Verwaltungsrecht

Anfechtung der Abschiebungsandrohung des BAMF wegen Aufenthaltstitel

Aktenzeichen  Au 4 K 17.34660

Datum:
4.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5948
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Ein Asylbewerber hat den von ihm behaupteten Aufenthaltstitel vorzulegen, damit verlässlich geprüft werden kann, ob die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG noch vorliegen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Selbst wenn das Vorliegen eines Aufenthaltstitels nachgewiesen würde, bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 8. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Das Gericht ist der Überzeugung, dass das Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt sowie die allgemeine, insbesondere die Sicherheits- und die Menschenrechtslage sowie die humanitäre Situation in Nigeria und auch die Folgen für den Kläger bei einer Rückkehr in dem Bescheid vom 8. September 2017 zutreffend gewürdigt worden sind. Das Gericht folgt daher gem. § 77 Abs. 2 AsylG in vollem Umfang der Begründung des Bescheids und nimmt hierauf Bezug.
Das Gericht teilt insbesondere die Beurteilung des Bundesamts, dass der Sachvortrag des Klägers nicht den Anforderungen an eine glaubhafte Darstellung eines Verfolgungsschicksals genügt (S. 3 f. des Bescheids); dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung des schriftsätzlichen Vorbringens des Klägers und seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung.
Soweit der Kläger eine unzureichende Verdolmetschung bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt rügt, kann dem nicht gefolgt werden. Ausweislich der Anhörungsniederschrift (Bundesamtsakte, Bl. 40) ist zu Beginn der Anhörung vereinbart worden, dass die bei der Anhörung anwesende Verlobte des Klägers bei eventuell auftretenden Unklarheiten vermittele, weil Englisch nicht die Muttersprache des Klägers sei. Der von der Klägerseite in der Klagebegründung gerügte Umstand, dass immer wieder die Verlobte des Klägers korrigierend habe eingreifen müssen, stellt also keinen Mangel der Anhörung dar, sondern entspricht der zu Beginn der Anhörung getroffenen Vereinbarung. Gerade angesichts dieser Vereinbarung hätte die Klägerseite, was sich aber der Anhörungsniederschrift nicht entnehmen lässt und klägerseits auch nicht vorgebracht wurde, auf den Abbruch der Anhörung hinwirken können, wenn es entgegen der zu Beginn der Anhörung vorhandenen Annahmen doch zu so großen Unklarheiten gekommen sein sollte, dass die Klägerseite eine ordnungsgemäße Verdolmetschung nicht mehr als gewährleistet sah. Stattdessen hat die Klägerseite an der knapp vier Stunden dauernden (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 44) Anhörung teilgenommen, ohne dass sich der Niederschrift irgendwelche Einwände gegen den Ablauf der Anhörung entnehmen ließen. Vielmehr hat die Klägerseite in dem entsprechenden Kontrollbogen zumindest unterschrieben, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Nachdem die sonst übliche Angabe, dass die Angaben vollständig seien und der Wahrheit entsprächen, in dem Kontrollbogen nicht angekreuzt ist, ist davon auszugehen, dass zumindest die den Kläger begleitende Verlobte, die nach seinen Angaben der deutschen Sprache mächtig ist, bezüglich des Kontrollbogens Einwände bezüglich der Verständigung hätte erheben können.
Hinzu kommt entscheidend, dass die Klägerseite zwar eine unzureichende Verdolmetschung gerügt hat, aber nichts dazu konkret vorgetragen hat, welche Aussagen des Klägers trotz der Anwesenheit seiner Verlobten und deren korrigierenden Eingreifens in der Anhörungsniederschrift des Bundesamts nicht enthalten sein sollen, und auch nicht, welche Angaben der Kläger wegen der behaupteten mangelhaften Verdolmetschung nicht hat machen können. Die klägerischen Angaben in der Klagebegründung finden sich jedenfalls – insbesondere was das individuell vom Kläger Erlebte betrifft – so, teilweise sogar detaillierter, in der Anhörungsniederschrift. So bezeichnet die Anhörungsniederschrift des Bundesamts die vom Kläger genannte Jugendorganisation mit „Youth Union OPoroza“ konkreter als die Klagebegründung, welche nur von der „Organisation YU“ spricht. Auch enthält die Anhörungsniederschrift konkrete Monate, in denen Ereignisse stattgefunden haben sollen, während die Klagebegründung nur eine einzige Jahresangabe, nämlich das Jahr 2003, enthält, in dem der Präsident der „YU“ getötet worden sein soll. Schließlich gibt die Anhörungsniederschrift den Namen des Anführers der klägerseits genannten Rebellen mit „Tompolo“ zutreffend wieder (vgl. die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, Bl. 22 ff. Gerichtsakte), während die Klagebegründung – nicht vollständig korrekt – von „Tampolo“ spricht. In der Anhörungsniederschrift (S. 4) ist sogar das Detail erwähnt, dass es sich bei der Bezeichnung „Tompolo“ um einen Aliasnamen („A.K.A.“) handelt (vgl. der vom Kläger vorgelegte Wikipedia-Auszug). Auch diese Umstände sprechen somit klar dagegen, dass die Anhörungsniederschrift des Bundesamts das vom Kläger dort Vorgebrachte unrichtig, unvollständig oder zu wenig detailliert wiedergibt, oder dass der Kläger dort für seinen Vortrag relevante Details nicht hat vorbringen können.
Zwar enthält die Klagebegründung anders als die Anhörungsniederschrift des Bundesamts den Namen des Präsidenten der vom Kläger genannten Jugendorganisation („Samuel“), dieser sei dem Kläger bekannt gewesen; allerdings widerspricht dies grundlegend den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach er den Namen des Präsidenten nicht kenne, weil er zu diesem keinen Kontakt gehabt habe; auf Widersprüche im Klägervortrag unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung wird nachfolgend noch einzugehen sein. Die klägerseits in der Klagebegründung thematisierte Situation (Konflikte, Spannungen, Gewalt) im Nigerdelta betreffen nicht das vom Kläger selbst Erlebte; die entsprechenden Umstände sind zudem aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln hinlänglich (vgl. nur Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.12.2018, S. 10), wenn nicht auf Grund wiederholter medialer Berichterstattung allgemein bekannt.
Insofern trifft selbst unter Berücksichtigung der Klagebegründung die Beurteilung zu, dass das Vorbringen des Klägers als hinsichtlich der entscheidenden Aspekte detailarm, vage und oberflächlich zu werten ist und nicht den Anforderungen eine glaubhafte Darstellung eines Verfolgungsschicksals genügt. Aus den Angaben des Klägers und den sonstigen Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung ergibt sich nichts anderes.
Konkret weiterführende Erkenntnisse als in der Anhörungsniederschrift des Bundesamts sowie in der Klagebegründung enthalten ließen sich den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht entnehmen. Vielmehr bleiben die Angaben des Klägers weiterhin auffällig ungenau und vage (etwa zum Zeitpunkt, in dem der Kläger nach Lagos gezogen sein soll und dazu, aus welchen Gründen seine Gegner ihn dort haben ausfindig machen können). Zudem haben sich nunmehr gravierende Widersprüche zum bisherigen Vortrag des Klägers ergeben.
So hatte der Kläger vor der mündlichen Verhandlung durchweg von seinem „Neffen“ gesprochen, der eine wichtige Funktion in der von Kläger genannten Jugendorganisation inne gehabt haben soll. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung soll es sich dabei aber in Wahrheit um seinen Cousin gehandelt haben (Sohn der Schwester des Vaters). Hierbei handelt es sich um einen wesentlichen Umstand, denn als Neffe hätte die Person einer anderen Generation als der Kläger angehört und wäre dementsprechend regelmäßig deutlich jünger als der Kläger gewesen. Dies würde etwa die Frage aufwerfen, wie dieser Neffe im Jahr 2000 für die Jugendorganisation – und zwar bereits in der Rolle eines Sekretärs – gearbeitet haben soll (Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 4), wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt selbst erst 15 Jahre alt gewesen ist. Auch der weitere vom Kläger geschilderte zeitliche Ablauf wäre nicht nachvollziehbar, wenn es sich um einen – wie regelmäßig – deutlich jüngeren Neffen gehandelt hat.
Dass es sich um eine unschädliche Falschbezeichnung gehandelt hat, ist nicht anzunehmen. Der Kläger hat vor dem Bundesamt und in der Klagebegründung häufig und durchweg von „Neffe“ gesprochen. Dafür, dass er in Wahrheit einen Cousin gemeint haben könnte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte; vielmehr hat der Kläger mit der Klagebegründung eine unzureichende Verdolmetschung vor dem Bundesamt gerügt, ohne jedoch nunmehr irgendwelche Gesichtspunkte dafür zu liefern, dass der auch in der Klagebegründung durchweg genannte „Neffe“ in Wahrheit ein Cousin sei. Erst in der mündlichen Verhandlung, auf ausdrückliche gerichtliche Nachfrage, hat der Kläger die verwandtschaftlichen Beziehungen zu der von ihm genannten Person offen gelegt. Die vom Kläger gegebene Begründung, dass er diese Person wegen des Näheverhältnisses als Neffe bezeichne, überzeugt nicht, sondern stellt eine Schutzbehauptung dar. Gerade wegen der Zugehörigkeit zur gleichen Generation und einem ähnlichen Alter liegt bei einer nahe stehenden Person die – auch tatsächlich zutreffende – Bezeichnung als Cousin näher als die Bezeichnung Neffe. Zudem hat der Kläger andere Verwandtschaftsverhältnisse – insbesondere zum Onkel – stets von sich aus mit ihrem allgemeinen Erklärungswert zutreffend bezeichnet.
Ein weiterer gravierender, weil den Kern des klägerischen Vorbringens betreffender, Widerspruch des Klägers liegt darin, dass er vor der mündlichen Verhandlung angegeben hat bzw. sich seinem Vorbringen entnehmen lässt, dass er Mitglied der Jugendorganisation geworden sei, nachdem bei einem Rebellenangriff der Onkel des Klägers getötet und sein Vater schwer verletzt worden sein sollen. Während der Mitgliedschaft des Klägers sei dann der Präsident der Gruppe getötet worden, worauf sich auch der Kläger – wegen des engen Verhältnisses zu seinem Neffen bzw. Cousin – in Todesgefahr befunden haben soll (vgl. Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 4; aus der Klagebegründung ergibt sich ein ähnlicher Ablauf). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Ablauf jedoch so dargestellt, als sei zunächst der Präsident der Organisation getötet worden; anschließend sei beim Versuch, des Neffen / Cousins habhaft zu werden, die Tötung des Onkels und die Verletzung des Vaters erfolgt. Während also nach dem vorigen Vorbringen des Klägers die Tötung des Onkels und die Verletzung des Vaters der Ausgangspunkt dessen war, dass sich der Kläger der Organisation anschloss, handelt es sich nach der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung unterbreiteten Version bei diesem Angriff um das letzte Ereignis in der Reihe dieser Geschehnisse. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch Angaben gemacht, die darauf hindeuten könnten, dass der von ihm vor der Verhandlung geschilderte Ablauf zutreffend sein könnte; gerade hieran aber zeigt sich, dass es dem Klägervortrag insbesondere bei den für sein Vorbringen zentralen Fragen an jeglicher Konsistenz mangelt.
Ein weiterer Widerspruch im Vorbringen des Klägers liegt, wie erwähnt, darin, dass er in der Klagebegründung angegeben hat, der Name des dem Kläger bekannten Präsidenten der Jugendorganisation YU sei Samuel gewesen, während der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, er wisse den Namen des Präsidenten der Jugendorganisation nicht, weil er mit diesen keinen Kontakt gehabt habe.
Zudem hat der Kläger angegeben, der Name des Anführers der ihn bedrohenden Rebellen sei „Tompolo“. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei diesen „Rebellen“ in Wahrheit um einen abgespaltenen Teil der Jugendorganisation, welcher offenbar die ursprünglich gemeinsam verfolgten Ziele nicht mehr geteilt habe, sondern sich gleichsam auf die Seite der Ölindustrie habe ziehen lassen. Aus den klägerseits vorgelegten Unterlagen ergibt sich indes, dass „Tompolo“ eine führende Gestalt in der bekannten Rebellengruppe MEND („Movement for the Emancipation oft he Niger Delta“) gewesen ist. Dass die Gruppe MEND aus einer Abspaltung von der klägerseits genannten Jugendorganisation hervorgegangen sein soll, ist weder vom Kläger (zumal in der erforderlichen Weise) vorgetragen noch aus den beigezogenen Erkenntnismitteln aus oder den klägerseits vorgelegten Unterlagen ersichtlich.
Nach allem geht das Gericht bei Gesamtwürdigung des Vortrags und des Vorbringens des Klägers sowie nach dem von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck davon aus, dass der Kläger das von ihm zur Begründung seines Asylantrags Vorgetragene nicht tatsächlich erlebt hat, sondern dass er lediglich versucht, aus diversen Ereignissen und Gegebenheiten in Nigeria für sich ein Verfolgungsschicksal zusammenzukonstruieren.
Die Klage bleibt insbesondere auch hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids vom 8. September 2017 im Hinblick auf die Angabe der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung, der Kläger verfüge über einen Aufenthaltstitel, ohne Erfolg. Der anwaltlich gestellte Klageantrag verlangt eine Bescheidaufhebung (Ziff. 2 des Klageantrags) im Hinblick auf die (Ziff. 1 des Klageantrags) begehrten Schutzansprüche (§§ 3, 4 AsylG; § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG), welche aber, wie ausgeführt, nicht bestehen; der Kläger hat die Abschiebungsandrohung mithin allenfalls mit dem – nicht durchgreifenden – Argument angegriffen, dass Schutzansprüche zu Unrecht versagt worden sind (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Rn. 15 zu § 34 AsylG; zur isolierten Anfechtbarkeit einer Abschiebungsandrohung vgl. Pietzsch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Rn. 43 zu § 34 AsylG). Eine (zudem fristgerechte) Anfechtung von Ziffer 6 des Bescheids liegt ohnehin nicht vor. Zudem hat der Kläger den von ihm behaupteten Aufenthaltstitel nicht vorgelegt; dies ist jedoch Voraussetzung, um verlässlich prüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG noch vorliegen. Im Übrigen erledigt sich eine vom Bundesamt bereits erlassene Abschiebungsandrohung, wenn dem Ausländer später ein Aufenthaltstitel erteilt wird (Pietzsch, a.a.O., Rn. 25). Insofern fehlte dem Kläger, selbst wenn er das Vorliegen eines Aufenthaltstitels nachweisen würde, das Rechtsschutzbedürfnis für eine – so auch nicht beantragte isolierte – Anfechtung der Abschiebungsandrohung und der im Zusammenhang damit stehenden Befristung gem. Nr. 6 des Bescheids.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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