Verwaltungsrecht

Anforderungen an eine einstweilige Anordnung im Fahrerlaubnisrecht

Aktenzeichen  11 AE 18.1741

Datum:
27.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19956
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 2
FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt nur in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (Anschluss BayVGH BeckRS 2018, 17168). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig seinen tschechischen Führerschein in eine deutsche Fahrerlaubnis der Klassen A1, A und B umzuschreiben.
Mit Urteil vom 18. Juni 2018 verpflichtete das Verwaltungsgericht Augsburg den Antragsgegner, den am 10. März 2008 ausgestellten Führerschein mit der Nummer ED450266 in eine deutsche Fahrerlaubnis der Klassen A1, A und B umzuschreiben (Az. Au 7 K 17.1836). Der tschechische Führerschein des Antragstellers habe ihn berechtigt, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Es würden keine vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen vorliegen, wonach der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in Tschechien, sondern im Bundesgebiet gehabt habe. Da die Gültigkeit des Führerscheins bis 10. März 2018 befristet gewesen sei, sei er nunmehr nach § 30 FeV in eine deutsche Fahrerlaubnis umzutauschen. Dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erteilung des tschechischen Führerscheins im Besitz eines im Jahr 2007 ausgestellten polnischen Führerscheins gewesen sei, ändere daran nichts.
Über den gegen das Urteil vom 18. Juni 2018 erhobenen Antrag auf Zulassung der Berufung des Antragsgegners vom 2. August 2018 hat der Senat noch nicht entschieden (Az. 11 ZB 18.1649). Mit der fristgerecht eingereichten Begründung vom 17. August 2018 macht der Antragsgegner geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und es stellten sich mehrere grundsätzlich bedeutsame Fragen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Der Antragsteller macht mit seinem Antrag, dem der Antragsgegner entgegentritt, geltend, er habe nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts einen Anspruch auf Umschreibung seines Führerscheins. Er sei auf seinen Führerschein angewiesen, da er eine Fahrtstrecke von 20 Kilometern zu seiner Arbeitsstelle zurücklegen und teilweise schon um drei Uhr morgens anfangen müsse. Er könne seine Arbeitsstelle nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen und müsse diese aufgeben, wenn er keine Fahrerlaubnis habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen im Hauptsacheverfahren und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der mit Schriftsatz vom 2. Juli 2018 beim Verwaltungsgericht eingelegte Antrag ist durch Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung ohne Verweisung beim Verwaltungsgerichtshof als Gericht der Hauptsache nach § 123 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO anhängig geworden (vgl. BVerwG, B.v. 5.1.1972 – VIII CB 120.71 – BVerwGE 39, 229; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 123 Rn. 30).
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 28.11.2014 – 11 CE 14.1962 – juris Rn. 11; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 20 FeV Rn. 6). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn der Antragsteller konnte keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen.
Zwar war seine Klage vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich. Dem Antrag auf Zulassung der Berufung des Antragsgegners wird aber voraussichtlich zu entsprechen sein, da das Verwaltungsgericht die Entscheidungen des Senats vom 20. März 2018 (11 B 17.2236 – NJW 2018, 2343 Rn. 25), vom 22. Mai 2017 (11 CE 17.718 – juris) sowie vom 11. Juli 2018 (11 CS 18.66 – juris) nicht hinreichend berücksichtigt hat. Danach liegt ein Hinweis für einen Wohnsitzverstoß auch dann vor, wenn die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen belegen, dass dem Betreffenden die Fahrerlaubnis bereits kurze Zeit nach der Anmeldung eines Wohnsitzes erteilt worden ist und keine Umstände ersichtlich sind, die die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes als gesichert erscheinen lassen. So liegt der Fall hier, denn der Antragsteller war nach den Meldeauskünften vom 9. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 in der Tschechischen Republik gemeldet und der Führerschein ist schon zwei Monate nach Beginn des Meldezeitraums am 10. März 2008 ausgestellt worden.
Es spricht auch kein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller in der Berufungsinstanz gleichwohl obsiegen wird. Eine summarische Prüfung ergibt, dass die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen wohl auf einen Wohnsitzverstoß hinweisen, da die Fahrerlaubnis bereits kurze Zeit nach der Anmeldung des Wohnsitzes erteilt worden ist und der von der Behörde in Nepomuk ausgefüllte Fragebogen zwar das Vorhandensein einer Unterkunft an der genannten Adresse, aber nicht einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers dort bestätigt. Die Zusammenschau mit den inländischen Erkenntnissen sowie mit dem Umstand, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins auch noch im Besitz eines polnischen Führerscheins war, führt wohl dazu, dass er von dem tschechischen Führerschein im Bundesgebiet nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV keinen Gebrauch machen darf.
Dass das Landratsamt im Jahr 2014 keinen feststellenden Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV über die fehlende Berechtigung erlassen hat, sondern damals davon ausging, der tschechische Führerschein berechtige den Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, führt wohl nicht dazu, dass dem Antragsteller eine solche Berechtigung zukommt. Zum einen scheidet eine Zusicherung nach Art. 38 BayVwVfG, einen feststellenden Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 FeV nicht zu erlassen, ohnehin aus (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 27). Zum anderen kann den vorgelegten Behördenakten auch nicht entnommen werden, dass dem Antragsteller ausdrücklich mitgeteilt worden ist, er dürfe von dem tschechischen Führerschein in Deutschland Gebrauch machen. Es finden sich zwar zwei Aktenvermerke in der Akte, aus denen hervorgeht, dass der Polizeiinspektion Aichach am 10. September 2014 telefonisch mitgeteilt worden ist, der Antragsteller dürfe mit dem tschechischen Führerschein fahren, und dass der Polizeiinspektion Augsburg am 5. Juli 2016 mitgeteilt worden ist, dem Antragsteller sei 2014 mitgeteilt worden, er dürfe fahren. Dass dem Antragsteller tatsächlich mitgeteilt worden ist, er dürfe mit diesem Führerschein in Deutschland Kraftfahrzeuge führen, ergibt sich aus diesen Aktenvermerken aber nicht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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