Sicherheits-, sowie medizinisches Fachpersonal Rechnung getragen. Die gesetzliche vermutete Reisefähigkeit sei nicht widerlegt, vielmehr sei durch das Gesundheitszeugnis des Gesundheitsreferats vom 7. Mai 2021 eine Flugreisetauglichkeit festgestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag nach § 123 VwGO auf Aussetzung der Abschiebung (Erteilung einer Duldung) bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach ein Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie ein Anordnungsanspruch, also der Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Der Antragsteller hat den erforderlichen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Erteilung einer Duldung) nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
1.1 Die Abschiebung des Antragstellers ist nicht rechtlich unmöglich.
1.1.1 Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutz (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis; § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG). Die Erteilung einer Verfahrensduldung ist nicht erforderlich, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen zu erhalten (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 19 CE 21.6).
Im Umkehrschluss zu der in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG getroffenen, begrenzten Regelung folgt, dass für die Dauer eines Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahrens, das auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, nicht stets eine Duldung zur Sicherung dieses Anspruchs zu erteilen ist. Allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, resultiert außerhalb des Anwendungsbereichs des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen wäre (Nds.OVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3).
Eine Duldung kann aber zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – juris Rn. 30). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) erfüllt sein.
Diese Ausnahmeregelung ist zwar auf den hier beantragten Aufenthaltstitel nach § 25b AufenthG grundsätzlich sinnvoll anwendbar, da die tatbestandliche Voraussetzung des Vorliegens einer Duldung im Zeitpunkt der Behördenentscheidung für die Dauer des Verfahrens aufrechterhalten werden muss, was nur bei einem Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet möglich ist.
Die Voraussetzungen des § 25b AufenthG liegen indes bei summarische Prüfung nicht vor. Zunächst besaß bzw. besitzt der Antragsteller weder bei Antragstellung noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die vom Gesetz geforderte Duldung, sondern verfügt seit Oktober 2020 nur über Grenzübertrittsbescheinigungen. Eine nachhaltige Integration des Antragstellers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland scheidet ferner aus, da der Antragsteller nicht, wie von § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG gefordert, seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildung-, Einkommenssowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG sichern wird. Im aktuellen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 8. September 2021 ist vielmehr angegeben, dass der Antragsteller derzeit kein Einkommen hat und seit ca. 2017 Sozialleistungen bezieht.
Dass das Fehlen dieser tatbestandlichen Voraussetzung aufgrund einer Gesamtschau durch andere Integrationsleistungen kompensiert würde, was nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG grundsätzlich möglich ist („Dies setzt regelmäßig voraus,…“), ist nicht festzustellen. Dazu wird auf die Ausführungen unter 1.1.2 (dazu sogleich) verwiesen.
Die Anwendung der Altfallregelung des § 104a AufenthG, die der Antragsteller ebenfalls geltend macht, scheidet aus, da diese Altfallregelung für den Antragsteller durch § 25b ersetzt wird (BeckOK AuslR/Kluth AufenthG § 25b Rn. 2)
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen erscheint bei summarischer Prüfung ausgeschlossen, insbesondere da bereits die allgemeine Erteilungsvoraussetzung eines gesicherten Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) nicht glaubhaft gemacht ist.
1.1.2 Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt auch nicht aus anderen Gründen vor.
Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich nicht aus Art. 8 EMRK in Verbindung mit dem langjährigen Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland, wie sie vom Antragsteller geltend gemacht wird, indem er sich darauf beruft, faktischer Inländer zu sein.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens. Eine danach den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BayGH, B.v. 5.11.2014 – 19 C 13.1473 – juris Rn. 28 mwN). Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ist eröffnet, wenn die Verwurzelung und spiegelbildlich dazu die Entwurzelung auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und im Vertrauen auf den Fortbestand des Aufenthalts erfolgt (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3/08 – juris Rn. 20; B.v. 1.3.2011 – 1 B 2/11 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 – juris Rn. 43). Ob ein Vertrauenstatbestand vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls und nicht schematisch anhand erteilter Aufenthaltstitel zu beurteilen.
Der Antragsteller ist bei summarischer Betrachtung kein faktischer Inländer im Sinne dieser Rechtsprechung.
Der 1968 geborene Antragsteller ist in Ägypten aufgewachsen und reiste erst im Alter von ca. 27 Jahren nach Deutschland ein. Damit hat er seine wesentliche Prägung in Ägypten erfahren. Er hat trotz seines langen Aufenthalts in Deutschland nicht jeglichen Kontakt nach Ägypten verloren, sondern nimmt in belegbarer Weise nach wie vor am politischen Geschehen in Ägypten Anteil. In der Befragung vor dem Bundesamt am 19. September 2016 hat der Kläger angegeben, er habe in B… an einer Demonstration gegen A… teilgenommen (vgl. Urteil desVG München vom 20.2.2021, UA S. 9). Er habe, so hat er am 20. Februar 2020 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München gesagt, an allen Demonstrationen und Aktivitäten, die gegen das Regime (unter A…) in M… stattgefunden hätten, teilgenommen. In derselben mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München wurden Posts des Antragstellers aus den Jahren 2019 und 2020 gezeigt, in denen sich der Antragsteller zu den politischen Verhältnissen in Ägypten äußert. Darin fordert der Antragsteller für sein Land Demokratie, wie sie hier in Deutschland herrsche (UA S. 14). Der Kläger unterhält nach Erkenntnissen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz auch Bekanntschaften zu Mitgliedern der M…, so dass ihn das Bayerische Verwaltungsgericht München für einen Sympathisanten der M… hält. Ebenfalls in dieser mündlichen Verhandlung hat der Antragsteller angegeben, er habe vor allem zu seiner Schwester in Ägypten Kontakt, woraus das Gericht ableitet, dass ihn im Falle seiner Rückkehr nach Ägypten dort eine Unterstützung durch seine Familienangehörigen erwarten würde (UA S. 15). Darauf, ob der Antragsteller nun Mitglied oder nur Sympathisant der M… ist oder war, und ob und wie sich der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland extremistisch betätigt hat, kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang nicht an. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nach dem zuvor Gesagten, dass festzustellen ist, dass den Antragsteller mit Ägypten offenbar immer noch weit mehr verbindet als nur das formale Band der Staatsangehörigkeit.
Auf der anderen Seite ist es dem Antragsteller nicht gelungen, sich vollständig in Deutschland zu integrieren. Er war über Jahre lediglich geduldet bzw. ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Über einen Aufenthaltstitel hat er zu keiner Zeit seines Aufenthalts in Deutschland verfügt. Das erforderliche Vertrauen auf den Fortbestand des Aufenthalts konnte mithin beim Antragsteller nicht entstehen. Auch wirtschaftlich ist ihm keine volle Integration gelungen. In der bereits erwähnten mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2020 hat er angegeben, er habe in Deutschland keine Arbeit. Er habe keinen Beruf erlernt (UA S. 15). Insbesondere hat er jahrelang seine wahre Identität gegenüber den deutschen Behörden verheimlicht.
Im Ergebnis sind die Bindungen des Antragstellers mit Deutschland nicht so stark und die mit Ägypten nicht so sehr getrennt, dass dem Antragsteller eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar wäre und einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK darstellen würde. Eine Rückkehr und eine soziale Wiedereingliederung in Ägypten ist dem Antragsteller aufgrund der Beherrschung der dortigen Sprache und der Tatsache, dass seine Geschwister, zu denen er nach wie vor Kontakt hat, vorhanden sind, möglich und zumutbar.
Demgegenüber kann nicht entscheidend ins Gewicht fallen, dass der Antragsteller bislang in Deutschland nicht straffällig geworden ist. Positive nennenswerte soziale Interaktionen, die auf eine Integration im Bundesgebiet schließen lassen könnten, wie etwa Vereinsarbeit etc., hat er nicht vorgebracht und sind auch nicht anderweitig ersichtlich.
1.1.3 Das vor Gericht anhängige Klageverfahren gegen die Entscheidung des Bundesamts vom 27. Mai 2021 im Asylfolgeverfahren, ein weiteres Verfahren nicht durchzuführen und die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 vorliegen, bedeutet kein rechtliches Abschiebungshindernis. Die nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorgesehene spezielle Duldung ex lege kommt nicht in Betracht, da die Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, geschehen ist. Die Klage hat nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung.
1. 2. Die Ausreise des Antragstellers ist auch nicht tatsächlich unmöglich (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Insbesondere bestehen Reiseverbindungen nach Ägypten und der Antragsteller verfügt über ein gültiges Reisedokument.
Der Antragsteller ist nicht reiseunfähig, Eine Reiseunfähigkeit wurde nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nachgewiesen (§ 60a Abs. 2c AufenthG).
Eine Abschiebung scheidet wegen Reiseunfähigkeit aus, wenn und solange der Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Reisevorgangs wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht. Eine Abschiebung hat auch dann zu unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (BayVGH B.v. 18.12.2017 – 19 CE 17.1541 – beckonline, BeckRS 2017; BayVGH B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17). Grundsätzlich besteht die Vermutung, dass gesundheitliche Gründe der Abschiebung nicht entgegenstehen. Nur eine Erkrankung, die durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht wurde, erschüttert diese Vermutung (§ 60a Abs. 2c AufenthG).
Bezüglich des Attestes vom 30. Januar 2019 wird insoweit verwiesen auf die Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Februar 2020 im Verfahren M 3 K 16.33860, UA S. 30, denen sich die Kammer anschließt. Das nunmehr vorgelegte Attest von M.D. Univ. J… K… vom 28. September 2021 genügt offensichtlich weder allein noch in Gesamtschau mit den vorangegangenen Attesten den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung. Demgegenüber hat das Gesundheitsreferat der Antragsgegnerin im Gesundheitszeugnis vom 7. Mai 2021 die Flugreisetauglichkeit des Antragstellers unter der Voraussetzung fachmännischer Begleitung, die eine Selbst- und Fremdgefährdung während des Transports ausschließt, positiv festgestellt.
Andere Gründe für eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Damit war der Antrag insgesamt abzulehnen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs.


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