Verwaltungsrecht

Afghanistan – Mitarbeit in einer ausländischen Firma begründet keinen Flüchtlingsstatus

Aktenzeichen  Au 5 K 17.32123

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21621
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Lage in Afghanistan führt gesamtbetrachtend nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Afghanistan erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt jedenfalls in Kabul als innerstaatlicher Fluchtalternative kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Junge erwerbsfähige Männer sind selbst ohne nennenswerte familiäre Unterstützung in der Lage, sich in Afghanistan ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.  (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 21. August 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Es ist dem Kläger weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 8. April 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
a) Es ist nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Der Kläger hat hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht. Hierzu ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
Auch führt die Lage in Afghanistan gesamtbetrachtend nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2018 – 13a ZB 17.30687 – nicht veröffentlicht; B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167).
Zudem wäre der Kläger auch insofern auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 e Abs. 1 AsylG).
b) Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt landesweit drohen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 S. 4) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt jedenfalls in Kabul als innerstaatlicher Fluchtalternative kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris; B.v. 10.6.2013 – 13a ZB 13.30128 – juris; U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30406 – juris; U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30394 – juris). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person des Klägers führen, sind nicht ersichtlich.
Der Kläger wäre in Kabul keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausgesetzt.
Mit einer irgendwie gearteten Verfolgung durch die Taliban ist dort nicht zu rechnen, weil der Kläger in der Millionenmetropole Kabul untertauchen und anonym leben könnte, ohne entdeckt zu werden. In Kabul leben ca. 75% der Bevölkerung in informellen Siedlungen. Auch gibt es in Afghanistan kein Einwohnermeldewesen (VG Augsburg, U.v. 15.1.2018 – Au 5 K 17.31921 – juris Rn. 35; VG Düsseldorf, U.v. 14.11.2017 – 9 K 12078/16.A –juris Rn. 50). Das Gericht ist der Überzeugung, dass eine Person sich ohne Weiteres, gegebenenfalls unter falscher Identität, in einer afghanischen Großstadt aufhalten kann, ohne entdeckt oder identifiziert zu werden.
Die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass der Kläger sicher und legal in den Landesteil reisen können muss, welcher die Fluchtalternative darstellt, ist ebenfalls erfüllt, da Kabul der übliche Zielort von Rückführungen nach Afghanistan ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.3.2017 – W 1 K 16.30736 – juris Rn. 37).
Vom Kläger kann auch vernünftigerweise erwartet werden, sich in Kabul niederzulassen.
Dabei geht der Prüfungsmaßstab über das Fehlen einer beachtlichen existenziellen Notlage in § 60 Abs. 7 AufenthG hinaus, so dass beispielsweise auch die
sozio-ökonomischen Verhältnisse und die Sicherheitslage zu berücksichtigen sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 – 31 – juris Rn. 20).
Hinsichtlich der Sicherheitslage gilt, dass die sich selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der im Jahr 2017 verletzten oder Getöteten auf Grund einer hohen Dunkelziffer für die Zentralregion Afghanistans eine Wahrscheinlichkeit von ca. 1 : 967, verletzt oder getötet zu werden, ergibt, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde.
Trotz der bestehenden sozio-ökonomischen Widrigkeiten würde es dem Kläger nach Auffassung des Gerichts aller Voraussicht nach möglich sein, Arbeit als Tagelöhner zu finden und dadurch seine Grundbedürfnisse zu sichern.
In den meisten Branchen, beispielsweise im Baubereich, werden Tagelöhner eingesetzt; das Existenzminimum für eine Person kann durch solche Aushilfsjobs erwirtschaftet werden (VG Berlin, U.v. 10.2.2016 – 9 K 535.13 A – juris Rn. 56). Auch durfte das angekündigte, verstärkte Engagement USamerikanischer Truppen in Afghanistan der Wirtschaft im Land einen gewissen Aufschwung verleihen. In Kabul herrscht zudem auch keine Nahrungsmittelknappheit, so dass der Kläger sich mit den notwendigen Lebensmitteln versorgen kann. Hinzu kommt, dass der Kläger sich bereits in Afghanistan erwerbsmäßig betätigt hat. So war der Kläger nach seinen Angaben bereits für eine ausländische Firma mit der Bohrung von Brunnen beauftragt.
Soweit der Kläger auf eventuelle Unterhaltslasten für seine in Afghanistan (…) zurückgelassene Familie (Ehefrau und minderjährige Kinder) verweist, ist diese wirtschaftliche Lage zwar plausibel, aber für die Zumutbarkeit einer Rückkehr unerheblich, da der Kläger als Einzelperson in Deutschland lebt und auch als solche zurückgeführt würde, mithin es auf die Zumutbarkeit einer Rückkehr in sein Heimatland nur für ihn ankommt, nicht jedoch für von ihm wirtschaftlich abhängige, aber im Herkunftsstaat, einem Drittstaat und nicht im Bundesgebiet lebende Personen (arg. ex § 3e AsylG). Im Übrigen ist an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass der Kläger bereits seit dem Jahr 2015 mit seiner Übersiedlung von Afghanistan nach Europa von seiner Familie faktisch getrennt lebt. Auch dieser Umstand lässt eine Rückkehr des Klägers als Einzelperson nach Afghanistan (Kabul oder Herat) als zumutbar erscheinen. Dies umso mehr, als sich seine in Afghanistan verbliebene Rest-Familie einschließlich seiner Mutter und sonstiger Verwandter dort noch aufhält. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung weiter erklärt, dass der Unterhalt der in Afghanistan verbliebenen Familie derzeit über die teilweise Vermietung bzw. Verpachtung eines Grundstückes in … sichergestellt sei.
Der Kläger ist in Afghanistan auch nicht generell einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt. Die Frage, ob in den Landesteilen Afghanistans, etwa in der ehemaligen Heimatprovinz des Klägers, willkürliche Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts anzunehmen ist, kann letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls bestehen im Hinblick auf eine ernsthafte individuelle Bedrohung auf Grund eines bewaffneten, innerstaatlichen Konflikts für den Kläger inländische Fluchtalternativen gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG.
Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr muss sich in der Person des Klägers so verdichtet haben, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen können die allgemeine Gefahr individualisieren. Solche individuellen, gefahrerhöhenden Umstände sind persönliche Umstände und können sich etwa aus einer berufsbedingten Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit ergeben (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 17 ff.; VG München, U.v. 20.4.2017 – M 17 K 16.35674 – juris Rn. 44).
Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine solchen gefahrerhöhenden, individuellen Umstände. Der Kläger ist ein Afghane paschtunischer Stammeszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Damit gehört er keiner in besonderem Maße verfolgten Minderheit an. Auch aus seiner beruflichen Tätigkeit (Mitarbeit bei der Bohrung von Brunnen) lassen sich gefahrerhöhende Umstände nicht herleiten. Auch sonst ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr besonders gefährdet wäre.
Das Gericht geht aus den vorgenannten Gründen auch unter Berücksichtigung des Gutachtens von Frau … vom 28. März 2018 an das Verwaltungsgericht … davon aus, dass jedenfalls männlichen und gesunden arbeitsfähigen Afghanen eine Rückkehr nach Afghanistan in der Regel auch ohne familiäre Unterstützung und ohne eigenes Vermögen zumutbar ist und solche ihren Lebensunterhalt nach einer Wiedereingliederungsphase zumindest auf einem niedrigen Niveau sicherstellen können (so auch VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 336; bereits zuvor HessVGH, B.v. 30.1.2017 – 7 A 1856/16.Z.A. – juris).
Zur Bestimmung einer ausreichenden Gefahrendichte ist durch Auswertung aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und zur Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen (VG München, U.v. 20.4.2017 – M 17 K 16.35674 – juris Rn. 45 ff.). Ab welchem Verhältnis von verletzten und getöteten Personen zur Gesamtbevölkerung der Provinz oder Region dabei wegen der hohen Gefahrendichte eine Begründung des subsidiären Schutzes anzunehmen ist, kann offen bleiben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 21.1.2010 – 13a B 08.30285 – juris Rn. 27), ist jedenfalls ein Risiko von 1 : 800, in einem Gebiet verletzt oder getötet zu werden, nicht ausreichend, um eine individuelle, erhebliche Gefahr allein auf Grund der Anwesenheit in diesem Gebiet anzunehmen.
In der Zentralregion Afghanistans wurden nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) im Jahr 2017 insgesamt 2.240 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 6,5 Mio. ergibt sich ein jährliches Risiko, verletzt oder getötet zu werden, von 1 : 2.901. Selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der Verletzten und Getöteten auf Grund einer hohen Dunkelziffer ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von ca. 1 : 967, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde.
Bei Betrachtung der Provinz Kabul allein gelangt man zu folgendem Ergebnis: Dort gab es 2017 insgesamt 1.831 verletzte oder getötete Zivilisten, davon 479 Tote und 1.352 Verletzte. Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz Kabul von ca. 4,4 Mio. Einwohnern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017, vom 28. Juli 2017, dort S. 10) entspräche dies keinem hinreichend großen Risiko, Oper willkürlicher Gewalt zu werden. Dieses läge, auf ein ganzes Jahr bezogen, bei ca. 1 : 2.403 (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.1.2018 – Au 5 K 17.31188 – juris Rn. 32 ff.; VG Leipzig, U.v. 8.12.2017 – 8 K 1290/17.A – juris).
Dies zu Grunde gelegt ist damit von einem Risiko für den Kläger auszugehen, welches keinen Schutzanspruch gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG begründet. Selbst wenn ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt auch in der zentralafghanischen Region oder in Kabul selbst bestehen sollte, so geht von diesem jedenfalls keine erhebliche individuelle Gefahr für den Kläger im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
Weiter weist das Gericht darauf hin, dass neben Kabul auch die afghanische Großstadt Herat eine inländische Fluchtalternative vor den Gefahren ernsthafter Schäden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG darstellt.
In der westlichen Region Afghanistans, zu der auch die Provinz Herat zählt, wurden nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen Afghanistan (UNAMA, Jahresreport 2017, dort S. 7) im Jahr 2017 insgesamt 998 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 3,5 Mio. in dieser Region (vgl. VG München, U.v. 11.7.2017 – M 26 K 17. 30939 – juris Rn. 29), ergibt sich ein jährliches Risiko von 1:3507 verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der Verletzten und Getöteten aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1196, was nach dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Maßstab – danach ist ein Risiko von 1:800, in einem Gebiet verletzt oder getötet zu werden, nicht ausreichend, um eine individuelle, erhebliche Gefahr allein aufgrund der Anwesenheit in diesem Gebiet anzunehmen – (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 21.1.2010 – 13a B 08.30285 – juris Rn. 27) keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei alleiniger Betrachtung der Provinz Herat. Dort gab es im Jahr 2017 insgesamt 495 verletzte und getötete Zivilisten, davon 238 Tote und 257 Verletzte (UNAMA, Halbjahresbericht 2017, S. 67). Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz Herat von ca. 1,9 Mio. Einwohnern entspreche dies keinem für eine Schutzgewährung ausreichendem Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dieses läge bei 1:3838, bei einer hypothetischen Verdreifachung bei 1:1279.
Der Kläger könnte auch sicher und legal i.S.d. § 3e AsylG nach Herat reisen. Üblicher Zielort von Rückführungen abgelehnter Asylbewerber ist zwar Kabul. Von dort aus fliegen täglich drei Flugzeuge der afghanischen Fluglinie Kam Air zum Flughafen von Herat. Darüber hinaus gibt es auch einige internationale Flüge nach Herat.
Schließlich kann vom Kläger auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Herat niederlässt. Schließlich weist das Gericht darauf hin, dass dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan und nicht ausschließlich nach Kabul angedroht wurde.
Die Provinz und die Stadt Herat sind schon seit langem Zielort zahlreicher, oft mittelloser Binnenflüchtlinge aus umliegenden Gebieten. In Herat leben lt. EASO zwischen ca. 477.000 und 730.000 Menschen. Herat verfügt über eine starke und relativ vielfältige Wirtschaft. Herat ist einer von Afghanistans größten Handelspunkten, allerdings wird ein Rückgang des Handelsvolumens aufgrund der stagnierenden Wirtschaft erwartet. Die Lage für Rückkehrer in Herat ist eine ähnliche wie die in Kabul. Die mit Abstand wichtigste Einkommensquelle sind Gelegenheitsarbeiten, z.B. im Bausektor oder beim Warentransport auf Märkten. Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist in Herat besser als in anderen Großstädten. Zwar ist das dortige Gesundheitssystem immer noch im Aufbau befindlich, jedoch sind Psychotherapie und Medikamente in allen Gesundheitszentren der Provinz verfügbar. Bei einfachen Beschwerden können sich Rückkehrer an die kostenlosen staatlichen Stellen wenden.
Gemessen hieran würde es dem Kläger nach Auffassung des Gerichts voraussichtlich möglich sein, in Herat wirtschaftlich Fuß zu fassen. Es ist in dieser Stadt üblich und relativ leicht möglich, Arbeit als Tagelöhner zu finden und sich auf diese Weise angemessen zu versorgen. Trotz aller bestehenden Widrigkeiten würde es dem Kläger nach Auffassung des Gerichts aller Voraussicht nach möglich sein, in Herat Arbeit als Tagelöhner zu finden und dadurch seine Grundbedürfnisse zu sichern.
2. Es liegen in der Person des Klägers auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Es ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK drohen könnten.
In Fällen, in denen gleichzeitig über die Gewährung eines unionsrechtlichen (§ 4 AsylG) und eines nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 AsylG regelmäßig die Annahme eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Gründen aus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 – 31 – juris Rn. 36).
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr in Afghanistan sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13a ZB 13.30119 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – DÖV 2012, 651). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger weder aus seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 19.2.2014 – 13a ZB 14.30022 – juris) geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, zu denen auch der Kläger zu rechnen ist, in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt.
Damit droht dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schwierig. Trotz dieser kritischen Versorgungslage muss nicht jeder Rückkehrer aus Europa generell im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden. In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Afghanistan erleiden müsste (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 S. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Nur für besonders schutzwürdige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen oder die über keinen aufnahmebereiten Familienverbund verfügen, lässt sich eine extreme Gefahrenlage begründen.
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen ist derzeit keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 4). Anhaltspunkte, die im Fall des Klägers zu einer anderweitigen Einschätzung führen würden, sind nicht ersichtlich.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist davon auszugehen, dass junge erwerbsfähige Männer selbst ohne nennenswerte familiäre Unterstützung in der Lage sind, sich in Afghanistan ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 7). Der Kläger ist grundsätzlich arbeitsfähig. Er ist mit den afghanischen Verhältnissen durchaus vertraut. Bis ins Jahr 2015 hat der Kläger dauerhaft in Afghanistan gelebt. Darüber hinaus verfügt der Kläger noch über mehrere Familienangehörige in Afghanistan (…). Der Kläger verfügt über berufliche Erfahrungen. So hat er für eine afghanische Firma bei der Bohrung von Brunnen mitgearbeitet. All diese Umstände lassen erwarten, dass dem Kläger eine Reintegration in die afghanische Gesellschaft gelingen wird. Dem Kläger ist auch angesichts seines Alters (32) ein erneutes Bemühen um eine Anstellung auf dem hart umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt nach Auffassung des Gerichtes durchaus zumutbar.
3. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat der Kläger auch nicht erhoben.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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