Verwaltungsrecht

Anforderungen an ein Attest zur Glaubhaftmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  M 21 S 17.45732

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste am 7. Juni 2015 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Juli 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 8. Juni 2017 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, nach dem gewaltsamen Tod des Vaters, für den mutmaßlich dessen Geschwister verantwortlich gewesen seien, habe es zu Auseinandersetzungen des Klägers und seiner Geschwister mit den Onkel und Tanten gegeben. Drei Brüder und zwei Schwestern seien umgebracht worden. Die Mutter des Klägers habe Angst bekommen und den Kläger und seine jüngeren Geschwister in die Elfenbeinküste gebracht. Von dort habe der Kläger mit einem Schulfreund telefoniert, der ihm gesagt habe, dass die Verwandten nach ihnen suchten. Der Kläger habe sich dann dazu entschieden, nach Nigeria zu gehen. Er würde ins Gefängnis gesteckt werden, wenn er in sein Land zurückkehre, weil er im Ausland etwas über sein Heimatland erzählt haben könnte. Er könne nicht zurück. Zudem leide er an Posttraumatischer Belastungsstörung.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Ghana angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wurde angeordnet und auf 10 Monate am dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Vorbringen des Antragstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Gegen die behauptete Verfolgung durch die Verwandten hätte sich der Antragsteller im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Wehr setzen können. Soweit er angegeben habe, an Posttraumatischer Belastungsstörung zu leiden, sei dies in Ghana behandelbar.
Der Antragsteller hat am 12. Juli 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.45731), mit der er beantragt, den Bescheid vom 3. Juli 2017 hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 bis 7 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung lässt er durch seine Bevollmächtigte vortragen, er befinde sich seit September 2016 in traumaorientierter, tiefenpsychologisch fundierter Behandlung. In Ghana sei die für die psychische Erkrankung des Antragstellers erforderliche Behandlung nicht gewährleistet. Psychisch erkrankte Personen erlebten Stigmatisierung und Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung sowie im familiären und gesellschaftlichen Umfeld. Zudem seien die medizinischen Einrichtungen des Landes nicht erschwinglich. Der Antragsteller verfüge über keine finanzielle oder sonstige Unterstützung durch seine Familie in Ghana. Überdies fühle er sich von den Mördern seines Vaters und seiner Geschwister nach wie vor bedroht. Es sei mit einer Retraumatisierung zu rechnen.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 17. Juli 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Der Antragsteller hat ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c) Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass seiner Abschiebung nach Ghana gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt.
Das vorgelegte kinder- und jugendpsychiatrische Attest vom 1. Oktober 2016 entspricht diesen Anforderungen insoweit nicht, als es Ausführungen zum Schweregrad der Erkrankung sowie zu den Folgen, dies sich aus der krankheitsbedingten Situation ergeben, nicht enthält. Das vorgelegte Attest der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin P. vom 22. März 2017 enthält demgegenüber eine andere Diagnose als das Attest vom 1. Oktober 2016, lässt aber Ausführungen zur Methode der Tatsachenerhebung vollständig vermissen, was vor dem Hintergrund, dass nunmehr eine andere Diagnose im Raum steht, aber dringend geboten gewesen wäre.
Auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte ärztliche Stellungnahme entspricht schon nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, die aus formeller Sicht an es zu stellen sind, zumal nun wiederum eine posttraumatische Belastungsstörung als Diagnose angegeben ist. Letztgenannte Stellungnahme lässt jegliche Aussage zur Tatsachenerhebung, dem Schweregrad der Erkrankung sowie den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, jedenfalls insoweit vermissen, als es das materiell von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangte Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung betrifft, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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