Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Darlegung der Reiseunfähigkeit, Risikoschwangerschaft nicht mit akuter Gesundheitsgefahr gleichzusetzen

Aktenzeichen  W 6 E 17.33779

Datum:
28.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149684
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 2c S. 1, S. 3

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich ist das Bestehen einer Risikoschwangerschaft nicht mit einer akuten Gesundheitsgefahr für die Schwangere und das Ungeborene gleichzusetzen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein rechtliches Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. In Betracht kommen dabei nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (BayVGH BeckRS 2016, 46952).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Antragsteller begehren die vorübergehende Aussetzung ihrer Abschiebung.
1. Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige und reisten im Sommer 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Antragstellerin zu 4) ist die Großmutter der Antragstellerin zu 2) und wird von ihr zu Hause gepflegt und betreut.
Die Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 3) wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 12. Januar 2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und es wurde die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Die hiergegen gerichtete Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 8. November 2017 (Az.: W 6 K 17.30307) abgewiesen.
Der Asylantrag der Antragstellerin zu 4) wurde nach Mitteilung der Regierung von Unterfranken bestandskräftig abgelehnt, sie ist seit dem 14. April 2017 vollziehbar ausreisepflichtig.
2. Der Antrag ist sinngemäß auszulegen als ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) gerichteter Antrag.
Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist jedoch unbegründet, da es an einer Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs fehlt.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2017 – 10 CE 16.838, beck-online Rn. 7). Bei der Bewertung der Darlegungen der Ausreisepflichtigen ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 60a Abs. 2c Satz 1, 3 AufenthG die grundsätzliche Reisefähigkeit des Ausländers normiert hat.
Das Vorbringen im Hinblick auf die Antragstellerinnen zu 1) und 4) ist nicht geeignet, ihre Reisefähigkeit zu erschüttern.
Im Rahmen des Klageverfahrens gegen ihren abgelehnten Asylantrag legte die Antragstellerin zu 1) eine Bescheinigung vom 23. Oktober 2017 vor, in welchem ihr das Bestehen einer Risikoschwangerschaft attestiert wird. Identisches Attest wurde nun im Rahmen des Eilverfahrens vorgelegt. Bei diesem ärztlichen Attest handelt es sich in erster Linie um eine Krankschreibung und es geht daraus nur hervor, dass Antragstellerin zu 1) zum Zeitpunkt der Krankschreibung am 23. Oktober 2017 vaginale Blutungen hatte. Weitere Ausführungen, die ihre Einstufung als Risikoschwangerschaft begründen, sind daraus nicht ersichtlich. Grundsätzlich ist das Bestehen einer Risikoschwangerschaft nicht mit einer akuten Gesundheitsgefahr für die Schwangere und das Ungeborene gleichzusetzen. Demnach ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass die Antragstellerin zu 1) infolge der Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands drohen würde. Die in § 60a Abs. 2c Satz 1, 3 AufenthG normierte gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit wird durch das pauschale Vorbringen ohne nähere Ausführungen bzw. Darlegungen der behaupteten Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1) nicht erschüttert. Ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) ist daher nicht glaubhaft gemacht.
Gleiches gilt für die Antragstellerin zu 4). Die Behauptung, die Antragstellerin zu 4) hätte in der Ukraine keinen Zugang zu lebenserhaltender medizinscher Versorgung in der erforderlichen Qualität und Intensität, ist völlig unerheblich, da es vorliegend nur darauf ankommt, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht. Im Hinblick auf die vorgetragene Pflegebedürftigkeit ist darauf zu verweisen, dass die Antragsteller zu 1) bis 3) in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Klageverfahren W 6 K 17.30307 vorgetragen haben, dass sie die Antragstellerin zu 4) pflegen. Darüber hinaus wird auf das Gutachten des Gesundheitsamtes am Landratsamt Schweinfurt vom 27. Juni 2017, vorgelegt von der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken, verwiesen, welches der Antragstellerin zu 4) Flug- und Reisefähigkeit bescheinigt.
Ausweislich der Stellungnahme der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken wird diese Sammelabschiebung unter ärztlicher Begleitung erfolgen.
Abschiebungshindernisse für die Antragsteller zu 2) und 3) liegen keine vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Asyl).


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