Verwaltungsrecht

Äthiopischer Staatsangehöriger, volljährig

Aktenzeichen  M 12 K 17.47736

Datum:
15.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46324
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
AsylG § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

I. 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2021 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II. 
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 31. August 2017 ist in vollem Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) weder Anspruch Asylanerkennung (Art. 16a GG) noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) – hierzu sogleich unter den Ziffer 1 bis 3.
Darüber hinaus hat das Bundesamt zu Recht festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zu Gunsten des Klägers bestehen – hierzu sogleich unter Ziffer 4.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig – hierzu sogleich unter Ziffer 5.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AslyG zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a) AsylG) und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.
Weitere Einzelheiten regeln die §§ 3a – d AsylG in Umsetzung der RL 2011/95/EU vom 20. Dezember 2011 (sog. Qualifikationsrichtlinie). Erforderlich ist demnach eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1, 2 AsylG, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgeht. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen (§§ 3d, 3e AsylG). Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere dieser Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine Verfolgungshandlung „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen. Die Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 13). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Zur Beurteilung, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist, muss das Gericht eine Verfolgungsprognose unter zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts anstellen. Maßgeblich ist hierbei der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32). Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – juris Rn. 31 ff; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Grundsätzlich obliegt es dem Asylsuchenden bzw. dem um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass er bei verständiger Würdigung einer Verfolgung im oben genannten Sinne ausgesetzt war bzw. eine solche im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen unter anderem Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.2.2014 – 1 A 1139/13.A – juris Rn. 35 m.w.N.).
Von den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, zu unterscheiden sind die in den allgemeinen Verhältnissen des Herkunftslandes liegenden Umstände, die eine begründete Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1 983 – 9 C 68.81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44 / juris Rn. 5). Hinsichtlich dieser Verhältnisse reicht es wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich – ihre Wahrheit unterstellt – hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 6 8.81 – juris Rn. 5). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018 – 1 Bf 81/17.A – juris Rn. 43 m.w.N.). In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte dabei regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnismittel gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen und die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu treffen (vgl. zum Vorstehenden OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 31-39).
Gemessen daran lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt und derjenigen in der mündlichen Verhandlung nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen, dass dem Kläger im Falle seiner hypothetischen Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
a. 
Insbesondere ergibt sich eine solche Bedrohung nach Überzeugung des Gerichts nicht aus dem seitens des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Vorfluchttatbestand, wonach der Kläger nach Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration sowie anschließender Verhaftung, Inhaftierung und Folter, während eines Krankenhausaufenthalts entkommen und einer Wiederergreifung durch Ausreise entgehen konnte.
(1) Die Tatsache, dass ein Asylsuchender bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 15). Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (EuGH, Urt. v. 2.3.2010, C-175/08 u.a., NVwZ 2010, 505 / juris Rn. 94). Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 – 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408 / juris Rn. 15). Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29/17 – NVwZ 2018, 1408 / juris Rn. 15).
(2) Jedoch ist der vom Kläger dargelegte Vorfluchttatbestand nach Überzeugung des Gerichts bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht glaubhaft.
Das Gericht folgt insoweit vollumfänglich den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG)* Der Kläger hat auch durch seine ergänzenden Angaben in der mündlichen Verhandlung das Gericht nicht von der Glaubhaftigkeit seiner Angaben betreffend seine Flucht aus dem Krankenhaus sowie der nicht zielführenden anschließenden Fahndung der Sicherheitsbehörden überzeugen können.
(3) Davon abgesehen ist bei der vom Kläger vorliegend als Vorfluchttatbestand geltend gemachten Art des Geschehens bereits ganz allgemein nicht davon auszugehen, dass Betroffene nach einer viele Jahre später erfolgenden Rückkehr nach Äthiopien noch immer einer hieraus (!) erwachsenden Verfolgung durch die äthiopischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind (zur ebenfalls geltend gemachten jüngeren exilpolitischer Betätigung – siehe sogleich die Ausführungen unter Ziffer b.
So sind seit seiner Flucht aus der Haft und seiner anschließenden Ausreise fast sieben Jahre verstrichen.
Weder verfügt Äthiopien über ein zentrales Fahndungs- und Strafregister (AA, Lagebericht v. 14.6.2021) noch hatte der Kläger damals eine zentrale Rolle oder Funktion in einer, auch noch derzeit als Terrororganisation eingestuften Widerstandsgruppe oder einer der auch noch derzeit staatlicher Verfolgung ausgesetzten Oppositionsgruppen inne, die dafür sorgen könnte, dass er sich auch nach so langer Zeit der Abwesenheit immer noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet.
Auch handelt es sich bei der vorliegenden Aktivität nicht etwa um die Beteiligung an militärischen Aktionen, sondern um eine einfache Teilnahme an einer der damals vielen Demonstrationen gegen den Masterplan der damaligen Regierung, die sich zudem seit 2018 gar nicht mehr an der Macht befindet (siehe hierzu z.B. AA – Lagebericht v. 17. Okt. 2018).
Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, sein Vater sei u.a. auch wegen ihm und seiner exilpolitischen Aktivität im Februar 2021 verhaftet und ermordet worden, was implizieren würde, dass sich der Kläger auch aktuell noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet. Jedoch hat der Kläger – wie sogleich unter Ziffer b. ausgeführt – weder seine exilpolitischen Betätigungen in der Bundesrepublik, die angeblich mit zur Inhaftierung und Tötung des Vaters geführt haben sollen, substantiiert dargelegt, geschweige denn nachgewiesen, noch die Umstände und Hintergründe des Todes seines Vaters substantiiert dargelegt – sogleich unter Ziffer c.
Angesichts der Tatsache, dass auch der seitens des Klägers vorgebrachte Vorfluchttatbestand („Demonstration – Haft – Flucht“) sich als unglaubhaft darstellt, ist zudem in der Gesamtschau die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des Klägers erheblich erschüttert.
(4) Davon abgesehen handelt es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Vorfluchttatbestand zudem bereits ganz allgemein um eine wenn überhaupt nur lokal bestehende, auf den jeweiligen Bundesstaat bzw. sogar die örtliche Region oder Stadt begrenzte Bedrohung, derer sich Betroffene durch Verlagerung ihres Wohnsitzes in eine andere Region oder einen anderen Bundesstaat, etwa in die Hauptstadt Addis Abeba, entziehen können (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 3 – S. 15), insbesondere da es, wie oben dargestellt, kein zentrales Fahndungs- und Strafregister gibt.
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27). Bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts durch den Asylbewerber ist die Kernfamilie bzw. eine intensive Form der Beistandsgemeinschaft einzubeziehen (vgl. Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.10.2021, § 3e AsylG Rn. 56 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien hervorgehenden allgemeine Lage sowie der individuellen Situation des Klägers ist davon auszugehen, dass es dem Kläger auch in einem anderen Landesteil gelingen wird, für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen – siehe hierzu die Ausführungen im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter Ziffer 4. a. und b. jeweils unter (1).
b. 
Nach Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger zudem auch keine Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG aufgrund seiner angeblich während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgeübten exilpolitischen Betätigung.
Zwar kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
Jedoch führt nach Überzeugung des Gerichts das angeblich seit 2016 bestehende Engagement des Klägers für die OLA zu keiner begründeten Furcht vor Verfolgung.
(1) Bis zum Regierungswechsel 2018 konnte die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führen. Dies hing vor allem davon ab, ob diese Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wurde, des Weiteren von Art und Umfang der exilpolitischen Aktivität (z. B. Organisation gewaltsamer Aktionen, führende Position) sowie ob und wie sich die Person nach ihrer Rückkehr in Äthiopien politisch betätigte – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14.
Mit dem Regierungswechsel 2018 und der nachfolgend eingeleiteten Entkriminalisierung der politischen Opposition wandelte sich zwar zunächst das politische Klima – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14. Dennoch fand weiterhin eine weitgehende nachrichtendienstliche Überwachung politischer Aktivitäten von im Ausland lebenden Äthiopiern statt – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14.
Angesichts des derzeitigen bewaffneten Konflikts zwischen der Zentralregierung und verbündeten regionalen Milizen auf der einen und der TPLF sowie verbündeter Gruppierungen, wie etwa der OLA, auf der anderen Seite ist jedoch wieder von einem verschärften Vorgehen gegen oppositionelle, den militärischen Widerstand gegen die Zentralregierung führende Organisationen und deren führende Mitglieder auszugehen.
(2) Zwar wurde die OLA, Anfang Mai 2021 von der äthiopischen Regierung als terroristische Vereinigung eingestuft – Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopen v. 1.5.2021.
Auch bezeichnet sich die sog. OLA-Taskforce Deutschland, deren Existenz dem Gericht gegenüber in einer Vielzahl anderer Verfahren mit äthiopischen Staatsangehörigen oromischer Volkszugehörigkeit geltend gemacht wurde, laut der darin vorgelegten Erklärung zwar als ausländische Unterstützungsorganisation der OLA. Jedoch ist bereits fraglich, ob die erst kürzlich gegründete sog. Taskforce tatsächlich Unterstützungsleistungen an die OLA erbringt, oder ob der Zweck der Gruppierung nicht eher asyltaktischer Natur ist. Entsprechende Nachweise für eine tatsächliche Unterstützung liegen dem Gericht nicht vor; gegenüber dem Gericht geltend gemacht wurde die Organisation in vielen Verfahren vielmehr erst in Zusammenhang mit der Einstufung der OLA als Terrororganisation).
(3) Zudem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, kein Mitglied der Organisation zu sein, sondern lediglich Unterstützer. Abgesehen davon, dass er die Art seiner Unterstützung weder näher ausgeführt oder Nachweise hierfür vorgelegt hat, ist seine Rolle jedenfalls als zu gering einzustufen, als dass davon ausgegangen werden muss, dass er sich auf dem Radar der äthiopischen Sicherheitsbehörden befindet.
(4) Zwar hat der Kläger angegeben, sein Vater sei u.a. auch wegen der exilpolitischen Betätigung des Klägers im Februar 2021 inhaftiert und später ermordet worden, was implizieren würde, dass sich der Kläger auch aktuell noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet. Jedoch hat der Kläger – wie sogleich unter Ziffer c. näher ausgeführt – die Hintergründe für das o.g Geschehen in keinster Weise substantiiert dargelegt.
(5) Überdies ist ganz allgemein anzumerken, dass nicht jegliches Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen aktive Mitglieder militanter Gruppierungen per se als (politische) Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff AsylG anzusehen ist.
Derzeit kommt es im Westen und Süden des Bundesstaates Oromia regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Äthiopischen Armee und Kämpfern der OLA – Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23.
Die OLA wird nicht nur für Attacken gegen militärische Ziele sowie die gezielte Tötung von Amtsträgern oder Personen, die loyal zur Regional- oder Bundesregierung stehen verantwortlich gemacht (Aljazeera: Worsening violence in western Ethiopia forcing civilians to flee, 20.02.2021, https://www.aljazeera.com/news/2021/3/20/ worsening-violence-western-ethiopia-forcing-civilians-to-flee (Abruf 17.05.2021)), sondern auch für teils massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung bis hin zu gezielten ethnische Säuberungen sowie für Angriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, insbesondere seit große Teile der äthiopischen Sicherheitskräfte in die Region Tigray verlegt wurden.
Opfer der Übergriffe bzw. ethnischen Säuberungen sind vor allem Angehörige der Volksgruppe der Amharen (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group (Abruf 17.05.2021); Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23) sowie religiöse Minderheiten, insbesondere orthodoxe Christen (United States Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Ethiopia, 11.06.2020, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-freedom/ethiopia/ (Abruf 17.05.2021)). Berichtet wird von Tötungen, Plünderungen, insbesondere dem Raub von Vieh sowie dem Niederbrennen von Kirchen und ganzen Dörfern.
So wurden etwa Anfang November 2020 in der Kebele Gawa Qanqa (Guliso Distrikt, West Wollega – Grenzregion zum Regionalstaat Benishangul-Gumuz) mindestens 54 Menschen getötet, das Dorf geplündert, Vieh gestohlen und Häuser in Brand gesetzt (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group(Abruf 17.05.2021)). Im Dezember 2020 kam es in der Grenzregion zum Bundesstaat Amhara zu Tötungen, Plünderungen und dem Niederbrennen von Kirchen (The Economist: Ethnic violence threatens to tear Ethiopia apart, 02.11.2019, https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2019/11/02/ethnic-violence-threatens-to-tear-ethiopia-apart (Abruf 17.05.2021)).
Anfang Mai 2021 erklärte die äthiopische Regierung die OLA daher zur terroristischen Vereinigung (Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopen v. 1.5.2021).
Sofern die äthiopischen Sicherheitskräfte vor diesem Hintergrund gegen Kämpfer und aktive Unterstützer der OLA vorgehen, handelt es sich grundsätzlich nicht um eine gezielte Verfolgung oppositioneller oromischer Volkszugehöriger allein wegen deren politischer Überzeugung, sondern um legitime Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts bzw. zur Abwehr allgemeiner Gefahren (BayVGH, B.v. 1.4.2021 – 3 ZB 20.32507 – Rn. 37).
c. 
Auch soweit der Kläger ausführt, aufgrund der Aktivitäten bzw. politischen Überzeugungen seines getöteten Vaters sowie seines geflüchteten Bruders im Falle der Rückkehr nach Äthiopien seitens der Sicherheitsbehörden in „Sippenhaft“ genommen zu werden, führt nach Überzeugung des Gerichts zu keiner begründeten Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG.
(1) So hat der Kläger geltend gemacht, sein Vater sei nicht nur wegen seiner Mitgliedschaft bei der OLF inhaftiert und getötet worden, sondern auch sozusagen im Wege der Sippenhaft wegen der exilpolitischen Betätigung des Klägers, seines Sohnes. Allerdings hat der Kläger, wie oben unter b. ausgeführt, weder substantiiert dargelegt geschweige denn nachgewiesen, dass und wie er sich in der Bundesrepublik überhaupt exilpolitisch betätigt hat, so dass nicht ersichtlich ist, wie die äthiopischen Sicherheitsbehörden hiervon erfahren hätten und weshalb sie auf solch drastische Weise gegenüber einem Familienmitglied des Täters hätten reagieren sollen.
(2) Aber selbst wenn die Inhaftierung und Tötung des Vaters sowie die Flucht des Bruders lediglich aufgrund von deren Mitgliedschaft bei der „OLF“ (welche in dieser Form spätestens seit Anfang 2019 nicht mehr als einheitliches Gebilde existiert, sondern vielmehr in verschiedene, teils militante, teils mit der Regierung zusammenarbeitende Gruppierungen zerfallen ist – AA – Lagebericht v. 24. Apr. 2020 – S. 7-8) bzw. der OLA (eines militanten, von der OLF abgespaltenen Arms), hat der Kläger nicht nur nicht ausgeführt, weshalb er diese Geschehnisse gegenüber dem Gericht erst im September 2021 geltend gemacht hat, sondern auch die Hintergründe von Inhaftierung und Ermordung seines Vaters sowie Flucht des Bruders in keinster Weise substantiiert dargelegt.
In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass die Angaben des Klägers, seinen eigenen Vorfluchttatbestand betreffend, ebenfalls unglaubhaft sind (s.o.), so dass in der Gesamtschau bereits ganz generell Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers bestehen. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass der Kläger aus asyltaktischen Gründen versucht, auf Basis realer allgemeiner Umstände sowie etwaige sogar tatsächlich eingetretener persönlicher Umstände (etwa ein etwaiger Tod des Vaters oder eine etwaige, aus anderen Gründen erfolgende Ausreise seines Bruders) mittels Einfügen fiktiver Elemente (OLA-Mitgliedschaft von Bruder / Vater) einen asylrechtlichen Verfolgungstatbestand zu seinen Gunsten zu kreieren.
2.
Aus den gleichen Gründen besteht auch kein Anspruch auf Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG.
Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz (GG) und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter liegen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls nicht vor.
3.
Der Kläger hat über dies auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a. 
Davon, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien infolge des geltend gemachten Vorfluchttatbestandes oder seiner angeblichen exilpolitischen Betätigung ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr.2 AsylG (Todesstrafe / Folter / unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) droht, hat der Kläger das Gericht, wie bereits soeben im Rahmen der §§ 3 ff AsylG dargelegt, nicht überzeugen können. Auch finden die Regelungen über den Internen Schutz nach § 3e AsylG über § 4 Abs. 3 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG Anwendung, so dass auch insoweit auf die zur Flüchtlingseigenschaft gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.
b. 
Auch mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den Konflikt zwischen TPLF und Bundesregierung im Norden Äthiopiens, in den Bundesstaaten Tigray sowie in Teilen der Bundesstaaten Afar und Amhara st keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Einreise des Klägers über den Internationalen Flughafen von Addis Abeba und einer Weiterreise von dort in seine Heimatregion im östlichen Teil des Bundesstaates Oromia wird der Kläger mit dem Kampfgebiet nicht in räumlichen Kontakt kommen.
4.
Des Weiteren bestehen zu Gunsten des Klägers auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid allein eine Abschiebung nach Äthiopien angedroht hat, kommt es für die Feststellung von Abschiebungsverboten ausschließlich auf die Situation in Bezug auf Äthiopien an.
Einer Abschiebung des Klägers nach Äthiopien stehen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegend nicht entgegen.
Insbesondere besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken – sogleich unter a. sowie b. jeweils unter (1).
a. 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
(1) Eine Verletzung von Art. 3 EMRK (sowie von Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (siehe § 3c AsylG), fehlt, wenn die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Hygiene und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12 m.v.N.). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41 738/10, Paposhvili/Belgien – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/1, C.I. u.a. – NVwZ, 691, Rn. 68). Dieses Mindestmaß kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden menschenunwürdigen Verelendung setzt dabei keine „Extremgefahr“ voraus, die für die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG notwendig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018, 1 B 25.18 – juris Rn. 13). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Rechtsprechung (EuGH, Urteile v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – JZ 2019, 999, Rn. 89 ff., und C-163/17, Jawo, InfAuslR 201 9, 236, Rn. 90 ff.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 21.1 .2 0 1 1, 30696/09, M.S.S. / Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 252 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12; OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 – 1 Bf 132/17.A – juris, Rn. 39).
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung am 10. September 2021 nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken.
Das Gericht folgt insoweit zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht hinsichtlich der bereits dort berücksichtigten Punkte von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
Auch bei Berücksichtigung von Umständen, die erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetreten sind, wie etwa die sich durch Heuschreckenplage, Dürrekatastrophe, Tigray-Konflikt und COVID-19-Pandemie / in diesem Zusammenhang national wie international ergriffener Maßnahmen ergebenden Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage, Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Äthiopien geht das Gericht davon aus, dass es dem Kläger weiterhin möglich sein wird, für sein Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls mit zusätzlicher Unterstützung seiner Familie decken zu können.
(2) Auch ist den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien nicht zu entnehmen, dass derzeit in der Hauptstadt Addis Abeba, über dessen Internationalen Flughafen eine Abschiebung aus der Bundesrepublik nach Äthiopen in der Regel erfolgt (siehe AA, Lagebericht v. 14. Juni 2021, S. 20 f) oder in der im östlichen Teil des Bundesstaates Oromia gelegenen Herkunftsregion des Klägers, derzeit eine Situation allgemeiner Gewalt herrscht.
Derzeit kommt es nur westlichen, südlichen Teil sowie an der Grenze zum Bundesstaat Amhara zu gewaltsamen Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Kämpfern der OLA (AA – Lagebericht v. 14. Juni 2021 – S. 6).
b. 
Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ im Sinne der Norm genügt nicht jede bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in geschützte Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist auch hier der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht.
(1) Liegen – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. VGH Bad.-Württ., U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris Rn. 282).
(2) Auch in Äthiopien derzeit bestehende allgemeine Gesundheitsgefahren begründen vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten des Klägers. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Ansteckung mit dem auch in Äthiopien grassierenden Sars-Cov-2-Virus und einer anschließenden COVID-19-Erkrankung.
Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine (hier: Gesundheits) Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wie etwa die sämtliche Menschen in Äthiopien treffende Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus und einer daran anschließenden COVID-19-Erkrankung, wird Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Allerdings kann ein Ausländer in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch bei Fehlen einer solchen generellen Regelung ausnahmsweise dann individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund der im Zielstaat herrschenden allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn in diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
Zwar besteht auch für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien, wie für jeden anderen Menschen in Äthiopien auch, die Gefahr, sich dort mit SARS-CoV-2 anzustecken und infolge dessen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Jedoch ist die Gefahr hinsichtlich des Klägers nicht derart extrem, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien „sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgesetzt würde (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 -, juris Rn. 16) und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entfällt.
So kann eine COVID-19-Erkrankung zwar bei schwerem Verlauf zum Tod führen oder zumindest schwere, dauerhafte bzw. lange andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch hängt der Grad der Gefahr, im Falle eines schweren Verlaufes zu sterben, neben individuellen Faktoren wie etwa der gesundheitlichen Disposition des Erkrankten sowie der bei Ansteckung ausgesetzten Virusmenge u.a. auch von allgemeinen Umständen wie Qualität und Kapazitäten der vor Ort vorhandenen medizinischen Behandlung (Personal / Intensivbetten / Sauerstoff etc.) sowie den vor Ort ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Jedoch ist der Kläger jung, gesund und ohne Vorerkrankungen und weist auch im Übrigen keinen Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion auf.
(3) Individuelle gesundheitliche Gründe in der Person des Klägers, die einer Abschiebung nach Äthiopien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
5.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbotes begegnen keinerlei rechtlichen Bedenken.
Klarzustellen ist hierbei, dass die nach § 11 Abs. 1 AufenthG a. F. getroffene Entscheidung über die Befristung eines gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes unter Geltung des am 21.08.2019 in Kraft getretenen § 11 AufenthG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.08.2019 (BGBl I, Satz 1294) als behördliche Anordnung eines solchen Verbots auszulegen ist (vgl. zur zuvor erfolgten Auslegung in Übereinstimmung mit der RL 2008/115/EG – Rückführungsrichtlinie – BVerwG, Beschluss v. 13.07.2017 – 1 VR 3/17, juris).
Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Bundesamt insoweit nicht (mehr) i. S. d. § 114 Satz 1 VwGO pflichtgemäß von dem ihm nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffneten Ermessen bezüglich der Länge der Frist Gebrauch gemacht hätte.
III. 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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