Verwaltungsrecht

Afghanistan: Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 1 K 19.30257

Datum:
4.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20315
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Der Erkenntnismittellage zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban in Afghanistan lässt sich zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, dass es sich jedoch um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in der Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (Anschluss an BVerwG BeckRS 2013, 49252). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan ergibt sich derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe (Anschluss an VGH München BeckRS 2019, 245). (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 17. März 2017 ist einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine landesweite asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. §§ 3a ff. AsylG droht.
1. Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Vorliegend hat der Kläger nicht glaubhaft und überzeugend darlegen können, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes aufhält. Er hat bereits nicht zur Überzeugung des Gerichts eine Vorverfolgung nachvollziehbar dargelegt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bezüglich seiner Fluchtgründe ausgeführt, dass er Probleme mit den Taliban gehabt habe. Er habe in einer privaten Fabrik in Kabul gearbeitet, welche Kleidung für das Militär und Polizisten produzierte. Die Taliban hätten in seinem Dorf gewohnt. Sie hätten ihn mehrfach angesprochen und erwartet, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Sie hätten ihm gesagt, dass er keine Chance habe weiterzuleben, wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeite. Er habe nicht nach Hause oder auf die Straße gekonnt, weil die Taliban ihn gesucht hätten. Einmal hätten sie ihn auf einen Berg mitgenommen. Dort hätten sie mit ihm gesprochen und ihn geschlagen. Sie hätten wieder gefragt, wieso er nicht mit ihnen, sondern in der Fabrik arbeite. Die Taliban hätten ihn dann dort alleine gelassen, weil sie etwas zu tun gehabt hätten, dann sei er geflohen. Ein Schäfer habe ihm geholfen den richtigen Weg zu seinem Dorf zu finden. Dann sei er nach Kabul gegangen und von dort aus etwa 14 – 15 Tage später aus Afghanistan ausgereist. Sie hätten auch seinen Vater angesprochen und nach ihm gefragt. Sie hätten wissen wollen wo er sich aufhalte. Er habe noch Verwandte in Afghanistan, zu ihnen habe aber keinen Kontakt mehr.
Der vom Kläger angegebene Fluchtvortrag kann ihm in Gänze nicht abgenommen werden, da er insgesamt sehr vage, unsubstantiiert und detailarm geblieben ist. Der Kläger war nicht in der Lage konkrete und nachvollziehbare Einzelheiten darzulegen. Gegenüber dem Vortrag des Bundesamtes enthält er eine Reihe von Widersprüchen. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck vermitteln können, dass er von tatsächlich erlebten Ereignissen berichtet. Auf die Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, wie die Taliban vorgegangen sind, als sie ihn mitgenommen haben, erklärte der Kläger ausweichend und vage, dass sie ihn mitgenommen hätten. Erst nach mehrmaliger Nachfrage erklärte der Kläger, dass es viele Taliban gewesen seien, die ihn festgehalten und dann mitgenommen hätten. Auf weitere Nachfrage, dass er beim Bundesamt angegeben habe, dass die Taliban ein Tuch mit einer Substanz drauf gehabt hätten, welches ihm an die Nase gehalten und er bewusstlos geworden sei, antwortete der Kläger in der mündlichen Verhandlung hierzu widersprüchlich, dass die Taliban dies nicht getan hätten. Vielmehr hätten dies Diebe auf seiner Flucht von Afghanistan nach Deutschland getan. Ebenfalls vage und unsubtantiiert blieben die Ausführungen im Hinblick auf die Frage, wie er es geschafft habe zu fliehen. So gab der Kläger zunächst nur an, ein Schäfer habe ihm den Weg nach Hause gezeigt. Erst nach Nachfrage erklärte der Kläger dass die Taliban ihn alleine gelassen hätten, da sie etwas zu tun gehabt hätten und er daraufhin geflohen sei und er dann einen Schäfer angetroffen habe. Insofern erscheint es ungereimt, wieso die Taliban sich zunächst die Mühe gemacht haben den Kläger mitzunehmen und ihn dann ohne für sie nennbaren Erfolg alleine gelassen haben. Auch gab der Kläger hierzu widersprüchlich beim Bundesamt an, dass zur Zeit seiner Flucht weiterhin 2 bis 3 Taliban bei ihm gewesen seien, welche jedoch nicht auf ihn geachtet hätten. Zudem gab der Kläger nunmehr erstmals in der mündlichen Verhandlung an, von den Taliban geschlagen worden zu sein. Bei dem Vortrag beim Bundesamt hingegen wurde nur angegeben, dass der Kläger von den Taliban angesprochen worden sei. Zudem ist widersprüchlich, dass der Kläger vor dem Bundesamt angab sich nach diesem Vorfall bei seinem Onkel mütterlicherseits in Mitharlam aufgehalten zu haben, während er nunmehr in der mündlichen Verhandlung angab nach Kabul geflohen zu sein. Ein weiterer Widerspruch ergibt sich daraus, dass der Kläger nunmehr angab eine Tante väterlicherseits in Afghanistan zu haben, während beim Bundesamt vorgetragen wurde, dass die Tanten väterlicherseits bereits verstoben seien. Aufgrund der vorgenannten Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten kann dem Kläger sein Fluchtvorbringen nicht abgenommen werden. Insofern ist der Kläger nicht bereits vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist.
2. Der Kläger hat auch im Rückkehrfalle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach § 3 AsylG in Form der zwangsweisen Rekrutierung durch die Taliban zu befürchten.
Die Erkenntnismittellage zu Zwangsrekrutierungen in Afghanistan durch die Taliban stellt sich wie folgt dar:
Der UNHCR erläutert im fraglichen Zusammenhang, dass in Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen die Kontrolle über die Bevölkerung ausübten, eine Vielzahl von Mechanismen bestehe, um Kämpfer zu rekrutieren, einschließlich durch Zwangsmaßnahmen. Personen, die sich einer Rekrutierung widersetzten und deren Familienmitglieder, seien Berichten zufolge dem Risiko der Bestrafung bzw. Tötung ausgesetzt. Es existierten zudem Berichte, dass regierungsfeindliche Gruppen weiterhin auch Kinder für ihre Zwecke rekrutierten. Daher könnten Männer im kampffähigen Alter oder Kinder, die sich einer zwangsweisen Rekrutierung widersetzt hätten, abhängig von den Umständen des Einzelfalles des internationalen Flüchtlingsschutzes bedürfen (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 52 ff.).
Auch im EASO-Bericht vom September 2016 (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Recruitment by armed groups, September 2016, S. 22) sowie vom Juni 2018 (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis, S. 46) wird bestätigt, dass Fälle von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan als außergewöhnlich zu bezeichnen sind, da die Taliban keinen Mangel an freiwilligen Kämpfern hätten. Rekrutierungen könnten etwa bei Personen mit einem militärischen Hintergrund und in Situationen vorkommen, in denen die Taliban akut unter Druck stünden. Es lägen Informationen vor, dass auch Kinder rekrutiert würden. Der Zwang, sich den Taliban anzuschließen, sei nicht immer gewalttätiger Natur und würde je nach den örtlichen Gegebenheiten, auch durch die Familie, den Clan oder religiöse Netzwerke ausgeübt. Die Ablehnung einer Rekrutierung könne schwerwiegende Folgen haben bis hin zu schweren Körperverletzungen und Tötungen.
Das Bundesasylamt der Republik Österreich hat in seiner Staatendokumentation vom 2. April 2012 zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban ausgeführt, es gebe eine Vielzahl von Gründen, warum sich in Afghanistan Menschen den Taliban anschließen. Ein wesentlicher Faktor seien Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung. So werde die Beteiligung am Aufstand als Möglichkeit gesehen, sich und die eigene Familie zu versorgen. Bis zu 70% der Taliban sollen aus jungen arbeitslosen Männern bestehen, die versuchten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Vor allem Flüchtlingslager in Afghanistan und Pakistan und die dortigen schlechten Lebensumstände schienen die Rekrutierung zu begünstigen. Ein weiterer Grund, sich den Taliban anzuschließen, könne auch in der persönlichen Rache für die Tötung von Angehörigen liegen. Außerdem gelinge es den Taliban immer wieder geschickt, lokale Konflikte auszunutzen, um neue Verbündete zu finden. Vor diesem Hintergrund einer Vielzahl ökonomischer, machtpolitischer und ideologischer Beweggründe, sich den Taliban anzuschließen, basiere die tatsächliche Rekrutierung jedoch im Wesentlichen auf den persönlichen Kontakten zu lokalen Kommandanten und Mullahs bzw. es würden Personen in Koran-Schulen angeworben und indoktriniert. Eine Facette der Politik der Taliban gegenüber der Bevölkerung liege in der Vermeidung lokaler Konflikte. So suchten die Taliban die Unterstützung der Dorfältesten, bevor sie in ein Gebiet eindringen würden. Seit ihrem Sturz versuchten die Taliban, alle zu rekrutieren, die ihre Herrschaft in den 1990er Jahren unterstützt und mit der Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 an Einfluss verloren hätten. In einigen Fällen seien das auch Nicht-Paschtunen. Grundsätzlich scheine die Zwangsrekrutierung im Sinne einer Rekrutierung durch Waffengewalt eher ein Randphänomen zu sein. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass die allgemeine Quellenlage über Rekrutierung durch die Taliban rar sei. Auffällig sei, dass die Fälle von Zwangsrekrutierung mit Waffengewalt sich nach den vorliegenden Quellen ausschließlich in Pakistan zugetragen hätten. Es gebe keine Berichte über konkrete Fälle aus jüngerer Zeit. Die Mehrheit der Kämpfer scheine sich freiwillig den aufständischen Gruppen anzuschließen. Gehe man davon aus, dass die Taliban in einem nicht geringen Ausmaß auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung beim Kampf gegen die Regierung und die internationalen Gruppen angewiesen seien und die Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern sehr zweifelhaft sei, sei eine Politik der Zwangsrekrutierung auch kontraproduktiv. Dies würde die eigene Schlagkraft schwächen und den Widerstand der Bevölkerung provozieren. Dieser Befund decke sich auch mit der Feststellung, dass die Taliban bemüht seien, Konflikte mit der lokalen Bevölkerung weitestgehend zu vermeiden, indem sie die lokalen Würdenträger vor dem Beginn ihrer Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet in Kenntnis setzten und ihre Zustimmung einholten. Wenn überhaupt, gehe man davon aus, dass es nur in von Taliban kontrollierten Gemeinschaften zu Zwangsrekrutierungen gekommen sein könne.
ACCORD führt in der Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban, vom 13. August 2018 darüber hinaus zusammenfassend aus, dass Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert seien, diese aber Ausnahmen darstellten (unter Bezugnahme auf: Landinfo, Norwegian Country of Origin Information Center: Afghanistan: Rekruttering til Taliban, 29.6.2017). Grundsätzlich beruhe die Mobilisierung lokaler Unterstützung auf einer Kombination aus Drohung und Einbindung. Mit zunehmender militärischer Stärke seien die Taliban weniger auf gute Beziehungen zur lokalen Bevölkerung angewiesen. Weitere Gründe für Gemeinschaften, lokale Machthaber oder Familienoberhäupter zu kooperieren und zum Beispiel ihre Söhne als Kämpfer zur Verfügung zu stellen, seien ökonomische Not, aber auch ideologische Überzeugung. Die Taliban seien im Vergleich zu ihrer ersten Herrschaftszeit bemühter, soziale Verankerung innerhalb der lokalen Gemeinschaften zu erreichen. Mitunter gebe es auch Spielraum für Verhandlungen, wenn sich Forderungen glaubwürdig als nicht erfüllbar oder existenzbedrohlich herausstellten. Besondere Zielgruppe in der Rekrutierung von Informanten seien Angehörige der Sicherheitskräfte, der Polizei, Regierungsmitarbeiter und des NDS. Offiziell müssten zwei Warnungen ergehen, bevor ein Betroffener zur Tötung freigegeben werde. Meistens seien die Drohungen bei Nichterfüllung offen benannt, manchmal jedoch auch implizit, was sie nicht weniger bedrohlich mache. Die praktischen Konsequenzen einer Verweigerung reichten von Entführungen über Verstümmelungen bis hin zum Mord an dem Betroffenen oder Verwandten (unter Bezugnahme auf: Friederike Stahlmann: Gutachten Afghanistan vom 28.3.2018 – diese u.a. unter Bezugnahme auf Giustozzi, Antonio: Afghanistan: Taliban´s organization und structure, 23.8.2017 und IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Afghanistan: Night letters, 10.2.2015). Die traditionelle Methode der Taliban-Rekrutierung funktioniere über religiöse Netzwerke von Familien, Stämmen und ethnischen Gruppen vor Ort und lokale spezialisierte Zellen in Afghanistan und bedeutende Rekrutierungspools in Pakistan. Die Rekrutierung erfolge in der Regel, weil jemand Mitglied einer Stammes- oder Verwandtschaftsgruppe sei und von Ältesten angewiesen werde sich anzuschließen. Die Rekrutierung erfolge nicht notwendigerweise auf ideologischer Basis, sondern könne durch Anreize für Einzelpersonen sowie durch Zwang oder direkte Drohungen erfolgen. Personen würden am ehesten durch Stammes-, Clan- oder Familienbande rekrutiert. Es gebe nur begrenzte Beweise dafür, dass bewaffnete Gruppen Drohungen und Zwang anwenden würden, um Einzelpersonen zu zwingen, sich ihnen anzuschließen. Es gebe generell eine Reihe von Faktoren, sich den Taliban anzuschließen, darunter soziale und wirtschaftliche Faktoren, wirtschaftliche Anreize, persönlicher Status und die Gelegenheit, Ruhm zu erlangen (Giustozzi, a.a.O.).
Dr. M1. D1. führt in seinem Gutachten vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu der Frage, ob in den letzten Jahren in Afghanistan Fälle von Rückkehrern aus dem Ausland oder von Binnenflüchtlingen bekannt geworden seien, die in der Stadt Kabul von den Taliban aufgespürt und getötet oder bestraft worden seien, weil sie sich durch Flucht einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, und wenn ja, wie häufig dies vorkomme, aus, ihm seien drei Personen bekannt geworden, die hätten zwangsrekrutiert werden sollen und nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan erneut von den Taliban behelligt worden und daraufhin ein weiteres Mal geflohen seien. Des Weiteren berichtet er über zwei weitere Fälle von Binnenflüchtlingen, die aus ihrer Heimatregion geflohen und in der Hauptstadt Kabul von den Taliban wiederum bedroht worden seien. Es gebe keine Statistik über solche Fälle, aber Informanten berichteten, dass es häufig zu Fällen komme, in denen junge Männer getötet würden und Gerüchte wollten wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handele. Konkret könne er die Frage nach der Häufigkeit solcher Racheaktionen nicht beantworten. Zur weiteren Frage, ob die Taliban in Kabul über Netzwerke verfügten, mittels derer sie gezielt Nachforschungen anstellten, ob sich unter Rückkehrern und Binnenflüchtlingen Personen befinden, die sich in ihrer Heimatregion einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, erklärt Herr Dr. D1., konkret könne er diese Frage nicht beantworten, seine Informanten hätten bei ihren Recherchen nicht feststellen können, ob innerhalb der Informationszentren der Taliban Strukturen existierten, die dazu dienten, nach solchen Personen zu suchen. Seine Kollegen seien jedoch der Überzeugung, dass die Taliban selbst in der Hauptstadt zwangsrekrutierten. Ob die Taliban in den genannten Fällen, in denen sie abgeschobene Personen ein zweites Mal zu rekrutieren versuchten, gezielt nach ihnen gesucht hätten, könne er nicht beantworten. Er müsse davon ausgehen, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Auf die weitere Frage, ob Rückkehrer und Binnenflüchtlinge, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, einer erhöhten Gefahr ausgesetzt seien, in Kabul von den Taliban entdeckt zu werden, wenn sie aus einer Region im näheren Umkreis von Kabul stammten, führt Dr. D1. aus, dass es vor allem darauf ankomme, ob sie einem paschtunischen Stamm angehörten, aus dem viele Taliban kämen. Dann sei eine solche Person in Kabul leichter zu identifizieren als jemand, der aus einem nicht-paschtunischen Volk stamme.
Dies zugrunde gelegt besteht nach Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchten müsste, durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft oder gar getötet zu werden. Der Erkenntnismittellage lässt sich nämlich insoweit zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, dass es sich jedoch bei Zwangsrekrutierungen um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in der Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dies scheint aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und der hohen Arbeitslosigkeit auch zwanglos nachvollziehbar. Die Taliban sind also in der Lage, auf einen sehr großen Pool an freiwilligen Kämpfern und Unterstützern zurückzugreifen. Auch die Tatsache, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban unverzichtbar ist, stützt die Annahme, dass es sich bei zwangsweisen Rekrutierungen allenfalls um ein Randphänomen in Afghanistan handelt. Schließlich ist auch für die Taliban vorhersehbar, dass zwangsweise rekrutierte Menschen allenfalls eine eingeschränkte Motivation und Zuverlässigkeit bieten und daher für die eigenen Zwecke wenig zielführend sind. Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Darstellung des Dr. D1. erschüttert. Er berichtet in seinem Gutachten von insgesamt fünf konkreten Personen, die nach einem erfolglosen Zwangsrekrutierungsversuch durch die Taliban erneut von diesen behelligt worden seien, sich dann aber erneut durch Flucht entzogen hätten. Dass derartige Fälle im Einzelfall vorkommen, ergibt sich jedoch bereits aus den anderen ausgewerteten Erkenntnismitteln. Die darüber hinausgehenden Aussagen des Dr. D1. sind jedoch ausgesprochen vage und geben teilweise nur Gerüchte wieder. Sie beruhen nach Auffassung des Gerichts nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage und lassen keinen tragfähigen Erkenntnisgewinn über die anderweitigen Erkenntnismittel hinaus zu. Das verbleibende Restrisiko, nach einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise von den Taliban rekrutiert oder nach einer Verweigerung derselben bestraft zu werden, ist nach alledem als gering einzustufen, jedenfalls besteht nach Überzeugung des Gerichts nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür.
3. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert auch daran, dass vorliegend keiner der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe einschlägig ist. Nach Überzeugung des Gerichts ist anzunehmen, dass Personen, die zwangsrekrutiert werden sollen, keine bestimmte soziale Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bilden, da diese bereits keine deutlich abgegrenzte Identität in Afghanistan besitzen und auch von der sie umgebenden Gesellschaft nicht als andersartig betrachtet werden. Darüber hinaus ist auch das Merkmal der politischen Überzeugung nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG vorliegend nicht einschlägig; dies gilt auch unter Berücksichtigung von Abs. 2 der genannten Vorschrift, wonach eine vom Verfolger unterstellte politische Überzeugung ausreichend ist. Die alleinige Nichtbeteiligung an einer Organisation bzw. deren finanzielle Nichtunterstützung kann noch nicht zu der Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen diese Organisation führen. Eine gegenteilige Einschätzung ist der Erkenntnismittellage nicht zu entnehmen. Es ist vielmehr – weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig – etwas dafür ersichtlich, dass die geltend gemachte Verfolgung gerade aus Gründen einer dem Kläger selbst unterstellten politischen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung gegen die Taliban erfolgt, was Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wäre.
4. Unabhängig von diesen Ausführungen droht dem Kläger im Herkunftsland Afghanistan jedenfalls keine landesweite Verfolgung. Für den Fall, dass ihm in seiner Heimatdorf tatsächlich Verfolgung droht, gegen die ihm wegen der politischen Mehrheitsverhältnisse in diesem Landesteil kein wirksamer staatlicher Schutz im Sinne von § 3d AsylG gewährt wird, steht ihm im Herkunftsland eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (interner Schutz) im Sinne des § 3e AsylG zur Verfügung.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor solcher Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftiger Weise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Beim internen Schutz sind nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Antragstellers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zu berücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20) und erfordert eine Einzelfallprüfung (ständige Rechtsprechung, z.B. BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 13a ZB 13.30252 – juris Rn. 4; B.v. 11.12.2013 – 13a ZB 13.30185 – juris Rn. 5). Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3e Rn. 24 ff., insbesondere 31, 32).
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in Mazar-e Sharif und Herat internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger andernorts, insbesondere in den genannten Großstädten, ausfindig gemachen werden könnte, zumal in Afghanistan kein funktionierendes Meldewesen existiert. Bei dem Kläger handelt es sich nämlich in keiner Weise um ein hochrangiges Verfolgungsziel, das allein ein aktuell noch fortbestehendes Interesse der Taliban oder anderer Gruppen an dessen Ergreifung auch in Mazar-e Sharif oder Herat nahelegen könnte. So hat sich der Kläger weder zu irgendeinem Zeitpunkt aktiv gegen die Taliban engagiert noch weist er besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten auf, die ein besonderes Augenmerk der Taliban auf den Kläger nahelegen könnten. Darüber hinaus würde der Kläger seinen Aufenthaltsort über Provinzgrenzen hinweg in Großstädte wechseln, was seine Sicherheit nochmals signifikant erhöhen würde.
Der Kläger könnte darüber hinaus über die dortigen Flughäfen sicher und legal nach Mazar-e Sharif und Herat reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 31. Mai 2018 aus, dass Afghanistan trotz der Verbesserung der Lebensbedingungen für viele Afghanen in den letzten 15 Jahren weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2016 lediglich Rang 169 von 188 im Human Development Index belegt habe. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von den Nachwirkungen des Abzugs bis 2014 in größerer Zahl präsenter internationaler Truppen, die schwierige Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Zugleich gebe es erhebliche Bemühungen internationaler Partner zur Wirtschaftsbelebung. In 2017 habe das Wirtschaftswachstum 2,6% betragen. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 39% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum von rund 2,4% im Jahr (d.h. Verdopplung der Bevölkerung innerhalb einer Generation) sowie die große Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer aus den Nachbarländern stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch (vgl. diesbezüglich: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 22). Die Ausweichmöglichkeiten würden maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage abhängen. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz (so auch BFA Österreich, Fact Finding Mission Report Afghanistan, April 2018). Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. IOM biete Unterstützung bei der Ankunft in Kabul mit bis zu zweiwöchiger Unterkunft und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits. Auch die Bundesrepublik Deutschland fördere Reintegrationsprojekte.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Gefährdungsprofile vom 12.9.2018, S. 14 ff.) führt aus, dass die Armutsrate in Afghanistan weiter angestiegen sei und inzwischen 54,5% betrage; 8,7 Millionen Menschen lebten in chronischer Not. Die Lebensmittelunsicherheit sei von 30% auf 45% (2016/17) angestiegen, 1,9 Millionen Menschen lebten in gravierender Lebensmittelunsicherheit. Sämtliche Provinzen seien betroffen, insbesondere umkämpfte Gebiete sowie Städte. 76% der afghanischen Bevölkerung lebten in ländlichen Gebieten und seien von der wenig produktiven Landwirtschaft abhängig. 2018 habe eine Dürre im ganzen Land zu einer Verschärfung der Situation beigetragen. Rund 24% aller potentiell Erwerbstätigen seien arbeitslos; zudem herrschten Unterbeschäftigung, Jobunsicherheit und schlechte Arbeitsbedingungen. Auch liege die Armutsrate der Erwerbstätigen in Vollzeit kaum tiefer als die der Arbeitslosen. Unterkunftsmöglichkeiten seien äußerst dünn gesät und die Mietpreise insbesondere in Kabul nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder stark angestiegen. 72% der städtischen Bewohner lebten in Slums oder nicht adäquaten Unterkünften. 68% der afghanischen Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitärinstallationen und fast 45% keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 10 Millionen Afghanen hätten einen nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zur gesundheitlichen Grundversorgung. Zudem fehle es im Gesundheitssystem an Infrastruktur und qualifiziertem Personal. Die interne Vertreibung sowie Rückkehrerströme und die Arbeitsmigration verschärften die ohnehin schwierige Lage im Land. Im Jahr 2017 seien rund 550.000 Menschen aus Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt und der Druck zur Rückkehr durch die Gastländer bleibe auch aktuell bestehen. Die Rückkehrer ließen sich hauptsächlich in Städten nieder, was einen zusätzlichen Wettbewerb um die ohnehin wenigen Jobmöglichkeiten schaffe und zu sinkenden Löhnen führe. Die Rückkehrer seien häufig gezwungen, in informellen Siedlungen mit nur behelfsmäßigen Bauten zu leben, die meist nur einen schlechten oder keinen Zugang zu Elektrizität, Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Gesundheitseinrichtungen etc. hätten. Daher seien 84% dieses Personenkreises von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrende schafften, sich wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt von den verschiedenen Netzwerken ab, über die sie verfügten. Wenn diese Personen nicht in ihre Heimatregion zurückkehren könnten, würden sie oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl sich in weniger als fünf Jahren bis Ende 2016 auf 1,5 Millionen verdreifacht habe und deren Lebenssituation sich ähnlich wie die der anderweitigen Rückkehrer darstelle. Der rasante Anstieg der Bevölkerung speziell in Kabul habe rasch zu einer Überforderung der dortigen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Etwa 70% der Bevölkerung Kabuls lebten in informellen Siedlungen, auch die Armut sei angestiegen. Auch andere Städte wie Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar wirkten wie Magnete für vertriebene Menschen, weshalb sich die humanitäre Lage auch dort zuspitze. Afghanistan kämpfe damit, die enormen und noch steigenden Rückkehrströme zu absorbieren. Die Aufnahmekapazität insbesondere in den größeren Städten sei bereits stark in Anspruch genommen und äußerst eingeschränkt.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Mazar-e Sharif oder Herat niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 21-jährigen Kläger – in urbanen und semiurbanen Gebieten eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 110; so auch: EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 106 f.), wobei der UNHCR – unter Zugrundelegung seiner eigenen Maßstäbe – eine interne Schutzmöglichkeit speziell in Kabul nicht für gegeben erachtet (a.a.O., S. 114). Der UNHCR weist in seinen Richtlinien darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil bleibe. Es sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitssituation und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den Jahren nach dem Rückzug der internationalen Truppen in 2014 zu verzeichnen gewesen. Die Taliban setzten ihre Offensive zur Erreichung der Kontrolle über eine größere Zahl von Distrikten fort, während sich die Regierung auf die Verteidigung der Bevölkerungszentren und strategischen ländlichen Gebiete beschränke. Die zivilen Opferzahlen lägen trotz der Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken sei, auf einem hohen Niveau. Die Zahl der konfliktbedingt intern Vertriebenen habe am Ende des Jahres 2017 bei geschätzt über 1,8 Millionen gelegen, 2017 sei hierbei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den neu Vertriebenen zu verzeichnen gewesen. Zusätzlich seien im Jahr 2016 über 1 Million Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückgekehrt und weitere 620.000 im Jahre 2017. Die wirtschaftliche Situation habe sich seit 2013/2014 aufgrund der Unsicherheit und dem hohen Bevölkerungswachstum verschlechtert. Zwar habe sich das Wirtschaftswachstum in 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht, allerdings leide der Landwirtschaftssektor unter einer schweren anhaltenden Trockenzeit, vor allem in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben müsse, habe sich von 38,3% in 2011/2012 auf 55% in 2016/2017 erhöht. Die Arbeitslosenrate habe sich von 22 auf 24% erhöht. 3,3 Millionen Afghanen würden 2018 einen akuten humanitären Bedarf aufweisen, 1,9 Millionen müssten mit ernsthafter Nahrungsunsicherheit leben. 4,5 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu primären essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Afghanistan bleibe eines der ärmsten Länder der Welt und liege daher auf Rang 169 von 188 Ländern im Human Development Index. In den größeren Städten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dort eine sehr hohe Zahl von Rückkehrern und intern Vertriebenen ansiedle, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten geführt habe. Dies gelte insbesondere für die Stadt Kabul, wo zusätzlich die Gefahr von Anschlägen mit hohen Opferzahlen zu berücksichtigen sei. Dort übersteige das Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der erforderlichen Infrastruktur, Hilfs und Arbeitsmöglichkeiten, so dass geschätzte 70% der Bevölkerung in informellen Siedlungen leben müssten. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser daran fest, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Auch durch die tatsächlichen Feststellungen von EASO (vgl. Afghanistan – Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif an Herat City vom April 2019) wird vorstehende Einschätzung gestützt.
Individuell ist bei dem Kläger positiv zu berücksichtigten, dass er in Afghanistan die Schule bis zur vierten Klasse besucht hat und bereits in einer Kleiderfabrik gearbeitet hat. Zudem absolviert er in Deutschland bereits im 3. Lehrjahr eine Ausbildung zum Koch, nachdem er bereits zwei Praktika ableistete. Die vorgenannten Kenntnisse und Erfahrungen wird der Kläger sicherlich auch nach seiner Rückkehr in sein Heimatland gewinnbringend einsetzen können, um auf dem dortigen Arbeitsmarkt trotz der herrschenden schwierigen Bedingungen Fuß fassen zu können. Gegenüber der großen Zahl der Analphabeten und schlecht ausgebildeten Arbeitskräfte in Afghanistan ist der Kläger mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen im Vorteil. Der Kläger hat überdies die meisten Jahre seines Lebens in Afghanistan gelebt und kennt damit die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in ausreichender Weise, um sich auch nach einer Rückkehr dort zurechtzufinden.
Unabhängig von vorstehenden Ausführungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner o.g. individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen in den Großstädten Mazar-e Sharif und Herat, die ein Sammelbecken für Menschen verschiedenster Herkunft aus Afghanistan sind, in der Lage sein wird, anknüpfend an ethnische, religiöse, lokale bzw. Stammes- und Clan-Verbindungen an diesbezüglich bestehende Netzwerke anzuknüpfen bzw. solche für sich weiter aufzubauen, um seine individuelle Lage in Afghanistan nach seiner Rückkehr zu verbessern. Auf derartigen Netzwerken beruht im Kern das Zusammenleben in Afghanistan. Afghanen sind in der Regel gut darin, sich in derartige Netzwerke einzufinden bzw. diese weiterzuentwickeln und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies bei dem Kläger anders wäre (vgl. insoweit EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Januar 2018, S. 10 f.).
Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.1.2019 – 13a ZB 17.31521; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall.
Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000,00 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000,00 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR (http://files.returningfromgermany.de/files/REAGGARP%20Infoblatt_2019%20mit%20Reintegration.pdf; https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Aus dem Bayerischen Rückkehrprogramm können zusätzlich eine Reintegrationshilfe in Höhe von 500,00 EUR sowie ein Wohnkostenzuschuss für maximal zwölf Monate in Anspruch genommen werden. Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018 und an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018). Denn Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger und Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen nicht vor. Zwar lassen sich auch schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche in Afghanistan durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris). Nach Überzeugung des Gerichts bieten die vorliegend geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Afghanistan zumutbar erscheinen zu lassen.
Nach alledem kann der Kläger in Mazar-e Sharif oder Herat internen Schutz in Anspruch nehmen, sodass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG ausscheidet.
II.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der QRL dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25).
Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist bereits nicht glaubhaft dargelegt worden, jedenfalls besteht jedoch eine interne Schutzmöglichkeit in Mazar-e Sharif oder Herat. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden.
2. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gericht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Laghman, sowie in Herat und Mazar-e Sharif. Denn in Afghanistan wurden im Jahre 2018 insgesamt 10.993 Zivilpersonen getötet (3.804) oder verletzt (7.189). Dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 5%, jedoch gleichzeitig einem Rückgang gegenüber 2016 um 4% (vgl. zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019). Ausgehend von einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von 27 Millionen (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 18 f.) lag das konfliktbedingte Schädigungsrisiko landesweit bei 1:2.456. Selbst wenn man die Provinz Nangarhar zu Grunde legt, für die UNAMA das höchste Schädigungsrisiko für Zivilpersonen ausweist (1815 zivile Opfer; 681 Tote und 1134 Verletzte) ergibt sich bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 1.573.973 Menschen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.6.2018, S. 150) ein Schädigungsrisiko von 1:867. Damit lag die Gefahrendichte im Jahr 2018 landesweit erheblich und in der Provinz mit dem höchsten Schädigungsrisiko immer noch merklich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris). Diese Einschätzung gilt insbesondere auch für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Laghman, sowie die Städte Herat (Provinz Herat) und Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) als Orten des internen Schutzes entsprechend obiger Ausführungen. Denn in der Provinz Laghman wurden im Jahr 2018 271 Zivilpersonen getötet oder verletzt (bei 445.600 Einwohnern), in der Provinz Herat 259 (bei 1.890.200 Einwohnern) sowie in der Provinz Balkh 227 Zivilpersonen (bei 1.325.700 Einwohnern) (vgl. UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019, S. 68; Einwohnerzahlen jeweils aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Provinzen_Afghanistans). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 31.5.2018) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau Friederike Stahlmann (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris).
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Insofern ist auf die Ausführungen unter I. 4. zu verweisen.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st.Rspr., z.B. BayVGH, .v. 11.1.2019 – 13a ZB 17.31521; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063; OVG Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – jeweils juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I.4. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Mazar-e Sharif und Herat besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ebenfalls keine Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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