Aktenzeichen M 1 K 17.5622
Leitsatz
1. Bei einer nachträglich beigefügten Nebenbestimmung handelt es sich um eine selbstständige Regelung, die isoliert angefochten werden kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Baugenehmigung für ein neues Betriebsleiterwohnhaus mit der Nebenbestimmung verbunden, das alte Betriebsleiterwohnhaus nach Nutzungsaufnahme abzubrechen, handelt es sich um eine Auflage zur Baugenehmigung. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Leben in dem alten Betriebsleiterwohnhaus Fledermäuse, würde durch die Abbruchsanordnung deren Kolonie verletzt und deren Fortpflanzungs- und Ruhestätte zerstört. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Stellt sich heraus, dass die Nebenbestimmung rechtswidrig ist, berührt dies mittelbar die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und “infiziert” die Gesamtregelung, die damit insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klagen sind als Anfechtungsklagen gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig.
a) Die Anfechtungsklage stellt die richtige Klageart gegen die nachträglich zur Baugenehmigung hinzugefügten Nebenbestimmungen in Ziffer B.1 und B.2 dar.
Die streitgegenständlichen Nebenbestimmungen ergingen nicht zeitgleich mit dem begünstigenden Verwaltungsakt, sondern wurden erst nachträglich mit Bescheid vom 17. November 2017 zur Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 hinzugefügt. Die Vorschrift in Art. 36 BayVwVfG geht jedoch für Nebenbestimmungen ersichtlich davon aus, dass sie gleichzeitig mit dem Verwaltungsakt erlassen werden. Dies zeigt sich etwa am Wortlaut des Art. 36 Abs. 2 BayVwVfG, wonach ein Verwaltungsakt mit Nebenbestimmungen erlassen oder verbunden werden kann. Wird gegen die zusammen mit dem Verwaltungsakt erlassene Nebenbestimmung geklagt, ist grundsätzlich die Anfechtungsklage die richtige Klageart. Die Prüfung, ob die Klage gegen die Nebenbestimmung Erfolg hat, wird auf die Ebene der Begründetheit verlagert, wo geprüft wird, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann. Nur ausnahmsweise stellt sich diese Frage im Rahmen der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, falls eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig und von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.2007 – 3 C 39/06 – juris Rn. 20 m.w.N.). Der Akt des nachträglichen Beifügens von Nebenbestimmungen stellt demgegenüber – unabhängig von der Art der Nebenbestimmung – stets einen eigenständigen Verwaltungsakt dar, der isoliert angefochten werden kann (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 36 Rn. 38; Tiedemann in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand: 1.1.2020, § 36 Rn. 25). Es handelt sich bei einer nachträglich beigefügten Nebenbestimmung um eine selbständige Regelung, die materiell zu einer Teilaufhebung des ursprünglichen Verwaltungsaktes führt (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 36 Rn. 38). Bei den nachträglich hinzugefügten Auflagen in Ziffer B.1 und B.2 des Bescheids vom 17. November 2017 handelt es sich daher um einen eigenständigen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, der isoliert angefochten werden kann. Somit stellt die Anfechtungsklage hier die richtige Klageart dar.
b) Da gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG gegen die Androhung eines Zwangsmittels die Rechtsmittel gegeben sind, die gegen den Verwaltungsakt zulässig sind, dessen Durchsetzung erzwungen werden soll, ist die Anfechtungsklage auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen in Ziffer D. des Änderungsbescheids die richtige Klageart.
2. Die Klagen sind jedoch unbegründet, weil der Bescheid des Landratsamts vom 17. November 2017 rechtmäßig ist und die Kläger daher nicht in ihren Rechten verletzt sind, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Die Anordnungen zum erneuten Anbringen von Windbrettern (Ziffer B.1) sowie eines hohlen Balkens mit Quartierfunktion (Ziffer B.2) im Bescheid vom 17. November 2017 sind rechtmäßig, weil sie nachträglich erlassen werden konnten (vgl. unter aa)) sowie hinreichend bestimmt sind, die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage erfüllen und ermessensfehlerfrei ergingen (bb)).
Die hier streitgegenständlichen Anordnungen sind nachträgliche Auflagen zur Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 und beziehen sich inhaltlich auf die darin verfügte Abbruchsanordnung in Ziffer B.5.
aa) Die Auflagen konnten zulässigerweise nachträglich zur Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 hinzugefügt werden. Die Voraussetzungen für eine (vollständige) Aufhebung der Baugenehmigung gem. Art. 48 BayVwVfG sind gegeben, weil die Anordnung des Abbruchs des alten Betriebsleiterwohnhauses in Ziffer B.5 des Bescheids vom 20. Juni 2012 rechtswidrig ist.
Aus Gründen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Vertrauensschutzes kann eine belastende Nebenbestimmung nur dann nachträglich einem Verwaltungsakt hinzugefügt werden, wenn das entsprechende Fachgesetz dies erlaubt, es im ursprünglichen Verwaltungsakt vorbehalten wurde oder die Voraussetzungen für eine Rücknahme oder einen Widerruf gem. Art. 48, 49 BayVwVfG gegeben sind (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 36 Rn. 39 ff.; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 36 Rn. 21a; Lechner in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 68 Rn. 380 ff.). Letzteres ist möglich, weil die nachträgliche Anordnung einer belastenden Auflage eine Teilaufhebung des ursprünglichen Verwaltungsakts darstellt und erst recht dann möglich sein muss, wenn der Verwaltungsakt wegen Art. 48, 49 BayVwVfG vollständig aufgehoben werden könnte.
Eine spezielle gesetzliche Regelung für die nachträgliche Beschränkung einer bestandskräftigen Baugenehmigung findet sich im Bauordnungsrecht nur in Art. 54 Abs. 4 BayBO, dessen Voraussetzungen vorliegend aber nicht einschlägig sind. Da in der ursprünglichen bestandskräftigen Baugenehmigung auch kein Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage i.S.v. Art. 36 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG enthalten ist, kommt als Rechtsgrundlage für das nachträgliche Hinzufügen der Auflagen nur Art. 48, 49 BayVwVfG in Betracht. Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Rücknahme gem. Art. 48 BayVwVfG, nämlich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) und, da es sich bei der Baugenehmigung um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, die Einhaltung der Jahresfrist (Art. 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BayVwVfG) erfüllt.
(1) Die Abbruchsanordnung in Ziffer B.5 und damit auch die Baugenehmigung selbst ist rechtswidrig i.S.v. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG.
(a) Die Abbruchsanordnung in Ziffer B.5 der ursprünglichen Baugenehmigung ist als Auflage i.S.v. Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG zu qualifizieren.
Die Anordnung des Abbruchs des alten Betriebsleiterwohnhauses stellt keine vom Verwaltungsakt unabhängige, selbständige Regelung dar, weil die Privilegierung i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Bezug auf das neuen Betriebsleiterwohnhauses offenbar nur bei einem späteren Abbruch des alten Betriebsleiterwohnhauses angenommen wurde. In der Begründung des Bescheids heißt es hierzu, dass das Bauvorhaben bei Beachtung der festgesetzten Auflagen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Auch stellt die Anordnung zum Abbruch keine Inhaltsbestimmung dar, mit welcher der Verwaltungsakt konkretisiert werden soll. Eine Inhaltsbestimmung würde voraussetzen, dass es eine Diskrepanz zwischen dem Beantragten und Genehmigten gibt. Mit der Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 wurde den Klägern jedoch das Bauvorhaben für das neue Betriebsleiterwohnhaus wie beantragt genehmigt und lediglich zusätzlich die Pflicht auferlegt, dass die Kläger das alte Betriebsleiterwohnhaus sechs Monate nach der Nutzungsaufnahme des neuen Betriebsleiterwohnhauses abzubrechen haben. Das Landratsamt hat dem Vorhaben also unverändert zugestimmt und nur um einen Zusatz zur Genehmigung erweitert. Es handelt sich daher um eine Nebenbestimmung, und zwar um eine Auflage zur Baugenehmigung. Dafür spricht neben dem Wortlaut der ursprünglichen Baugenehmigung („Auflage“), dass das Landratsamt später den Nichtabbruch des alten Betriebsleiterwohnhauses mit Zwangsgeldandrohungen sanktionierte und damit das Ob und Wie der Verpflichtung offenbar – anders als wenn etwa die Baugenehmigung unter einer aufschiebenden Bedingung erteilt worden wäre – der Zukunft überlassen werden sollte.
(b) Die Auflage in Ziffer B.5 ist rechtswidrig, weil der Abbruchsanordnung das naturschutzrechtliche Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG entgegensteht. Bei Bescheidserlass blieb unberücksichtigt, dass im alten Betriebsleiterwohnhaus Fledermäuse lebten.
Die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung richtet sich – abgesehen von der Sicherheitsleistung des Art. 68 Abs. 3 BayBO – ausschließlich nach Art. 36 BayVwVfG. Da es sich hier um die Erteilung einer Baugenehmigung handelt, auf deren Erlass nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ein Rechtsanspruch besteht, stellt Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass von Nebenbestimmungen dar. Gemäß Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG darf ein gebundener Verwaltungsakt nur mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Die Entscheidung über den Erlass der Nebenbestimmung steht nach dem Wortlaut des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG im Ermessen der Behörde; dabei darf die Nebenbestimmung selbst nicht rechtswidrig sein.
Der als Nebenbestimmung verfügten Abbruchsanordnung stehen die Verbotstatbestände in § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG entgegen. Nach den Vorschriften ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) sowie die Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG). Kleine Bartfledermäuse sind wild lebende Tiere. Sie werden in Anhang IV der FFH-RL genannt und sind nicht nur eine besonders geschützte, sondern (sogar) eine streng geschützte Tierart i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchst. b BNatSchG, die vom Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG erfasst wird. Durch die Abbruchsanordnung in Ziffer B.5 der Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 wird die ortsansässige Kolonie der Kleinen Bartfledermaus verletzt oder getötet (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) und deren Fortpflanzungs- und Ruhestätten zerstört (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG). Die Anordnung in Ziffer B.5 der Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 ordnet den Abbruch des alten Betriebsleiterwohnhauses ohne zeitliche Beschränkung an. Damit ist ein Abbruch auch in der Zeit möglich, in der die Kolonie das alte Betriebsleiterwohnhaus während der Sommermonate als Wochenstube zur Geburt ihrer Jungtiere – und damit als Fortpflanzungsstätte i.S.v. § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG – nutzt. Da die Jungtiere erst nach etwa vier Wochen flugfähig sind, würde ein möglicher Abbruch in dieser Zeit das Tötungsrisiko für die Jungtiere signifikant erhöhen, was nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Bejahung des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erforderlich, aber auch ausreichend ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BVerwGE 140, 149, juris Rn. 99; U.v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – BVerwGE 133, 239, juris Rn. 58; U.v. 9.7.08 – 9 A 14/07 – BVerwGE 131, 274, juris Rn. 91). Ferner lag bei Bescheidserlass eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung noch nicht vor.
Es ist davon auszugehen, dass die Fledermäuse bereits bei Erlass der Anordnung zum Abbruch vorhanden waren. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die Beweislast für die einzelnen Voraussetzungen einer Rücknahme, also auch für die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts i.S.v. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG (vgl. Müller in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand: 1.1.2020, § 48 Rn. 121). Der Kläger zu 1) geht nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung selbst davon aus, dass die Fledermäuse bereits zum Zeitpunkt des Bescheids vom 20. Juni 2012 in dem alten Betriebsleiterwohnhaus vorhanden waren. Dies deckt sich mit seiner Aussage im Schreiben vom 4. Oktober 2016, als er dem Landratsamt erstmals mitteilte, dass Fledermäuse im abzubrechenden Gebäudeteil gefunden wurden und die Tiere schon seit ca. 50 bis 60 Jahren den Dachstuhl bewohnten. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Fledermäuse auch im Zeitpunkt des Bescheids vom 20. Juni 2012 vorhanden waren und sich nicht erst nach Bescheidserlass während des Leerstandes des alten Betriebsleiterwohnhauses dort angesiedelt haben.
(c) Die Rechtswidrigkeit der Auflage in Ziffer B.5 führt dazu, dass die Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist.
Bei der Baugenehmigung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung; sie ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben die im Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht entgegenstehen (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Liegen die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht vor, hat die Genehmigungsbehörde die Baugenehmigung entweder zu versagen oder sie aus Verhältnismäßigkeitsgründen mit Nebenbestimmungen zu versehen, wenn dadurch ein Genehmigungshindernis ausgeräumt werden kann (vgl. Art. 68 Abs. 3 BayBO, Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BauGB). Stellt sich heraus, dass die Nebenbestimmung rechtswidrig ist, berührt dies mittelbar die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung; denn in diesem Fall besteht das Genehmigungshindernis weiter fort, sodass das Vorhaben nicht den Anforderungen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BauGB entspricht. Die Rechtswidrigkeit einer Nebenbestimmung (unabhängig von ihrer Rechtsnatur) „infiziert“ folglich die Gesamtregelung (Hauptverwaltungsakt und Nebenbestimmungen), die damit insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonks/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 36 Rn. 23). Die Rechtswidrigkeit der Abbruchsordnung in Ziffer B.5 hat hier zur Folge, dass die Gesamtregelung im Bescheid vom 20. Juni 2012 rechtswidrig i.S.d. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ist.
(2) Die Rücknahmefrist gem. Art. 48 Abs. 1 Satz 2, 4 BayVwVfG ist gewahrt.
Die Rücknahme eines begünstigen Verwaltungsakts ist gem. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, zulässig. Die Kenntniserlangung wird dabei erst dann angenommen, wenn die Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind (vgl. BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1/84 – BVerwGE 70, 356; BayVGH, U.v. 20.2.1991 – 4 B 87.3487 – NVwZ-RR 1992, 451). Das Landratsamt erlangte hier frühestens mit der Bestimmung der Fledermausart durch das Gutachten des Leiters der Koordinationsstelle für Fledermausschutz Südbayern vom *. Juni 2017 umfassende Kenntnis von den Tatsachen. Damit erging der Bescheid vom 17. November 2017 auch innerhalb der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG.
bb) Die Auflagen in Ziffer B.1 und B.2 sind rechtmäßig, da sie hinreichend bestimmt sind (vgl. unter (1)), die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 3 BayVwVfG erfüllen (2) und ermessensfehlerfrei ergangen sind (3).
(1) Die Auflagen im Bescheid vom 17. November 2017 sind hinreichend bestimmt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
Hinreichenden Bestimmtheit bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung, der Entscheidungssatz gegebenenfalls im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen für die Beteiligten und insbesondere für die Adressaten so vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können, und dass auch die mit dem Vollzug betrauten oder sonst mit der Angelegenheit befassten Behörden und deren Organe den Inhalt etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen oder sonstigen weiteren Entscheidungen zugrunde legen können (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.2008 – 7 C 38/07 – BVerwGE 131, 259). Der Maßstab für die notwendige Bestimmtheit richtet sich dabei im Einzelnen nach dem jeweiligen Regelungsgehalt, nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und umzusetzenden materiellen Rechts sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalles (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 37 Rn. 6). Diesen Anforderungen müssen auch Nebenbestimmungen als Bestandteil der Hauptregelung genügen. Im Falle von Auflagen muss deshalb genau vorgeschrieben sein, welches Tun, Dulden oder Unterlassen vom Adressaten verlangt wird (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 36 Rn. 27 f.).
Nach dem Bescheid vom 17. November 2017 sollen die Kläger an der neuen Außenmauer (gleich Exposition) wieder Windbretter (baugleiche Ausführung, 2-3 cm Abstand zum Balken) als Fledermausquartier errichten (Ziffer B.1). Zudem soll ein hohler Balken mit Quartierfunktion beim Abriss erhalten werden und an der neuen Außenwand unter dem Dachvorstand (baugleiche Ausführung) wieder angebracht werden (Ziffer B.2). Für die Kläger steht daher sowohl fest, was an der neuen Außenmauer angebracht werden muss, als auch, wo es angebracht werden soll. Die Auflagen entsprechen dem, was der Leiter der Koordinationsstelle für Fledermausschutz Südbayern in seinem Gutachten vom 9. Juni 2017 als Maßnahmen zum Schutz der Fledermauskolonie empfohlen hat und was in der dem Änderungsbescheid beigefügten naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung vom 16. Oktober 2017 von der Regierung beauflagt wurde. Das Gutachten vom 9. Juni 2017 wurde den Klägern bereits vor Erlass des Änderungsbescheides zugestellt. In einer dem Gutachten beigefügten Abbildung hatte der Fledermausexperte in das Luftbild von der Hofstelle auf dem Grundstück FlNr. 3172 Gemarkung … eingezeichnet, dass sich das bisherige Quartier der Fledermauskolonie an der südöstlichen Hauswand des alten Betriebsleiterwohnhauses befindet und das Ersatzquartier an der nach dem Abbruch neu entstehenden – nach Westen versetzten – Außenwand des übrig bleibenden landwirtschaftlichen Gebäudes entstehen soll. Dass die Maßnahmen diese Wand betreffen, ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Auflagen, da dort von der „neuen“ Außenwand bzw. Außenmauer die Rede ist und durch den Abbruch nur eine neue Außenwand bzw. Außenmauer entsteht. Hieran sollen nach Ziffer B.1 deckungsgleich zur alten Außenmauer wieder Windbretter in baugleicher Ausführung mit einem Abstand von 2-3 cm zum Balken angebracht werden. Die Anordnung in Ziffer B.2 ist ebenfalls hinreichend bestimmt. Dort hat das Landratsamt angeordnet, dass ein hohler Balken, der von den Fledermäusen als Quartier genutzt werden kann, beim Abriss erhalten bleiben und an der neuen Außenwand unterhalb des Dachvorstands angebracht werden soll. Aus dem Zusatz „ohne bauliche Funktion“ ergibt sich, dass der Balken keine tragende Funktion für den Dachstuhl haben soll. Gewollt ist also, dass der Balken lediglich als Quartier für die Fledermäuse angebracht wird. Für die Kläger ist daher hinsichtlich beider Auflagen – insbesondere in Zusammenschau mit dem Gutachten des Fledermausexperten – klar erkennbar, welches Tun von ihnen verlangt wird. Die Auflagen sind deshalb hinreichend bestimmt und genügen den Anforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
(2) Die Anordnungen in Ziffer B.1 und B.2 des Änderungsbescheids vom 17. November 2017 erfüllen die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 3 BayVwVfG.
Gemäß Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, nur dann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Die Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 wurde im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt, sodass vom Prüfungsmaßstab des Art. 59 BayBO auszugehen ist. Hierbei sind auch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften zu prüfen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach diesen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird, vgl. Art. 59 Abs. 1 Nr. 3 BayBO. Da im Hinblick auf den Natur- und Artenschutz ein formelles Prüfverfahren bei der unteren Naturschutzbehörde nicht vorgesehen ist, wird die einzelfallbezogene Prüfung öffentlicher Belange aufgrund von Konzentrationsnormen (§ 17 Abs. 1, § 18 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BNatSchG) ins Baugenehmigungsverfahren integriert. Vorliegend sind die Auflagen in Ziffer B.1 und B.2 ergangen, um dem Natur- und Artenschutzrecht Rechnung zu tragen. Die Ausnahmegenehmigung der Regierung gem. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG wurde u.a. unter den Auflagen erteilt, dass wieder Windbretter sowie ein beim Abriss zu erhaltender hohler Balken an der neuen Außenwand angebracht werden. Nur unter diesen Voraussetzungen wurde eine Ausnahme von den naturschutzrechtlichen Verbotstatbeständen in § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG gewährt. Insoweit sollen die nachträglich beigefügten Auflagen sicherstellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung erfüllt werden und ihr das Naturschutzrecht nicht entgegensteht. Die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG liegen somit vor. Darüber hinaus laufen die Auflagen in Ziffer B.1 und B.2 auch nicht dem Zweck der Baugenehmigung i.S.v. Art. 36 Abs. 3 BayVwVfG zuwider.
(3) Das Landratsamt hat sein Ermessen in Bezug auf die Auflagen in Ziffer B.1 und B.2 des Bescheids vom 17. November 2017 ordnungsgemäß ausgeübt.
Die Auflagen sind insbesondere nicht unverhältnismäßig, weil sie zum einen das mildere Mittel gegenüber einer vollständigen Aufhebung der erteilten Baugenehmigung darstellen und zum anderen die mit den Pflichten einhergehenden Kosten nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck des Natur- und Artenschutzes und den damit verbundenen Vorteilen stehen. Weder das Anbringen von baugleichen Windbrettern noch das Anbringen eines beim Abbruch zu erhaltenden hohlen Balkens führt bei den Klägern zu unverhältnismäßig hohen Kosten. Ziffer B.2 ordnet – entgegen dem klägerischen Vorbringen – auch nicht an, dass Teile der Dachkonstruktion erhalten bleiben müssen. Die Kläger sollen lediglich einen hohlen Balken, der zuvor Bestandteil des Dachs des alten Betriebsleiterwohnhauses war, beim Abriss erhalten und wieder an der neuen Außenwand anbringen. Die Kosten für die Gestaltung der neuen Außenwand als Ersatzquartier für die Fledermauskolonie sind somit vergleichsweise gering. Zur Erfüllung der Auflagen müssen lediglich neue Windbretter angeschafft werden müssen. Außerdem führen die Auflagen nicht dazu, dass der bereits bestandskräftig angeordnete Abriss des alten Betriebsleiterwohnhaues erschwert wird und hierbei höhere Kosten anfallen.
b) Die auf Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31 und 36 VwZVG beruhenden Zwangsgeldandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG gesetzte Erfüllungsfrist von sechs Wochen für das Anbringen der Windbretter und des hohlen Balkens nach dem Abbruch des alten Betriebsleiterwohnhauses angesichts des damit verbundenen geringen baulichen Aufwands nicht unangemessen kurz.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.