Verwaltungsrecht

Anerkennung der Folgen eines lange zurückliegenden Dienstunfalls

Aktenzeichen  B 5 K 18.54

Datum:
26.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21863
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 47 Abs. 2 S. 1
BeamtVG § 31
VwGO § 75 S. 2, § 88, § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Eine Anerkennung von Dienstunfallfolgen ist ausgeschlossen, wenn der Beamte Fürsorgeansprüche aus einem Körperschaden auf ein Unfallgeschehen zurückführt, das er zwar fristgerecht gemeldet hat und das als Dienstunfall anerkannt worden ist, das aber im Zeitpunkt der Meldung des Körperschadens bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die wohl schon unzulässige Klage hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Zulässigkeit der Klage steht wohl schon – zumindest teilweise – ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen.
a) Die in Gestalt der Untätigkeitsklage erhobene Verpflichtungsklage ist nach § 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO zwar grundsätzlich in dieser Form zulässig. Der Beklagte hat im Zeitpunkt der Klageerhebung am 15.01.2018 über den Widerspruch des Klägers vom 08.09.2016 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden und die in § 75 Satz 2 VwGO genannte Frist von drei Monaten seit Antragstellung war bereits abgelaufen. Auch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26.03.2019 erfolgte der Erlass des ausstehenden Widerspruchsbescheids nicht. Innerhalb dieser zweieinhalb Jahre nach Eingang des Widerspruchs beim Beklagten wäre eine Verbescheidung möglich und auch zu erwarten gewesen.
Ein zureichender Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO, wonach der Beklagte nicht innerhalb einer angemessenen Frist hätte sachlich entscheiden können, ist nicht erkennbar und wurde auch nicht vorgetragen. Insbesondere verfängt auch das vom Beklagten im Klageerwiderungsschriftsatz vorgebrachte Argument, dass man eine Widerspruchsentscheidung über den Widerspruch des Klägers vom 07.01.2017 bis zu einer Entscheidung im Verfahren B 5 K 17.826 habe abwarten wollen, nicht. Der Kläger bezieht sich im streitgegenständlichen Verfahren nämlich auf seinen Widerspruch vom 08.09.2016 gegen den Bescheid vom 02.09.2016. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat dieser dem Kläger auch nicht mit Schreiben vom 07.11.2017 mitgeteilt, dass man eine Widerspruchsentscheidung in dieser Sache bis zu einer Entscheidung im anhängigen Klageverfahren abwarte, weil sich der Beklagte im genannten Schreiben auf die Widersprüche des Klägers vom 11.10.2017 bezogen hatte.
b) Allerdings fehlt der Klage wohl schon – jedenfalls in Teilen – das Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Vorb § 40 Rn. 30).
Vorliegend ist nicht ersichtlich, inwieweit der Kläger durch die Anerkennung des Vorfalls vom 01.12.2015 als eigenständiger Dienstunfall im von ihm angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 02.09.2016 beschwert sein könnte. Ob der Kläger im Hinblick auf dieses Begehren aus seinem Widerspruchsschreiben in Anbetracht des von seiner Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrags überhaupt noch – möglicherweise konkludent im Klageantrag enthalten – festhalten möchte, oder ob er sich nunmehr darauf beschränkt, die Zuordnung konkreter Dienstunfallfolgen anzugreifen, kann im Ergebnis offen bleiben, da die Klage jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben kann.
2. Die im Hinblick auf die begehrte Dienstunfallfolgenanerkennung zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 02.09.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung einer ausgeprägten Schultereckgelenksarthrose, die zu dauerhaft erheblichen Schmerzen und massiven Bewegungseinschränkungen des linken Schultergelenkes führt, als weitere Folge des Dienstunfalls vom 27.01.2005 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Voraussetzung für die Anerkennung eines Körperschadens infolge eines Dienstunfalls ist die Geltendmachung dieses weiteren Körperschadens innerhalb der Ausschlussfristen des Art. 47 BayBeamtVG. Nach dieser Vorschrift sind Unfälle innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls schriftlich zu melden (Absatz 1), nach Ablauf der Ausschlussfrist wird Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und u.a. glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit eines Körperschadens oder einer Erkrankung nicht habe gerechnet werden können (Absatz 2 Satz 1). Da die Vorschrift des Art. 47 BayBeamtVG der Regelung des § 45 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) inhaltlich entspricht, können die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Reichweite der in § 45 Abs. 2 BeamtVG enthaltenen Ausschlussfrist auch für die Auslegung des Art. 47 Abs. 2 BayBeamtVG herangezogen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 BeamtVG sind Leistungen der Unfallfürsorge ausgeschlossen, die mit Rücksicht auf einen Körperschaden verlangt werden, der auf einem mehr als zehn Jahre zurückliegenden Ereignis beruht. Das ist der Fall, wenn nach Ablauf der Ausschlussfrist von zehn Jahren das Dienstunfallgeschehen als solches oder auch ein – weiterer – Körperschaden aufgrund eines solchen Ereignisses gemeldet wird. § 45 Abs. 2 BeamtVG hindert nicht die Leistung von Unfallfürsorge über mehr als zehn Jahre. Vielmehr sollen nach zehn Jahren nur Auseinandersetzungen über den Geschehensablauf und über den Kausalzusammenhang eines Körperschadens vermieden werden. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck privilegiert § 45 BeamtVG nicht den Beamten, der nach Ablauf der Ausschlussfristen einen weiteren Körperschaden anzeigt. Auch eine solche Meldung wird von den Ausschlussfristen erfasst (BVerwG, U.v. 28. Februar 2002 – 2 C 5/01 – Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 5). Folgen eines Dienstunfalls, die erst später bemerkbar geworden sind, begründen deshalb keinen Anspruch des Beamten auf Dienstunfallfürsorge, wenn er sie nicht innerhalb von zehn Jahren seit dem Unfall und innerhalb von drei Monaten, nachdem die Unfallfolge bemerkbar geworden ist, dem Dienstherrn gemeldet hat (BVerwG, U.v. 28.2.2002, Az.: 2 C 5.01 – juris Rn. 9). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut beginnt sowohl die Ausschlussfrist nach § 45 Abs. 1 BeamtVG als auch die Ausschlussfrist nach § 45 Abs. 2 BeamtVG mit dem Eintritt des Unfalls; dies gilt auch dann, wenn der Beamte vor Ablauf der Ausschlussfrist den Zusammenhang des Körperschadens mit dem Unfallereignis nicht erkannt hat und auch nicht erkennen konnte (BVerwG, U.v. 28.2.2002 a.a.O. Rn. 17). Eine Anerkennung ist daher auch dann ausgeschlossen, wenn der Beamte Fürsorgeansprüche aus einem Körperschaden auf ein Unfallgeschehen zurückführt, das er zwar fristgerecht gemeldet hat und das als Dienstunfall anerkannt worden ist, das aber im Zeitpunkt der Meldung bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt (BayVGH B. v. 20.3.2017 – 3 ZB 14.1449, BeckRS 2017, 105341).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Körperschädigung als Dienstunfallfolge. Der Kläger hat die Dienstunfallfolge einer ausgeprägten Schultereckgelenksarthrose, die zu dauerhaft erheblichen Schmerzen und massiven Bewegungseinschränkungen des linken Schultergelenkes führt, erstmals mit Schreiben vom 21.12.2015 geltend gemacht.
Darüber hinaus möchte er diese Unfallfolge – von ihm mehrfach und ausdrücklich so geltend gemacht – ursächlich dem Dienstunfall vom 27.01.2005 zugerechnet wissen.
Zur Anwendung kommt somit Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG. Nach dieser Vorschrift wird Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit eines Körperschadens oder einer Erkrankung auf Grund des Unfallereignisses nicht habe gerechnet werden können oder dass der oder die Berechtigte durch außerhalb seines oder ihres Willens liegende Umstände gehindert war, den Unfall zu melden.
Da hier zwischen dem verantwortlich gemachten Schadensereignis vom 27.01.2005 und der Geltendmachung des weiteren Körperschadens mit Schreiben vom 21.12.2015 ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren verstrichen ist, greift die eben genannte Ausschlussfrist des Art. 47 Abs. 2 BayBeamtVG und der Kläger hat unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Anerkennung einer ausgeprägten Schultereckgelenksarthrose, die zu dauerhaft erheblichen Schmerzen und massiven Bewegungseinschränkungen des linken Schultergelenkes führt, als Folge aus dem Dienstunfall vom 27.01.2005.
Somit auch kann offen bleiben, ob der Dienstunfall ursächlich für die geltend gemachte Symptomatik einer ausgeprägten Schultereckgelenksarthrose, die zu dauerhaft erheblichen Schmerzen und massiven Bewegungseinschränkungen des linken Schultergelenkes führt, war und ob der Beklagte zu Recht maßgeblich auf die ärztliche Stellungnahme des Dr. A. vom 12.03.2016 und nicht (auch) auf weitere ärztliche Schreiben, die der Kläger vorgelegt hatte, abgestellt hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob es insoweit zur weiteren Abklärung der Einholung eines Sachverständigengutachtens von Seiten des Gerichts bedürfte.
b) Darüber hinaus war es im Rahmen der richterlichen Fürsorgepflicht auch nicht geboten, zu überprüfen, ob im Zuge dieses letzten Schadensereignisses vom 01.12.2015 dem Kläger die begehrte Dienstunfallfolge hätte zuerkannt werden müssen. Denn dies war eindeutig nicht von seinem Klageantrag umfasst. Sowohl bei Geltendmachung dieses weiteren Schadens im behördlichen Verfahren, als auch bei Klageerhebung in Form seiner eigenen Antragstellung und schließlich in der mündlichen Verhandlung ließ der Kläger über seine Prozessbevollmächtigte ausweislich des Akteninhalts und des Protokolls über die mündliche Verhandlung keinen Zweifel daran, dass er das Ereignis vom 01.12.2015 zum einen – zumindest ursprünglich – nicht als Dienstunfall anerkannt bekommen wollte und zum anderen daraus auch keine Ansprüche ableiten wollte.
An dieses Begehren ist das Gericht gemäß § 88 VwGO gebunden. Nach dieser Vorschrift darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, wobei das Gericht das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Gebunden ist das Gericht dabei an das erkennbare Klageziel (Rechtsschutzziel), so wie sich dieses ihm im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund des gesamten Parteivorbringens darstellt, nicht aber an eine vielleicht irrtümlich gewählte Fassung der Anträge. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt. Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt darf in Einzelfällen die Auslegung ebenfalls vom Antragswortlaut abweichen. Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes als Auslegungshilfe ist im Zweifel zugunsten des Klägers anzunehmen, dass er den in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelf einlegen wollte. Es müssen aber irgendwelche Anknüpfungspunkte bestehen, dass ein Rechtsbehelf eingelegt werden soll und gegen welche Maßnahmen er sich richtet. Andererseits legitimiert § 88 VwGO den Richter nicht, den Wesensgehalt der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was eine Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie – nach Meinung des Richters – zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (vgl. hierzu insgesamt Kopp/Schenke VwGO, 24. Aufl. 2018, § 88 Rn. 1 ff. m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen war das Gericht an das vom anwaltlich vertretenen Kläger immer wieder und auch nachdrücklich geäußerte Begehren, die nun noch beantragte Körperschädigung dem ursprünglichen Dienstunfall vom 27.01.2005 zugeordnet zu wissen, gebunden.
Offen bleiben kann in der Konsequenz damit auch die Frage, ob es sich überhaupt bei dem Schadensereignis vom 01.12.2015 – wie vom Beklagten entschieden – um einen weiteren Dienstunfall handelt.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinsichtlich der Vollstreckung durch den Beklagten bedurfte es angesichts seiner – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen nicht, zumal er auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.
III.
Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.


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