Verwaltungsrecht

Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer

Aktenzeichen  M 25 K 15.31291

Datum:
16.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2 bis 7,
AsylVfG AsylVfG § 3 Abs. 4
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1, § 77 Abs. 1 S. 1
RDGEG RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

1. Die Verweigerung des Militärdienstes muss das letzte Mittel, die ultima ratio sein, um einer befürchteten Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen. (Rn. 30)
2. Der Umstand, dass kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt wurde, schließt grundsätzlich jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der EU-Qualifikations-RL aus. (Rn. 30)
3. Die Bestrafung wegen Desertion stellt an sich noch keine diskriminierende Maßnahme i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b) und c) der EU-Qualifikations-RL dar. (Rn. 57 – 60)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 31. März 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen (BVerwG U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG können u.a. gelten:
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Weiterhin können als Verfolgung gelten:
Gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG. Die genannten Normen entsprechen dem Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) bzw. Buchstaben b) und c) der EU-Qualifikations-RL. Verbrechen oder Handlungen, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG bzw. des Art. 12 Abs. 2 der EU-Qualifikations-RL fallen, sind gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG bzw. nach Art. 12 Abs. 2 Buchstabe a) der EU-Qualifikations-RL u.a. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Schutzsuchende im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge – Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl. 1953 II s. 559, 5560), da er sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Es liegt keine entsprechende Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 AsylG, Art. 9 Abs. 2 EU-Qualifikations-RL vor.
1. Dem Kläger droht keine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG bzw. des Art. 12 Abs. 2 der EU-Qualifikations-RL, namentlich Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fallen, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) EU-Qualifikations-RL.
a) Eine Anwendung der Bestimmung von Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der EU-Qualifikations-RL auf den Kläger scheidet nicht bereits deshalb aus, weil der Kläger als Angehöriger einer Versorgungseinheit nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt war, sondern sich seine Tätigkeit darauf beschränkte, die jederzeitige Einsatzbereitschaft der Apache-Kampfhubschrauber zu gewährleisten. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2015 klargestellt, dass Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der Qualifikationsrichtlinie, wortgleich übernommen in der EU-Qualifikations-RL 2011/95/EU, alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen und unterstützenden Personals erfasst.
b) Ebenso hat der EuGH klargestellt, dass die oben genannte Vorschrift der Qualifikationsrichtlinie auch die Fälle betrifft, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller nur mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Kriegsverbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde. Unabhängig von der Frage, ob es bei den konkreten Ein-sätzen mit den Apache-Kampfhubschraubern zu Kriegsverbrechen gekommen ist oder nicht, stellte die Tätigkeit des Klägers als Hubschraubermechaniker eine unerlässliche Unterstützung für die kämpfenden Einheiten dar. Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der EU-Qualifikations-RL ist also grundsätzlich auf den Kläger anwendbar.
c) In Bezug auf die Frage, ob die Einsatzkräfte der USA im Irak in Einzelfällen Kriegsverbrechen begangen haben oder nicht und auch unabhängig von der Tatsache, dass es zu keiner Verurteilung von Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gekommen ist, hat der EuGH festgestellt, dass diese beiden Kriterien nicht Voraussetzung für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind. Es würde ausreichen, wenn der Asylantragsteller darzulegen vermöchte, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden.
Allerdings stellt der EuGH auch klar, dass der Kläger mit hinreichender Plausibilität darzulegen hat, dass die Einheit, der er angehört, „die Einsätze … unter Umständen durchführt …, unter denen Handlungen der in der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden …“ (EuGH a.a.O. Rn. 43). Maßgeblich abzustellen ist somit auf die konkrete Einheit des Klägers (hier die B-Kompanie des 412. Aviation Support Battalion der 1. Panzerdivision) und nicht auf den militärischen Großverband (1. Panzerdivision) oder die gesamten US-Streitkräfte im Irak.
Der Kläger konnte nicht hinreichend plausibel machen, dass die Einheit, der er im April 2007 angehörte, bei einer Versetzung in den Irak mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen begehen würde.
Denn nach seinen Angaben (Protokoll vom 16.11.2016, S. 6) kam er nach der Reorganisation der 1. Infanteriedivision zum 412. Aviation Support Battalion der 1. Panzerdivision. Dieses hatte Black-Hawk-Hubschrauber (für Truppen- und Verletztentransporte) und Chinook-Transporthubschrauber, also ausdrücklich keine Apache-Kampfhubschrauber. Da es in dieser Einheit ohnehin ein Überangebot an Mechanikern für Apache-Kampfhubschrauber gegeben habe, sei dementsprechend auch geplant gewesen, dass er in Katterbach zurückbleiben dürfe. Aber auch, als er am 1. April 2007 von der Aufteilung seiner Einheit in eine A- und eine B-Kompanie nach eigenen Angaben erfahren hat, wobei die B-Kompanie für einen Irak-Einsatz vorgesehen gewesen sei, bestand keine konkrete Gefahr, an Kampfeinsätzen (mittelbar) beteiligt zu werden, denn der Kläger war zum einen nicht an Black-Hawk- bzw. Chinook-Hubschraubern ausgebildet, zum anderen handelte es sich dabei ohnehin nur um Transport- und keine Kampfhubschrauber. Zudem wäre der Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Irak im Büro eingesetzt worden. Eine drohende Versetzung in die A-Kompanie war zu diesem Zeitpunkt rein hypothetisch.
d) Unabhängig von diesen Erwägungen scheidet eine Schutzgewährung für den Kläger nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der EU-Qualifikations-RL bzw. nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG weiterhin aus, weil das unerlaubte Fernbleiben von der Truppe für ihn nicht das letzte Mittel war, um der von ihm befürchteten Verwicklung in Kriegsverbrechen zu entgehen.
aa) Nach der Entscheidung des EuGH mit Urteil vom 26. Februar 2015 muss die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen, mit der Folge, dass der Umstand, dass der Kläger kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der Qualifikationsrichtlinie (entspricht Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der EU-Qualifikations-RL) ausschließt, sofern der Antragsteller nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.
Insoweit ist bei der Prüfung, die die innerstaatlichen Behörden vorzunehmen haben, nach Art. 4 Abs. 3 Buchstabe c) der Qualifikationsrichtlinie insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller im vorliegenden Fall nicht nur freiwillig zum Dienst in den Streitkräften verpflichtete, als diese bereits in den Irak-Konflikt verwickelt waren, sondern dass er, nachdem er als Angehöriger der Streitkräfte einen ersten Aufenthalt in diesem Land absolviert hatte, seine Dienstzeit mehrfach verlängerte, EuGH a.a.O., Rn. 44.
Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob a) die Eröffnung des Kriegszuges gegen den Irak durch die US-Administration im Jahr 2003 gegen geltendes Völkerrecht verstoßen hat (siehe dazu BVerwG, U.v. 21.6.2005 – 2 WD 12/04 – juris), ob b) die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, ob c) entsprechende Verurteilungen durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorliegen oder ob d) die nach dem Sieg über Saddam Hussein sich anschließende Besatzungsphase geltendem Völkerrecht entsprochen hat, insbesondere, ob die weitere Stationierung der US-Truppen im Irak von einem Mandat des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen oder auf der Grundlage einer bilateralen Übereinkunft mit der amtierenden Regierung des Irak sanktioniert war oder nicht. All diese Fragen sind, weil eine Gewährung des internationalen Flüchtlingsschutzes in Bezug auf den Kläger bereits wegen fehlender konkret bevorstehender Verwicklung in bevorstehende Kriegsverbrechen als auch wegen Nichtinanspruchnahme eines Kriegsdienstverweigerungsverfahrens ausscheidet, für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich.
bb) Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus an den Kläger scheidet aus, weil sein Fernbleiben von der Truppe ab 11. April 2007 nicht das für ihn letzte Mittel, die ultima ratio, gewesen ist, um einer von ihm subjektiv befürchteten Verwicklung in Kriegsverbrechen zu entgehen. Abgesehen davon, dass eine solche Verwicklung ohnehin nicht konkret drohte (siehe oben), hätte der Kläger andere zumutbare Möglichkeiten gehabt, einem Einsatz als Hubschraubermechaniker und einer damit verbundenen zumindest mittelbaren Verstrickung in möglicherweise bevorstehende Kriegsverbrechen aus dem Weg zu gehen, hat diese sich ihm bietenden Möglichkeiten jedoch nicht genutzt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Kläger nicht nur freiwillig zum aktiven Dienst in der Truppe beworben hat, sondern seine Pflichtzeit sogar noch mehrfach (auch im aktiven Kampfeinsatz) verlängert hat, trifft den Kläger eine gesteigerte Obliegenheit, auf legalem Weg eine Änderung seines Einsatzortes zu erreichen.
Die Dienstverweigerung muss das einzige Mittel darstellen, das es dem Kläger erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen. Bei dieser Prüfung ist die individuelle Lage und sind die persönlichen Umstände des Klägers zu berücksichtigen, insbesondere die Tatsache, dass sich der Kläger im vorliegenden Fall freiwillig zum Dienst in den Streitkräften verpflichtete, als diese bereits in den Irakkonflikt verwickelt waren, vgl. EuGH a.a.O., Rn. 44.
Der militärische Konflikt zwischen im Wesentlichen den USA und dem Irak war spätestens im Mai 2003 mit der Eroberung des Landes und der Absetzung Saddam Husseins abgeschlossen („Mission accomplished“). Erst im Sommer 2003 hatte der Kläger nach seinen Angaben erste Kontakte mit einem Rekrutierungsbüro, bevor er sich schließlich im Dezember 2003 zunächst für 15 Monate zum Dienst verpflichtete und in den USA eine Grundausbildung erhielt. Ob die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hierzu, wonach er sich in der Zeit zwischen dem ersten Gespräch im August 2003 und der Verpflichtung im Dezember 2003 nicht weiter über den Inhalt eines möglichen Vertrages informiert und die Vertragsbestimmungen auch bis zur Vertragsunterzeichnung nicht durchgelesen habe, glaubhaft sind, kann an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls entspricht es nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht der Lebenserfahrung, eine Verpflichtung für zunächst 15 Monate Militärdienst einzugehen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den vertraglichen Verpflichtungen, insbesondere der sog. Stopp-loss-Order, also einer Verpflichtung, über einen Zeitraum von insgesamt acht Jahren zumindest als Reservist zur Verfügung zu stehen, auseinandergesetzt zu haben, und dies in dem Wissen, an einem bewaffneten Militäreinsatz teilnehmen zu müssen. Auch die Einlassung des Klägers, nach Vertragsunterzeichnung bis zum März 2004 damit gewartet zu haben, den Vertrag vollständig durchzulesen, weil er damit beschäftigt gewesen sein will, den Winter in seinem Auto zu überstehen, ist nicht glaubhaft. Jedenfalls war die persönliche Situation des Klägers im Winter 2003/2004 nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht derart verzweifelt, dass der Kläger blindlings eine Verpflichtung über insgesamt acht Jahre Militär-(Reserve)-Dienst eingehen musste. Auch sein Bestreben, seine persönlichen Probleme vor seinen Eltern verbergen zu wollen, ist wenig nachvollziehbar, da er in diesem Zusammenhang auch nichts von einem Zerwürfnis mit seinen Eltern geschildert hat. In der Gesamtschau geht das Gericht daher davon aus, dass der Kläger sowohl über Art und Verlauf des Irak-Krieges bis Mai 2003 durch die Medien informiert war als auch genau gewusst hat, auf was er sich mit seiner Dienstverpflichtung vom Dezember 2003 einlässt. Das Gericht hält den Kläger auch nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung für nicht derart naiv und unbedarft, sich ohne Gedanken über seine zukünftige Tätigkeit für insgesamt acht Jahre beim Militär zu verpflichten.
Diese Einschätzung wird untermauert durch die erste Dienstzeitverlängerung um zwei Jahre, die der Kläger im Dezember 2004, also nach einem Jahr Dienst in der Truppe (zunächst Grundausbildung von März bis August 2004, daran anschließend Ausbildung zum Hubschraubermechaniker, seit September 2004 Einsatz im Camp Speicher bei Tikrit) eingegangen ist. Auch in Bezug auf diesen Umstand geht das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Kläger sich in vollem Bewusstsein der Tragweite seines Tuns freiwillig zum aktiven Einsatz bei Kampfverbänden der US-Armee zur Verfügung gestellt hat. Nach seinen eigenen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger bereits in den ersten Monaten im Irak Gespräche mit Kameraden geführt, die teils positiv, teils negativ gewesen seien. Er habe damals schon begonnen, an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes im Irak zu zweifeln. Er habe in Gesprächen erfahren, dass es z.B. zu Hausdurchsuchungen in der Nacht und auch zu Missbrauch gekommen sei, wenngleich er konkrete Daten nicht erfahren habe. Daher habe er Internet-Recherchen angestellt und so erfahren, dass amerikanische Soldaten Zivilisten im Irak missbraucht und auch in Lager gebracht hätten. Auch habe er von Plünderungen erfahren sowie davon, dass Apache-Hubschrauber Häuser angegriffen und die Waffen eine verheerende Wirkung gehabt hätten. Seiner Meinung nach seien bei diesen Angriffen auch Zivilisten getötet worden. In der Folge schildert der Kläger auf Nachfrage, wie es im November 2004 zur „Befreiung“ von Fallujah gekommen sei. Er habe kurz nach den Angriffen im Internet von der Zerstörung Fallujahs durch die amerikanische Luftwaffe sowie von dem Angriff mit Abrams-Panzern und Apache-Hubschraubern gelesen. Zu diesem Zeitpunkt, also noch im November 2004, habe er sich auch verantwortlich für dieses Vorgehen gefühlt.
Vor diesem Hintergrund, gerade in Bezug auf die auch in deutschen Medien berichteten verheerenden Wirkungen des Angriffs auf Fallujah, auch auf die Zivilbevölkerung, erstaunt es umso mehr, dass sich der Kläger noch im Dezember 2004, also unter dem unmittelbaren Eindruck der Wirkung von Fallujah, im aktiven Kampfeinsatz im Irak für weitere zwei Jahre zum aktiven Dienst verpflichtet hat, dies umso mehr, als die ursprünglich eingegangene Dienstverpflichtung über fünfzehn Monate aktiven Dienstes erst im März 2005 beendet gewesen wäre. Die Einlassung des Klägers hierzu, er habe den Vertrag trotz seiner Informationen und seiner moralischen Bedenken verlängert, weil er befürchtet habe, dass er ohne die frühzeitige Verlängerung nach Ablauf des aktiven Dienstes im April 2005 weiter im Irak hätte bleiben müssen, überzeugt hierbei nicht. Auch seine Einlassungen, er habe befürchtet, dass während seiner achtjährigen Reservedienstzeit ein weiterer Einsatz im Irak oder anderswo bei seiner Einheit oder einer anderen Einheit möglich gewesen wäre, ist wenig nachvollziehbar.
Nach Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsniederschrift S. 4) sei ihm gesagt worden, dass er im Falle der Verlängerung nicht mehr in den Irak zurück versetzt würde. Zu diesem Zeitpunkt, also im Dezember 2004, während seines Einsatzes im Irak, habe er das Risiko, als Reservist im Irak eingesetzt zu werden, als sehr hoch eingeschätzt. Er sei der Ansicht gewesen, mit der Verlängerung des Vertrages würde er einen weiteren Einsatz im Irak verhindern können. Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Es widerspricht jeglicher Logik und auch jeglicher Lebenserfahrung zu glauben, mit einer freiwilligen weiteren Dienstverpflichtung Auslandseinsätzen, wie im Irak, gerade entgehen zu können. Im Gegenteil wird eine Armeeführung bei Kampf-einsätzen außerhalb der Heimat in der Regel auf erfahrenes, einsatzerprobtes Personal zurückgreifen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb dies im Falle des Klägers bei seiner Tätigkeit für die US-Armee anders gewesen sein sollte. In dieses Bild passt auch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, in dem Flugzeug, mit dem er von den Vereinigten Staaten ins Bundesgebiet nach Katterbach (unmittelbar vor seinem Einsatz im Irak) verlegt wurde, hätten sich ausschließlich aktive Soldaten befunden. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, wonach gerade die Langzeitverpflichteten nicht zu Auslandseinsätzen speziell in Irak herangezogen werden würden, so hätten ihn kaum aktive Soldaten, sondern vielmehr ausschließlich Reservisten auf seinem Flug nach Deutschland bzw. in den Irak begleiten müssen. Der Kläger konnte aber nicht einmal genau angeben, ob und wie viele Reservisten, also nicht langzeitverpflichtete Soldaten, in seiner Einheit gewesen sind. Dies lässt nur den Schluss zu, dass er bei seinem Einsatz gerade nicht von einer überdurchschnittlich großen Zahl von Reservisten umgeben war. Die angebliche Motivation, durch eine frühzeitige Weiterverpflichtung weiteren Irak-Einsätzen gerade zu entgehen, überzeugt nicht. Auch die vom Kläger in diesem Zusammenhang herangezogene „stopp-loss-order“ überzeugt hierbei nicht. Das Gericht hält den Kläger nicht für derart naiv zu glauben, nur als Reservist, nicht jedoch als aktiver, freiwillig verpflichteter Zeitsoldat Gefahr zu laufen, in Kampfeinsätze in den Irak oder anders wohin geschickt zu werden.
Gleiches gilt für seine zweite Dienstzeitverlängerung auf insgesamt acht Jahre im November 2005. Auch hierbei will der Kläger der Meinung gewesen sein, gerade durch seine Unterschrift einem Einsatz im Irak entgehen zu können. Der Kläger erklärte hierzu ausdrücklich (Sitzungsniederschrift S. 5), er habe den Vertrag trotz seiner Kenntnisse hinsichtlich der Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges sowie der seiner Meinung nach im Irak begangenen Kriegsverbrechen verlängert, um seine acht Jahre Dienstzeit zu erfüllen. Er sei der Ansicht gewesen, dass zwar sein Verband wieder in den Irak verlegt werden könne, er persönlich aber nicht mehr in den Irak zurück müsse. Dies habe ihm sein Rekrutierungsoffizier gesagt, auf dessen Versprechungen er zu diesem Zeitpunkt vertraut habe. Seine Einheit habe keine Apache-Hubschrauber mehr gehabt, diese seien in die Vereinigten Staaten zurückverlegt worden. Die Mechaniker seien in der Folgezeit arbeitslos gewesen. Diese Ansicht sei auch von Offizieren der Kompanie sowie in Armeepublikationen vertreten worden.
Selbst unterstellt, dass sich der Kläger im November 2005 von derartigen Überlegungen hat leiten lassen, bleibt immer noch nicht nachvollziehbar, wieso er, der eine Ausbildung zum Apache-Kampfhubschrauber-Mechaniker bekommen hat, darauf hätte vertrauen können, für den Rest seiner achtjährigen Dienstzeit, also immerhin für die nächsten sechs Jahre, nicht mit einer Apache-Kampfhubschraubereinheit in ein Kriegsgebiet verlegt zu werden. Wenn es stimmt, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, nämlich dass er ab September 2005, nach dem Ende der Umstrukturierungsmaßnahmen bei seiner Einheit, gewusst hat, dass er nicht mehr in den Irak kommt, da die Einheit keine Apache-Kampfhubschrauber mehr gehabt hat, erscheint es umso unlogischer, sich auf volle acht Jahre für den aktiven Dienst zu verpflichten, da bei Stilllegung der Apache-Kampfhubschraubereinheiten in der Logik des Klägers auch als Reservist keine Einberufung in den Irak mehr gedroht hätte. Wäre es überdies in den folgenden sechs Jahren wieder zu einem Einsatz von Apache-Kampfhubschraubern im Irak oder sonstwo gekommen, so hätte die Logik und auch die Lebenserfahrung es nahe gelegt, davon auszugehen, dass dann die aktiven Soldaten vor den Reservisten eingezogen werden. Auch insoweit ist das Verhalten des Klägers in Bezug auf seine zweite Dienstzeitverlängerung nicht nachvollziehbar und seine behauptete Motivation unglaubhaft. Der Kläger konnte nicht ernsthaft eine langfristige Verpflichtung zum Dienst als aktiver Soldat eingehen im Vertrauen darauf, kurzfristig im Rahmen seiner Einheit nicht mit Apache-Kampfhubschraubern in Berührung zu kommen. Gerade die vielen, teils abrupten Umstrukturierungsmaßnahmen hätten vielmehr beim Kläger zu der Erkenntnis führen müssen, dass in einem derart großen Apparat wie der US-Armee keine Zusage „Ewigkeitswert“ hat und sich auch Einsatzpläne mitunter schnell ändern. In einer solchen Situation eine weitere sechsjährige Verpflichtung einzugehen im Vertrauen auf eine mündliche Zusage mit kurzer „Halbwertzeit“ wäre sehr naiv; für derart naiv hält das Gericht den Kläger indes nicht.
Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass der Kläger bei seiner Entscheidung, den Pflichtdienst um weitere sechs Jahre zu verlängern, maßgeblich von materiellen Erwägungen motiviert wurde. Zum einen hatte er im August 2005 geheiratet; nach seinen eigenen Aussagen vor dem Bundesamt (Anhörung S. 24) war die Tatsache, dass er nun verheiratet war, ein Motivationsgrund für die zweite Vertragsverlängerung. Weiterhin gibt er als Motive an, er habe seinem Leben eine Erfolgsgeschichte hinzufügen wollen (S. 23 der Anhörung vor dem Bundesamt). Letzteres ist verständlich vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich noch im Sommer 2005 mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert sah und eigenen Angaben zufolge auch psychische Probleme bzw. Alkoholprobleme gehabt hat. Aus seinen Äußerungen geht klar hervor, dass er einer unwürdigen Entlassung aus dem Dienst unter allen Umständen begegnen wollte. Schließlich wurde er im November 2005, im engen zeitlichen Zusammenhang mit seiner zweiten Dienstzeitverlängerung, auch noch befördert.
In der Gesamtschau ist das Gericht hinsichtlich der Motivlage des Klägers in Bezug auf die Entscheidung, sich überhaupt bei der US-Armee zu verpflichten als auch in Bezug auf seine beiden Dienstzeitverlängerungen im Dezember 2004 und im November 2005 zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in vollem Bewusstsein der Bedeutung seiner Schritte den Weg des Zeitsoldaten eingeschlagen hat und sich anlässlich zweier weiterer freiwilliger Schritte ein und zwei Jahre nach seiner Erstverpflichtung in Kenntnis der Problematik eines kriegerischen Einsatzes im Irak bewusst und wiederholt für den aktiven Dienst in der Armee entschieden hat, weil er seine bürgerliche Existenz nach einer Reihe von Missschlägen nicht erneut aufs Spiel setzen wollte. Die von ihm angeführten Gründe, namentlich das Motiv, durch eine Weiterverpflichtung gerade einem Einsatz im Irak entgehen zu können, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Diese Motivlage ist nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O. Rn. 44) bei der Prüfung der individuellen Lage und der persönlichen Umstände nach Art. 4 Abs. 3 Buchstabe c) der EU-Qualifikations-RL zu berücksichtigen.
cc) Schließlich ist die Anerkennung des Klägers als Flüchtling i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der EU-Qualifika-tions-RL ausgeschlossen, weil der Kläger kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, obwohl ihm in seiner konkreten Situation ein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O. Rn. 45) schließt der Umstand, dass der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der Qualifikationsrichtlinie aus, sofern er nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.
Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt ein reguläres Kriegsdienstverweigerungsverfahren angestrengt.
Dem Kläger hätte aber ein solches Verfahren zur Verfügung gestanden und es wäre ihm auch zumutbar gewesen, ein solches zumindest einzuleiten.
In den USA wird Soldaten die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gewährt. Dies gilt, obwohl alle Militärangehörigen als Freiwillige gelten. Ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann nach der Army Regulation 600-43 gestellt werden. Die Anerkennung erfolgt nur, wenn ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen „jede Art, Waffen zu tragen, zur Teilnahme am Krieg verweigert“ und „seine Verweigerung fest, endgültig und ernsthaft“ ist. Eine Kriegsdienstverweigerung aufgrund der Ablehnung bestimmter Kriege wird ausdrücklich ausgeschlossen. Das Verfahren sieht vor, dass sowohl der militärische Vorgesetzte, ein Militärgeistlicher und ein Militärpsychologe jeweils eine Stellungnahme zur Glaubwürdigkeit des Kriegsdienstverweigerers abgeben. Das Verfahren wird also faktisch in der Einheit selbst durchgeführt. Das bedeutet auch, dass ein Kriegsdienstverweigerer während der gesamten Zeit des Verfahrens in der Regel bei seiner Einheit stationiert bleibt. Im Falle eines Antrags zur Kriegsdienstverweigerung wird auch die Möglichkeit eingeräumt, sich vom bewaffneten Dienst befreien zu lassen. Eine Entscheidung darüber obliegt den Vorgesetzten des Antragstellers. Die Feststellung, ob ein Militärangehöriger als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird, muss in Übereinstimmung mit der Effektivität und Effizienz der Armee stehen. Im Fall einer negativen Entscheidung bleibt dem Verweigerer die Möglichkeit, in den USA gegen die Entscheidung des Militärs zu klagen. Dieses Verfahren findet vor zivilen Gerichten statt. Nach Information des US-Verteidigungsministeriums gibt es jährlich etwa 100 Anträge zur Kriegsdienstverweigerung. Etwa 50% werden abgelehnt (Auskunft von Connection e.V., internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten vom 01.11.2008, Bl. 77 ff. der Behördenakte). Nach den entsprechenden Vorschriften werden die Kriegsdienstverweigerer in ihrer Einheit belassen und mit Aufgaben betraut, die ein Minimum an Konflikt mit ihrer Gewissensentscheidung heraufbeschwören, bis eine endgültige Entscheidung über ihren Verweigerungsantrag getroffen wurde (Army Regulation 600-43, Conscientious Objection, Kapitel 2-10. Buchstabe a).
Dem Kläger stand also zu jeder Zeit ein geordnetes Kriegsdienstverweigerungsverfahren zur Verfügung. Der Kläger kann sich auch nicht auf den Standpunkt zurückziehen, er habe von dieser Möglichkeit nichts gewusst, weil er sich nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll S. 7) vor April 2007, dem Zeitpunkt seiner Fahnenflucht, über die Möglichkeiten einer Kriegsdienstverweigerung überhaupt nicht erkundigt hat. Dies ist umso verwunderlicher, als er wiederum eigenen Aussagen zufolge bereits spätestens seit dem Jahr 2005 intensiv über die Kriegsführung der USA im Irak Internet-Recherchen angestellt haben will. Das Gericht bezweifelt auch aus diesem Grund, dass der Kläger sich in einer echten Gewissensnot befunden hat, denn dann wäre es nahe gelegen, nicht nur das Internet über angebliche Kriegsverbrechen der USA im Irak zu befragen, sondern auch Recherchen über die Möglichkeit anzustellen, sich diesen Konflikten auf die eine oder andere Weise zu entziehen. Der Kläger hat auch zu diesen angeblichen Internetrecherchen, die er vor seiner Desertion angestellt haben will, keinen einzigen Nachweis vorlegt, keinen Ausdruck, keine persönlichen Notizen, nichts, was auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Kriegsverbrechen schließen lässt. Auch aus der Zeit nach der Desertion bis zur Asylantragstellung liegen dem Gericht keine Nachweise über eigene Recherchen und Gedanken vor.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die Position zurückziehen, wonach ein Kriegsdienstverweigerungsantrag von vornherein aussichtslos gewesen wäre, weil er den Einsatz von Waffengewalt nicht generell ablehne, sondern nur dem Einsatz der US-Armee im Irak oder anderswo (Protokoll S. 4) ablehnend gegenüber stehe, und dies nach den einschlägigen Verweigerungsvorschriften einen Ausschlussgrund darstelle. Es wäre dem Kläger trotzdem zumutbar gewesen, alle Mittel auszuschöpfen und zumindest ein offizielles Verfahren anzustrengen. Zum einen hätte dies nämlich nach den Regularien der US-Army (siehe oben) zur Folge gehabt, dass der Kläger in jedem Fall fernab einer kämpfenden Einheit eingesetzt worden wäre. Allein durch dieses Mittel hätte es der Kläger also in der Hand gehabt, seinen vorgetragenen Gewissensnöten, zumindest für die Dauer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, wirksam zu begegnen. Zum anderen ist nicht zwangsläufig davon auszugehen, dass der Ausgang eines solchen Verfahrens, trotz der behaupteten Haltung des Klägers in Bezug auf Waffeneinsatz generell, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Denn der Kläger hatte, wiederum eigenen Angaben zufolge, im Jahr 2005 psychische Probleme und hatte gleichwohl zu keinem Zeitpunkt professionelle Hilfe in Anspruch genommen, weder von ärztlicher noch von seelsorgerischer Seite aus. Es scheint keineswegs ausgeschlossen, dass der Kläger, der im Laufe eines regulären Kriegsdienstverweigerungsverfahrens Gespräche mit dem Truppenseelsorger, mit seinen Vorgesetzen und möglicherweise auch mit Psychologen oder Psychiatern geführt hätte, im Laufe eines solchen Verfahrens sein Gewissen noch ernsthafter überprüft hätte und möglicherweise in diesem Rahmen zu einer anderen Haltung gegenüber dem Waffeneinsatz generell gelangt wäre. Schließlich hat er ja deutlich gemacht (siehe oben), dass er den Einsatz von Apache-Kampfhubschraubern nicht nur im Irak ablehnt. Dies umso mehr, als das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Verbindung mit den Angaben nicht den Eindruck gewinnen konnte, dass sich der Kläger in den Jahren vor seiner Fahnenflucht intensiv mit dem Gebrauch von Waffen und mit seinen angeblichen Gewissensnöten auseinandergesetzt hat. Es bleibt unverständlich, weshalb sich der Kläger nicht trotz seiner angeblichen Gewissensnöte parallel zu seinen Recherchen über den Irakeinsatz auch intensiv mit der Möglichkeit auseinandergesetzt hat, solchen Einsätzen, anders als durch Desertion zu entgehen. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass dem Kläger in seiner konkreten persönlichen Situation ein Kriegsdienstverweigerungsverfahren nicht zur Verfügung stand oder für ihn nicht zumutbar gewesen sein sollte.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (siehe oben) stellt allein dies schon einen Ausschlussgrund von der Gewährung der Flüchtlingseigenschaft dar.
Weiterhin (EuGH a.a.O. Rn. 44) muss die Dienstverweigerung das einzige Mittel darstellen, das es dem Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an dem behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen.
Der Kläger konnte nicht nachweisen und auch nicht einmal glaubhaft machen, dass die Fahnenflucht am 11. April 2007 für ihn die ultima ratio gewesen sein soll, der befürchteten Begehung von Kriegsverbrechen zu entgehen.
Neben der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Einleitung und Inanspruchnahme eines Kriegsdienstverweigerungsverfahrens hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt ernsthaft versucht, ein reguläres Entlassverfahren anzustrengen, mit seinen Dienstvorgesetzten ein vertrauensvolles Gespräch zu führen oder auf anderem Weg eine Versetzung in eine Einheit ohne Kontakt zu Kampfgruppen zu erreichen. Das Gericht konnte feststellen, dass der Kläger nicht einmal ansatzweise versucht hat, mit Hilfe seiner Dienstvorgesetzten, mit denen er augenscheinlich auch sonst vertrauenswürdig zusammengearbeitet hat, eine Lösung für sein behauptetes Problem mit dem Irak-Einsatz zu finden.
In diesem Zusammenhang bleibt auch unverständlich, weshalb der Kläger trotz seiner vorgetragenen Gewissensnöte nicht bereits im Sommer 2005 eine drohende unehrenhafte Entlassung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens als Gelegenheit angesehen hat, die US-Armee zu verlassen.
Unverständlich ist schließlich auch, weshalb der Kläger, der am 1. April 2007 erfahren haben will, im Juli 2007 in den Irak versetzt zu werden, bereits zehn Tage später, am 11. April 2007, fahnenflüchtig geworden ist, obwohl er noch ein volles Quartal zur Verfügung gehabt hätte, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um auf geordnetem Weg zumindest eine Versetzung innerhalb der US-Armee zu erreichen, die ihn nicht in Gewissensnöte gebracht hätte. Er hat dies zu keinem Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise versucht, obwohl er zum damaligen Zeitpunkt als Sekretär seines Vorgesetzten in der Schreibstube gearbeitet hatte und dieser nach seiner Einlassung mit dem Kläger sehr zufrieden gewesen ist. Es hätte also aus Sicht des Klägers nahe gelegen, sich diese guten Kontakte innerhalb der US-Armee nutzbar zu machen und wenigstens zu versuchen, eine Versetzung zu erreichen, und zwar nicht notwendigerweise im IT-Bereich. Der Kläger hätte aber auch versuchen können, an seine zumindest begonnene Ausbildung als IT-Fachmann anzuknüpfen und eine Qualifikation für den IT-Bereich zu erwerben. Auch in dieser Richtung sind keinerlei Bemühungen erkennbar. Von einem Punkt, an dem das heimliche Verlassen der Einheit das letzte dem Kläger zur Verfügung stehende Mittel zur Verhinderung einer Teilnahme an Kriegseinsätzen und drohenden Kriegsverbrechen, also die ultima ratio gewesen wäre, war der Kläger jedenfalls noch weit entfernt.
Insofern kommt es auch nicht auf die in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Tatsachen zu möglichen Einsatzarten an, diese können als wahr unterstellt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger sich nicht in einer derart ausweglosen Situation befunden hat, in der die Fahnenflucht das einzige Mittel gewesen wäre, einer befürchteten Verstrickung in mögliche Kriegsverbrechen zu entgehen. Nicht einmal am Vorabend einer Versetzung in den Irak im Juli 2007 hätte sich der Kläger in einer derart ausweglosen Situation befunden, denn er hätte selbst noch im Irak die Tätigkeit als „Romeo“ einer Hubschrauber-einheit, die Kooperation voraussetzt, verweigern und andere, untergeordnete Tätigkeiten ausführen können. Wie oben ausgeführt, drohte allerdings ohnehin nicht die Versetzung in eine Kampfeinheit.
2. Dem Kläger droht auch nicht Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG, Art. 9 Abs. 2 Buchstaben b) und c) der EU-Qualifikations-RL, nämlich a) gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, sowie b) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.
Die dem Kläger drohende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe und die unehrenhafte Entlassung aus der Armee stellen keine diesbezüglichen Verfolgungshandlungen dar.
Die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) und c) der EU-Qualifikations-RL erfassen Maßnahmen öffentlicher Stellen, deren diskriminierender oder unverhältnismäßiger Charakter einen bestimmten Schweregrad erreichen muss, um als Verletzung von Grundrechten eingestuft werden zu können, die eine Verfolgung i.S.v. Art. 1 Abschnitt A der Genfer Konvention darstellt. Die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgung und Bestrafung, die dem Kläger in seinem Herkunftsland aufgrund seiner Verweigerung des Militärdienstes drohen würden, setzt voraus, dass geprüft wird, ob ein solches Vorgehen über das hinaus geht, was erforderlich ist, damit der betreffende Staat sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft ausüben kann (EuGH a.a.O. Rn. 49 f.). Der EuGH sieht im Falle des Klägers auf der Grundlage der vollständig vorgelegten Akten keine Anhaltspunkte für eine diskriminierende Bestrafung i.S. der o.g. Normen (EuGH a.a.O., Rn. 54).
Nach den dem erkennenden Gericht vorliegenden Militärstrafvorschriften (Art. 86 Uniform Code of Military Justice – UCMJ) beträgt die Höchststrafe für beabsichtigtes dauerhaftes Fernbleiben von der Truppe in Nicht-Kriegszeiten maximal fünf Jahre Freiheitsstrafe. Dies entspricht der Regelung zur Fahnenflucht in § 16 Abs. 1 Wehrstrafgesetz (WStG): auch im deutschen Wehrstrafrecht wird das eigenmächtige Verlassen der Truppe, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauerhaft oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln hinsichtlich der Bestrafungspraxis bei Desertion in den USA lässt sich erkennen, dass in der Praxis der theoretisch mögliche Höchststrafrahmen von fünf Jahren bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Im Fall des Klägers lässt sich eine diskriminierende und unverhältnismäßige Bestrafung wegen Desertion nicht ausmachen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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