Verwaltungsrecht

Albanien als sicherer Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 17 K 16.30693

Datum:
3.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 29a Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern nur, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder aufgrund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet.
Die Klage ist zulässig (vgl. zu Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet, da der Bescheid vom 21. März 2016 rechtmäßig ist und die Kläger daher nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtlinge rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag der Kläger nicht erkennbar.
Das Heimatland der Kläger, Albanien, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich diese als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht. Das Gericht schließt sich insoweit den detaillierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts Berlin (B.v. 22.12.2015 – 33 L 357.15 A – juris Rn. 13ff.) an, auf die Bezug genommen wird.
Die Kläger haben die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr haben sie sich primär auf wirtschaftliche Schwierigkeiten berufen. Diese begründen aber mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Sofern sie Probleme mit Angehörigen der Gegenpartei in ihrem Heimatort schildern, ist das Vorbringen vollkommen pauschal und unsubstantiiert, so dass dies nicht zur Bejahung einer Verfolgungsgefahr führen kann. Im Übrigen hätten die Kläger bei einer Rückkehr auch die Möglichkeit, die Hilfe – übergeordneter – staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen bzw. sich in einem anderen Landesteil niederzulassen (vgl. z. B. VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris Rn. 10; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20).
Das Gericht folgt insoweit der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Die nunmehr erstmals geltend gemachte Erkrankung des Klägers zu 1. kann kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Zum einen hat die Klägerseite lediglich einen Arztbrief des Klinikums … vom … April 2016 vorgelegt, in dem beim Kläger Schwindel und Spontannystagmus diagnostiziert und als Therapie eine Vorstellung beim Neurologen und HNO-Arzt empfohlen wird. Dieser Brief genügt aber weder den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; vgl. § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG) noch ist diesem eine konkrete Gefahr im oben genannten Sinn zu entnehmen.
Zum anderen steht laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 10. Juni 2015 in Albanien grundsätzlich eine in asylrechtlicher Hinsicht ausreichende Möglichkeit zur Behandlung von Erkrankungen zur Verfügung (S. 13). Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken sei grundsätzlich kostenlos und kompliziertere Behandlungen könnten in … und in anderen großen Städten durchgeführt werden. Gleichwohl müssten Patienten in der Praxis erhebliche Zuzahlungen leisten. Die Versorgung mit Medikamenten stelle kein Problem dar. Die örtlichen Apotheken böten ein relativ großes Sortiment von gängigen Medikamenten an, die zum großen Teil aus der EU importiert würden. Es bestehe die Möglichkeit, weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen. Die staatliche Krankenversicherung übernehme in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei Standard-Medikamenten. Teurere Medikamente oder solche für außergewöhnliche Krankheiten gingen zulasten des Patienten. Auch nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 13.02.2013 (https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/albanien/albanienposttraumatischebelastungsstoerungblutrache.pdf) trägt das Institut für Gesundheitsversicherungen (Health Insurance Institute – HII) die Kosten für die primäre Gesundheitsversorgung. Vom HII versicherte Personen erhielten die benötigten Medikamente in der Regel gegen Vorweisen eines Arztrezepts in einer privaten Apotheke. Diese erhielten daraufhin den Gesamtpreis oder einen Anteil an den Medikamentenpreis vom HII zurück erstattet. Wenn lediglich ein Anteil übernommen werde, müsse der Patient in der Apotheke den Restbetrag selbst bezahlen. Vom HII vollständig versicherte Personengruppen seien Pensionierte, Arbeitslose, Studierende, Kinder und Jugendliche bis achtzehn Jahren.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger zu 1. in Albanien tatsächlich behandelt werden kann. Dass ihm eine Behandlung finanziell nicht möglich sei, wurde von ihm nicht geltend gemacht. Dem stünden im Übrigen nicht nur die oben genannten Erkenntnisse entgegen, sondern auch der Umstand, dass sich nach Aussagen der Kläger noch zahlreiche Familienangehörige in Albanien befinden, die den Kläger gegebenenfalls unterstützen könnten.
Zwar könnten die Kläger bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet wohl eine bessere gesundheitliche Versorgung erlangen. Wie in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch nunmehr ausdrücklich klargestellt ist, ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern „nur“, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder aufgrund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Ein Ausländer muss sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. OVG NRW, B.v. 27.7.2006 – 18 B 586/06; v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – juris).
2.2 Der Vortrag der Kläger, sie hätten über Dritte von Bedrohungen durch Angehörige der politischen Gegenpartei in ihrem Heimatort erfahren, ist – wie bereits ausgeführt (s.o. 1.) – vollkommen pauschal und unsubstantiiert und daher wenig glaubhaft. Im Übrigen könnten die Kläger die Hilfe staatlicher Stellen in Anspruch nehmen bzw. sich in einem anderen Landesteil niederlassen (s.o. 1.).
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
4. Schließlich ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 21. März 2016 rechtmäßig.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Kläger gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt haben.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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