Aktenzeichen Au 6 K 18.31779
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 31. Oktober 2018 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377/382 Rn. 18) droht.
Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (Nr. 1), vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (Nr. 2), oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (Nr. 3). Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden hat der Kläger nicht zu befürchten. Er gehört zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 12 f. – im Folgenden: Lagebericht); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 13; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 68). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung „Özgür Gündem“ unter dem Vorwurf, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (vgl. Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15).
Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht ebenda S. 20).
Dies gilt auch für den nicht ortsgebundenen Kläger, der in die Westtürkei ausweichen könnte. Eine eventuelle staatliche Verfolgung des Klägers wegen seines behaupteten Befragungen nach seiner Schwester, die YPG-Mitglied sei und der damit verbundenen Bedrohungen durch die Polizei bzw. die Armee und einen Offizier würde hierbei weder an die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers anknüpfen noch würde sie in ihrer Zahl und Dichte gegenüber vergleichbar Betroffenen eine Verfolgungsdichte erkennen lassen, wie sie für eine landesweite Gruppenverfolgung erforderlich wäre.
b) Eine Verfolgung wegen einer Zurechnung zur PKK hat der Kläger nicht zu be fürchten.
Eine weitere Gruppe, die staatlichen Nachstellungen ausgesetzt ist, sind Personen, denen eine Nähe zur kurdischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) vorgeworfen wird (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 6, 10 f. – im Folgenden: Lagebericht). Seit Sommer 2015 war die Türkei Ziel terroristischer Anschläge, welche seitens der türkischen Regierung u.a. der PKK zur Last gelegt wurden und Vorwand boten, den zwischen der Regierung und PKK-Chef Öcalan zur Beendigung des seit den 80er Jahren blutig ausgefochtenen Konflikts um eine kurdische Autonomie (zur Vorgeschichte und Entwicklung der PKK vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 17 m.w.N.) erfolgversprechend eingeleiteten Befriedungsprozess mit der PKK abzubrechen. Flankiert von einem nationalistisch ideologisierten Kurs geht die Türkei bedingungslos gegen die PKK vor und nutzt den Vorwurf des Terrorismus auch für weitergehende Freiheitsbeschränkungen und Repressalien. Der seit Juli 2015 nach – der PKK zugeschriebenen – Attentaten wieder militärisch ausgefochtene Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK forderte erhebliche Opfer auf beiden Seiten sowie unter Zivilisten (vgl. AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1). Schwere Waffen wie Panzer und Artillerie sollen dabei sogar in Wohngebieten eingesetzt worden und nach Informationen der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) 321 Zivilpersonen getötet worden sein (vgl. AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 2; dazu auch Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 2 ff.). Neben Angriffen türkischer Sicherheitsorgane auf Stellungen der PKK im Südosten der Türkei kam es dort auch in Städten zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Armee einerseits und Mitgliedern der PKK-Jugendorganisation andererseits (vgl. AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1, 2). Mittlerweile hat die Intensität der Kämpfe auf türkischem Territorium seit Spätsommer 2016 deutlich nachgelassen (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 10 a.E.).
Daher besteht eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als tatsächliche oder potentielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.; auch BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 11 a.E.).
Der nun gewaltsam ausgetragene Kurdenkonflikt ließ auch die politische Vertretung der kurdischen Minderheit zum Ziel staatlicher Repressalien werden. Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Abgeordnete mehrerer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung im Juli 2016 betroffen, besonders auch die linkskurdische Partei „Demokratische Partei der Völker“ (HDP). Für die türkische Regierung war die HDP Verhandlungspartner im Befriedungsprozess; sie zog in der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 mit 13,1% der Stimmen erstmals als Partei ins Parlament ein, nachdem sie zuvor durch unabhängige Kandidaten vertreten gewesen war. In der Parlamentswahl am 1. November 2015 gelang ihr mit 10,8% der Stimmen ebenso die Überwindung der Zehnprozenthürde zum Wiedereinzug ins Parlament wie in der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 mit 11,7% der Stimmen und dies trotz Einschränkungen ihres Wahlkampfs u.a. durch die Inhaftierung ihres Spitzenkandidaten Demirtas (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 5 f., 10 f.), der wegen Äußerungen anlässlich der Newroz-Feiern 2013 zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt worden ist (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 54). Im Zuge von Anklagen wegen angeblicher Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze verloren 57 der damals 59 HDP-Parlamentsabgeordneten zunächst ihre Immunität und nach rechtskräftiger Verurteilung verloren neun Abgeordnete der HDP auch ihr Parlamentsmandat (Lagebericht ebenda S. 5 f., 11). Auch auf lokaler Ebene versucht die Regierung, den Einfluss der HDP und von deren Schwesterpartei DBP zu verringern. Die DBP stellt 97 der Bürgermeister im Südosten der Türkei und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird vielen DBP-Mitgliedern Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete wurden 93 gewählte Kommunalverwaltungen überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhändler ersetzt (Lagebericht ebenda S. 10). Teilen der Basis der HDP werden Verbindungen zur PKK nachgesagt sowie zu deren politischer Dachorganisation „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK), welcher von türkischen Behörden unterstellt wird, von der PKK dominierte quasistaatliche Parallelstrukturen (z. B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen (Lagebericht ebenda S. 11). Strafverfolgung gegen die PKK und die KCK trifft daher teilweise auch Mitglieder der HDP/DBP, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger unter dem Vorwurf, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Bei mehreren Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert sowie 845 Personen wegen kritischer öffentlicher Äußerungen gegen den Militäreinsatz in Afrin (Lagebericht ebenda S. 6, 10). Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 24. Juni 2018 überwand die HDP mit 11,7% der Stimmen erneut die Zehnprozenthürde (vgl. N.N., Präsidialsystem in der Türkei: Noch mehr Macht für Erdogan, www.spiegel.de, Abruf vom 26.6.2018). Während des Wahlkampfes im Jahr 2018 haben türkische Behörden einige Wahlhelfer der HDP verhaftet oder einer Sicherheitskontrolle unterzogen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 55).
Unscharf und Vorwand für die Bandbreite an Repressalien ist der von türkischen Behörden und Gerichten angewandte Begriff des „Terrorismus“. Zwar gewährleistet die türkische Rechtsordnung die Presse- und Meinungsfreiheit, schränkt sie jedoch durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Antiterrorgesetze ein mit einer unspezifischen Terrorismusdefinition. Seitens der regierenden AKP wird eine Neudefinition des „Terrorismus“-Begriffs im Antiterrorgesetz vorbereitet, wonach auch Personen, die in Medien und sozialen Netzwerken „Terrorpropaganda betreiben sowie Terrororganisationen logistische Unterstützung leisten“, erfasst werden. Ebenso problematisch ist jedoch die sehr weite Auslegung des „Terrorismus“- Begriffs durch die Gerichte. So kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die „Beleidigung des Türkentums“ ist gemäß Art. 301 tStGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 5, 11 f.).
Ziel von Verhaftungen sind auch regierungskritische Journalisten, so sollen seit Beginn der dem Putschversuch folgenden „Säuberungen“ nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ Journalisten unter dem Vorwurf der Unterstützung der Gülen-Bewegung oder der PKK inhaftiert; rund 3.000 Journalisten durch Schließung ihrer Medien oder Entlassung arbeitslos ohne Chance auf Wiedereinstellung, 90% der Medien stehen unter staatlicher Kontrolle und die restlichen Medien werden durch Werbeentzug finanziell ausgehungert und zur Selbstzensur gezwungen (Lagebericht ebenda S. 5, 11 f.). Der ehemalige Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, sowie der Leiter des Ankaraner Büros der Tageszeitung, Erdem Gül, wurden im Mai 2016 wegen Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten bzw. fünf Jahren Haft verurteilt, das Kassationsgericht hob das Urteil gegen Dündar auf und verwies es zur erneuten Verhandlung zurück. Can Dündar hält sich derzeit in Deutschland auf und kündigte an, er werde nicht in die Türkei zurückkehren, weil er dem Rechtssystem nicht vertraue. Gül wurde im Berufungsverfahren freigesprochen. Weitere Journalisten wurden zu langen Haftstrafen verurteilt (Lagebericht ebenda S. 11 f.). Die Strafverfahren gegen Regierungskritiker und Journalisten werden als unfair bewertet (so AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 2). Medien mit Kontakten zur Gülen-Bewegung wurden innerhalb von sechs Wochen per Dekret geschlossen (Lagebericht ebenda S. 12; auch AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 2); das Privatvermögen bei Gülennahen Medienorganen angestellter Journalisten und Publizisten wurde Ende Dezember 2016 beschlagnahmt. Insgesamt wurden seit Juli 2016 knapp 200 Medienorgane geschlossen, eine Selbstzensur der Presse nimmt zu und auch das Internet in der Türkei ist nicht vollständig frei (Lagebericht ebenda S. 12). Teils soll schon genügen, in Publikationen die PKK nicht als „Terrororganisation“ im Sinne der amtlichtürkischen Sprachregelung zu bezeichnen, um als Journalist ihrer Unterstützung beschuldigt zu werden (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 7).
Exilpolitische Aktivitäten türkischer Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind, können nach türkischen Gesetzen bestraft werden. Diese Personen können Ziel polizeilicher oder justizieller Maßnahmen werden, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen, vor allem auch Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ (Lagebericht ebenda S. 20). Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können (Lagebericht ebenda S. 23; auch BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 11 a.E.).
Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung wegen einer befürchteten Zurechnung seiner Person zur PKK.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, dass er von staatlichen Stellen nach seiner Schwester, die schon „in die Berge gegangen“ sei, als er noch nicht geboren sei, befragt werde, da diese sich erst der PKK, dann der YPG angeschlossen habe. Er könne jedoch keine Auskunft geben, da er sie noch nie gesprochen habe und auch nichts über sie wisse. Er sei deswegen zur Polizei vorgeladen worden, als Lügner bezeichnet, geschubst, geschlagen und mit dem Tode bedroht worden. In der mündlichen Verhandlung führte er zu dem Vorfall auf der Weide befragt hierzu aus, dass dieser etwa zwei bis drei Monate vor seiner Ausreise gewesen sei (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 2). Er habe sich ausweisen müssen und sei zum Aufenthalt seiner Schwester, die YPG-Mitglied sei, befragt worden. Der Kläger gab an, dass er nicht wisse, wo seine Schwester sich aufhalte. Sie hätten weiter versucht, es herauszufinden und es sei auf ihn gespuckt worden. Sie hätten ihn verdächtigt, mit seiner Schwester zu sprechen, was jedoch nicht stimme. Er sei geschubst worden und sei hingefallen, er sei mit dem Tod bedroht und getreten worden. Er sei auch von einer weiteren Person dort bedroht worden. Er sei an der Schulter verletzt worden und als er geweint habe, hätten sie ihn losgelassen. Er sei dann nach Hause und zum Arzt im Krankenhaus gegangen. Seine Mutter habe gewollt, dass er zum Arzt gehe, damit er einen Bericht bekomme. Er habe dem Arzt im Krankenhaus von dem Vorfall berichtet. Dieser Arzt habe darüber die Polizei im Krankenhaus informiert. Der Arzt sei Türke und kein Kurde gewesen, deswegen habe er keinen Bericht bekommen. Er sei etwa drei bis vier Mal nach seiner Schwester befragt worden (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Diese hätten begonnen, als sein Vater noch am Leben gewesen sei. Sie seien schon damals immer zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach der Tochter bzw. der Schwester gefragt. Als sein Vater gestorben sei, seien sie zu ihm gekommen. In der Türkei habe er noch eine Schwester und einen Bruder, dieser Bruder lebe jedoch woanders und sei älter. Der Kläger wisse nicht, ob dieser Bruder auch nach der Schwester befragt worden sei, denn sie hätten nicht viel Kontakt zu ihm. Zuletzt hätte er eine Woche vor der Ausreise noch einmal zu ihnen gehen sollen. Er sei dann mit dem Onkel zur Polizei gegangen und sei nach der Schwester befragt worden. Er sei beschimpft und bedroht worden und habe Angst bekommen. Er habe dann aber gehen dürfen und es sei ihm gesagt worden, dass er sich sein Verhalten gut überlegen solle. Er habe dann Kontakt mit dem von ihm angesprochenen älteren Bruder aufgenommen, damit dieser ihm helfe. Dieser habe einen Lkw. Er sei dann zu seinem Onkel nach Hause gegangen und habe gewartet, bis der Bruder ihn kontaktiert habe. Als der Bruder alles organisiert habe, sei er nach * gebracht worden und sei dann nach Deutschland gereist. Ab * sei er mit einem anderen Lkw nach Deutschland gebracht worden. Seiner Familie gehe es nicht gut. Die Polizei sei bei ihnen zu Hause wegen eines jüngeren Bruders gewesen, es gebe auch ein Video darüber. Die Polizei sei auf der Suche nach einem jüngeren Bruder von ihm gewesen, der mittlerweile in Stuttgart lebe. Dieser Bruder sei, obwohl er sich schon hier in Deutschland aufhalte, angeklagt worden, weil er am Newroz-Fest Unruhe gestiftet haben solle. Die Polizei hätte in diesem Zusammenhang auch nach ihm, dem älteren Bruder, gefragt. Die Mutter habe gesagt, dass ihre Söhne in Deutschland seien. Die Polizei habe seine Mutter und seine Schwester geschlagen, sein jüngerer Bruder habe dies gesehen. Das sie auch nach ihm, dem Kläger, gefragt hätten, liege daran, dass sie etwas mit ihm zu besprechen hätten. Sie hätten Antworten auf ihre Fragen haben wollen.
Der Kläger ist selbst kein Mitglied der PKK und ist auch nicht deswegen im Fokus der Sicherheitsbehörden gestanden. Die vorgetragenen Befragungen seiner Person nach seiner Schwester, die sich der erst der PKK und später der YPG angeschlossen haben soll, dienten der Informationsgewinnung über diese Schwester. Zwar hält die Einzelrichterin den grundsätzlichen Vortrag des Klägers, dass er nach seiner Schwester befragt worden ist, sowie die Tatsache, dass er sich aufgrund des Nichterscheinens beim Polizeirevier trotz Zusage und trotz Vorladung, weiteren Nachforschungen und einer Fahndung nach seiner Person ausgesetzt sieht, für glaubhaft.
Jedoch ergeben sich aus dem Vortrag auch Widersprüche und Ungereimtheiten, so dass die Einzelrichterin davon überzeugt ist, dass die Befragungen durch die Polizei nicht das vom Kläger dargestellte Ausmaß einnehmen und daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Schwelle dahingehend übersteigen, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen.
Dies ergibt sich einerseits daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass in der Türkei gegen ihn weder ein Haftbefehl, eine Anklage oder ein Urteil vorliegen würden, er jedoch eine Bestätigung eines Dorfvorstehers habe, wonach die Polizei hinter ihm her sei (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 4). Aus dieser dem Gericht übergebenen Kopie dieser Bestätigung samt deren Übersetzung geht hervor, dass die Ortsvorsteher am 8. August 2019 durch das Polizeipräsidium des Bezirks * aufgefordert worden seien, über die Person mit Personalausweisnummer * Auskunft zu erteilen. Es sei mitgeteilt worden, dass die Person von den Sicherheits- und Gendarmerie-Einheiten gesucht werde und dass der Haftbefehl ausgestellt werde und er an dem Ort, wo er angetroffen werde, in Gewahrsam genommen werden würde, falls die Person in naher Zukunft nicht erscheine, um eine Aussage zu machen. Durch den Dorfvorsteher sei ihrer Polizeidienststelle mitgeteilt worden, dass die Person nicht im Dorf lebe und sie wüssten nicht, wo sie sich befinde. Die in diesem Schreiben aufgeführte Personalausweisnummer entspricht zwar der Nummer, die im Nüfus des Klägers aufgeführt ist. Jedoch ergibt sich aus diesem Schreiben – dessen Echtheit an dieser Stelle unterstellt – nicht, weswegen bezüglich des Klägers ein Haftbefehl ausgestellt werden solle. Der Kläger hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass er dem Offizier zugesagt habe, zu der Befragung zu erscheinen. Es liegt nahe, dass es sich um ein Mittel zur Erlangung dieser (Zeugen-)Befragung und nicht ein solches zur Strafverfolgung des Klägers selbst handelt. Zudem wird in dem Schreiben lediglich ein Haftbefehl für den Fall angekündigt, dass der Kläger nicht in naher Zukunft erscheint, um eine Aussage zu machen.
Andererseits erschließt sich der Einzelrichterin nicht, warum der Kläger mehrmals von den Behörden zum Zwecke der Befragung nach seiner Schwester aufgesucht worden sein soll, er hierbei wie geschildert bedroht worden sein soll, er es jedoch geschafft haben will, die ihm nicht freundlich gesinnten Ermittlungspersonen dahingehend zu vertrösten, dass er nicht jetzt eine Aussage machen werde, sondern hierfür in zwei Tagen zur Polizeidienststelle kommen werde, zumal er sich einer vorherigen Vorladung schon mehr als zwei Monaten entzogen haben will.
Der Kläger konnte auch nicht nachvollziehbar darlegen, warum gerade er mit der von ihm dargestellten Vehemenz befragen worden sein soll. Zum einen hat er selbst angegeben, dass die Schwester schon in die Berge gegangen sei, als er noch nicht einmal geboren gewesen sei. Zum anderen sind weder bei den jüngeren Geschwistern und v.a. nicht beim älteren Bruder derartige Ermittlungstendenzen geschildert. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Kläger gerade im Unterschied zu seinen Geschwistern derart nachhaltig befragt worden sein will.
Ein Widerspruch in zeitlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Kläger in der Anhörung angegeben hat, dass der geschilderte Vorfall auf der Weide, bei der er dem Offizier versprochen haben will, er werde in zwei Tagen zur Befragung erscheinen, etwa einen Monat nach dem Tod des Vaters, d.h. Ende Februar/Anfang März 2018 gewesen sei. Danach habe ihn der Onkel zu einem Freund gebracht und der Bruder habe die Ausreise organisiert. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf Frage nach der letzten Befragung vor der Ausreise angegeben, dass er eine Woche vor der Ausreise noch einmal hätte zu ihnen gehen sollen (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Er sei dann mit dem Onkel zur Polizei gegangen und sei nach der Schwester befragt worden. Er sei beschimpft und bedroht worden und habe Angst bekommen. Er habe dann aber gehen dürfen und es sei ihm gesagt worden, dass er sich sein Verhalten gut überlegen solle. Entweder meint der Kläger mit der in der mündlichen Verhandlung geschilderten Situation den auch in der Anhörung geschilderten Besuch des Polizeipräsidiums zusammen mit dem Onkel, den er aber in der Anhörung in seinem Bericht zeitlich früher angesiedelt hat. Oder er schildert hier eine weitere, bisher noch nicht erwähnte Situation, die jedoch wieder belegt, dass auch der vormals geschilderte Entzug der Befragung Ende Februar/Anfang März wiederum keine Konsequenzen für den Kläger gehabt hat und der Kläger auch eine Woche vor seiner Ausreise wieder unbehelligt das Polizeipräsidium hat verlassen dürfen.
Ein Widerspruch ergibt sich weiter daraus, dass der Kläger in der Anhörung beim BAMF angegeben hat, sein älterer Bruder sei nicht zu seiner Schwester befragt worden. In der mündlichen Verhandlung führte er aus, dass er nicht wisse, ob dieser Bruder auch nach seiner Schwester befragt worden sei (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass zwischen den Brüdern im Rahmen der Organisation der Ausreise des Klägers durch diesen Bruder kein Gespräch über den Ausreiseanlass des Klägers stattgefunden hat.
Zuletzt hat der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt selbst angegeben, dass er sich nach dem Verhör und den Bedrohungen deshalb nicht irgendwo versteckt habe, da die Bedrohung nicht wirklich ernsthaft gewesen sei, weil sie gesagt hätten, sie wollten später noch einmal mit ihm reden.
Auch ergibt sich aus dem hinsichtlich des Bruders des Klägers vorgelegten Durchsuchungs-, Sicherstellungs- und Haftbefehls – auch dessen Echtheit an dieser Stelle unterstellt – nicht, dass dem Kläger selbst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung wegen der Zurechnung zur PKK folgt. Zum einen ergeben sich aus der Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel keine Anhaltspunkte für eine Sippenhaft. Zum anderen hat der Kläger nicht vorgetragen, dass die Polizei ihn auch nach dem Bruder befragen hätte wollen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass die Polizei nach seiner Ausreise bei ihnen zu Hause wegen eines jüngeren Bruders gewesen sei, es gebe auch ein Video darüber (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3 f.). Die Polizei sei auf der Suche nach einem jüngeren Bruder von ihm gewesen, der mittlerweile in Stuttgart lebe. Dieser Bruder sei, obwohl er sich schon hier in Deutschland aufhalte, angeklagt worden, weil er am Newroz-Fest Unruhe gestiftet haben solle. Die Polizei habe in diesem Zusammenhang auch nach ihm, dem älteren Bruder, gefragt. Die Mutter habe gesagt, dass ihr Söhne in Deutschland seien. Die Polizei habe seine Mutter und seine Schwester geschlagen, sein jüngerer Bruder habe dies gesehen. Das sie auch nach ihm, dem Kläger, gefragt hätten, liege daran, dass sie etwas mit ihm zu besprechen hätten. Sie hätten Antworten auf ihre Fragen haben wollen. Der Kläger hat damit nicht vorgetragen, dass die Polizei damit gemeint habe, den Kläger hinsichtlich des Bruders zu befragen. Doch selbst dann, wenn der Kläger zu seinem Bruder befragt werden würde, läge darin keine staatliche Verfolgungshandlung, sondern grundsätzlich eine reguläre Ermittlungsmaßnahme.
Nach alldem ist die Einzelrichterin unter Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel der Überzeugung, dass dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung durch den türkischen Staat wegen einer Zurechnung zur PKK droht. Der Kläger wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft in der PKK von den türkischen Behörden oder der Polizei verfolgt. Diese wollten ihn lediglich als Informanten zur Informationsgewinnung über die PKK- bzw. YPG- Tätigkeit seiner Schwester und ggf. des Bruders gewinnen. Dass gegen ihn ein Haft-, ein Strafbefehl oder ein Urteil vorliege, hat der Kläger nicht aufgezeigt (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 4). Dass er in der Türkei landesweit vom Staat gesucht würde, kann er auch nicht durch etwaige Nachweise untermauern. Er hätte sich beispielsweise Nachweise über E-Devlet oder UYAP aus der Türkei beschaffen lassen können. Daher ist nicht von einem landesweiten staatlichen Interesse an seiner Ergreifung oder gar Verfolgung auszugehen.
c) Der Kläger konnte auch mit seinem individuellen Vortrag nicht glaubhaft machen,
dass ihm in der Türkei eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Eine Verfolgung i.S.d. § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Das Risiko von Misshandlungen i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 1 ist für der PKK zugerechnete Personen zwar erhöht. Jedoch ist der Kläger wegen des Verdachts einer Zugehörigkeit zur PKK nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden gelangt (siehe oben), weswegen ihm nicht eine Verfolgung in Gestalt der Anwendung physischer oder psychischer sowie sexueller Gewalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus dem gleichen Grund droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG und auch keine Verfolgung in Gestalt diskriminierend angewandter administrativer oder justizieller Maßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG oder eine Verfolgung in Gestalt einer diskriminierenden Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG. Dass dem Kläger eine Verfolgung i.S.d. § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
d) Für den Kläger besteht zudem die inländische Fluchtalternative in der Westtürkei vor lokalen oder regionalen Übergriffen. Hierzu wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft wegen einer inländischen Fluchtalternative nach § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Der Kläger kann nach Überzeugung des Gerichts in einem Teil seines Herkunftslandes ohne begründete Furcht vor Verfolgung leben. Nach dem oben Ausgeführten ist kein landesweites Verfolgungsinteresse des Staates glaubhaft gemacht. Mithin wäre ihm ein Ausweichen in andere Landesteile möglich und zumutbar. Hinsichtlich der Möglichkeit einer Sicherung des Lebensunterhalts ist auf die Würdigung durch die Beklagte in ihrem Bescheid zu verweisen.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14.6.2019, S. 21,23). In der Person des Klägers liegt kein ein Risiko von Folter zum Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhender Umstand vor, weil er von türkischer Seite nicht der PKK zugerechnet wird (siehe oben). Es besteht auch keine beachtliche Gefahr einer Inhaftierung in der Türkei zu unmenschlichen Bedingungen. Im Übrigen steht die o.g. inländische Fluchtalternative in die Westtürkei nach § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen eben falls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert (in std. Rspr. VG Augsburg, U.v. 9.10.2018 – Au 6 K 17.33922 – juris Rn. 89 ff.). Der Kläger war vor seiner Ausreise in der Lage, den Lebensunterhalt zu sichern. Es ist nicht erkennbar, dass dies nach einer Rückkehr nicht wieder der Fall sein sollte. Auch konnte er vor seiner Ausreise auf den Familienverband in * zurückgreifen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum dies nach einer Rückkehr in die Türkei nicht wieder der Fall sein sollte.
bb) Der Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen sei ner Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 28; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 – A 6 K 4635/17 – juris Rn. 28 ff.).
b) Ein Abschiebungsverbot i.S.d. des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall des Klägers nicht vor.
4. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.