Verwaltungsrecht

Androhung der Entlassung von der Schule

Aktenzeichen  M 3 K 17.3829

Datum:
29.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9107
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BV Art. 131
BayEUG Art. 1, Art. 2, Art. 86 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

1. Die Androhung der Entlassung aus der Schule hat sich daran zu orientieren, ob dem Schüler in Deutlichkeit vor Augen geführt werden muss, dass sich sein Verhalten – auch unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – ändern muss. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Androhung der Entlassung aus der Schule handelt es sich um eine pädagogische Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur dahingehend überprüft werden kann, ob die Schule die Verfahrensvorschriften eingehalten hat, ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob die pädagogische Bewertung der Schule angemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Rechtmäßigkeit der Auswahl einer Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist, wobei die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung dabei zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis stehen darf. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Schule vom … März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme vom … März 2017 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen – BayEUG – i.d.F. der Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414), in der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Ordnungsmaßnahme gültigen Fassung vom 23. Juni 2016. Gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. Nr. 6 BayEUG darf die Androhung der Entlassung nur verhängt werden, wenn der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat (schulische Gefährdung). Die Androhung der Entlassung ist nach der Entlassung selbst die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme, die die Schule selbst verhängen kann. Die Wahl dieser Ordnungsmaßnahme hat sich daher daran zu orientieren, ob dem Schüler in Deutlichkeit vor Augen geführt werden muss, dass sich sein Verhalten – auch unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – ändern muss. Es handelt sich bei dieser Auswahlentscheidung der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses (Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG) um eine pädagogische Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist. Bei ihrer Entscheidung haben die Gerichte nur zu prüfen, ob die Schule die Verfahrensvorschriften eingehalten hat, ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob die pädagogische Bewertung der Schule angemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.
Für die Rechtmäßigkeit der Auswahl einer Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 Bayerische Verfassung – BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (vgl. BayVGH B.v. 2.9.1993 – 7 CS 93.1736 – in BayVBl 1994, 346); die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung darf dabei zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis stehen.
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung ist sowohl formell, als auch materiell fehlerfrei ergangen.
Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Die Auswahlentscheidung wurde vom Disziplinarausschuss der Schule getroffen, der gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG insoweit die Aufgaben der nach Art. 86 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BayEUG zuständigen Lehrerkonferenz wahrnahm. Über den Widerspruch wurde ordnungsgemäß von der Lehrerkonferenz entschieden, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO, Art. 58 Abs. 4 BayEUG i.V.m. § 3 BaySchO.
Der Kläger und seine Eltern wurden auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahme beteiligt. Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 wurden der Kläger und seine Eltern vor Erlass der Maßnahme auf ihre Rechte gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Satz 3 BayEUG hingewiesen und im Rahmen der Sitzung des Disziplinarausschuss am … März 2017 im gebotenen Umfang angehört. Wie dem Sitzungsprotokoll (Bl. 19 d.A.) zu entnehmen ist, konnten sich der Kläger und seine Eltern zu dem Vorwurf äußern. Auch wurde die Schulpsychologin sowie eine Lehrkraft des Vertrauens am Verfahren beteiligt (Art. 88 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 BayEUG). Ein Antrag auf Teilnahme des Elternbeirates wurde durch den Kläger oder seine Eltern nicht gestellt.
Soweit im Disziplinarausschuss nur acht, statt der nach § 7 Abs. 6 Satz 2 BaySchO i.V.m. § 7 Abs. 5 BaySchO vorgeschriebenen neun Mitglieder entschieden haben, wird dieser Verfahrensfehler zumindest im Rahmen des Widerspruchsverfahren geheilt (Art. 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BayVwVfG). Hiernach ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern unbeachtlich, wenn der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; diese Nachholung ist gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. Aufgrund der Einheit von Ausgangsverfahren und Widerspruchsverfahren (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist das Verfahren in seiner Gesamtheit folglich erst fehlerhaft, soweit beide Abschnitte nicht den formellen Anforderungen entsprechen. Die Lehrerkonferenz hat am 18. Mai 2017 in ordnungsgemäßer Besetzung erneut durch Prüfung und Erörterung des Sachverhalts entschieden und den Ausgangsbescheid bestätigt. Die verfahrensfehlerhafte Besetzung des Disziplinarausschusses wurde damit gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BayVwVfG geheilt.
Die getroffene Ordnungsmaßnahme ist ferner auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Die Schule ist von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Sie hat ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt, die einer sachlichen Überprüfung standhalten. Die Androhung der Entlassung stützt die Schule maßgeblich auf die Weiterleitung eines einen Mitschüler kompromittierenden Videos durch den Kläger an einen anderen Mitschüler. Die dieses Verhalten begleitenden Umstände wurden sowohl vom Disziplinarausschuss als auch von der Lehrerkonferenz im Widerspruchsverfahren zur Kenntnis genommen, sodass die Schule von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist.
So hatte der Kläger vor dem Disziplinarausschuss vorgetragen, dass er das Video überraschend und unaufgefordert von einer befreundeten Schülerin einer anderen Schule geschickt bekommen habe, dieses dann nur auf Drängen des Klassenkameraden und auch nur unter der Voraussetzung weitergab, dass dieser es auch vertraulich behandeln werde. Die Einstellung des Videos in den Klassenchat der Klasse … auf „WhatsApp“ erfolgte alleine durch den Klassenkameraden. Der Kläger habe hiervon weder Kenntnis gehabt noch sei es Ziel seines Handelns gewesen. Mit diesem Sachverhalt kannte das entscheidende Gremium alle maßgeblichen Tatsachengrundlagen.
Gleiches gilt für die Lehrerkonferenz. Ausweislich des Protokolls verlas der stellvertretende Schulleiter den Widerspruch der von der im Widerspruchsverfahren vom Kläger beauftragten Rechtsanwältin. Hierin war der gesamte Sachverhalt mitsamt den vom Kläger und seinen Eltern begleitend vorgetragenen Umständen enthalten. Hierin wurden darüber hinaus auch die Reue des Klägers für sein Handeln und sein Versuch, sich fortan an die Regeln der Schule zu halten, dargestellt. Die zu entscheidenden Gremien kannten daher den gesamten Sachverhalt und damit auch die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände.
Die unrichtige Aussage im Protokoll der Lehrerkonferenz vom … Mai 2017, wonach der Kläger den Film „an weitere Schüler“ versandt habe, wurde laut Aussage der Schule in der mündlichen Verhandlung als fehlerhafte Protokollierung dargestellt. Der stellvertretende Schulleiter gab an, den Sachverhalt in der korrekten Form dargestellt zu haben, nämlich der Weitergabe des Films durch den Kläger an nur eine weitere Person und entschuldigte sich für das Protokollversehen. Anhaltspunkte warum dies nicht der Wahrheit entsprechen sollte sind nicht ersichtlich, sodass die Schule bei ihrer Entscheidung betreffend der Weitergabe des Videos von einem zutreffend ermittelten Sachverhalts ausgegangen ist. Die Mitglieder des Disziplinarausschusses waren somit nach der Anhörung des Klägers und seiner Eltern in der Lage, den Sachverhalt eigenständig einzuschätzen und zu beurteilen.
Die vom Disziplinarausschuss und der Lehrerkonferenz getroffene pädagogische Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Die Schule hat ihre Entscheidung bezogen auf den konkreten Einzelfall nachvollziehbar dargestellt und begründet. In die Entscheidung wurden alle entscheidungsrelevanten und auch die für den Kläger günstigen Umstände einbezogen. So wurde vom Disziplinarausschuss wie auch im Widerspruchsbescheid zur Kenntnis genommen, dass der Kläger sein Handeln zugegeben und sich dafür entschuldigt hat. Auch war der Schule bei ihrer Entscheidung bewusst, dass der Kläger das Video nur an einen Mitschüler und nicht an den Klassenchat weitergegeben hat und ihm selbst das Video unaufgefordert zugesandt wurde, das der betroffene Schüler letztlich selbst gefilmt und weitergegeben hatte. Die Entscheidung der Schule, allein in der Weitergabe solch kompromittierender Videos – unabhängig von der Zahl der Empfänger und dem Motiv des Absenders – ein schweres Fehlverhalten zu sehen, bewegt sich dennoch im Rahmen der nur beschränkt gerichtlich überprüfbaren pädagogischen Ermessensentscheidung der Schule. Maßgeblich für die Ermessensentscheidung der Schule war die Überlegung, dass durch die Weitergabe des Videos an den Klassenkameraden sich die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass das Video in den Klassenchat eingestellt wird oder sich anderweitig verbreitet. Auch ist das einmalige Versenden eines Videos nicht mehr rückgängig zu machen.
Gemessen daran wurde das Verhalten des Klägers, mitverantwortlich dafür zu sein, dass ein den Mitschüler kompromittierendes Video in den Klassenchat eingestellt wurde und damit die weitere Verbreitung des Videos nahezu unkontrollierbar wurde, von der Schule in berechtigter Weise als schweres Fehlverhalten i.S.d. Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG eingestuft und mit dem Mittel der Androhung der Entlassung geahndet. Das Filmen sexueller Handlungen Minderjähriger sowie auch die Verbreitung solcher kompromittierenden Videos widerspricht dem Erziehungsauftrag der Beklagten in ihren Grundsätzen. Auch wenn der Kläger selbst das Video nur an „einen“ Mitschüler weiterleitete, so hätte er damit zumindest erkennen können, dass sich eine weitere Verbreitung des Videos seiner Kontrolle entzieht. Für den betroffenen Mitschüler auf dem Video bedeutet dies, dass das Video einer erheblichen Zahl an Personen innerhalb und außerhalb der Schule bekannt werden kann und eine weitere Verwendung des Videos nicht mehr gestoppt werden kann. Abgesehen von für den betroffenen Mitschüler nicht genauer abschätzbaren psychischen Folgen, ist seine unbefangene Teilnahme am Unterricht und Alltag der Schule aufgrund des erheblich bloßstellenden Charakters des Videos mit intimem Inhalt nicht mehr in gleichem Maße wie zuvor möglich. Zu Recht konnte die Schule daher bei ihrer Entscheidung maßgeblich darauf abstellen, dass der Kläger als Schüler der 8. Jahrgangsstufe über die nötige Einsichtsfähigkeit verfügen muss, dass die Weitergabe eines solchen Videos an einen Mitschüler zu einer unkontrollierten Verbreitung führen kann.
Insgesamt ist damit keine Unverhältnismäßigkeit oder die Einstellung sachfremder Erwägungen erkennbar. Die Schule durfte dem in Rede stehenden Fehlverhalten des Klägers im Interesse des Schulfriedens und ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags mit der Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung wirksam und mit aller Deutlichkeit entgegentreten.
Die Schule durfte auch berücksichtigen, dass sich der Kläger bisherige Ordnungsmaßnahmen (aus den vorgelegten Akten ergeben sich 2 Verweise im streitgegenständlichen Schuljahr 2016/2017 bis zur Maßnahme der Androhung der Entlassung, 4 Verweise im Schuljahr 2015/2016, 1 Verweis und 2 verschärfte Verweise im Schuljahr 2014/2015) nicht zur Warnung dienen ließ und sein Verhalten seitdem nicht geändert hat. An die Reihenfolge der Ordnungsmaßnahmen des Art. 86 Abs. 2 BayEUG besteht keine Bindung. Es liegt im pädagogischen Ermessen der Schule, eine geeignete und angemessene Ordnungsmaßnahme zu verhängen. Im vorliegenden Fall ist die getroffene Ordnungsmaßnahme angesichts der dargestellten Gründe geeignet und auch verhältnismäßig, da lediglich ein Verweis oder verschärfter Verweis dem Kläger nicht die Schwere des Vorfalls vor Augen geführt und eine Verhaltensänderung erreicht hätte.
Letztlich besteht auch keine Unzulässigkeit der Maßnahme nach Art. 86 Abs. 3 Nr. 5 BayEUG, demzufolge Ordnungsmaßnahmen auf Grund außerschulischen Verhaltens unzulässig sind, soweit es nicht die Verwirklichung der Aufgaben der Schule gefährdet. Durch die Verbreitung des Videos innerhalb der Klasse bzw. der Schule wurde mit dem Verhalten des Klägers jedenfalls ein ausreichender Bezug zur Schule hergestellt; die abschließende Klärung der Frage, ob es sich um ein außerschulisches Verhalten handelte, kann daher dahinstehen.
Aus den dargestellten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben