Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Abschiebung eines Minderjährigen in sein Heimatland

Aktenzeichen  M 17 K 17.30040

Datum:
24.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3c Nr. 3
AufenthG AufenthG § 58 Abs. 1a, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung (BVerwG BeckRS 2013, 54130). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Ausländerbehörden müssen sich in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit davon verschaffen, dass die Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird (konkrete Möglichkeit der Übergabe). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen war. Denn in der form- und fristgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Gegenstand der Klage sind die Ziffern 1 und 3 bis 7 des angefochtenen Bescheids vom 16. Dezember 2016. Nicht angefochten ist die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet (Ziffer 2 des Bescheids), da die Klagepartei nur eine „entsprechende“ Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides beantragte, eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter mittels Verpflichtungsklage aber nicht begehrte. Im Übrigen würde die Anerkennung als Asylberechtigter bereits deswegen ausscheiden, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
3. Soweit sich die Klage gegen die auf § 11 Abs. 2 AufenthG gestützte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der Abschiebung richtet (Nr. 7 des Bescheids) richtet, ist sie mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Eine schlichte Aufhebung (gerichtliche Kassation) beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches (Anfechtungs-) Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetzes geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Eine Anfechtungsklage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann mithin die Rechtsstellung des betroffenen Ausländers nicht verbessern.
4. Im Übrigen ist die zulässige Klage hinsichtlich des Asylantrags offensichtlich unbegründet, im Übrigen unbegründet.
Der Bescheid vom 16. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat offensichtlich weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 AsylG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3; B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18). Da dem Asylgesetz ein einheitlicher Begriff der offensichtlichen Unbegründetheit zu Grunde liegt, ist die Bestimmung des § 30 AsylG grundsätzlich auch für das gerichtliche Verfahren maßgeblich. Nach § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
4.1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen offensichtlich nicht vor. Nach § 29 a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.d. Art. 16 a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Das Heimatland des Klägers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung von Kosovo als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 16. Dezember 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Weder im Eilverfahren noch im Hauptsacheverfahren wurden von Klägerseite Gründe vorgebracht, die den streitgegenständlichen Bescheid in Frage stellen könnten. Soweit der Kläger vorträgt, sein Vater sei vor 17 Jahren von der serbischen Polizei misshandelt und geschlagen worden und die werde aktuell von Gläubigern bedroht, ist bereits nicht erkennbar, inwiefern dies eine individuelle Verfolgungsgefahr für den Kläger begründen vermag. Die Verfolgungsgründe müssen in der Person des jeweiligen Klägers gegeben sein (BVerwG, U.v. 27.04.1982 – 9 C 239/80 – juris Rn. 21 ff.). Im Übrigen erreichen die geschilderten familiären Probleme nicht die Intensität und den Grad an Schwere, der eine Verfolgungshandlung begründen könnte. Der erstmalig in dem Schriftsatz des Vormundes des Klägers vom 24. Januar 2017 vorgetragene Sachverhalt, dass die Gläubiger ihr Geld unter anderem mit Waffengewalt von der Familie gefordert hätten, bleibt völlig vage und undetailliert. Auch in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2017 führte der Kläger dazu keine Einzelheiten aus, sondern beschränkte sich im Wesentlichen darauf, zu Hause „sehr viel Stress und Probleme“ gehabt zu haben. Zudem handelt es sich bei der Bedrohung durch Gläubiger – sollte auch der Kläger hiervon betroffen worden sein, worauf – wie dargestellt – der detailarme und unsubstantiierte Vortrag des Klägers nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schließen lässt – nicht um Verfolgungshandlungen, sondern um kriminelles Unrecht Dritter. Dies lässt bereits keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennen. Danach bedarf es einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Bei der Bedrohung durch Kriminelle muss der Kläger auf staatlichen Schutz verwiesen werden. Nach § 3 c Nr. 3 AsylG erfordert bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nach der aktuellen Auskunftslage nicht auszugehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9. Dezember 2015, im Folgenden: Lagebericht; Länderreport Kosovo (Stand September 2015) des Bundesamts; Ausführungen im Bescheid des Bundesamts zu Polizei, Justiz und EULEX, § 77 Abs. 2 AsylG; ebenso u.a. VG Leipzig, U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris). Der pauschale Hinweis, in dem Heimatland des Klägers sei es üblich, solche Konflikte ohne staatliche Unterstützung auszutragen, ist nicht geeignet, den innerstaatlichen Schutz infrage zu stellen. Vielmehr räumt die Klagepartei damit selbst ein, den Versuch unterlassen zu haben, staatlichen Schutz zu erhalten.
Außerdem hätte der Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wenn er an seinem Herkunftsort weitere Übergriffe befürchtet (st. Rspr. der Kammer, VG München, U.v. 5.2.2015 – M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S. 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris bzgl. Blutrache bei Grundstücksstreit). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (Lagebericht S. 17).
4.2. Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch bei Annahme einer drohenden erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG durch einen nichtstaatlichen Akteur kommt gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylVfG die Gewährung subsidiären Schutzes nicht in Betracht, weil es an der Voraussetzung fehlt, dass der Staat erwiesenermaßen nicht schutzfähig oder -willig ist. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
4.2.1. Allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse im Kosovo vermag sich der Kläger weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen (vgl. dazu den streitgegenständlichen Bescheid, § 77 Abs. 2 AsylG). Unter Berücksichtigung dieser Umstände reicht der Verweis auf eine schwierige wirtschaftliche Situation im Kosovo und die Minderjährigkeit des Klägers nicht für § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus.
Der Familienverband des Klägers lebt im Kosovo. In seinem Heimatdorf … in der Gemeinde … leben seine Eltern, Geschwister, Großmutter und ein Onkel im selben Haus. Eine Tante aus München hat die Familie mit Geld und Lebensmitteln unterstützt. Auch Nachbarn haben der Familie, nach Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, geholfen. Der Kläger erhielt von einem Onkel aus England das Geld für die Reise nach Deutschland. Aus welchen Gründen diese Unterstützungen nun nicht mehr stattfinden sollten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mutmaßlich davon ausgeht, dass er bei einer Rückkehr in den Kosovo von seiner Familie nicht mehr aufgenommen werde, ist dies nicht beachtlich wahrscheinlich. Die vorgetragene Begründung, dass seine Mutter ihn nach seiner unangekündigten Flucht nicht mehr bei sich haben möchte, was der Kläger daraus schließe, dass der Kontakt via Telefon und Skype unter Hinweis auf die fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Familie im Kosovo sehr stark zurückgegangen sei, ist rein hypothetisch. Dagegen spricht nicht nur, dass mit der unangekündigten Flucht schon kein nachvollziehbarer, gravierender Grund für eine vollständige Versagung der familiären Unterstützung vorliegt, sondern auch der Umstand, dass der Kläger nach seiner Ausreise aus dem Kosovo zunächst sogar verstärkt telefonisch Kontakt zu seinen Eltern hatte und seinen Vater in Deutschland persönlich getroffen hat. Aus welchen Gründen nun unvermittelt das familiäre Verhältnis belastet sein sollte, erschließt sich einem nicht. Allein aus einer verringerten Kontaktaufnahme von Seiten der Mutter kann jedenfalls nicht darauf geschlossen werden, dass der gesamte Familienverband den Kläger bei seiner Rückkehr in den Kosovo nicht mehr unterstützen würde. Zudem ist nicht von vornherein auszuschließen, dass auch Bekannte und Freunde des Klägers bereit sind, ihm zu einer existenzsichernden Grundversorgung zu verhelfen, wenn diese ihn sogar immer – wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet – zu Genussmitteln wie Zigaretten und Alkohol eingeladen haben. Schließlich ist laut dem Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 7. Dezember 2016 (Stand September 2016, S. 27) das „Amt für soziale Angelegenheiten“ der Gemeinde für unbegleitete Minderjährige zuständig, in der die Minderjährigen zuletzt registriert waren. Dort wird zunächst geprüft, ob eine Inobhutnahme bei Verwandten möglich ist. Falls eine Unterbringung bei Verwandten oder auch einer anderen aufnahmewilligen Familie nicht möglich ist, bestehen Unterbringungsmöglichkeiten in einem Kinderheim in … oder einem SOS-Kinderdorf. Darüber hinaus existiert ein Haus vom Ministry of Labour and Social Welfare (MLSW) für Waisenkinder bzw. für Kinder mit Behinderungen.
4.2.2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach den übereinstimmenden Schilderungen der Klagepartei wirke der Kläger seit Erhalt des streitgegenständlichen Bescheides depressiv und niedergeschlagen. Damit würde aber sein behaupteter Gemütszustand auf der Angst vor einer Abschiebung basieren und damit kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis darstellen.
Ungeachtet dessen liegen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gefahr besteht, dass sich beim Kläger eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Gemessen daran liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Ein ärztliches Attest über eine psychische Erkrankung des Klägers wurde nicht beigebracht, da sich der Kläger bislang nicht in ärztlicher Behandlung befindet. Schließlich können nach den vorliegenden Erkenntnismitteln psychische Erkrankungen im Kosovo auch grundsätzlich behandelt werden (VG München, B.v. 25.11.2016 – M 17 S. 16.33053 – juris Rn. 56; VG Würzburg, B.v. 20.1.2016 – W 6 S. 16.30045 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 7.2.2017 – 13 A 1836/16.A – juris; OVG Schleswig, U.v. 15.12.2016 – 3 LB 7/14 – juris Rn. 85). Laut dem Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 7. Dezember 2016 (Stand September 2016, S. 24 ff.) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren („Mental Health Care Centres“, MHCs) durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Pristina behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Diese Einrichtungen verfügen jeweils über eine angeschlossene psychiatrische Ambulanz mit ambulanter fachärztlicher Betreuung. Patienten, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, werden in den psychiatrischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems weiterhin primär medikamentös behandelt. Eine Behandlung auf psychotherapeutischer Grundlage wird nach Angaben der Ärzte durchgeführt, wenn hierfür eine medizinische Notwendigkeit vorliegt und die für die Durchführung von psychotherapeutisch orientierten Gesprächen erforderliche Zeit zur Verfügung steht. Daneben führen auch Nichtregierungsorganisationen Behandlungen auf psychotherapeutischer Basis durch, z.B. das aus dem Stabilitätspakt für Südosteuropa unterstützte psychosoziale Zentrum der Diakonie, das auch die einzige Ausbildung in Traumatherapie in Kosovo anbietet. Fachärzte für Psychiatrie im privaten Gesundheitssektor behandeln Trauma-Patienten sowohl medikamentös als auch im Rahmen einer Psychotherapie. Privatpraxen für Psychiatrie bzw. Neurologie finden sich in ganz Kosovo. Der Preis für die Durchführung einer Gesprächstherapie beträgt zwischen 10 und 20 Euro. Die behandelnden Ärzte verfügen mindestens über eine Qualifikation als Neuropsychiater. Einige Ärzte haben zusätzliche Fachkenntnisse im Ausland erworben bzw. nehmen an Schulungsmaßnahmen teil, die NROs in Kosovo v.a. zur Behandlung von Trauma-Patienten anbieten. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrer-Projekts „URA II“ in Anspruch nehmen.
4.3. Schließlich ist die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Dass der Kläger noch minderjährig ist, macht die Abschiebungsandrohung nicht rechtswidrig. Dieser Umstand betrifft nicht (zielstaatsbezogen) die Abschiebung als solche, sondern ist im Vollzug durch die zuständige Ausländerbehörde hinsichtlich Zeitpunkt und Umständen der Abschiebung zu prüfen (VG München, B.v. 28.04.2015 – M 4 S. 15.30266).
Gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG hat sich die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Mit dieser Regelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden ist, hat der Gesetzgeber Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98) – Rückführungsrichtlinie – umgesetzt (BT-Drs. 17/5470 S. 24). § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung (BVerwG, U.v. 13.06.2013 – 10 C 13/12 – juris Rn. 17). Denn § 58 Abs. 1a AufenthG ist keiner gesonderten Feststellung durch das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 AsylG zugänglich wie die dort genannten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG. Auch hat das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsandrohung die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht zu prüfen. Auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wirkt sich das Vollstreckungshindernis des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht aus.
Die Ausländerbehörden müssen sich in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit davon verschaffen, dass die Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird (konkrete Möglichkeit der Übergabe). § 58 Abs. 1a AufenthG verpflichtet die Ausländerbehörde, sich vor Durchführung jeder Abschiebung z.B. durch Einschaltung des Bundesamts oder der Botschaften und Konsulate vor Ort positiv davon zu vergewissern, dass eine Übergabe an konkret benannte Personen bzw. Stellen tatsächlich vollzogen wird. Nur dann entfällt das gesetzliche Vollstreckungshindernis für eine Abschiebung.
Auf Grund dieser Rechtslage besteht für den Kläger nicht die Gefahr einer Abschiebung in eine ungesicherte Zukunft im Heimatland. Die Voraussetzungen, die ein Abschiebungsverbot rechtfertigen würden, liegen daher derzeit nicht vor. Es besteht kein Anlass, anzunehmen, dass die zuständige Ausländerbehörde abweichend von den gesetzlichen Vorgaben die Abschiebung betreiben würde. Im Falle des Klägers bedeutet dies, dass nach einer Bezugsperson gesucht werden müsste, die eine entsprechende Aufnahme und Betreuung des Klägers gewährleisten würde. In Frage kämen dazu seine beiden im Kosovo lebenden Eltern. Insoweit ist sichergestellt, dass der Kläger nicht durch eine Abschiebung in eine ungewisse und ausweglose Lage gerät (vgl. insoweit auch: VG Ansbach, U.v. 31.3.2004 – AN 15 K 02.32519 – juris; VG München, U.v. 18.8.2009 – M 17 K 09.50081 – juris; VG Augsburg, U.v. 16.02.2011 – Au 6 K 10.30424 – juris). Im Falle seiner Rückkehr nach Kosovo wäre der Kläger gerade nicht auf sich alleine gestellt, sondern könnte sich in seiner Heimat auf einen Familienverband zurückgreifen, der sich seiner annimmt (s.o. 4.2.1.).
4.4. Schließlich ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 16. Dezember 2016 rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden. Die Beziehung zu der in München lebenden Tante des Klägers genießt einen deutlich geringeren Schutz als die Beziehung zu Eltern und Geschwistern. So führte der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2017 zudem aus, dass er ab und zu mit seiner Tante aus … telefoniere, sie sich selten treffen würden und mit seinen Eltern nicht gleichzusetzen wären. Schließlich liegt auch kein vollständiger Kontaktabbruch zur Tante aus … vor, da diese regelmäßig die Familie im Kosovo besucht.
5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
6. Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

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